Abschnitt. 4

Die Stadtcasse kam durch solche Ausgaben in eine drückende Geldverlegenheit, welche um so größer wurde, da ihre bisherigen Intraden sich verminderten. Als England am 10. Mai 1806 eine Blokade der Küsten und Häfen von Brest bis an die Elbe verfügt hatte und nur neutralen Schiffen, welche kein feindliches Eigenthum führten, den Zugang zu denselben verstattete, auch am 27. Octbr. dess. J. eine Erklärung über den Abbruch der Friedensunterhandlungen mit Frankreich abgegeben hatte, so erließ Napoleon am 21. Nov. das Decret von Berlin, welches die britischen Inseln in Blokadezustand erklärte, allen Handel und alle Correspondenz mit denselben untersagte, die Verhaftung aller Engländer in den von Franzosen besetzten Ländern, sowie die Confiscation aller englischen Waaren und Eigenthums daselbst anordnete, welche auch in Lübeck bald darauf ausgeführt wurde.*) Als Erwiederung auf dieses Decret erschien am 7. Jan. 1807 eine britische Cabinetsordre, daß kein Schiff von einem Hafen, welcher Frankreich oder dessen Verbündeten gehöre oder von ihnen besetzt oder den britischen Schiffen durch ihren Einfluß nicht offen sei, in einem andern Lande Handel treiben solle. Geschärft wurde diese Cabinetsordre durch eine zweite vom 11. Nov. dess. J., durch welche alle Häfen Frankreichs und seiner Verbündeten für blokirt, der Handel mit deren Producten und Manufacturen für ungesetzmäßig und alle mit solchen Producten genommenen Schiffe für Prisen erklärt wurden, auch festgesetzt wurde, daß kein neutrales Schiff nach Frankreich oder einem Lande, wo die französischen Beschlüsse in Hinsicht des Handels eine Anwendung fänden, gehen könne, ohne vorher in einem Hafen Großbritanniens oder eines von ihm abhängigen Landes eingelaufen zu sein. Erbittert über diese Maaßregel erließ Napoleon am 17. Dec. das Decret von Mailand, welches die Schiffe aller Nationen, welche sich eine Visitation von den Engländern gefallen lassen oder in England landen oder an dasselbe eine Abgabe erlegen würden, für entnationalisirt, und weil sie englisches Eigenthum geworden seien, für Prisen erklärte. Unter

*) Diese Confiscation, welche sich nicht blos auf die unbezahlten oder als Commissions- und Speditionsgut vorhandenen, sondern auch auf die bezahlten englischen Waaren erstreckte, wurde von dem Colonel Caire geleitet, welcher sich dabei auf eine schändliche Weise sehr bereicherte, indem er viele Inhaber englischer Waaren durch Versprechungen und Drohungen bewog, ihm persönlich bedeutende Summen (157,200 Frcs.) als Abkauf zu zahlen, welche aber vergeblich gezahlt waren, da späterhin die Stadtcasse den Abkauf jener Waaren, deren Werth auf 2,070,000 Frcs. angeschlagen war, größtenteils übernehmen mußte, indem die Inhaber, der frischen dem Senate unter der Bürgerschaft getroffenen Vereinbarung gemäß, nur 15 pCt. zu der Abkaufungssumme beizutragen verpflichtet wurden. Von diesen Beiträgen sind indessen wegen Concurse und Verarmungen über 20,000 Mark Bco. nicht eingenommen. Späterhin (7. Nov. 1810) wurden in Lübeck auf dem Burgfelde eine Menge englischer Waaren sogar verbrannt. Nach einem öffentlichen, wahrscheinlich übertreibenden Berichte sollen sie bestanden haben in 800 porcellanenen Vasen, 400 Duzend Messer, 4000 Schüsseln von Fayence, 1000 Kaffetöpfen, einer Menge Teller, Suppenschüsseln und Leuchter, Musselin, Linon, Schnupftüchern, wollenen und baumwollenen Tüchern etc.


