VI. Aus Petersburg nach Moskau.

In Petersburg. Übersiedelung des Hofes nach Moskau. Brief an den Grafen Woronzow. Ausführung über den 25. November. Mardefeld und Chétardie. Übersiedelung nach Moskau. Erste Begegnung.



VI. Der 3. Februar 1744 war in Petersburg ein klarer, kalter Tag. Um zwölf Uhr hielt der kaiserliche Schlitten vor dem Hauptportale des damaligen Winterpalastes ¹) Kaum hatten die Prinzessinnen den Schlitten verlassen, als die hohen Reisenden von der Admiralitätsfestung mit Kanonenschüssen willkommen geheißen wurden. Am Eingange kam ihnen der Vize-Gouverneur von Petersburg, Fürst Repnin, umgeben von Hofleuten und Civil- und Militär-Beamten, entgegen; in der Vorhalle erwarteten sie vier Hofdamen, welche bestimmt waren, sie nach Moskau zu geleiten, wohin der Hof zwei Wochen vorher übergesiedelt war.


¹) In der „Petersburger Zeitung“ von 1744 ist in No. 11 deutlich gesagt, dass die Prinzessinnen von Zerbst am 3. Februar in Pet. ankamen; er fiel in dem Schaltjahre auf einen Freitag. In den Briefen an ihre Verwandte sagt indessen die Fürstin: ,,Freitag, spät abends kamen wir in Narwa an, fuhren am Sonnabend um Mittag aus Narwa, fuhren die ganze Nacht hindurch, und erreichten Pet. um 1 Uhr mittags.“ d. h. am Sonntag. (Sbornik, VII, 19.)Die Fürstin irrt sich offenbar, sie kamen nicht am Freitag, sondern am Mittwoch in Narwa an. Irrtümlich ist auch die Angabe des „Sbornik“, sie seien am 4. Februar in Petersburg eingetroffen. Bei dieser Konfusion in den Daten und Wochentagen schweigt Brückner ganz über die Zeit der Ankunft in Petersburg. (206.)

Zu der Zeit war eine Übersiedelung nach Moskau ein wahres Ereignis. Es war nicht bloß eine Reise, sondern ein Umzug, durch welchen sich Moskau merklich belebte.

In gleichem Maße wurde Petersburg leerer. Solch eine Übersiedelung wurde für ein Jahr oder mehr unternommen und der Umzug selbst dauerte mehrere Wochen, ja Monate. Auf allen Stationen zwischen Moskau und Petersburg war eine verstärkte Anzahl von Pferden in Bereitschaft. In den Schlössern, welche auf dem Wege lagen, war für die Zeit des Umzuges eine Hofküche etabliert; denn die Benutzung dieser Schlösser war nicht bloß den Vertretern der auswärtigen Höfe, sondern auch dem Hofstaate und den Würdenträgem des Reiches erlaubt. Der Hofküche folgte gewöhnlich ein langer Wagenzug; vor allem wurde das Comptoir des Stallhofes, nicht nur mit Pferden und Equipagen, sondern mit der ganzen Kanzlei, abgeschickt.

Einige Tage später, zu ganz genau bestimmter Zeit, reiste dann die kaiserliche Familie mit dem Hofstaate ab. Ihr folgte, immer im Zwischenräume von einigen Tagen, der beinahe vollzählige Senat, ein Teil der Synode, die Kollegien, Kanzleien und Comptoire, welche in Petersburg ihren Sitz hatten. Das ganze diplomatische Corps und das Kollegium der auswärtigen Angelegenheiten siedelte gleichfalls nach Moskau über, ebenso wie alle vornehmen und reichen Leute, welche Zutritt bei Hofe hatten. Der englische Gesandte, Lord Klyndford, hat wahrscheinlich aber doch übertrieben, als er dem Herzog von Newcasle schrieb, dass bei einer solchen Übersiedelung wohl 100.000 Menschen nach Moskau zögen; ¹) allein er irrte nicht sehr.

