Die Zeit der slawischen Einwanderung und die Unterjochung der deutschen Stämme zwischen Elbe und Oder


Die Slaven, d. h. die „die Sprache Redenden,“ gehören ebenso wie die Hünen und Germanen dem indogermanischen Völkergeschlechte an und sind der dritte Stamm desselben, der in das nördliche Europa eingewandert ist. Vor den Zeiten der Völkerwanderung saßen die Slaven noch in den Weiten Gefilden zwischen dem Wolchonskiwalde und den Karpathen, in jenen grasreichen Ebenen, die von dem Dniepr und seinen Zuflüssen durchströmt werden. In Folge der Völkerwanderung setzten aber auch sie sich in Bewegung und drangen im Laufe der nächsten Jahrhunderte weit nach Süden, Westen und Norden vor. Während einige ihrer Stämme die Balkanhalbinsel bis zum Peloponnes durchzogen und hier neue Wohnsitze fanden, ließen andere sich in den östlichen Tälern der Hochalpen nieder, wo sie ja noch jetzt sitzen in den Tälern der Sau und Drau bis an den Fuß des gewaltigen Terglou. Mähren und Böhmen, das alte Markomannenland, fielen den Czechen in die Hände, und Teile derselben gingen sogar über das Fichtelgebirge und besetzten das Bambergische. Im heutigen Königreich Sachsen, an der Elbe, im Meissenschen und weiter gegen Thüringen zu ließen sich die Sorben nieder, in der Mark Brandenburg aber die Wilzen, die Ausläufer sogar bis auf das linke Elbufer in die Gegend von Salzwedel, Lüchow und Dannenberg entsandten, eine Gegend, welche ja noch jetzt das hannoversche Wendland genannt wird. An der Küste der Ostsee saßen die Pommern, auf Rügen und im Lande Tribsees die Ranen. In Mecklenburg war der Hauptstamm die Obotriten, und im östlichen Holstein vom Ratzeburger See bis an die Eider saßen die Wagrier als Grenznachbarn der Holsaten und Dithmarsen, Völker sächsischen Stammes. Alle die slavischen Völker wurden von den Deutschen auch mit dem gemeinschaftlichen Namen Wenden bezeichnet.

Die Einwanderung der Slaven in das nördliche Deutschland, welche uns hier allein interessiert, kann vor 530 nicht geschehen sein; denn bis dahin saßen hier ja die Variner, welche den nördlichen Teil des Thüringerreichs unter Hermanfried bildeten. Andererseits aber muss sie vor 595 geschehen sein. Denn als in diesem Jahre der griechische Kaiser Mauritius die Avaren in Ungarn bekriegen wollte, wurden von seinen Spähern drei Leute eingebracht, welche auf Befragen erklärten, ihre Heimath liege am westlichen Ozean. Sie feien abgesandt, um dem Avarenchan, der um Hilfe gegen die Griechen gebeten habe, die abschlägige Antwort zu überbringen. Fünfzehn Monate hätten sie auf der Reise zugebracht, seien aber friedliche Männer, denn ihr Volk wohne in einem Lande, das kein Eisen hervorbringe. Der westliche Ozean ist aber die Ostsee, welche Griechen und Römer Ozean nannten, und ein Land, das kein Eisen hervorbringt, bedeutet eine Tiefebene: es zeigt uns daher dieser Bericht, dass die Slaven vor 595 in die Tiefebene an der Ostsee müssen eingewandert sein.


Wo blieben aber die alten Variner, welche bis 530 selbständig und später unter der Oberherrschaft der Sachsen diese Landstriche in Besitz hatten? Dass sie von den siegreichen Slaven gänzlich sollten ausgerottet sein, ist nicht anzunehmen; denn das wäre ein in der Geschichte einzigartiges Beispiel. Erklärlicher wäre eine Massenauswanderung derselben in das Gebiet der Sachsen. Indes da uns von einer solchen bei den alten Schriftstellern und Chronisten nirgends auch nur eine Andeutung begegnet, so ist auch dies nicht anzunehmen, und es ist daher am wahrscheinlichsten, dass die Slaven die nach hartem Kampfe überwundenen deutschen Bewohner der Länder zwischen Elbe und Oder zu Leibeigenen gemacht und als solche zum Anbau der Ländereien benutzt haben. Diese Ansicht findet sofort ihre Bestätigung durch das Vorkommen auffallend vieler Burgen gerade in den Ländern zwischen Elbe und Oder. Während wir in anderen slavischen Ländern, wie z. B. in Mähren nur 11, in Böhmen nur 15 Festen aufgeführt finden, zählt man in diesen Gegenden nicht weniger als 200. Man könnte hieraus schließen, dass die Bevölkerung dieser Landstriche nur dünn gesäet gewesen sei. Allein diese Ansicht wird wieder hinfällig durch die Berichte der deutschen Chronisten von der großen Zahl der Slaven auch in der Mark Brandenburg und in Mecklenburg. Es bleibt daher nichts übrig, als anzunehmen, dass die slavischen Herren so zahlreicher Burgen bedurften, um ihre germanischen Leibeigenen in der gehörigen Unterwürfigkeit halten zu können, womit dann wieder jener andere Bericht aufs Schönste stimmt, dass bei großen Volkskriegen der Slaven die Fußtruppen von den Reitern oft mit Waffengewalt in den Kampf hätten getrieben werden müssen. Denn es war in der Tat den unterjochten Deutschen nicht zu verdenken, wenn sie nicht zum Nutzen ihrer Herren und zur Verlängerung ihrer Knechtschaft in den Kampf gegen ihre Stammesbrüder ziehen wollten.

