Geschichte der Handwerke und Gewerbe.
Mit 45 Abbildungen
Themenbereiche
Architektur & Baukunst Politik, Gesellschaft, Wirtschaft Kunst & Kultur Landwirtschaft, Natur und Umwelt
Enthaltene Themen: Handwerk, Gewerbe, Kulturgeschichte, Sozialgeschichte, Kunstgeschichte, technische Revolution, Entwicklung, Fortschritt, Handwerkerstand, Ideen, Künste, Produktivität, Produktion, Wissenschaft, Geschicklichkeit, Bedürfnisse,
Tausend fleiß'ge Hände regen,
Helfen sich im muntern Bund,
Und in feurigem Bewegen
Werden alle Kräfte kund.
Meister rührt sich und Geselle
In der Freiheit heil'gem Schutz,
Jeder freut sich seiner Stelle,
Bietet dem Verächter Trutz,
Arbeit ist des Bürgers Zierde,
Segen ist der Mühe Preis,
Ehrt den König seine Würde,
Ehret uns der Hände Reiß.
Schiller.
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Helfen sich im muntern Bund,
Und in feurigem Bewegen
Werden alle Kräfte kund.
Meister rührt sich und Geselle
In der Freiheit heil'gem Schutz,
Jeder freut sich seiner Stelle,
Bietet dem Verächter Trutz,
Arbeit ist des Bürgers Zierde,
Segen ist der Mühe Preis,
Ehrt den König seine Würde,
Ehret uns der Hände Reiß.
Schiller.
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Inhaltsverzeichnis
Vorrede
Ich habe es gewagt, zum Ersten Male die Geschichte der Gewerbe zu schreiben, und lege sie hiermit der Wissenschaft und dem deutschen Volke vor; diesem ist sie erzählt, jene hat das Recht des Urteils über sie. Es war ein Wagnis, einmal wegen des großen Feldes, das durchwandert werden musste, und dann, weil es noch dazu von keinem Anderen vor mir, wenigstens in der Art, wie ich es wollte, durchwandert worden war. Habe ich aber den Nachteil von dieser erstmaligen Wanderung durch dieses Gebiet der Geschichte gehabt, so muss mir auch von Rechtswegen der daraus entspringende Vorteil zufließen, und so wird die wissenschaftliche Kritik wenigstens freundlich mit mir umzugehen haben. Übrigens habe ich den Forderungen der Wissenschaft die strengste Rechnung zu tragen gesucht: ich habe so viele Quellen als möglich gesammelt, sie genau geprüft und nur solche historische Darstellungen benutzt, welche mit Quellennachweisen versehen sind oder doch wenigstens die Ausweise quellenhafter Bearbeitung unverkennbar an sich tragen. Ich selbst aber habe mir diese Nachweisungen ersparen zu dürfen geglaubt, einmal weil sie zu viele geworden wären, und dann, weil ich durchaus nicht der Wissenschaft, sondern der Welt außerhalb derselben, die sie nicht verlangt, erzählte. Dennoch glaube ich auch auf den freundlichen Dank der Wissenschaft rechnen zu dürfen: denn einmal habe ich manche Urkunden, manches alte Buch, manche Stadtchronik durchstudiert, die für einen solchen Zweck noch nicht vorgenommen worden sind; dann aber glaube ich durch dieses so aus taufend alten und neuen Bausteinen errichtete Gebäude ihr genau den Punkt bezeichnet zu haben, bis zu welchem sie eigentlich auf diesem Gebiete bis jetzt gekommen ist. Und es ist kein Zweifel, dass gerade auf diesem Gebiete der Geschichte noch am wenigsten gearbeitet worden ist, ja dass man sich’s bisher kaum klar bewusst war, wie auch dieser Kreis des Lebens hätte genau erforscht werden sollen, und ich stand mehr als einmal, namentlich in den Zeiten des Mittelalters, vor einer grauenvollen, verzweiflungsvollen Öde, die ich nun selber zum Erstenmale zu füllen hatte. Die Geschichte der Gewerbe zeigt uns, wenigstens soll sie es zeigen, wie man in den vergangenen Zeiten eigentlich gelebt hat, und zwar hinsichtlich jener Bedürfnisse, ohne die der Mensch gar nicht zu leben vermag, hinsichtlich alles dessen, was zur Lebens-Nahrung und Notdurft gehört, und wer es nicht weiß, wie man früherhin darin