Juden in Wismar von 1330-1350, Albrecht II. der Große

Die Judenverfolgung in Güstrow im Jahre 1330 *) hatte einesteils die ohnehin schwache Stellung der Juden in Mecklenburg noch mehr erschüttert, andernteils wird sie so manchen Flüchtling nach Wismar getrieben haben, wo er bei seinen reichen Glaubensgenossen Schutz und gastfreundliche Ausnahme gefunden, wohl unter dem Deckmantel der Familienangehörigkeit. Den wachsamen und scheelen Augen der Wismarer entging dies nicht. Wird auch der Zuwachs an jüdischen Familien nicht so groß gewesen sein, den Wismarern galt er schon als kolossal. Sie wandten sich daher 1337 mit Beschwerden über das Überhandnehmen von Juden an den Fürsten Albrecht. Dieser, durch seine Unternehmungen eben so geldbedürftig wie der Vater, mochte wohl seine Juden in Wismar nicht missen; da er aber ohnehin mit der Stadt auf gespanntem Fuße stand und es wegen der Juden zu keinem Bruche kommen lassen wollte, ging er auf die Klagen der Wismarer ein. Er traf mit der Stadt eine Vereinbarung, der zufolge in ihren Mauern nur „zwei Judenhischen“ (Familien) wohnen sollten. Er begab sich auch der Jurisdiktion über dieselben und ordnete sie der städtischen Gerichtsbarkeit unter. Dafür sollten sie aber auch den andern Bürgern gleichberechtigt sein. Ihm aber sollten sie für den Schutz 24 Mark Lübecker Pfennig, als jährliche Abgabe zahlen. Empfohlen wurde vom Fürsten der Jude Danitze (oder Danys = Danies = Daniel), dem es frei stünde, sich noch eine andere Familie zu wählen.**)

*) Vgl. weiter.
**) Schröder Papistisches Mecklenburg I., S. 1187. Vergl. Anhang unter C.


Mit Bezugnahme auf dieses Übereinkommen wurde vom Rate zu Wismar mit Danitze folgender Vertrag abgeschlossen:

„Wir Ratsmänner zu Wismar, alte und neue, bekennen offenbar in dieser Schrift, dass wir nach Briefen und Handvesten unseres Herrn von Mecklenburg, Herrn Albrechts, über einen Vertrag einig geworden sind mit dem frommen Juden Danitze, dass wir diesen Juden mittelst dieses Briefes aufgenommen haben und aufnehmen zu einem unserer Bauern und Bürger, und dazu noch einen Juden, welchen derselbe Danitze sich zuwählen mag. Also sollen die zwei Juden mit ihren Weibern, Kindern und Gesinde wohnen in unser Stadt Wismar unter unserm Schutz und Schirm, gleich andern unserer Bürger, in zwei Häusern, und in nicht mehr als zwei Häusern zur Zeit, so lange als sie leben, nach ihrem Tode zwei andere Juden von ihren Erben, also dass der Juden ja nicht mehr sollen sein als zwei Familien. Und dieselben Juden sollen von unsern Bürgern von der Mark die Woche 3 Pfennige als Zins nehmen und nicht mehr.*) Was darunter ist, sollen sie gleichfalls unsern Bürgern auskehren mit Zins oder Rente. Würde aber ein Pfand bei denselben Juden angesprochen als Diebstahl oder Raub, das soll man von den Juden für so viel einlösen oder frei machen, als jene schwören mögen, dis sie darauf gegeben haben, aber ohne irgend welche Zinsen. Dieselben Juden sollen auch Wache tun und graben gleich andern unsern Bürgern. Für andere uns und unserer Stadt schuldige Pflichten, sollen dieselben Juden bei der Stadt jedes Jahr 16 Mark Pfennige Lübecker Münze zahlen. Wäre es, dass einer abginge, so soll der andere uns und unserer Stadt für die 16 Mark aufkommen.

