Von den Anfängen bis zu Ludwig dem Bayern

Wie für manche andere Orte, so findet sich auch für Augsburg die Ansicht vertreten, dass die Juden schon lange vor Christi Geburt hier ansässig gewesen seien 1). Der Grund für diese Angabe ist, dass die einzelnen Gemeinden besonders in den verfolgungssüchtigen Zeiten das Bestreben hatten zu beweisen, dass sie von den Geistlichen und dem von diesen aufgehetzten Volke zu Unrecht als „Gottesmörder“ bezeichnet und also auch unschuldig verfolgt würden.2)

Die wirkliche Entstehung einer Judengemeinde in Augsburg müssen wir mindestens in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts setzen. Das erste Zeugnis für den dauernden Aufenthalt eines Juden in unserer Stadt liefert eine Urkunde aus dem Jahre 1212; unter den Zeugen befindet sich nämlich am Schlüsse der Jude Joseph von Augsburg 3). Wahrscheinlich handelt es sich um denselben auf der Inschrift eines Grabsteins, der der im Jahre 1231 verstorbenen Frau oder Tochter eines Joseph errichtet wurde.4) In jener Zeit müssen sich schon mehr Juden in Augsburg niedergelassen haben; es


1. Schudt, Jüdische Merkwürdigkeiten (Frankfurt und Leipzig 1714) IV 228.
2. Vgl. hierzu Stobbe, S. 201 Anm. 11.
3. Rosenthal, Zur Geschichte des Eigentums in Würzburg. S. 8 Nr. 7. Reg. Boica II 53.
4. Beck S. 31 f.


ergibt sich dies aus den Inschriften der Grabmäler, von denen uns einige gerade aus diesen Jahren überliefert sind. Am 29. April 1232 starb die Frau Eljakims 5), wohl um dieselbe Zeit im Kindesalter Abraham, Eljakims Sohn 6); aus einem vierten Stein lässt sich nur der im Jahre 1235 erfolgte Tod einer Frau ersehen 7). Ein anderer Stein bezeugt den Tod des Rabbi Baruch 8). Er ist gestorben am Montag, den 4. Sivan ; die Jahreszahl lässt sich aus der Inschrift nicht genau erkennen. Jedoch irrt wohl v. Raiser 9), wenn er das Jahr 1445 annimmt. Vielmehr müssen wir Beck schon der äußeren Form der Inschrift wegen zustimmen, wenn er den Stein für einen der ältesten hält. Vielleicht dürfen wir mit Rabbi Jehuda Loeb aus Pfersee, dem Gewährsmann Becks, in den drei Buchstaben ... die Jahreszahl suchen. Da der erste Buchstabe ... 400, der zweite ... 50 und der dritte ... 2 bedeutet, kommen drei Zahlen für uns in Betracht, nämlich ... = 452 der jüdischen = 692 oder 1692 der christlichen Zeitrechnung, 2: = 52 = 1292 und 2 = 2= 1242. Die Jahre 692 und 1692 scheiden sofort aus; denn im Jahre 692 bestand die Augsburger Gemeinde noch nicht und im Jahre 1692 bestand sie nicht mehr, auch fand Beck diese Inschrift im Jahre 1686 bereits vor. Da der 4. Sivan im Jahre 1292 auf einen Mittwoch, im Jahre 1242 dagegen auf einen Montag fiel und der Stein einen Montag als den Todestag angibt, handelt es sich um Montag, den 4. Sivan 5002 nach jüdischer Zeitrechnung, also um Montag, den 5. Mai 1242. Dies trifft jedoch nur zu, wenn wir wirklich in den drei Buchstaben ... die Jahreszahl enthalten sehen. Die Inschrift ist jedoch nicht richtig überliefert; wir finden verschiedenes in ihr, was im

5. Beck S. 32 f.
6. Beck S. 33 f.
7. Beck S. 34 ff.
8. Beck S. 26 ff.
9. Die römischen Altertümer zu Augsburg. (Augsburg 1820.) 101 f.


Hebräischen und was auf einem jüdischen Grabstein unmöglich ist. Was aber obige drei Buchstaben anbetrifft, so ist es sehr wahrscheinlich, dass sie nichts als den Anfang einer auf Grabsteinen viel verbreiteten Eulogie bedeuten und besagen : „Seine Seele möge in den Bund des Lebens aufgenommen werden.“ 10) Selbst wenn festgestellt wäre, dass der Grabstein aus dem Jahre 1242 stammt, so wäre dies nicht von besonderer Bedeutung.

In jener Zeit bestand nämlich sicher schon eine Judengemeinde in Augsburg. Es ergibt sich dies aus einer Steuerliste vom Jahre 1241 11). Über die Größe und Wohlhabenheit der Gemeinde lässt sich jedoch aus ihr nichts ersehen. Denn den Juden war in diesem Jahre ebenso wie der Stadt Augsburg selbst wegen einer Feuersbrunst die Steuer erlassen worden 12). Um Steuerfragen handelte es sich wohl gleichfalls in den Streitigkeiten der Juden wegen, die im Jahre 1249 auf kurze Zeit das gute Verhältnis zwischen König Konrad und dem Rate der Stadt trübten 13). Für jene Zeit wird auch zum erstenmal die Judengasse erwähnt 14). Am 2. Januar 1259 stellten der Bischof Hartmann und das Kapitel in einem Vertrage als Sicherheit „sex domos ipsius capituli nostri videlicet domum Judeorum“ und die aus ihnen fließenden Einkünfte 15). Breßlau 16) und Aronius 17) nehmen an, dass das Judenhaus Gemeindebesitz gewesen ist. Jedenfalls mussten die Juden für ihr Judenhaus an den Bischof eine Abgabe zahlen. Derselbe Bischof Hartmann übertrug am 3. Oktober 1266 die Schirmvogtei über das Bistum Augsburg an Konradin.