bestellt war, der kennt und versteht auch nicht die ganze große Geschichte selbst. Wir müssen auch wissen, wie die Helden der Geschichte gegessen und getrunken, wie sie sich gekleidet, wie sie gewohnt haben, wie sie überhaupt in allen ihren leiblichen Bedürfnissen bestellt waren, um auch ihr Gebühren auf dem höheren Gebiete der Geschichte, auf dem ihrer Taten und Ideen begreifen zu können. Wer z. B. noch immer von der romantischen Anschauung des Mittelalters befangen und verblendet ist, wer bezüglich jener Zeiten von nichts Anderem träumt, als von stolzen herrlichen Burgen, von seidenen und samtenen Kleidern, von Gold- und Silbergeschmeide und Perlen und Edelgestein, von glänzend erleuchteten Sälen und rauschender Musik, wer Nichts weiß von der ungeheuren Einsamkeit und Armut, in welcher für die Mehrzahl damals die Jahrhunderte vergangen sind, wie selbst Kaiser und Herzoge in einer für uns jetzt ganz unbegreiflichen Einfachheit gelebt haben, der hat auch keinen Begriff gerade von dem gewaltigen, kräftigen Geiste, der damals die Welt durchwogte. Die notwendigen Bedürfnisse waren, wie heutigen Tages, auch damals die Grundlage alles Lebens, der springende Punkt, von dem sich Alles in Bewegung setzte und in die Erscheinung kam. Aber, wir wiederholen es, gerade in der Erforschung dieser Zustände hat die Wissenschaft am wenigsten getan, wenigstens viel weniger als in andern Gebieten, und indem sie in diesem Buche wohl bemerken wird, wo, namentlich in unserer Geschichte, in der des deutschen Volkes, noch weite Öden sich erstrecken, glaube ich auf ihren Dank rechnen zu dürfen, dass ich sie hier so tatsächlich darauf aufmerksam gemacht habe. Zwar kann und darf ich mich nicht rühmen, auf alle hierher gehörigen Quellen gekommen zu sein, und wie wäre dies auch möglich gewesen, da sie eben so zerstreut sind, als Deutschland groß ist. Aber das ist gewiss, dass ich nicht stark genug meinen Dank ausdrücken kann, den ich in dieser Hinsicht dem germanischen Museum zu Nürnberg abzustatten habe. Es ist nicht nur die unbegrenzte Bereitwilligkeit, mir alles nötige Material zu Händen zu geben, nicht nur der freundliche Sinn aller im Museum angestellten Männer, mir auf alle meine Anfragen Genüge zu tun, was ich hier anzuerkennen habe, sondern das ist es, dass ich durch dieses edle und große deutsche Institut zum schnellsten Besitz aller der nötigen Bücher und Materialien kam, zu deren Sammlung und Herbeischaffung ich außerdem nicht nur viele Jahre gebraucht, sondern auch nicht einmal genug Geld gehabt hätte. Und so kann ich wohl sagen, dass dieses Buch eine Frucht des germanischen Museums ist, und wenn diese Frucht gut ist, so ist der Dank dafür diesem Institute zu sagen. Außerdem habe ich noch dem Bibliothekar der Nürnberger Stadtbibliothek meinen freundlichsten Dank auszusprechen, sowie dem Bibliothekar der polytechnischen Schule daselbst. Sonst erlaube ich mir hier jene Männer nur kurz dem Namen nach zu nennen, deren Fleiß und Forschungen ich besonders viel Stoff bei dem Aufbau dieser Geschichte zu verdanken habe; sie sind: Anderson, Beckmann, Becker, Busch, Büsching, Fraas, Gruber, Gülich, Gmelin, Hüllmann, Hübsch, v. Hefner, Herrmann, Klemm, Kugler, Karsten, Lichtenstern, Müller, Perlepsch, Poppe, Roth, von Stetten, Schiffner, Vogel, Volz, Wachsmut, Walther, Weinhold, Whewell und viele andere, zu deren Werken ich noch besonders jenes, das mir bei Verfassung der neuesten Geschichte der Gewerke die unschätzbarsten Dienste geleistet hat, hinzufügen muss, nämlich „den amtlichen Bericht über die Industrie-Ausstellung aller Völker in London im Jahre 1851 von der Berichterstattungs-Kommission des deutschen Zollvereins. 3 Teile; Berlin 1853."
