IV. Abreise aus Zerbst.
Brief der Fürstin an Friedrich II. Eilige Vorbereitungen zur Reise. Pro memoria, so ich meiner Gemahlin mitgegeben.
IV. Das Jahr 1744 begann für die forstliche Familie in Zerbst unter guten Vorbedeutungen. Am ersten Tage des neuen Jahres erhielt die Fürstin Johanna Elisabeth Briefe aus Petersburg und Berlin, aus denen sie ersah, wie das Werk, welches sie mit der Sendung des Bildes ihrer Tochter an die Kaiserin begonnen hatte, den besten Erfolg hatte. In den Briefen wurde ihr das tiefste Geheimnis über diese Angelegenheit anempfohlen, sie sollte mit niemand über die bevorstehende Reise nach Petersburg sprechen. Es verstand sich jedoch von selbst, dass sich dieses Verbot nicht auf ihren Gemahl, den Fürsten Christian August, bezog. Er war nicht nach Petersburg eingeladen, es wurde ihr im Gegenteil ausdrücklich geraten, ohne ihn zu reisen; aber er würde wohl, sobald sich die Verhältnisse änderten, ebenfalls eingeladen werden, nach Petersburg zu kommen.
Die Fürstin vertraute das Geheimnis ihrem Gemahl an, und teilte ihm die beiden Briefe mit; sie rechnete mit Sicherheit auf seine Verschwiegenheit, von welcher, wie in den Briefen versichert wurde, das Glück ihrer Tochter abhing. Drei Tage lang erwogen Fürst und Fürstin alle Einzelheiten der bevor stehenden Reise nach Russland und besprachen sich über die neue Stellung, die ihre ganze Familie einnehmen würde, im Falle der Plan, den die Fürstin ersonnen, von Erfolg gekrönt würde. Am 4. Januar beantwortete die Fürstin die Briefe aus Petersburg und Berlin. Ihr Brief an Brümmer hat sich nicht erhalten. An Friedrich II. schrieb sie:
„Ew. Majestät haben mich so gnädig in Kenntnis der Angelegenheit gesetzt, die ich im Begriff war, Ihnen mitzuteilen, dass ich keine Worte finde, um Ihnen meine Erkenntlichkeit auszusprechen, sowohl für die Erklärung, die Sie mir über diese Angelegenheit geben, als auch für Ihre Teilnahme an derselben, und für Ihre Bemühungen um einen günstigen Erfolg. Graf Podewils ¹) hat Ew. Majestät wohl von dem Briefe Meldung getan, welcher auf meinen Namen aus Petersburg gekommen war, und welchen der Minister dem Postcomptoir in Berlin übergeben hat, damit er mir per Estafette zugeschickt werde.
¹) Der eiste Minister Friedrichs II. Aus einem in Berlin perlustrierten Briefe Brümmers hatte Friedrich wahrscheinlich zuerst von Elisabeth Petiownas entschiedener Wahl der Prinzessin von Zerbst erfahren, was ihn wohl bewogen haben mag, ihr am 30. Dezember den Brief zu schreiben, den sie jetzt beantwortet.
Dieser Brief, Majestät, der mir die erste Nachricht von dem Vorhaben Ihrer Majestät der Kaiserin von Russland, in Bezug auf eine Reise mit meiner Tochter an ihren Hof, brachte, ließ mich eine Angelegenheit vermuten, an welche ich am wenigsten denken konnte. Ich halte es für überflüssig, Ew. Majestät diesen Brief mitzuteilen, weil ich Sie nicht mit Einzelheiten belästigen will, die Ihnen im Wesentlichen bekannt sind, während einige Nachrichten sich ausschließlich auf die bevorstehende Reise beziehen.
Die vollkommene Ehrerbietung, und wenn ich mich so ausdrücken darf die tiefste Achtung, die ich immer für Ew. Majestät empfunden, drängten mich, Ihnen sogleich Mitteilung zu machen. Durch Ihren Brief in diesen Gefühlen bestärkt, schätze ich mich glücklich, das Vertrauen eines wahrhaft großen Herrschers zu besitzen, welcher nicht nur der Freund und Verbündete der Kaiserin, die mir so unaussprechliche Gnade erwiesen hat, sondern auch mein und meiner Familie Beschützer in einer für uns so wichtigen Angelegenheit ist.
Infolgedessen erachte ich es für meine Pflicht, mich den Weisungen zu unterwerfen, welche Ew. Majestät für gut befinden, mir zu geben. Ich begreife vollkommen die Wichtigkeit des Geheimnisses, das Ew. Majestät mir anempfohlen. Doch habe ich aus verschiedenen Gründen, die leichter verstanden als geschrieben werden können, den Fürsten, für dessen Verschwiegenheit ich bürge, in das Geheimnis einweihen müssen; ich hoffe keinen Vorwurf deshalb zu verdienen.