Auf dass alle diese Stücke fest und stetig bleiben, so haben wir diesen Brief denselben Juden gegeben, besiegelt mit unserm Stadtsiegel.“

Es folgen die Unterschriften von 5 Bürgermeistern und 13 Ratsherrn und Datum.**)

*) Da die Matt 16 Schill, und der Schill. 12 Pfennige hält, so wäre dies ein sehr geringer jährlicher Zinsfuß, kaum 1 1/2 %; nach Rudloff aber wären dies die wöchentlichen Zinsen gewesen, also ungefähr 75 %! Boll. Gesch. Mecklenburgs I., S. 383.
**) Schröder Pap. Mecklenburg. I., S. 1191. Vgl. das niederdeutsche Original im Anhange unter D.


Der genannte Danitze, der sich 1338 vom Bürgermeister Johann Kröpelin in der Kröpeliner Straße*) ein Erbe kaufte, war ein allgemein geachteter und hoch angesehener Mann, geehrt und ausgezeichnet von Fürst und Bürger. Dafür zeugt sowohl seine Empfehlung von Seiten des Fürsten, als auch das ehrenvolle Attribut „fromme“, welches ihm die Wismarer Ratmannen beilegten, wiewohl sie sonst nicht gut auf die Juden zu sprechen waren. Trotzdem widerfuhr ihm das Unglück von nichtswürdigen Edelleuten in kalter Winternacht, durch Verrat der Hausamme, aus dem Bette gerissen und bloß in der Jacke in die Gefangenschaft fortgeschleppt zu werden. Der Bericht darüber im Ratswillkürbuch der Stadt Wismar (Fol. 55) lautet:

„Im Jahr des Herrn 1339 in der Nacht vor dem Feste der Eniphanie des Herrn 6. Januar war auf Gesuch meines Herrn von Mecklenburg der Knappe Behr**) durch die Bürgermeister in Sicherheit gebracht worden. dessen ungeachtet gelangte er nach Mitternacht in das Haus des Juden Danys, unseres Mitbürgers zur Zeit, in dem ihm die Amme des genannten Juden die Haustür geöffnet hatte; nahm mit seinen Helfershelfern den Juden aus seinem Bett, bekleidete ihn nur mit einer Jacke, führte auf das Prived der Schmiede, legte dort ein Brett nieder, band ihm einen Strick an die Seite und ließ ihn nieder. Nach ihm stieg er selbst mit seinen Genossen hinab, legte den Juden über ein Pferd, führte ihn, wohin es ihm beliebte und hielt ihn lange gefangen. Als die Nachtwächter dies sahen, erweckten sie mit ihrem Geschrei die Bürgermeister und die Bürger, welche, als sie an der Wohnung des gedachten Juden zusammenkamen Hugold Behr des vorgedachten Heym Bruden, Henno von Stralendorf, Marquard, Sohn des Herrn Vicko von Stralendorf und Gottschalk Preen Schyme***) seine Verwandten, welche alle zur Zeit in der Stadt waren und den ganzen vorhergehenden Abend mit Henno in einer Schenke zugebracht hatten, vielleicht als Mitwisser der Tat, gefangen nahmen. Nachdem diese für die beiden Anteile des Landesherrn in Haft gehalten worden, wurde endlich eine ehrenvolle Beilegung beliebt.“ Die verräterische Amme wurde dem Feuertode übergeben.****)

*) Nach Schröder ist es die Bademutterstraße; nach Geheimarchivrat Dr. Lisch, die Altböterstraße, die den Namen Platea Judaeorum (Judengasse) bereits im Jahre 1303 führte. Vgl. Heister S. 378. – Aber Danitze war ja gleichberechtigter Bürger und konnte auch außerhalb der Judengasse wohnen.
**) Das Haus Behr gehört zu den ältesten und berühmtesten Adelsgeschlechtern Mecklenburgs. Vgl. Lisch, Urkunden und Forschungen zur Geschichte des Geschlechtes Behr. 3 Bände.
***) Auch die Stralendorf und Preen sind bekannte alte Adelsfamilien. Vgl. Jahrbücher für Mecklenburgische Geschichte Jahrgang XI., S. 461.
****) Vgl. Schröder, Pap. Mecklenburg I., S. 1206. Lisch, Behr’sche Urkunden II., S. 158 folg.