Wenn ich mich somit genugsam über die Stellung ausgesprochen zu haben glaube, welche dieses Buch zur geschichtlichen Wissenschaft einnimmt, so bleibt mir hier nur noch Weniges übrig über den besonderen Zweck, den ich bei Verabfassung desselben ganz besonders vor Augen hatte, der mir übrigens von dem Verleger, meinem verehrten Freunde Otto Wigand in Leipzig, aufgetragen war. Ich habe zwar selbstverständlich rein objektiv nach allen Gesetzen der Wissenschaft die Geschichte der Gewerbe so zu schreiben gesucht, wie sie sich wirklich begeben hat, durch alle Phasen ihrer Entwicklung von der Urzeit bis auf unsere Tage. Aber erzählt habe ich diese Geschichte, nicht der Wissenschaft, sondern dem Volke, und zwar dem gesamten Volke, von denen an, die in den Werkstätten arbeiten, de n Meistern, Gesellen und Lehrlingen, bis zu denen, die in den Palästen wohnen: darauf ist vielfältig die Wahl des Stoffs, die ganze Art der Darstellung berechnet. Ich kenne die Forderungen der Wissenschaft, sie will nur das Wissen des Gegenstandes an sich, ob bedeutend oder unbedeutend, sie will oft nur Neues, weil sie das Alte schon weiß, und sie steht mit dieser Forderung ganz in ihrem Rechte. Die Welt aber außerhalb der Wissenschaft will nur das Notwendigste und Nützlichste, und dieses in deutlichster und angenehmster Form, lebendig, warm, farbenreich, fassbar, wie das Leben selbst um sie her wogt und rauscht, und auch sie steht mit dieser Forderung in ihrem vollsten Rechte. Und dieser letzten Forderung habe ich vor Allem zu genügen gesucht, sie im Auge habe ich die Weltgeschichte durchwandert von den Pyramiden Ägyptens, auf den Burgen des Mittelalters umher, bis zu den Werkstätten des heutigen Tages. Ich erzähle nicht, was ich gelesen, sondern was ich im Geiste gesehen und in den Werkstätten meiner Zeit wirklich gesehen habe. Möge mir meine Erzählung gelungen sein! Doch mir genügt zuvörderst, wenn die Vornehmen und Reichen bis zu den Fürsten und höchsten Beamten des Staates hinauf, die so Unermessliches mit der Verwaltung desselben zu tun haben, hier in leichtester Art zu der ihnen so notwendigen Kenntnis davon gelangen, wie viel Großes und Tüchtiges der ehrbare Stand der Handwerker von jeher getan hat, wie viel sie selbst ihm zu verdanken haben und wie auch auf ihm die Säulen des Staates sich gründen, wie also große Vorsorge von ihrer Seite auf ihn zu verwenden ist. Der Handwerkerstand selber aber wird freilich nicht aus dieser seiner Geschichte lernen, wie dieser oder jener Gegenstand zu verfertigen ist, das gehört in die Werkstätte; aber er wird erfahren von allen den Erfindungen und Entdeckungen, die je in seinem Kreise gemacht worden, wie viel er ausgezeichneten Männern des Staates und der Wissenschaft zu danken, und dann auch wie viel er selbst getan hat, und wie sich aus seinen Werkstätten heraus die Bildung der Welt aufgebaut hat. Und in dieser Hinsicht war es mir auch ein ungemessenes Vergnügen, das ich durchgehends bei Verabfassung dieser Geschichte gehabt habe und das mir die Mauern glücklich durchbrechen ließ, die ich so oft zu durchbrechen hatte, nämlich die höhere Bedeutung des Handwerks hinzustellen, seine Stellung zum Ganzen, zum Höheren und Höchsten, zur Religion, Kunst, Wissenschaft, Bildung, überhaupt zu allem Großen und Herrlichen, was es in der Welt gibt, und dieses deswegen, damit der Handwerksstand selbst sich schätzen lerne. Denn wie überall, so ist auch bei ihm Selbstachtung die Quelle aller würdigen sittlichen Haltung, des Abscheus gegen alles Gemeine und Schlechte, des Strebens nach dem Höheren, endlich die Mutter jener Bescheidenheit, die jedem, namentlich den höheren Ständen, seine Ehre gibt.