¹) In der Depesche von dem 15. Dezember 1748: There are nearly a hundred thousand people in motion for that journey (Londoner Archiv, No. 56.)

Er selbst zog, wie er sagte, „mit dem ganzen Hause“ um, und nahm nicht nur seine Equipagen und alle Pferde mit, sondern auch den ganzen Weinkeller, die ganze Küche und einen Teil der Möbel. Da ist es nicht zu verwundern, dass ein solcher Umzug nahezu Monate Zeit nahm. Drei Wochen nach der Abreise der Kaiserin sprach der Gesandte erst noch die Hoffnung aus, Pferde auf den Stationen zu erhalten. ¹)

Aus diesem Grunde befanden sich am 3. Februar noch viele Personen, welche Zutritt bei Hofe hatten, in Petersburg, obgleich die Kaiserin schon am 21. Januar abgereist war.

Bei der Ankunft der Prinzessinnen von Zerbst waren die Säle des Winterpalastes angefüllt und es begann die Vorstellung von nahezu „tausend Personen“: die der Hofleute und der Militär- und Zivilbeamten am Tage der Ankunft, am folgenden Tage die der Geistlichkeit. Das war etwas ermüdend für die Prinzessinnen, welche an einen großen Empfang nicht gewöhnt und ermüdet nach der langen Reise waren aber der Glanz und die Ehre überwanden die Müdigkeit.

Am Tage der Ankunft in Petersburg schrieb die Fürstin an die Kaiserin einen Brief, in welchem sie derselben ihren „Dank darbrachte für die unaussprechlichen, ihr bei ihrer Ankunft erwiesenen Auszeichnungen,“ ²) und benachrichtigte sie von ihrer Abreise nach Moskau: „ich reise übermorgen“ — aber kein einziges Wort über ihre Tochter. Interessanter ist der Brief an den Gr. M. L. Woronzow:

„Mein Herr!

Mit unendlicher Freude teile ich Ew. Exzellenz mit, dass ich mich schon 80 Meilen von Ihrer Kaiserlichen Majestät, unserer unvergleichlichen Beherrscherin, befinde, und tief empfundene Erfahrungen von Ihrer edlen, hohen Protektion gemacht habe. Ihre deutlichen (illustres) Gnadenbezeugungen sind so zahlreich, dass ich darüber nur meine eigene (propre), aber unaussprechliche Meinung haben kann.

¹) Depesche vom S. Januar 1749. (Lond. Arch , Russia, No. 58. I hope in a few days to find horses enough for my journey to Moscow. — Auch Chétardie klagt über: faute de chevaux, in der Depesche vom 21. Jan. 1744. (Paris. Archiv, Russie, vol. 44. f. 17.) — Den Gesandten kosteten diese Umzüge sehr viel. Selbst der geizige Friedrich II. setzte dem Baron Mardefeld 1200 Dukaten für die Reise nach Moskau aus. Pol Corr. III, 34. —

²) Die Übersetzung aus der Zeit siehe: Das XVIII Jahrhundert, I, 20. —


Mein Verlangen vergrößert sich, wie ich Ihnen schon gesagt habe, mit jeder Stunde, und ich würde mir nicht erlauben, den morgigen Tag noch hier zuzubringen, wenn ich nicht genötigt wäre, meiner Tochter einige Ruhe zu gönnen.

Ihre Kais. Maj. hat überdies die Attention zu haben geruht, vier von ihren Hofdamen für mich hier zurückzulassen, mit denen ich außerordentlich zufrieden bin, besonders mit der Mengden, deren Gewogenheit ich fühlen und anerkennen muss.

Ich bitte Sie, mein Herr, mich Ihrer Kaiserl. Maj. zu Füssen zu legen, und ihr deutlich auseinander zu setzen, dass ich mich in Ihren Wohnräumen sogut einrichten werde, dass ich meinen heiteren Sinn (mon esprit follet) in denselben zurücklassen werde, damit sie durch denselben an mich erinnert wird, wenn sie hierher zurückkehrt.