10. Vgl. Zunz, Zur Geschichte und Literatur. S. 351 ff.
11. MG. Constitutiones III 4.
12. ib.
13. Gassarus S. 1448.
14. Stetten I 70.
15. Mon. Boica. XXXIII a. S. 91. Nr. 87.
16. Hebräische Bibliographie. X. 105.
17. Aronius, Reg. 641.


Dieser versprach dem Bischof die Hälfte aller Beden und Steuern, die er erheben würde, und verpflichtete sich, nichts von dem zurückzufordern, was Hartmann oder seine Bevollmächtigten von Christen oder Juden bereits empfangen hatten 18). Bereits am 30. November 1266 erließ Konradin eine Bestimmung über die Abgaben der Juden 19). Sie sollten ihm im ersten Jahre 30 Pfd. und in den vier folgenden je 10 Pfd. bezahlen. Zur Festsetzung der Abgaben von zuziehenden Juden setzte der neue Vogt in dieser Urkunde, in der er sich auch verpflichtete, die Juden zu schützen, eine Kommission von zwei Christen, Konrad Hurnloher und Ulrich Claindienst, und zwei Juden, David und Liebermann, ein. Wenn auch nach dem Vertrage vom 3. Oktober 1266 der Bischof dieselbe Summe wie Konradin erhielt, so ist doch eine Abgabe von 140 Pfd. für 5 Jahre sehr gering im Vergleich zu den Summen, die andere Gemeinden nach der Steuerliste vom Jahre 1241 zahlten 20). Jedenfalls war die junge Gemeinde noch ziemlich klein oder arm. Als Hartmann einige Jahre später in große Geldverlegenheit geriet, übertrug er am 18. Dezember 1271 für eine jährliche Abgabe von 10 Pfd. der Stadt alle Rechte, die er an die Juden hatte 21). Zugleich übernahm die Stadt den Schutz der Juden. In eingehender Weise wurden die Rechte der Juden zugleich mit denen der christlichen Bürger in dem Augsburger Stadtrecht vom Jahre 1276 geregelt 22).

Allmählich wurde die Gemeinde größer und reicher, zumal da die Stadt es sich wirklich angelegen sein ließ, die Juden zu schützen. So konnten diese im Jahre 1290 mit Erlaubnis des Rats daran gehen, sich ein Bad — und ein Tanzhaus zu bauen 23.

18. Mon. Boica. XXX a. S. 346 N. 810.
19. Mon. Boica. XXX a. S. 357 N. 816.
20. MG. Constitutiones III 2 ff. Worms zahlte z. B. 130, Speyer 80 und Straßburg 200 Mark Silber jährlich.
21. Chr. Meyer, Stadtbuch von Augsburg. S. 336.
22. Vgl. hierzu S. 62—76.
23. Augsb. UB. N. 125.


Als die Juden im Jahre 1298 auf Anstiften eines fränkischen Edelmannes Rindfleisch in fast ganz Deutschland verfolgt und zum Teil grausam hingerichtet wurden 24), zeigten die Augsburger, „dass sie nicht mehr so intolerant waren, als man nach dem damaligen Zeitgeiste erwarten sollte“ 25), und nahmen die Juden der Stadt in Schutz. Zum Dank erboten sie sich, von ihrem Friedhof am Heiligen Kreuztor aus bis an den Graben innerhalb von vier Jahren eine Mauer zu bauen „der stat ze eren und ze nuz und dem richen ze dienst“, so hoch und so dick, wie die Vertreter der Stadt es angeben würden 26). Für den Fall, dass die Mauer nicht in der versprochenen Zeit fertig würde, sollte die Stadt das Recht haben, die Mauer allein zu bauen und sich an der Synagoge, sowie dem gesamten Besitz der Juden schadlos zu halten. Das Stück der Stadtmauer wurde von den Juden in den vier Jahren hergestellt und führte später den Namen „Judenbastei“ 27). Am 7. Januar 1308 gelobte die Judengemeinde, dem Rat und der Stadt für den zu gewährenden, vielleicht auch aus Erkenntlichkeit für den schon gewährten Schutz in zwei Raten die bedeutende Summe von 500 Pfd. zu bezahlen 28).

24. Vgl. Grätz III (3. Aufl.) 231 ff.
25. Gullmann, Geschichte der Stadt Augsburg seit ihrer Entstehung bis zum Jahre 1806. (6 Bd.) I. 51.
26. Augsb. UB. N. 167.
27. Stetten I 84 f.
28. Augsb. ÜB. N. 211. Stetten I 89 f.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Augsburger Juden im Mittelalter