Indessen so viel Vergnügen mir es gemacht hat, von diesem Standpunkte aus das Handwerk in seinen edleren und höheren Beziehungen darzustellen, so war mir doch noch ein besonderes Glück zu Teil — von dem nationalen Standpunkte aus, von dem ich diese Geschichte zu schreiben von selbst angewiesen war. Denn Nichts kann mehr unserer Nationalität schmeicheln, als der Anteil, den der deutsche Handwerksstand selber an der Entwicklung der Gewerbe genommen hat. Kein anderes Volk kann die Geschichte ausweisen, das so fleißig war, wie das deutsche, keines war so selbstschaffend, so anschicklich, so lernhaft und so praktisch, keines hat so große und so viele Entdeckungen und Erfindungen gemacht, die die Welt umgestaltet haben, keines endlich war so weit in die untern Stände hinunter so tüchtig und so brav. Man rühme unsere Helden, die unsere Schlachten gewonnen und jene, die auf dem Gebiete religiöser und bürgerlicher Freiheit ihr Leben verzehrt, und alle jene Männer in Kunst und Wissenschaft, welche den Namen der deutschen Nation mit ewigem Ruhme geschmückt haben. Aber wir wissen, dass wir in diesem Buche, in dieser Geschichte der Gewerke, ebenfalls eine Gedenktafel aufgerichtet haben, die gleich große und viele Namen aufweist, und in mancher Beziehung noch größere, da von selbst an den engen und niederen Raum der Werkstätte ein niederes und bescheidenes, oft ein ganz unbekanntes und unbelohntes Schicksal geknüpft ist, während doch aus diesen Werkstätten die Welt umgestaltet und neue Welten am Himmel und auf Erden eröffnet worden sind. Man rühmt die Wissenschaft, und mit Recht, mit welcher freundlichen Hülfe sie, namentlich in der neuesten Zeit, den Gewerben zur Seite gestanden, ohne welche diese nie auf die Stufe der Vollkommenheit gekommen wären, auf welcher sie jetzt stehen; aber eben so wahr ist es, dass es die von dem Handwerk geschaffenen Organe waren, mit deren Hülfe die Wissenschaften wie auf Fittigen zu ihrer jetzigen Höhe sich emporgetragen haben. Was aber beim deutschen Handwerk noch mit freudiger Bewunderung erfüllt, ist das, dass nach einer tausendjährigen Kraftentwicklung diese Kraft und seine Erfindsamkeit noch immer unversiegbar ist. Viele Jahrhunderte liegen zwischen jenen Perioden, welche die Erfindungen der Seife, des Pulvers, des Papiers, der Buchdruckerei und der Taschenuhren einerseits, und andererseits die des Porzellans, der Lithographie, der Schnellpresse und des achromatischen Mikroskops bezeichnen, andere weltumgestaltende Erfindungen und Entdeckungen gar nicht gerechnet, die wohl von deutschen Männern, doch nicht unmittelbar aus den Werkstätten ausgegangen sind. An diese unversiegbare Tüchtigkeit unseres Volkes halten wir uns, wenn das deutsche Volk geschmäht wird, wenn schwachköpfige Menschen klagen, als ob sein Ende gekommen. Unser Volk, auf solche Kräfte gestützt, steigt unaufhaltsam auf zu immer lichter n Höhen, zu jenen der Macht und der Ehre, die es vor den andern Völkern Europas einzunehmen berufen und berechtigt ist. Und mit dieser Hoffnung ist auch diese Geschichte durchweg niedergeschrieben worden, sie hat die oft müde Feder immer aufs Neue gestärkt und begeistert; und dem deutschen Gewerbestand ist sie vor Allen gewidmet, dem, wie keinem eines andern Volkes, die Worte des Dichters gelten:
Arbeit ist des Bürgers Zierde,
Segen ist der Mühe Preis,
Ehrt den König seine Würde,
Ehret uns der Hände Fleiß!