Erweisen Sie mir die Freundschaft, mich einige Werst von Moskau wissen zu lassen, um welche Stunde Ihre Kais. Maj. befehlen wird, mich vorzulassen, damit ich meine Toilette in erforderlicher Weise in Ordnung bringen kann. Ich bitte, den Herrn Geheimrat Lestocq meiner Freundschaft zu versichern. Ich verbleibe, mein Herr, Ew. Excellenz ergebenste Freundin, zu Diensten bereit,

J. Elisabeth

Ich hoffe um den 10. anzukommen.

Aus S. Petersburg, 3. Februar.

1744.“

In der Darstellung der Einzelheiten ihrer Reise schreibt die Fürstin ihren „chers parens“ über den ersten Tag ihrer Ankunft in Petersburg: „Ich speiste zu Mittag mit den Damen und Kavalieren, welche ihre Kais. Maj. zu meiner Begleitung bestimmt hat; ich werde wie eine Königin bedient. Am Abend besuchten mich die Damen. Ich spielte Karten und soupierte mit denen, welche dessen gewürdigt wurden.“ Am anderen Tage, am 4. Februar, kamen nach der Begrüßung der Geistlichen und Mönche den ganzen Tag über, viele Leute.“

Von allen diesen Vorstellungen und Besuchen hat die Fürstin einen guten Eindruck davongetragen. „Zur Ehre der Russen muss ich sagen, dass es kluge Menschen sind. Ich sehe alte Generäle, welche Peter dem Grossen gedient und geholfen haben. Bei ihren Erzählungen von ihrem „Schöpfer“, wie sie ihn nennen, fühle ich keine Müdigkeit.

Auch die Tochter der Fürstin, die Prinzessin Sophie, hört alle diese Erzählungen an und verliert kein Wort davon. „Fike erträgt die Ermüdung besser als ich,“ schreibt die Fürstin ihrem Manne, „aber Gottlob! wir sind beide gesund.“ ¹) Dasselbe schreibt sie auch an Friedrich II.: „Man muss eine eiserne Gesundheit haben, um die Beschwerden der Reise und die Ermüdung der Hofetikette zu ertragen. Meine Tochter ist in dieser Beziehung glücklicher als ich. Ihre Jugend hält sie aufrecht. Gleich den jungen Soldaten, welche die Gefahr verachten, welche sie nicht anerkennen, genießt sie das Großartige, das sie umgibt.“ Auf welche Weise dieses „Grosse“ erreicht wird, erfuhr die Prinzessin Sophie am folgenden Tage. Es wurde ihnen der „Ort“ gezeigt, die berühmte Kaserne der Preobrashensky'schen Regimenter, aus welcher die Kaiserin Elisabeth die Mannschaft nahm, mit deren Hilfe sie den Thron gewann — sie sahen den ganzen Weg, den sie gegangen. Die Prinzessin Sophie sah die berüchtigte Leibkompanie, welche Elisabeth auf den Thron erhob, und hörte alle Details des 25. November 1744...

