Geschichte der Juden in Polen und Russland

Erster Band
Autor: Meisl, Josef (1882-1958) Dr., Erscheinungsjahr: 1921

Exemplar in der Bibliothek ansehen/leihen
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Juden, Judentum, Russland, Polen, Deutschland,
Nicht ohne Zagen übergebe ich dieses Werk nach vieljähriger Arbeit der Öffentlichkeit. Ich halte mich verpflichtet, an dieser Stelle in kurzen Worten über Entstehung und Ziel des Werkes Rechenschaft zu geben. Den Gedanken, eine zusammenfassende Darstellung der Geschichte der Juden in Polen und Russland nach dem jüngsten Stande der Einzelforschung zunächst für das von den Quellen abgeschnittene Publikum in den westeuropäischen Ländern zu schreiben, habe ich von dem verstorbenen Geschichtsschreiber Saul Pinchas Rabinowitz übernommen, mit dem mich in den letzten Jahren seines Lebens nicht allein enge verwandtschaftliche, sondern auch trotz des Altersunterschiedes freundschaftliche Bande verknüpften. Wir beide hatten zunächst den Plan, gemeinsam die Arbeit zu vollbringen, aber der leider zu früh unter schweren Lebenskämpfen mitten in einer fremden, vielfach teilnahms- und verständnislosen Umgebung beschleunigte Tod des noch bis in die allerletzte Zeit von neuen Plänen erfüllten Mannes verhinderte die Ausführung unseres Vorhabens.

*********************************************************++
Inhaltsverzeichnis
    Vorrede
  1. Periode: Von den ältesten Zeiten bis zu den Kosakenaufständen in der Mitte des 17. Jahrhunderts
    1. Erstes Kapitel
      Zweites Kapitel
      Drittes Kapitel
      Viertes Kapitel
      Fünftes Kapitel
      Sechstes Kapitel
      Siebentes Kapitel
      Achtes Kapitel
      Neuntes Kapitel
      Zehntes Kapitel
      Elftes Kapitel
      Zwölftes Kapitel
      Dreizehntes Kapitel
    Anmerkungen (Quellen und Literatur)
Das Manuskript, welches mir blieb, und für das der Verstorbene mehr den Text, ich dagegen mehr die Form geliefert hatte, war für die Veröffentlichung nicht geeignet. Es reichte bis in die zweite Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts und enthielt nicht allzuviel Neues in wenig übersichtlicher Darstellung. Die Anlehnung und Abhängigkeit von Rabinowitz‘ Graetz-Übersetzung war nur allzu deutlich. Dennoch war das Material im allgemeinen brauchbar und hat mir als Fingerzeig und Ausgangspunkt für den erwähnten
Zeitraum vortreffliche Dienste geleistet. Sonst war nur noch eine Disposition des ganzen Werkes vorhanden, die aber auch ergänzt und umgearbeitet werden musste.

Trotz aller Vertrautheit mit dem einschlägigen Quellenmaterial halte ich mein Beginnen für ein außerordentliches Wagnis. Und dennoch glaubte ich, den Versuch unternehmen zu dürfen, als erster in deutscher Sprache, in so zusammenfassender Weise dieses bislang Forschern und Laienpublikum fast unbekannte Gebiet darzustellen. Ich habe kein Quellenwerk im Sinne neuer Forschungen bieten können, wenn ich mich auch selbstverständlich so weit als möglich auf die ersten Quellen unter vollster Berücksichtigung der Ergebnisse der Detailforschung stütze. Wohl wäre eine solche Arbeit niemals ohne die vorzüglichen Spezialuntersuchungen von Balaban, Berschadski, Dubnow, S. M. Grünsburg, Harkavy, Hessen, Marek, Schipper, Schorr, Wischnitzer, Zinberg, um nur einige zu nennen, möglich gewesen, und wohl haben die verschiedenen hauptsächlich in russischer Sprache erschienenen Hilfswerke zur Vergleichung und durch Literaturangaben mir vortreffliche Dienste geleistet. Gleichwohl meine ich behaupten zu dürfen, dass ich auch, abgesehen von neuem Material, in der Zusammenfassung und Darstellung des Stoffes durchaus unabhängig gewesen bin. Auf die Synthese kam es mir in erster Reihe an. Das Detail ist mir an sich nicht so wertvoll erschienen, sondern vor allem als Illustrationsfaktum für den Zusammenhang. So mag es gekommen sein, dass ich manche Einzelheit übersehen, manches in nicht ganz zutreffendem Lichte dargestellt habe, und es wird mir eine Freude sein, wenn ich von der Kritik in dieser Hinsicht neue Belehrung empfangen sollte. Die Hauptaufgabe sah ich immer in der Erfassung der Zusammenhänge und Geschichtsprozesse.