Nürnberg, im August 1854.
Dr. Rehlen.
Ich habe es gewagt, zum Ersten Male die Geschichte der Gewerbe zu schreiben, und lege sie hiermit der Wissenschaft und dem deutschen Volke vor; diesem ist sie erzählt, jene hat das Recht des Urteils über sie. Es war ein Wagnis, einmal wegen des großen Feldes, das durchwandert werden musste, und dann, weil es noch dazu von keinem Anderen vor mir, wenigstens in der Art, wie ich es wollte, durchwandert worden war. Habe ich aber den Nachteil von dieser erstmaligen Wanderung durch dieses Gebiet der Geschichte gehabt, so muss mir auch von Rechtswegen der daraus entspringende Vorteil zufließen, und so wird die wissenschaftliche Kritik wenigstens freundlich mit mir umzugehen haben. Übrigens habe ich den Forderungen der Wissenschaft die strengste Rechnung zu tragen gesucht: ich habe so viele Quellen als möglich gesammelt, sie genau geprüft und nur solche historische Darstellungen benutzt, welche mit Quellennachweisen versehen sind oder doch wenigstens die Ausweise quellenhafter Bearbeitung unverkennbar an sich tragen. Ich selbst aber habe mir diese Nachweisungen ersparen zu dürfen geglaubt, einmal weil sie zu viele geworden wären, und dann, weil ich durchaus nicht der Wissenschaft, sondern der Welt außerhalb derselben, die sie nicht verlangt, erzählte. Dennoch glaube ich auch auf den freundlichen Dank der Wissenschaft rechnen zu dürfen: denn einmal habe ich manche Urkunden, manches alte Buch, manche Stadtchronik durchstudiert, die für einen solchen Zweck noch nicht vorgenommen worden sind; dann aber glaube ich durch dieses so aus taufend alten und neuen Bausteinen errichtete Gebäude ihr genau den Punkt bezeichnet zu haben, bis zu welchem sie eigentlich auf diesem Gebiete bis jetzt gekommen ist. Und es ist kein Zweifel, dass gerade auf diesem Gebiete der Geschichte noch am wenigsten gearbeitet worden ist, ja dass man sich’s bisher kaum klar bewusst war, wie auch dieser Kreis des Lebens hätte genau erforscht werden sollen, und ich stand mehr als einmal, namentlich in den Zeiten des Mittelalters, vor einer grauenvollen, verzweiflungsvollen Öde, die ich nun selber zum Erstenmale zu füllen hatte. Die Geschichte der Gewerbe zeigt uns, wenigstens soll sie es zeigen, wie man in den vergangenen Zeiten eigentlich gelebt hat, und zwar hinsichtlich jener Bedürfnisse, ohne die der Mensch gar nicht zu leben vermag, hinsichtlich alles dessen, was zur Lebens-Nahrung und Notdurft gehört, und wer es nicht weiß, wie man früherhin darin bestellt war, der kennt und versteht auch nicht die ganze große Geschichte selbst. Wir müssen auch wissen, wie die Helden der Geschichte gegessen und getrunken, wie sie sich gekleidet, wie sie gewohnt haben, wie sie überhaupt in allen ihren leiblichen Bedürfnissen bestellt waren, um auch ihr Gebühren auf dem höheren Gebiete der Geschichte, auf dem ihrer Taten und Ideen begreifen zu können. Wer z. B. noch immer von der romantischen Anschauung des Mittelalters befangen und verblendet ist, wer bezüglich jener Zeiten von nichts Anderem träumt, als von stolzen herrlichen Burgen, von seidenen und