¹) Figgen southeniert die fatige besser als ich. Siebigk, 38. —

Unter der Zahl derjenigen, welche sich der regierenden Fürstin von Zerbst vorstellten, war das ganze diplomatische Corps, welches noch nicht hatte nach Moskau reisen können. Besonders eifrig aber erschienen bei ihr „zur Aufwartung“ der preußische Gesandte, Baron Mardefeld, und der französische Diplomat, Marquis de la Chétardie.1) Sie erklärten der Fürstin, natürlich auf ihre Weise, den Stand der Dinge, sagten ihr aber nichts neues — sie führten nur mit lebhaften Farben aus, was sie schon in Berlin gehört hatte. Für den französischen Diplomaten war es am wichtigsten, den ihr feindlichen Vorschlag einer französischen Prinzessin als Gemahlin für den Großfürsten in ein günstiges Licht zu stellen. Chétardie versicherte der Fürstin, dass die französische Prinzessin nur vorgeschlagen worden war, um unberufene Augen von der Prinzessin von Zerbst abzulenken. Der sächsische und englische Hof waren gegen dieselbe — sie fürchteten einen Dreibund zwischen Russland, Preussen und Schweden. Um diese Verbindung zu hintertreiben, war dem sächsischen Gesandten, Baron Hersdorf, aufgetragen worden, die sächsische Prinzessin Maria Anna vorzuschlagen. Das sächsische Projekt wurde nicht abgewiesen, und Hersdorf war versichert von dem Erfolge des ihm gewordenen Auftrages, bis die Kaiserin ihm einige Tage vor ihrer Abreise nach Moskau die baldige Ankunft der Prinzessin von Zerbst mitteilte.2)

1) Depesche des englischen Gesandten vom 11. Febr. 1744.: Mr. de la Chétardie and Mr. Mardefeld have been very assiduous in making their court (Lond. Arch., Russia No. 45.) Von allen auswärtigen Gesandten, welche damals in Petersburg anwesend waren, kannte der englische Gesandte Witch allein die regierende Fürstin von Zerbst schon von früher her. In der Depesche vom 21. Jan. sagt er: I have the honour to be acquainted with the mother since her infancy. (Lond. Archiv, ibid.) Am Tage ihrer Ankunft in Petersb. schickte die Fürstin zu ihm, allein er war krank und konnte nicht kommen. Wenn Chétardie am 21 Jan. 1744 an Amelot schreibt; M. Mardefeld et moi, qui la connaissons particulièrement, l`attendrons ici pour empêcher que personne ne s'en empare pendant l`absence de la Czarine, so prahlt er nur. (Paris. Arch., Russie No. 44.) Arch. des Fürsten Woronzow, I, 483, —

2) Aus einem Briefe der Fürstin an ihren Gemahl vom 4. Febr. 1744: Allhier habe Alle Auswärtige ministres noch vorgefunden, unter welchen v. Mardefeld und Chétardie mir von verschiedenen Dingen informiert. Des Letzteren vermeintes négoce vor einer Madame de France ist nur eine verstellte Karte gewesen, dass dessain uns betreffend zu bementeln, so die Höfe von Sachsen und Engelland nicht gerne sehen, weilen sie die Allience de Keyserin, Preussen und Schweden so daraus entsteht ihnen redoutable scheinen wollen u. s. w. Siebigk, 37.


So sprach Chétardie. Glaubte ihm die Fürstin? Sie kannte das Schicksal Chétardies bei dem Umschwung im Jahre 1741. Friedrich II. nannte ihn seinen „Verbündeten“, und Mardefeld — seinen „Feind“. Bestushew und die Fürstin hatten vollkommenes Vertrauen zu Chétardie, übertrieben seinen Einfluss auf Elisabeth Petrowna und seine Bedeutung als Repräsentant einer gewissen Partei.


Die Mitteilungen Mardefelds vervollständigten das Bild. Wenn man seinen Worten Glauben schenken wollte, so war die ziemlich nahe Verwandtschaft; der Prinzessin Sophie mit dem Großfürsten ein ernstes Hindernis, um so mehr, als der Erzbischof von Nowgorod, welcher großen Einfluss auf die Kaiserin hatte, ein Gegner dieser Heirat war. Dieses Hindernis wurde indessen beseitigt: Es wurden dem Erzbischof tausend Rubel geboten und ihm eine dreifache Summe (tripler la dose) versprochen, wenn er gleichsam aus eigener Überzeugung der Kaiserin erklärte, er habe, nach gründlicher Durchsicht aller griechischer Kirchenväter und eifriger Prüfung aller Beweisgründe gefunden, dass in dem Kanon der griechischen Kirche nichts dieser Heirat widerspricht.1)