Welcher Art diese ehrenvolle Beilegung war, darüber äußert sich der Schreiber des Vorhergehenden nicht. Jedoch sind uns in demselben Ratswillkürbuch drei Dokumente aufbewahrt, aus welchen wir erfahren, wie ernst der Rat diese dem als Wismarer Bürger anerkannten Danys zugefügte Unbill nahm, und wie energisch er in der Revanche für den liebgewonnenen Juden vorging. In dem einen sind es der Ritter von Stralendorf, sein Sohn Marquard, Johann Preen von Choredzin, Heyno und Heinrich, Vettern von Stralendorf und Herbord von Rodenbeck, welche den Wismarer Ratmannen bürgen, dass die wegen Entführung des Danys gefangenen Heyno und Marquard von Stralendorf den Sühnevertrag und die geleistete Urfehde halten werden; in dem andern treten wieder die Brüder Heyno und Hugold Behr und ihre Verwandten in Mecklenburg als Bürgen auf für den aus genannter Ursache gefangen gehaltenen Hugold Behr, sowie in dem dritten für den gefangenen Gottschalk Preen von Steinhausen die Ritter Heinrich von Blücher, Heinrich Raven, Gottschalk Preen, Heyno und Heinrich von Stralendorf.*)

*) Diese Urkunden sind dem Verfasser durch die Güte des Herrn Dr. Beyer in Schwerin aus den zum Druck des achten Bandes des Mecklenburger Urkundenbuches bereitliegenden Bogen mitgeteilt worden. Die zweite ist bereits abgeguckt in Lischs Urkunden zur Geschichte des Hauses Behr II., 159.

Die Veranlassung zu dem erzählten Bubenstreich war vielleicht eine an Danys abzutragende Schuld, welche die Attentäter oder deren Verwandte nicht abzutragen vermochten. Dass Danys der Gläubiger eines Heinrich Strahlendorf und Ghodekin Preen von Steinhausen gewesen, erhellt aus einem in das Wismar’sche Zeugenbuch eingetragenen Schuldbrief vom November 1338: „Heinrich Styahlendorf des Heyno Bruder, Heinrich Straßendorf, Bruder des Herrn Vicko Johann Leidenstorp und Ghodekin Preen von Steinhausen für die eigene Person dem Juden Danys auf ein Pferd 20 Lübische Mark zurückzugeben, auch für Futter und Zins. Stirbt das Pferd zwischen Eimer und Krippe (inter adaquationem et praesepe), so müssen jene am Halfter (ad funem) für alles Vorausgeschickte aufkommen. Wird das Pferd zwischen jetzt und Weihnachten nicht zurückgekauft, so müssen sie das Pfand vergrößern. Sie dürfen sich für alles Dieses keiner andern Anführung bedienen, als der des Leidenstorp.“

Der Passus „für die eigene Person“ zeugt dafür, dass, wie schon Heister (S. 378) vermutet, mit dieser Verpfändung ein Obstagium (injacentia, Einlager) verbunden war, d. h. die Verpflichtung sich im Falle des Nichtzahlens dem Gläubiger als Gefangener zustellen.*) Es mag nun sein, dass die Schuldner ihren eingegangenen Verbindlichkeiten nicht zur Zeit nachkamen und zu Weihnachten weder das Pfand einlösten, noch vergrößerten. Um sich nun dem schmachvollen Obstagium zu entziehen, wurde gegen Danys' Person ein Komplott gestiftet. Und in der Tat fällt die Zeit des Verbrechens mit dem Verfalltermin zusammen. Vielleicht hatten sie die Unverschämtheit so weit getrieben Danys auf dem verpfändeten Pferd selbst fortzuschleppen. Die Übeltäter hatten gewiss vor, ihm in der Gefangenschaft eine Verzichtleistung auf die Schuld oder das Obstagium, ja vielleicht obendrein noch ein schweres Lösegeld zu erpressen.