Auf vier Bände habe ich den riesenhaften Stoff verteilt. Im ersten und zweiten Bande wird als Vorgeschichte die Geschichte der Juden in Polen bis zu den Teilungen dargestellt und parallel damit auch das Schicksal der jüdischen Splitter in den Gebieten des inneren Russlands während des fraglichen Zeitraums gezeigt. Der dritte Band reicht bis zum Tode Alexanders II., dem Beginn der Pogromperiode und den Anfängen der neueren Nationalbewegung, der vierte bis zum Ausbruch des Weltkrieges. In einem Anhang will ich sodann wissenschaftliches Material, Einzeldarstellungen, Ergänzungen, Bibliographisches usw. bieten. So dürften wohl die Voraussetzungen gegeben sein, um unserer Generation, soweit sie nicht in der Lage ist, sich selbst in die Quellen Einsicht zu verschaffen, einen umfassenden informatorischen Überblick der eigenartigen Geschichte der russischen Judenheit zu bieten. Wenn ich dabei auch keineswegs bloße Tatsachen aneinandergereiht habe, sondern vor allem ein Gesamtbild zu geben mich bemühte, so geschah es aus einer bestimmten Auffassung vom Wesen und Zweck der Geschichtsschreibung. Die Verzeichnung von Ereignissen ist Sache des Chronisten, der Geschichtsschreiber hat eine höhere Aufgabe. Er muss zu den Geschehnissen Stellung nehmen und sie — freilich mit seinen Augen gesehen, die auch irren können — zu einem Gesamtbilde zusammenzufügen suchen. Der Historiograph des jüdischen Volkes hat dieses Ziel nach drei Richtungen zu verfolgen. Er hat das Verhältnis der Juden zum Staat in rechtlicher Hinsicht, zur Gesellschaft in den sozialen, hauptsächlich wirtschaftlichen Beziehungen und die kulturellen Leistungen des Judentums, die geistigen Bewegungen in den einzelnen Zeiträumen darzutun. Erst von diesen drei Hauptgesichtspunkten betrachtet, bietet die jüdische Geschichte einen Gesamteindruck, der in der Seele des Lesers das nationale Leben vergangener Tage erstehen lässt. Und dieses nicht nur im Sinne einer interessierten Belehrung und Bereicherung des Wissens, sondern vor allem um des Bewusstseins der Kontinuität willen zu erreichen, ist das Ziel der Geschichtsdarstellung. Das Individuum soll sich nicht bloß mit der Kette der Ahnen verknüpft, sondern eingestellt in den Wechsel der Zeiten für die Zukunft der Nation verantwortlich fühlen. Das soll der schönste Ertrag der Geschichtsschreibung sein, die in unserer bewegten Zeit doppelt bedeutsam geworden ist. Freilich wird sie ihrer hehren Aufgabe nur gerecht werden können, wenn sie sich nicht, wie die traurigen Verirrungen der letzten Dezennien, zu einer für politische Ziele zugespitzten Fälschung und Vergewaltigung der Tatsachen hergibt. Es ist ein durch keinen Schimmer von Beweisen gestützter Irrtum oder Selbstbetrug, wenn man die jüdische Geschichte zu einer Religions- oder gar Kirchengeschichte gestempelt hat. Sie ist in erster Reihe nationale Geschichte, Geschichte eines Stammes, dessen gewaltigste welthistorische Leistung in seinem monumentalen religiösen Lehrgebäude besteht, der aber darum noch keineswegs zur „Konfession“ geworden ist, sondern als ein lebender Organismus weiterbesteht. Wer die heutige Zeit klaren Blickes betrachtet, dem kann es nicht zweifelhaft sein, dass dieses Geschlecht, welches die Erhebung seiner Nation aus der Passivität des Exillebens zur schaffenden Gemeinschaft auf der Urväterscholle auf seine Fahnen geschrieben hat, mit dem verblendeten Vorurteile von der Konfessionalität der Judenheit gründlich aufzuräumen beginnt. In solchem Bemühen soll geschichtliche Erkenntnis ihm hilfreiche Dienste bieten und dieses Werk ein bescheidener Beitrag sein. Wenn es mir geglückt sein sollte, Verständnis und Interesse für jüdische Geschichte in diesem Sinne und unbefangener als Kanzel, Lehrhaus und Schule das bislang vermochten, zu fördern, dann würde dieses beglückende Bewusstsein mir reichlicher Lohn für all die Mühsal und Pein sein, unter denen mein Werk geschaffen wurde.

Berlin-Halensee, im Oktober 1920.
J. M.

Ostjüdisches Antlitz

Ostjüdisches Antlitz

Ostjude

Ostjude

Der greise Jude

Der greise Jude

Bärtiger Jude

Bärtiger Jude

Alter Jude

Alter Jude

Lesender Jude

Lesender Jude

Meditierender Ostjude

Meditierender Ostjude

Ostjude vor seinem Gebetbuch

Ostjude vor seinem Gebetbuch

Jude beim Lesen eines Buches

Jude beim Lesen eines Buches

Jude bei der Arbeit

Jude bei der Arbeit