Die Meinung, dass zu den Zeiten der Slaven auch Deutsche als Leibeigene in den Ländern zwischen Elbe und Oder gewohnt haben, wird aber weiter bestätigt durch den Bericht eines alten Chronisten,, dass zur Zeit König Heinrichs I. von Deutschland (919—936) die Bevölkerung der Mark Brandenburg aus Wenden und Sachsen gemischt gewesen sei, und durch die höchst auffallende Tatsache, dass im 11. Jahrhundert eine Nation der Luiticer, welche im östlichen Mecklenburg und bis in die Uckermark hinein wohnten, neben wendischen Gottheiten auch die germanischen Götter Wodan, Thor und Freia angebetet haben, was sich doch nur durch die Annahme einer unterjochten germanischen Bevölkerung erklärt. Ja, diese germanische Bevölkerung erlangte sogar zur Zeit König Conrads II. (1024 — 1039), als durch die fortwährenden Kriege die Zahl der Slaven sehr geschwächt war, politische Freiheit und führte selbständig Kriege mit den Sachsen und den Dänen. Und bedenken wir nun vollends die außerordentlich schnelle, in der Geschichte beispiellose Wiedergermanisierung der Länder zwischen Elbe und Oder, die Unwahrscheinlichkeit, dass das seit Jahrhunderten durch viele Kriege heimgesuchte Sachsen eine hinreichende Anzahl von Kolonisten für die eroberten Landstriche habe abgeben können, das rasche Verschwinden der slavischen Geschlechter, der slavischen Sitten und Sprache, und wie sehr die Erklärung aller dieser Tatsachen durch die Annahme einer deutschen Grundbevölkerung erleichtert wird, so werden wir uns dieser Ansicht um so leichter hingeben. Ein weiterer Beweisgrund für unsere Meinung ist auch das spurlose Verschwinden der slavischen Religion. Nirgends in Mecklenburg findet sich auch nur eine Spur von Erinnerung an alte slavische Götter und Sagen, was doch beim Landvolk besonders zu erwarten gewesen wäre, wohl aber erhielt sich noch bis in das achtzehnte Jahrhundert hinein altgermanisches Heidentum in der Verehrung des Wodan, der Freia und des Thor. Der Spruch:

Ho Wode, ho Wode, Du goder,
Hale dinem Rosse nu voder,
Hale nu Disteln und Dorn,
Thom andern Jahr beter Korn!

ist noch jetzt in der Umgegend von Rostock in dem Munde der Kinder, und die heidnisch - germanischen Gebräuche in unserem Volksleben sind noch bis auf den heutigen Tag äußerst zahlreich. Alles dies erklärt sich nur dann, wenn wir neben den Slaven auch eine germanische Bevölkerung unseres Landes annehmen. Denn dass erst die deutschen Kolonisten allen jenen heidnischen Aberglauben sollten eingeführt haben, erscheint mir nicht glaublich.

Der einzige stichhaltige Grund, der gegen die vorgetragene Ansicht beigebracht werden kann, ist die Tatsache, dass die Sprache in den Ländern zwischen Elbe und Oder die slavische war. Wenigstens berichten uns so die alten Chronisten, wie Einhard, Adam von Bremen, Helmold, und auch die christlichen Missionare, besonders Otto von Bamberg, predigten entweder in slavischer Sprache oder durch Vermittelung eines Dolmetschers. Indes meine ich, dass durch diesen Bericht die Annahme einer nicht unbedeutenden germanischen Bevölkerung nicht ausgeschlossen wird. Denn wenn die Germanen die Unterworfenen, die Leibeigenen waren, welche in drückender Frohnarbeit die Ländereien zu bestellen hatten, so werden nicht gerade sie es gewesen sein, welche mit den christlichen Deutschen in Berührung kamen, sondern die freien Slaven, und so erklärt es sich, warum die in Frage stehenden Länder als Länder slavischer Zunge gekennzeichnet werden und weshalb die Missionare besonders in slavischer Zunge predigten. Und das taten sie um so bereitwilliger, da sie ja eben die slavischen Herren gewinnen mussten, um in dem Lande dem Christentum den Boden zu bereiten, und weil ja auch die germanische Grundbevölkerung in Folge des Umgangs mit den Slaven der slavischen Sprache nicht ganz unkundig gewesen sein wird. Im Übrigen, musste auch im 12. Jahrhundert das sächsische Niederdeutsch dem oberdeutschen Bischofe Otto eine fast fremde Sprache sein, so dass er zur Verständigung mit Leuten, welche das erstere redeten, wohl eines Dolmetschers bedürfen mochte. Obwohl wir das Gewicht des letzterwähnten Grundes nicht verkennen, so bleibt uns doch nach allem Bemerkten, als das Wahrscheinlichste das feststehen, dass die Slaven zwischen 530 und 595 in Mecklenburg eingewandert sind, die alten Variner in schweren Kämpfen unterjocht und den Rest zu leibeigenen Sklaven gemacht haben.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte Mecklenburgs. Band 1