Dieser Danys geriet mit einem Rostocker Juden, einem Sohn des Salomon,**) der beim Herzog Albrecht in Gunst stand, in Streit. Dieser entbrannte so sehr, dass Danys seinem Gegner, während dieser unter Schutz und Geleit des Fürsten einherritt, Arm und Bein zerschlug. Die Ursache der Feindschaft ist nicht angegeben. Doch lässt sich bei dem anerkannt edlen Charakter des „frommen“ Danys vermuten, dass nur eine tödliche Provokation von Seiten des Rostockers ihn zu einer solchen Tat hinreißen konnte. Der Fürst, ohnehin sehr erbittert über die Wismarer, welche „den Habicht ungern so nahe auf der Hecke litten,“ und daher, wie unter Vater und Großvater, den Fürstenhof verletzt und den Turm zerstört hatten, geriet über die an dem Schutzjuden seiner „geliebten Stadt“ Rostock von dem neugebackenen jüdischen Bürger des übermütigen Wismar vollzogene Exekution, vollends außer sich. Es wäre wohl zu einem verhängnisvollen Krieg gekommen, wenn nicht der damals in Rostock anwesende Herzog Rudolph von Sachsen und einige der Rostocker Bürgermeister vermittelnd und versöhnend dazwischen getreten wären. So kam es denn im Jahre 1339 zu einem Ausgleich, in welchem es unter Anderem heißt: „Es solle besagter unser geliebter Herr allen Unwillen, den er von altem oder von neuem gegen uns hegen möchte, insbesondere wegen Zerstörung des Turms, der Verletzung des Fürstenhofes und des gedachten Juden Danys gänzlich aus seinem Herzen fahren lassen und dessen hinfüro niemals gedenken u. s. w.***)

*) Vgl. Boll. Geschichte Mecklenburgs. I. S. 270 ff.
**) Vgl. weiter.
***) Mecklenburgische Jahrbücher. Jahrg. VII. S. 36, Lisch.


Nach dem Tode*) des Danys hatten dessen Todfeinde, Salomon von Rostock und seine Söhne, sowie die Gebrüder Mossekin und Jacob, deren Vater, ein Namensvetter des erstgenannten, schon früher in Wismar gewohnt hatte, eine temporäre Konzession zur Besetzung der vakant gewordenen zwei Hischen, auf Wunsch des Fürsten erhalten. Dieselbe lautet:

„Wir Albrecht von Gottes Gnaden Herr zu Mecklenburg, Stargard und Rostock, erkennen durch Gegenwärtiges an, dass unsere lieben Bürgermeister der Stadt Wismar aus Liebe zu uns, die einzeln benannten Juden, Salomon von Rostock, der vormals in Schwerin wohnte, nebst seinen Erben und die Gebrüder Mossekin (= Moses) und Jacob, Söhne des Salomon, der vordem in Wismar wohnhaft war, in die genannte unsere Stadt Wismar für die zwölf folgenden Jahre von jetzt an zum Wohnen aufgenommen haben, so dass dieselben in den einzelnen sie inzwischen betreffenden Fällen tun und empfangen sollen, was das Lüb'sche Recht bestimmt; so auch, dass besagter Salomon und seine Erben in der genannten Stadt ein Haus mit einer darin wohnenden Familie, ebenso Mossekin und Jacob ein Haus und in demselben eine Hische haben sollen. Es wollen überdies unsere vorgenannten Bürgermeister die gesagten Juden um unsertwillen, so wirksam sie es vermögen, schützen und begünstigen, außer gegen uns und die Mecklenburgische Herrschaft. Wenn ferner innerhalb der genannten zwölf Jahre einer der besagten Juden sterben sollte, so können seine Erben, entweder für ihre Person in demselben Verhältnis bleiben, oder eine andere an ihre Stelle setzen, die die vorerwähnten Freiheiten durch die dann noch übrige vorgenannte Zeit genießen soll, sofern sie nur in zwei Häusern und zwei Hischen, wie vorbesagt, ihre Wohnungen behalten. Wollte aber während der vorbenannten zwölf Jahre einer der besagten Juden sich anderswo wohnhaft machen, so müsste er für seine Zeit, unter den vorbenannten Bedingungen, einen Andern an seiner Statt stellen.