samtenen Kleidern, von Gold- und Silbergeschmeide und Perlen und Edelgestein, von glänzend erleuchteten Sälen und rauschender Musik, wer Nichts weiß von der ungeheuren Einsamkeit und Armut, in welcher für die Mehrzahl damals die Jahrhunderte vergangen sind, wie selbst Kaiser und Herzoge in einer für uns jetzt ganz unbegreiflichen Einfachheit gelebt haben, der hat auch keinen Begriff gerade von dem gewaltigen, kräftigen Geiste, der damals die Welt durchwogte. Die notwendigen Bedürfnisse waren, wie heutigen Tages, auch damals die Grundlage alles Lebens, der springende Punkt, von dem sich Alles in Bewegung setzte und in die Erscheinung kam. Aber, wir wiederholen es, gerade in der Erforschung dieser Zustände hat die Wissenschaft am wenigsten getan, wenigstens viel weniger als in andern Gebieten, und indem sie in diesem Buche wohl bemerken wird, wo, namentlich in unserer Geschichte, in der des deutschen Volkes, noch weite Öden sich erstrecken, glaube ich auf ihren Dank rechnen zu dürfen, dass ich sie hier so tatsächlich darauf aufmerksam gemacht habe. Zwar kann und darf ich mich nicht rühmen, auf alle hierher gehörigen Quellen gekommen zu sein, und wie wäre dies auch möglich gewesen, da sie eben so zerstreut sind, als Deutschland groß ist. Aber das ist gewiss, dass ich nicht stark genug meinen Dank ausdrücken kann, den ich in dieser Hinsicht dem germanischen Museum zu Nürnberg abzustatten habe. Es ist nicht nur die unbegrenzte Bereitwilligkeit, mir alles nötige Material zu Händen zu geben, nicht nur der freundliche Sinn aller im Museum angestellten Männer, mir auf alle meine Anfragen Genüge zu tun, was ich hier anzuerkennen habe, sondern das ist es, dass ich durch dieses edle und große deutsche Institut zum schnellsten Besitz aller der nötigen Bücher und Materialien kam, zu deren Sammlung und Herbeischaffung ich außerdem nicht nur viele Jahre gebraucht, sondern auch nicht einmal genug Geld gehabt hätte. Und so kann ich wohl sagen, dass dieses Buch eine Frucht des germanischen Museums ist, und wenn diese Frucht gut ist, so ist der Dank dafür diesem Institute zu sagen. Außerdem habe ich noch dem Bibliothekar der Nürnberger Stadtbibliothek meinen freundlichsten Dank auszusprechen, sowie dem Bibliothekar der polytechnischen Schule daselbst. Sonst erlaube ich mir hier jene Männer nur kurz dem Namen nach zu nennen, deren Fleiß und Forschungen ich besonders viel Stoff bei dem Aufbau dieser Geschichte zu verdanken habe; sie sind: Anderson, Beckmann, Becker, Busch, Büsching, Fraas, Gruber, Gülich, Gmelin, Hüllmann, Hübsch, v. Hefner, Herrmann, Klemm, Kugler, Karsten, Lichtenstern, Müller, Perlepsch, Poppe, Roth, von Stetten, Schiffner, Vogel, Volz, Wachsmut, Walther, Weinhold, Whewell und viele andere, zu deren Werken ich noch besonders jenes, das mir bei Verfassung der neuesten Geschichte der Gewerke die unschätzbarsten Dienste geleistet hat, hinzufügen muss, nämlich „den amtlichen Bericht über die Industrie-Ausstellung aller Völker in London im Jahre 1851 von der Berichterstattungs-Kommission des deutschen Zollvereins. 3 Teile; Berlin 1853."