1) Pol. Corr. II., 481, 481. Friedrich II. sagt in „histoire de mon temps“ andeutend, ohne jemand zu nennen, „es wurde kein Geld gespart“, um das Hindernis, welches in der nahen Verwandtschaft bestand, zu beseitigen (Posner, 304). Der König gründete seine Erzählungen auf die Mitteilungen Mardefelds; Mardefelds Worten aber kann man kein Vertrauen schenken. Ambrosius Juschkewitsch war damals Erzbischof von Nowgorod; bekannter Redner und als einer der aufgeklärtesten Männer, war er gewohnt, den Mächtigen der Erde gefällig zu sein; niemals aber legte er den kirchlichen Kanon nach dem Klange des Goldes aus. Da der Großvater des Bräutigams und der Großvater der Braut leibliche Brüder waren, so waren der Großfürst und die Prinzessin Vetter und Cousine im dritten Gliede. Da konnten die Gegner dieser Heirat leicht diesen Grad der Verwandtschaft als ein Hindernis hinstellen; allein es war gar nicht nötig, die Synode aufzurufen, um dieses Hindernis zu beseitigen (Ranke, III, 126; Siebigk, 18; Schlözer, S5; Brückner, 20; Dirén, 23); das bloße Vorbringen der Frage in der Synode, selbst ohne die Personen zu nennen — die bloße Angabe der Verwandtschaft schon hätte das Geheimnis offenbar gemacht; — denn wem war zu der Zeit wohl unbekannt, wer der leibliche Bruder von des Großfürsten-Bräutigam Großvater war? Zu allen diesen Nachrichten Mardefelds haben wir kein Vertrauen, und glauben, dass er entweder im vorliegenden Falle selbst getäuscht war oder den König irreführte, indem er seine eigenen Dienstleistungen vergrößerte. Dieselbe Andeutung auf die Bestechlichkeit der Synode, jedoch ohne Angabe des Motivs, finden wir auch in der Depesche Chétardies vom 15. Febr.: Dans les cas où il est essentiel d`être informe de ce qui se passe dans l`intérieur de la Czarine et plus encore de s'aider sûrement de ses préjuges superstitieux en intéressant pour soi son confesseur et les prélats qui composent le synode, ce ne peut jamais être que la nature de la circonstance qui peut décider du plus ou du moins de dépense. (Paris. Arch., Russie No. 44. f. 24; Arch. des Forsten Woronzow I. 499.)

Nach dem Erzbischof von Nowgorod trat ein weit gefährlicherer Feind und Gegner auf — der Vize-Kanzler, Graf A. P. Bestushew-Bjumin, welcher sich bereits von dem sächsischen Hofe hatte bestechen lassen. Um diesen Gegner zu besiegen, war die Mitwirkung der Fürstin notwendig. Friedrich II. hatte seinem Gesandten Hoffnung auf dieselbe gemacht.1) „Mit einem Worte“ — fügt die Fürstin dem Briefe an ihren Gemahl hinzu — „ich habe hier alles genau in der Lage gefunden, wie es mir der König und Podewils in Berlin dargestellt“ Eine verschiedene Auffassung konnte hier auch nicht stattfinden, da man in Berlin die Lage nach den Mitteilungen Mardefelds beurteilte.

Im allgemeinen erschien das Bild, welches die beiden Diplomaten gezeichnet hatten, durchaus nicht in einem anziehenden Lichte. Weder die politische, noch die kirchliche Seite der Heiratsangelegenheit war schon entschieden. Wenn der Erzbischof von Nowgorod nur für Bezahlung diese Ehe gestattete, so konnte er auch für eine größere Summe seine Meinung ändern.