*) Es ist jedoch möglich, dass außer den bereits ansässigen zwei Hischen, ein nur zeitweiliger Aufenthalt noch andern zwei Hischen dazu konzediert wurde. Vgl. Boll. Geschichte Mecklenburgs I. 383.

Die besagten Juden haben in Allem unsern obgedachten Bürgermeistern ebenso zu folgen und zu gehorchen, wie unsere ihnen untergebene Bürger.

Dessen zum Zeugnis ist unser Siegel dem Gegenwärtigen angehängt worden.

Gegeben zu Rostock im Jahre des Herrn 1341 am 3ten Tage vor Lätare in Gegenwart von Otto Dowitz, Gottschalk Storn etc. Rittern und mehreren andern glaubwürdigen Männern.“*)

Die genannten Jacob und Mossekin aber scheinen entweder von dem Privilegium gar keinen Gebrauch gemacht zu haben, oder sie haben, wenn sie sich überhaupt in Wismar angesiedelt, spätestens 1346 diese Stadt verlassen und sich nach Rostock begeben, da die vielen Schuldscheine, die ihnen von Rittern und Edelleuten von diesem Jahr an bis 1350 ausgestellt werden, alle aus Rostock datieren.**)

*) Schröder Pap. Mecklenburg I., S. 1242. Vgl. das Original, Anhang unter E.
**) Mecklenburger Urkundenbuch S. VIII (zum Druck vorbereitet) Nr. 290 und Note das.


Doch begegnen wir 1344 den Gebrüdern Daniel, Marquard und Isaak, bei welchen der Bürgermeister Bische, Dagenehard und Heghel von Buckow ein Pferd um 36 Mark Lübische versetzten, mit der Bedingung, es entweder beim Beginn der nächsten Quadragesimalfasten vereinter Hand zurückzukaufen oder das Pfand zu vermehren. Sie stehen auch für das Futtergeld ein, für jede Woche 6 Solidi, und versprechen als Zins für jede Mark per Woche 8 Lübische Denare. Wenn das Pferd zwischen Wasser und Krippe stirbt, so leisten sie selbst den Juden am Halfter genüge, wie es Sitte und Recht der Juden ist.

Dieser Isaak wird auch 1347 genannt, wo fünf Edelleute an ihn und Jacob und Mossekin in Rostock einen Schuldschein über 139 Mark Lüb, Pfennige ausstellen.

Wohl aber ist es ein anderer Isaak, der 1344 aus Wismar verbannt wird, weil er der Bestimmung zuwider, nach welcher dem Juden der Handel nur offen und am Tage gestattet war, am Abend 4 Tonnen Heringe gekauft und mit denselben ziemlich in der Frühe zurückkommen war.

Die letzte Aufnahme von Juden in Wismar erfolgte 1349 oder 1350, aus welcher Zeit folgende Urkunde im Wismarschen Privilegienbuch (Fol. 62 b) datiert; ,,Allen denen die Gegenwärtiges sehen oder hören wünschen die Bürgermeister der Stadt Wismar Glück und Heil in dem Herrn! Nach Inhalt des Gegenwärtigen erkennen Wir offen an und bezeugen, dass wir auf Antrag der erlauchten Fürsten, Herren Albrecht und Johann, Herzoge zu Mecklenburg, zwei von unsern geliebten Herren uns empfohlene Hische Juden in unsere Stadt aufgenommen haben.“

Es wird mit Recht vermutet, dass diese Kopie des Wismarer Privilegienbuchs nur ein Bruchstück der Originalurkunde sei, und der Kopist die Ausführung deshalb unterlassen, weil der furchtbare Sturm, der in den Jahren 1348—1350 in Mitteleuropa über die Judenheit hereinbrach, auch nach Mecklenburg herangebraust kam, so dass man die bereits ansässigen Juden vertrieb und gewiss nicht an die Aufnahme neuer dachte. Jene Urkunde war daher gegenstandslos gewordene und der Kopist fand sich dadurch veranlasst in der Mitte abzubrechen.