diesen Umständen war die Neutralität Lübecks eine Unmöglichkeit geworden. Der lübeckische Seehandel, welcher seit Febr. 1807 von französischen Zollsoldaten (Douanen) überwacht wurde, auch zu Zeiten von Seiten der Franzosen gänzlich gehindert und späterhin durch lästige Bedingungen erschwert wurde, beschränkte sich fast allein auf die Ostsee und wurde auch hier immer geringer.*) Mit ihm, und da auch der ebenfalls streng überwachte Landhandel abnahm, verminderten sich die Staatseinnahmen bedeutend. Im Jahre 1803 hatte bei der damaligen Sperrung der Elbe das mit der Erhebung des Zolles und der Accise beauftragte Departement der Zulage über 400,000 Mark, und im Jahre 1805 noch nahe an 200,000 Mark an die Stadtcasse abgeliefert. Im Jahre 1810 lieferte es nur 65,000 Mark. Die Wagenlader, Kornmesser, Weinschrödter, Dielenträger und andere vom Handel und Verkehr lebende Verlehnte vermochten ihre Pacht an die Stadtcasse nicht mehr zu zahlen; man war genöthigt, dieselbe bedeutend herabzusetzen. Auch die Steuern und die in diese Casse fließenden Renten, Miethen, Grundhäuer etc. gingen bei den beschränkten Verkehrsverhältnissen theilweise nicht ein. Eben so kamen die Pächter der Stadtgüter sowie die Erbpächter mit Pacht und Canon in Rückstand, da sie zum Theil schon bei der Plünderung im Jahre 1806 hart mitgenommen waren, und nunmehr zum Nachtheile ihrer Landwirtschaft fortwährend Militairfuhren leisten mußten, wobei sie nicht selten Pferde und Wagen einbüßten. Die Bewohner der benachbarten mecklenburgischen und holsteinischen Ortschaften, welche einen Theil ihrer ersparten und ererbten Gelder bei der lübeckischen Stadtcasse belegt hatten, wurden wegen der über Lübeck gekommenen Lasten besorgt, und fingen an, diese Gelder zu kündigen, so daß die Rückzahlungen in manchem Quartale 100,000 Mark betrugen.

Unter solchen Umständen waren Maaßregeln nöthig, der Stadtcasse außerordentliche Zuflüsse zu verschaffen. Anfangs machte man den Versuch, die Forderungen und Bedürfnisse der Franzosen mit Hülse einer Anleihe zu befriedigen. Auf Veranstaltung des Senates und mit Zustimmung der Bürgerschaft unterzeichneten 46 Kaufleute und Capitalisten Verschreibungen für bestimmte ihren Vermögensverhältnissen angemessene Summen zum Belauf von 705,000 lb. Mark Bco., wofür ihnen das Vermögen der Sklavencasse als specielle Sicherheit dienen sollte, und bemüheten sich, den Betrag in Hamburg auf ein Jahr gegen billige Zinsen angeliehen zu erhalten. Doch die dortigen Capitalisten wollten sich auf eine Anleihe nicht einlassen. Eine aus Senatoren und Bürgern gebildete Finanzcommission übernahm es darauf, die Mittel und Wege, wie Geld herbeizuschaffen sei, zu berathen. Dieselbe veranlaßte die Kaufleute Schmidt und Plessing, die für den Augenblick durchaus nöthigen Gelder auf 3 Monate mit Hülfe des pariser Handlungshauses Mallet Fréres & Comp. zu beziehen und garantirte ihnen die zu ihrer Deckung nöthigen Fonds. Damit war freilich der ersten dringendsten Noth abgeholfen, aber nicht dauernd Hülfe geschafft. Der Senat proponirte daher bei der Creditlosigkeit der Stadt als das einzige Mittel, die sich fortwährend mehrenden Ausgaben zu decken, eine gezwungene Anleihe bei den Staatsangehörigen selber. Die Bürgerschaft gerieth über diesen Vorschlag in große Aufregung und erst nach wiederholten Verhandlungen gelang es dem Senate, neun bürgerliche Collegien zu bewegen, ihre Zustimmung zu derselben zu geben.



*) Im Jahre 1806 waren 1508 Schiffe in Lübeck angekommen; im Jahre 1807 kamen nur 389 an, im Jahre 1808: 51; im Jahre 1809: 86; im Jahre 1810: 78, in den vier letzten Jahren meistens kleine dänische Schiffe. In demselben Verhältnisse verminderte sich die Zahl der abgehenden Schiffe. Lübecker Schiffe kamen im Jahre 1808: 22, im Jahre 1809: 2 und im Jahre 1810: 1 an. Die meisten derselben lagen abgetakelt auf der Trave.