Der Fürst hat seine Einwilligung gegeben. Diese Reise, die, zumal in dieser Jahreszeit, wirklich gefährlich ist, schreckt mich nicht. Ich bin entschlossen, und fest überzeugt, dass alles nach dem Willen der Vorsehung geschieht; die Vorsehung wird mir auch helfen die Gefahren und Hindernisse zu überwinden, denen Viele nicht den Mut hätten, sich auszusetzen.
Die Scheinreise nach Stettin, die Ew. Majestät geruhten mir vorzuschlagen, ist eine um so sicherere Maske, als der Fürst, wenn Ew. Majestät ihm gestatten uns bis dorthin zu begleiten, schon vorher beabsichtigte, eine Reise nach Stettin mit einem Aufenthalte in Berlin zu machen, wo wir uns nur die notwendigste Zeit aufhalten werden, um den Königinnen und dem königlichen Hause unsere Aufwartung zu machen. Täte ich das nicht, so würde darüber geredet werden. Da wir den Karneval schon seit mehreren Jahren in Berlin zubringen, wird das Publikum unserem Erscheinen dort keine Aufmerksamkeit schenken.
Ich kann den Tag unserer Abreise noch nicht unbedingt feststellen, Majestät, und das aus zwei Gründen. Erstens würde eine allzu eilige Abreise nach der Ankunft der Estafette an unserem abgelegenen Orte bei Verwandten und Nachbarn Verdacht erregen. Zweitens hatte ich notwendigerweise Anordnungen in Bezug auf Toilette und andere notwendige Kleinigkeiten zu treffen, was einige Tage Zeit nehmen wird. Ich hoffe bis zum Donnerstag oder Freitag in der nächsten Woche fertig zu werden. Ich erlaube mir die Kühnheit, Majestät, Ihnen meine Antwort nach Russland zuzuschicken, und bitte demütig dieselbe per Estafette weiter zu befördern.
Es bleibt mir noch übrig, Ew. Majestät um eine Gnade zu bitten, welche Ihnen vielleicht geringfügig erscheinen wird, welche unsere Reise aber sehr beschleunigen kann, — geruhen Sie für meine Rechnung in ganz Pommern und Preussen Pferde für mich zu bestellen. Der Pass, auf welchen die Pferde verabfolgt werden sollen, ist auf den Namen der Gräfin Reinbeck ausgestellt, — ein Name, der mir von Ihrer Kaiserlichen Majestät bis zu der Ankunft in Riga vorgeschrieben ist. Dort werde ich meinen wirklichen Namen bekannt machen, um die Eskorte zu erhalten, welche mich begleiten soll.
Meine Equipage wird so bescheiden als möglich sein, nicht nur um meine Bereitwilligkeit, allen Ihren Weisungen zu folgen, auszudrücken, sondern auch um zu beweisen, wie hoch ich alle Ihre gnädigen Worte schätze. Mit der höchsten Ehrerbietung verbleibe ich Ew. Majestät
ergebene und gehorsame Johanna Elisabeth.“
Zerbst,
4. Januar 1744.
In dem ganzen Briefe kein einziges Wort von derjenigen, welche die Veranlassung der Reise war. Dies ist weder Zufall noch Vorbedacht — es ist ein Charakterzug der Fürstin von Zerbst: sie stellt immer und überall ihr eigenes Ich in den Vordergrund, zuweilen in ganz unpassender Weise und meistens ohne Not. So im vorliegenden Falle. Aus dem Briefe der Fürstin geht gar nicht hervor, dass sie um das Schicksal ihrer Tochter besorgt ist, dass sie in Bezug auf die ihr bevorstehende Veränderung irgend welche Befürchtungen hegt, oder auch nur die Teilnahme einer zärtlich liebenden Mutter für sie hat.
Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass die Prinzessin von Zerbst die bevorstehende Reise nach Russland erriet: die eiligen Reisevorbereitungen waren ganz anderer Art als sonst, zu den Reisen in der Karnevalszeit nach Berlin. Die in letzter Zeit häufigeren Estafetten aus Berlin, die Briefe aus Russland, die heißen Unterredungen über Glaubensfragen zwischen ihrem Vater und ihrer Mutter, die besondere Zärtlichkeit ihres Vaters, der sonst ein rauer Mann war, die größere Aufmerksamkeit der Verwandten, — der Onkel, regierender Fürst Johann Ludwig, schenkte ihr Zeug zu einem Kleide, blau mit Silber, — und andere, geringfügigere Anzeichen mussten die Prinzessin auf den Gedanken bringen, dass eine ungewöhnliche, andere Reise bevorstand ab nach Berlin oder Stettin.