1) In dem Reskripte des Königs an Mardefeld vom 14. Jan. 1744, zwei Tage nach der Abreise der Fürstin von Berlin: La princesse Johanna Elisabeth sera une corde de plus à notre are pour culbuter Bestushew. Pol. Corr. III. 11; —

Die Vertreter vieler Mächte waren dieser Heirat direkt entgegen, und auch der russische Vize -Kanzler. Wie verhielt sich die Fürstin diesen Schwierigkeiten gegenüber? Welchen Eindruck brachten die Reden Chétardies und Mardefelds auf sie hervor? — Leichtsinnige esprit follet, wie sie sich selbst nennt, war die Fürstin, zu gleicher Zeit aber auch selbstvertrauend bis zur Kühnheit. Sie beruhigte sich selbst und ihren Gemahl: „Solche Leute hat man nicht zu fürchten, sie können aber viel Unheil anrichten, wenn man nicht Vorsichtsmassregeln trifft.“

Was denn für Vorsichtsmassregeln? Friedrich II. hatte der Fürstin in Berlin einen Wink gegeben — es war notwendig, Bestushew zu stürzen. „Er ist ein Feind Preussens und schon deshalb ein Gegner der Heirat des Großfürsten mit einer Prinzessin von Zerbst, der Tochter eines preussischen Generals.“ War Bestushew gefallen, so würde es nicht mehr schwer sein, den Auftrag des Königs von Preussen zu erfüllen, und die Kaiserin für einen Dreibund: Russland, Preussen und Schweden zu bestimmen — vielleicht sogar noch mit Zuziehung von Frankreich.1)

Die Fürstin von Zerbst vergötterte Friedrich II., gleich den meisten kleinen, regierenden Häuptern jener Zeit. Sie betrachteten die politischen Angelegenheiten mit seinen Augen, und ein Wunsch von ihm war Befehl. Sobald Friedrich II. einen Wunsch ausgesprochen hatte, zweifelte sie nicht mehr daran, dass er segenbringend war. Zudem hatte sie Freunde in Russland. Da war Brümmer, die rechte Hand des Großfürsten, und Lestocq, der bei der Kaiserin allmächtig war. Wie sollte es unter solchen Bedingungen nicht gelingen?


1) Depesche des englischen Gesandten Witch an Lord Harrington vom 25. Febr. 1744. (Lond. Arch. Russia No. 45.)

Mit einem so weiten, politischen Programm, voll Hoffnung auf Erfolg, reiste die Fürstin mit ihrer Tochter in der Nacht vom 5. auf den 6. Februar von Petersburg ab.1) Sie wurden von 20 — 30 Schlitten begleitet „Überall standen für uns frische Pferde bereit,“ schrieb die Fürstin. „Der Kaffee am Morgen, das Mittagsmahl und das Souper wurden sehr bequem auf den Poststationen eingenommen. Hier gibt es Schlösser an der Poststrasse, in denen wir außer Wachen und Offizieren alle mögliche Bequemlichkeiten fanden. Wir reisten Tag und Nacht.“

1) Die Nachlichten, welche die Fürstin ihren Verwandten von dieser Reise gab, zeichneten sich durch ihre bekannte Prahlerei aus; als ziemlich unbedeutende Frau liebte sie, groß zu tun. So erzählte sie, „einige kleine Höflinge hätten ihre Abreise von Petersburg hintertreiben wollen, allein sie hätte auf ihrem Willen bestanden.“ Sbornik VII, 21. Wir halten diese Erzählung für eine Erfindung. Die Fürstin hatte die Kaiserin von ihrer Absicht, am 5. Februar abzureisen, benachrichtigt. Alle Vorbereitungen waren getroffen, und der Kammerherr Narischkin, ein Gesinnungsgenosse Brümmers, von der Kaiserin bestimmt, um den Gästen aus Zerbst die Reise zu erleichtern — welche Bedeutung konnten da die kleinen Bediensteten am Hofe haben? Sie waren das Werkzeug in der Hand derer, welche wünschten, die Fürstin möchte nicht zum 10. Februar in Moskau eintreffen, und dadurch die Kaiserin betrüben — so erklärt es die Fürstin. Wozu war aber dann der Kammerherr Narischkin da? Er vor allem trug der Kaiserin gegenüber die Verantwortung für jede Verzögerung, und hätte gewiss alle „prétextes frivoles“ vor der Fürstin aus dem Wege geräumt.