Der schwarze Tod nämlich, der an der Grenzscheide der beiden Hälften des 14. Jahrhunderts als schonungsloser Würgengel das Erdenrund mit eherenem Schritt durchzog und die grausigsten Verheerungen unter den Menschen anrichtete, hatte auch in Mecklenburg seinen gespenstischen Einzug gehalten, und in Wismar allein erlagen seinem tödlichen Hauch binnen eines Monats 2.000 Menschen, von einer Bevölkerung, die im Ganzen gegen 13.000 Seelen zählte. Zu dieser erschreckenden Ausdehnung hatte nicht wenig auch die Unreinlichkeit, ein Makel der alten Mecklenburger, sowie der Mangel an Anstalten zur Gesundheitspflege beigetragen.

Der finstere Wahn aber, der namentlich in Deutschland, trotz der apologetischen Bullen des Papstes Clemens VI, alle Gemüter benebelte, als hätten die Juden alle Flüsse und Brunnen vergiftet, um allen Christen mit Einem Male den Garaus zu machen, und der von so Vielen wegen der erhofften reichen Beute bei den Unwissenden genährt wurde, hatte auch in Wismar Anklang gefunden, wie in den Schwesterhansestädten Lübeck, Rostock und Stralsund. Dies erhellt aus einem Sendschreiben des Rates zu Lübeck an den Herzog Otto von Braunschweig-Lüneburg. In diesem berichtet ersterer über die durch die grausamen und verräterischen Juden bewerkstelligte Christenvergiftung. Er sucht dies durch Beweise - natürlich nach dem bekannten mittelalterlichen Zuschnitt — zu erhärten und beruft sich unter Andern auch auf eine Konferenz der Bürgermeister von Wismar, Rostock und Stralsund, in welcher diese wegen des Attentats der Juden auf die Christenheit Rates gepflogen, da zwei Delinquenten, nach angewandter Tortur, offen gestanden, sie wären von gewissen Juden bestochen worden, die Christen zu vergiften. Der Lübecker Rat fordert daher genannten Herzog auf, aus Liebe zu Gott und zur Gerechtigkeit, die Juden in seinen Landen auszurotten.

Geht nun schon aus dieser Beteiligung des Wismarer Rats an der famosen Konferenz zur Genüge hervor, dass er sich mit unheilsschwangern Plänen gegen die Juden herumtrug, so wird die tatsächliche Vertreibung der Juden aus Wismar 1350 durch die nachstehenden sogenannten „Bürgersprachen“ (civiloquia) bestätigt. Die eine, datiert vom 4. März 1350 lautet: Item, keiner unserer Bürger darf in irgend welcher Weise einen Juden beherbergen. Der Übertreter hat eine Strafe von 10 Mark Silber zu zahlen.

Ferner vom 4. Juli d. J.: Jeder Jude, der in oder bei der Stadt ohne Erlaubnisschein betroffen wird, soll verhaftet werden.*)

*) Burmeister, Bürgersprachen der Stadt Wismar.

Zum Blutvergießen wird es jedoch bei dieser Vertreibung nicht gekommen sein, da Nichts darüber berichtet wird.

Über 500 Jahre hielt Wismar seine Tore den Juden verschlossen. Schon längst hatte der Zauberstab der Toleranz, der schönsten Frucht des Jahrhunderts, die Mauern selbst solcher deutschen Städte, die ebenfalls bis tief in unser Jahrhundert den Juden keinen freien Einlass und Niederlassung gewährt hatten, gespalten; schon längst waren vor dem verjüngenden Hauch der Kultur und Aufklärung all die Schranken gefallen und all die Judengassen verschwunden, die Vorurteil und Fanatismus errichtet und aufrecht erhalten hatten; aber Wismar hatte es vorgezogen, die rein christliche Stadt zu bleiben, unbefleckt von Juden und Judentum, als endlich die gewaltigen Ereignisse unseres Jahrzehnts einen Norddeutschen Bund und ein deutsches Reich schufen, mit einer Volksvertretung und einer Verfassung, deren Arme bis an unsere Ostseestadt reichten, deren Stimme auch hier rief: Öffnet euch ihr Tore!

Trotzdem aber hat Wismar einstweilen, nach wie vor, nur ein Paar „Judenhischen.“