Wenn ich mich somit genugsam über die Stellung ausgesprochen zu haben glaube, welche dieses Buch zur geschichtlichen Wissenschaft einnimmt, so bleibt mir hier nur noch Weniges übrig über den besonderen Zweck, den ich bei Verabfassung desselben ganz besonders vor Augen hatte, der mir übrigens von dem Verleger, meinem verehrten Freunde Otto Wigand in Leipzig, aufgetragen war. Ich habe zwar selbstverständlich rein objektiv nach allen Gesetzen der Wissenschaft die Geschichte der Gewerbe so zu schreiben gesucht, wie sie sich wirklich begeben hat, durch alle Phasen ihrer Entwicklung von der Urzeit bis auf unsere Tage. Aber erzählt habe ich diese Geschichte, nicht der Wissenschaft, sondern dem Volke, und zwar dem gesamten Volke, von denen an, die in den Werkstätten arbeiten, de n Meistern, Gesellen und Lehrlingen, bis zu denen, die in den Palästen wohnen: darauf ist vielfältig die Wahl des Stoffs, die ganze Art der Darstellung berechnet. Ich kenne die Forderungen der Wissenschaft, sie will nur das Wissen des Gegenstandes an sich, ob bedeutend oder unbedeutend, sie will oft nur Neues, weil sie das Alte schon weiß, und sie steht mit dieser Forderung ganz in ihrem Rechte. Die Welt aber außerhalb der Wissenschaft will nur das Notwendigste und Nützlichste, und dieses in deutlichster und angenehmster Form, lebendig, warm, farbenreich, fassbar, wie das Leben selbst um sie her wogt und rauscht, und auch sie steht mit dieser Forderung in ihrem vollsten Rechte. Und dieser letzten Forderung habe ich vor Allem zu genügen gesucht, sie im Auge habe ich die Weltgeschichte durchwandert von den Pyramiden Ägyptens, auf den Burgen des Mittelalters umher, bis zu den Werkstätten des heutigen Tages. Ich erzähle nicht, was ich gelesen, sondern was ich im Geiste gesehen und in den Werkstätten meiner Zeit wirklich gesehen habe. Möge mir meine Erzählung gelungen sein! Doch mir genügt zuvörderst, wenn die Vornehmen und Reichen bis zu den Fürsten und höchsten Beamten des Staates hinauf, die so Unermessliches mit der Verwaltung desselben zu tun haben, hier in leichtester Art zu der ihnen so notwendigen Kenntnis davon gelangen, wie viel Großes und Tüchtiges der ehrbare Stand der Handwerker von jeher getan hat, wie viel sie selbst ihm zu verdanken haben und wie auch auf ihm die Säulen des Staates sich gründen, wie also große Vorsorge von ihrer Seite auf ihn zu verwenden ist. Der Handwerkerstand selber aber wird freilich nicht aus dieser seiner Geschichte lernen, wie dieser oder jener Gegenstand zu verfertigen ist, das gehört in die Werkstätte; aber er wird erfahren von allen den Erfindungen und Entdeckungen, die je in seinem Kreise gemacht worden, wie viel er ausgezeichneten Männern des Staates und der Wissenschaft zu danken, und dann auch wie viel er selbst getan hat, und wie sich aus seinen Werkstätten heraus die Bildung der Welt aufgebaut hat. Und in dieser Hinsicht war es mir auch ein ungemessenes Vergnügen, das ich durchgehends bei Verabfassung dieser Geschichte gehabt habe und das mir die Mauern glücklich durchbrechen ließ, die ich so oft zu durchbrechen hatte, nämlich die höhere Bedeutung des Handwerks hinzustellen, seine Stellung zum Ganzen, zum Höheren und Höchsten, zur Religion, Kunst, Wissenschaft, Bildung, überhaupt zu allem Großen und Herrlichen, was es in der Welt gibt, und dieses deswegen, damit der Handwerksstand selbst sich schätzen lerne. Denn wie überall, so ist auch bei ihm Selbstachtung die Quelle aller würdigen sittlichen Haltung, des Abscheus gegen alles Gemeine und Schlechte, des Strebens nach dem Höheren, endlich die Mutter jener Bescheidenheit, die jedem, namentlich den höheren Ständen, seine Ehre gibt.