Wusste Sophie Friederike von dem wirklichen Ziele der Reise nach Russland? Auch dieses erriet sie wahrscheinlich. Sie war beinahe 15 Jahre alt, sehr entwickelt für ihr Alter, der Vater sprach oft mit ihr über die Unmöglichkeit, die Religion zu ändern, über die Notwendigkeit „lutherische Christin“ zu bleiben — wozu das alles, und namentlich vor der Reise nach Russland, wenn ihr nicht ein Religionswechsel bevorstand. Diese Notwendigkeit bezeichnete das Ziel der Reise nach Russland.
Alle trieben Johanna Elisabeth zur Eile an: Brümmer sandte der Fürstin noch einen Brief mit der Bitte, „die Reise zu beschleunigen und keine Zeit zu verlieren“; Friedrich II. schrieb wieder über die Notwendigkeit, ,,die Reise nach Moskau so viel wie möglich zu beschleunigen.“ Mardefeld teilt dem König von Preussen aus Petersburg mit, „die Kaiserin bittet Ew. Majestät dringend, der Fürstin von Zerbst zu befehlen, ihre Abreise nach Möglichkeit zu beschleunigen und auf der Reise zu eilen.“¹)
Die Fürstin von Zerbst brauchte nicht zur Eile angetrieben zu werden! Brümmer charakterisierte sie richtig, als er der Kaiserin Elisabeth Petrowna auf die Frage, wann die Gäste aus Zerbst ankommen würden, antwortete: „Ihrer Durchlaucht fehlen nur die Flügel, sonst würde sie zu Ihrer Majestät geflogen kommen.“ Die Vorbereitungen waren nicht groß und bezogen sich mehr auf die Mutter als auf die Tochter: Fike brachte nach Petersburg 3 bis 4 Kleider, ein Dutzend Hemden, Strümpfe, Taschentücher mit, — und weiter Nichts; sie hatte nicht einmal Bettwäsche. Es wurde offenbar mitgenommen, was da war; Neues wurde nicht angeschafft. Während die Mutter das Einpacken beeilte, schloss sich der Vater in seinem Kabinett ein und schrieb. Die so ungewöhnliche Beschäftigung bei dem „echten Soldaten“ erregte die Aufmerksamkeit aller. Was konnte er schreiben?
Die Vorbereitungen waren bald beendigt, und am 10. Jan. 1744 verließ die Prinzessin von Zerbst mit ihrem Vater und ihrer Mutter Zerbst.2)
¹) Siebigk, 135, 189; Depesche Mardefelds vom 23. Dez. 1743; Pol. Corr. II. 498. —
³) Der Tag der Abreise ist bis jetzt unrichtig als der 12, Jan. bezeichnet worden. (Siebigk, 18; Brückner, 200 Dirin, 35 und 48.) In dem Reskripte Friedrichs II. an Mardefeld vom 13 Jan. ist deutlich gesagt, dass die fürstliche Familie von Zerbst am 11. Jan Abend — avant hier au soir, in Berlin angekommen ist (Pol Corr. III, 10) Am 12. Jan. 1744 (31. Dez. 43) schon brachen die Reisenden von Zerbst auf (Brückner, 22). Hier sind zwei Fehler: nicht den 12. aber den 10. Jan. und der 12. Jan. neuen Stils entsprach im XVIII. Jahrhundert dem 1. Januar, und nicht dem 31. Dezember.
Dem Rate Brümmers gemäss, in welchem die Fürstin den Wunsch der Kaiserin zu erkennen glaubte, war das Gefolge der Reisenden ein außerordentlich beschranktes: der Schlosshauptmann Lattorf, das Hoffräulein Khayn und einige Bedienstete, unter denen das Stubenmädchen der jungen Prinzessin, Mlle. Schenk, sich befand ¹). In Berücksichtigung des geforderten Geheimnisses geschah die Abreise in gewohnter Weise ²), wie sonst bei den Reisen nach Berlin zum Karneval. Diese Abreise zeichnete sich indessen durch eine Besonderheit aus, die jedoch unberufenen Augen verborgen blieb: Ehe man sich in die Equipagen setzte, übergab der Fürst Christian August seiner Tochter einen langweiligen Traktat des Heineccius über die verschiedenen Glaubensbekenntnisse und bat sie, das Buch aufmerksam durchzulesen und im Falle von religiösen Zweifeln zur Richtschnur zu nehmen, und seiner Gemahlin händigte er eine kleine Schrift, die Frucht seiner Feder während der letzten Tage, „zum Andenken“ (Pro memoria) ein. Er trug seiner Gemahlin auf, in Bezug auf ihre Tochter in allem den Ermahnungen gemäss zu handeln, welche in der Schrift „zum Andenken“ niedergelegt waren; und wenn die Zeit dazu gekommen war, sollte diese Schrift, als eine summarische Übersicht der Lehren der Moral, seiner Tochter zur Benutzung in dem neuen, ihr bevorstehenden Leben übergeben werden.