Die Fürstin eilte, sie wollte nicht später als den 9. Februar ankommen, denn der 10. war der Geburtstag des Großfürsten. Schon am zweiten Reisetage aber, am 7. Februar, schlug der kaiserliche Schlitten bei einer Biegung in einem Dorfe an die Ecke einer Hütte und zerbrach. Er musste ausgebessert werden. Dieser Aufenthalt hinderte indessen nicht. Am 9. Februar um 4 Uhr nachmittags befanden sich die Reisenden bereits 70 Werst von Moskau. Diese letzte Fahrt wurde in drei Stunden zurückgelegt.

„Hier begegneten mir zwei Kuriere Ihrer Kais.Maj. Der eine überbrachte mir einen Brief von dem Oberhofmarschall von Brümmer.

Dieser Brief enthielt außer der Benachrichtigung von der sehr gnädigen Ungeduld der unvergleichlichen Kaiserin, uns zu sehen, einige Nachrichten in Bezug auf unsere Toilette.1) Der Tisch war schon gedeckt, allein da das Umkleiden viel Zeit nahm, so verging uns die Lust zu essen — ich habe keinen Bissen hinuntergeschluckt. Sobald die Kuriere nach Moskau abgefertigt waren, wurden statt der früheren 10 Pferde 16 Pferde an unseren Schlitten gespannt, und wir flogen, statt zu fahren, wovon Du Dir einen Begriff machen kannst, wenn ich Dir sage, dass wir, bei schlechtem Wetter, 10 gute deutsche Meilen in drei Stunden zurücklegten. Drei Werst (eine halbe deutsche Meile) vor der Stadt kam uns der Kammerjunker Sivers entgegen, der uns im Namen Ihrer Kais. Maj. und des Großfürsten gnädig willkommen hieß und versicherte, dass sie die Minuten und Sekunden zählten bis zu dem Augenblicke, wo sie uns sehen würden. Er setzte sich zu uns in den Schlitten und trieb den Kutscher fortwährend zur Eile an. Nicht weit von dem Schlosse wurde das Verdeck des Schlittens herabgelassen.“

1) Einige Nachricht unseres Anzuges wegen ... da der Umzug nicht ohne Verweilen zu gehen können, etc. In den Mitteilungen an die Verwandten steht: nons changeâmes de linge (Sbornik, VII, 24). Die Herausgeber der Sbornik haben statt linge ligne übersetzt, „wir setzten uns in einen andern Schlitten um.“ Wenn der Fürstin ein anderer Schlitten entgegengeschickt worden wäre, hätte sie nicht ermangelt, dessen zu erwähnen. Dass der frühere Schlitten auf der Reise zerbrochen und wieder ausgebessert war, konnte man in Moskau nicht wissen. Wo sollte denn ,,der andere Schlitten“, der im schlimmsten Falle ebenso prachtvoll war, wie der kaiserliche, herkommen? —

Am Freitag, den 9. Februar, um 8 Uhr abends 3), kamen die Prinzessin von Zerbst und ihre Mutter vor dem hölzernen, Golowinschen Palais an. Hofbeamte, die Leibkompanie und Offiziere der Garde empfingen sie bei dem „Aussteigen aus dem Schlitten.“ 4)

3) Very late in the night (Lond. Arch. Russia No. 45.) —
4) In den französischen Mitteilungen an ihre Verwandten sagt die Fürstin: „Sa Majesté Imperiale, impatiente de nous voir de près, s'etait avenue dans an petit passage où, entourée d`officiers on ne pouvait la voir, mais nous passions devant elle. (Sbornik. VII, 24). Dieses zweifelhafte Detail findet sich nicht in dem deutschen Briefe der Fürstin an ihren Gemahl.