Indessen so viel Vergnügen mir es gemacht hat, von diesem Standpunkte aus das Handwerk in seinen edleren und höheren Beziehungen darzustellen, so war mir doch noch ein besonderes Glück zu Teil — von dem nationalen Standpunkte aus, von dem ich diese Geschichte zu schreiben von selbst angewiesen war. Denn Nichts kann mehr unserer Nationalität schmeicheln, als der Anteil, den der deutsche Handwerksstand selber an der Entwicklung der Gewerbe genommen hat. Kein anderes Volk kann die Geschichte ausweisen, das so fleißig war, wie das deutsche, keines war so selbstschaffend, so anschicklich, so lernhaft und so praktisch, keines hat so große und so viele Entdeckungen und Erfindungen gemacht, die die Welt umgestaltet haben, keines endlich war so weit in die untern Stände hinunter so tüchtig und so brav. Man rühme unsere Helden, die unsere Schlachten gewonnen und jene, die auf dem Gebiete religiöser und bürgerlicher Freiheit ihr Leben verzehrt, und alle jene Männer in Kunst und Wissenschaft, welche den Namen der deutschen Nation mit ewigem Ruhme geschmückt haben. Aber wir wissen, dass wir in diesem Buche, in dieser Geschichte der Gewerke, ebenfalls eine Gedenktafel aufgerichtet haben, die gleich große und viele Namen aufweist, und in mancher Beziehung noch größere, da von selbst an den engen und niederen Raum der Werkstätte ein niederes und bescheidenes, oft ein ganz unbekanntes und unbelohntes Schicksal geknüpft ist, während doch aus diesen Werkstätten die Welt umgestaltet und neue Welten am Himmel und auf Erden eröffnet worden sind. Man rühmt die Wissenschaft, und mit Recht, mit welcher freundlichen Hülfe sie, namentlich in der neuesten Zeit, den Gewerben zur Seite gestanden, ohne welche diese nie auf die Stufe der Vollkommenheit gekommen wären, auf welcher sie jetzt stehen; aber eben so wahr ist es, dass es die von dem Handwerk geschaffenen Organe waren, mit deren Hülfe die Wissenschaften wie auf Fittigen zu ihrer jetzigen Höhe sich emporgetragen haben. Was aber beim deutschen Handwerk noch mit freudiger Bewunderung erfüllt, ist das, dass nach einer tausendjährigen Kraftentwicklung diese Kraft und seine Erfindsamkeit noch immer unversiegbar ist. Viele Jahrhunderte liegen zwischen jenen Perioden, welche die Erfindungen der Seife, des Pulvers, des Papiers, der Buchdruckerei und der Taschenuhren einerseits, und andererseits die des Porzellans, der Lithographie, der Schnellpresse und des achromatischen Mikroskops bezeichnen, andere weltumgestaltende Erfindungen und Entdeckungen gar nicht gerechnet, die wohl von deutschen Männern, doch nicht unmittelbar aus den Werkstätten ausgegangen sind. An diese unversiegbare Tüchtigkeit unseres Volkes halten wir uns, wenn das deutsche Volk geschmäht wird, wenn schwachköpfige Menschen klagen, als ob sein Ende gekommen. Unser Volk, auf solche Kräfte gestützt, steigt unaufhaltsam auf zu immer lichter n Höhen, zu jenen der Macht und der Ehre, die es vor den andern Völkern Europas einzunehmen berufen und berechtigt ist. Und mit dieser Hoffnung ist auch diese Geschichte durchweg niedergeschrieben worden, sie hat die oft müde Feder immer aufs Neue gestärkt und begeistert; und dem deutschen Gewerbestand ist sie vor Allen gewidmet, dem, wie keinem eines andern Volkes, die Worte des Dichters gelten:
Arbeit ist des Bürgers Zierde,
Segen ist der Mühe Preis,
Ehrt den König seine Würde,
Ehret uns der Hände Fleiß!
Nürnberg, im August 1854.
Dr. Rehlen.
Freiheit, Recht und Gesetz
01 Der Müller und der Bäcker, nebst Lebküchner und Konditor
02 Der Metzger
03 Der Gärtner
04 Der Bierbrauer
05 Der Wirt
06 Der Weber
07 Der Färber
08 Der Schneider
09 Der Gerber und Kürschner, auch Säckler, Beutler und Handschuhmacher
10 Schuster
11 Der Kammmacher
12 Der Hutmacher
13 Der Steinmetz und der Maurer
14 Der Zimmermann
15 Der Schreiner oder Tischler
16 Der Sattler
17 Der Drechsler
18 Der Böttcher