In der Vorhalle begrüßte sie der Ober-Hofmarschall von Brümmer und der berühmte Lestocq, der sich so viel Mühe um das Zustandekommen des Heiratsprojekts der Prinzessin Von Zerbst gegeben hat.

Kaum waren sie in die für sie bereiteten Gemächer getreten, sie hatten noch nicht Zeit gehabt, ihre Pelze und Reisekappen abzulegen, als der Großfürst Peter Feodorowitsch erschien, begleitet von dem Prinzen von Hessen-Homburg 1) und einigen Hofdamen. Der Großfürst begrüßte „aufs tendreste“ die teuren Gaste, stellte den Prinzen vor, und sagte, sie seien mit so großer Ungeduld erwartet worden, dass sie im Begriffe gewesen seien, ihnen entgegenzufahren. Gleich darauf ließ die Kaiserin dem Großfürsten sagen, je schneller er die lieben Gäste ihr zuführen würde, desto lieber wäre es ihr. — Sie begaben sich also sofort Alle in die inneren Gemächer der Kaiserin.

1)Ludwig Johann Wilhelm, Prinz von Hessen-Homburg, 1705—1745. Generalfeldmarschall in russischen Diensten. Er war verheiratet' mit einer Fürstin Trubetzkoy.

Elisabeth Petrowna befand sich in ihrem ersten Empfangszimmer neben ihrem Schlafgemach. Die Kaiserin kam den Gästen einige Schritte entgegen, umarmte und küsste sie. Dem Rate Brümmers folgend, küsste die Fürstin der Kaiserin die Hand und sagte: ,Ich bin gekommen, um die Gefühle der lebhaftesten Erkenntlichkeit zu den Füssen Eurer Majestät niederzulegen, für alle die Wohltaten, welche Sie über meine Familie ergossen, und deren wiederholte Zeichen uns in dem Bereiche Eurer Majestät auf jedem Schritte begleiteten. Ich habe keine anderen Verdienste als das lebhafte Gefühl für die Wohltaten, um die Bitte zu wagen, mir, meiner übrigen Familie und dieser meiner Tochter, der Sie zu erlauben geruhten, dass sie mich an Buren Hof begleitete, Ihren ferneren Schutz gewähren zu wollen.“

Elisabeth Petrowna antwortete: „Alles, was ich getan habe, ist nichts im Vergleiche zu dem, was ich für Ihre Familie hätte tun mögen; mein Blut ist mir nicht mehr wert, als das Ihrige. Meine Absichten werden stets dieselben bleiben, und meine Freundschaft soll nach meinen Handlungen zu Euer aller Besten beurteilt werden.“ Nach dieser ersten Begrüßung umarmte und küsste die Kaiserin die Prinzessin Sophie.

Man ging in das Schlaf gemach der Kaiserin hinüber, es wurden Sessel herangerückt; aber das Gespräch wurde so lebhaft, dass sich niemand setzte. Elisabeth Petrowna betrachtete lange die Fürstin, drehte sich rasch um und ging ins Nebenzimmer. Die Ähnlichkeit der Fürstin mit dem Bruder, dem verstorbenen Bräutigam der Kaiserin, hatte Elisabeth Petrowna so erregt, dass sie ihre Tränen im Nebenzimmer vor neugierigen Augen verbarg. Sie ermannte sich bald wieder, kehrte ins Schlafgemach zurück und setzte die Unterhaltung fort.

Im Tagebuche Stelins, Lehrer des Großfürsten, steht die Bemerkung: „Ankunft der Fürstin von Anhalt-Zerbst und ihrer Tochter. Entzücken der Kaiserin.“


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte Katharina II. Band 1 Abteil. 1