¹) Johann Wilhelm Lattorf, Schlosshauptmann; von Khayn, Hoffräulein (Siebigk, 18); Mlle. Schenk, la fille de chambre que j'avais amenée d`Allemagne (Memoires, 37.) —
²) In Zerbst hat sich bis auf den heutigen Tag die Überlieferung erhalten, dass der Prinzessin von Zerbst bei ihrer Abreise nach Russland auf dem Schlossplatze ein feierlicher Abschiedsgruss von dem Magistrate und den Bürgern gebracht worden sei, bei welchem sie ein, noch auf dem Rathause aufbewahrtes Glas auf das Wohlergehen der Stadt geleert habe. (Siebigk, 18.) Das alles sind Erfindungen aus späterer Zeit.
Diese Zeit kam bald heran. Es waren noch nicht zwei Monate vergangen, als die Prinzessin dem Vater dankt für die gracieuses iustructions, die er für sie niedergeschrieben, und ihm verspricht, stets nach denselben zu handeln und dieselben niemals zu vergessen. Fike hatte eine große Verehrung für ihren Vater und behielt ihn stets in gutem Andenken. Gewiss wird sie die väterlichen Ermahnungen aufmerksam und vielleicht mehr als einmal gelesen haben, und, in der ersten Zeit wenigstens, hat sich ihr Benehmen nach den Wünschen ihres Vaters gerichtet. Was lehrte sie der Vater? Welche Ratschläge gab der Feldmarschall in preussischen Diensten, „der strenge Lutheraner“, das Haupt des regierenden Hauses, seiner Tochter? Wir führen diese „gracieuses instructions“ wörtlich an. Der Verfasser nennt sie:
„Pro Memoria, so ich meiner Gemahlin mitgegeben.“ ²)
„Wegen der griechschen Religion wäre zu versuchen, ob nach dem Exempel der Zarwitzen aus dem Braunschw. Hause ³) nicht die Lutherische bei zu behalten, oder Sie bei dem Baurglauben bleiben könne.
„Wenn es grosse difficultet setzt, wäre meine Tochter doch Erst zu instruieren, worin die difference bestehe und hat ein Professor in Halle Heineccius einen Tractat herausgegeben worin die deformietet der Lutherischen mit der griechschen deduzieret wird.4)
²) In den Papieren Katharinas II., welche in dem Reichsarchiv aufbewahrt werden, fehlt diese Schrift; wahrscheinlich hat die Fürstin-Mutter, als sie Russland verließ, das »Pro Memoria“ das ihr eigentlich gehörte und der Tochter nicht mehr nötig war, mitgenommen. Diese Schrift, von der eigenen Hand des Fürsten Christian August geschrieben, hat sich in dem Zerbstschen Archiv erhalten und ist von Siebigk, 143, herausgegeben. —
³) In dem Ehevertrag des Czarewitsch Alexei Petrowitsch mit der Prinzessin Charlotte Christine Sophie von Braunschweig-Wolfenbüttel wird der Prinzessin gestattet „nach dem Beispiel der englischen und dänischen Könige bei dem evangelisch-lutherischen Glauben, in dem sie geboren und erzogen war, zu verbleiben, und deshalb an ihrem Wohnorte für sich und ihre Umgebung eine Betkapelle zu haben.“ P. S. Z. No. 2854; Ustrjalow, VI. 25. —
4) Dieses Buch hatte die Prinzessin mit auf die Reise erhalten.
„Meine Tochter ist schon in ihrer Religion so fundiert, dass Sie die Grundsätze des wahren seligmachenden Glaubens erkennen, und dass niemand durch eigne Werke, Gelübde und Worte der Heiligen was verdienen noch erlangen könne, sondern dass alles aus dem Verdienst Christi des Sohnes Gottes herkommen müsse.“
„Was diesen Glauben ähnlich ist, kann Sie selbst prüfen und annehmen, das andere nicht. Wobei Sie dann die Lutherisch Bibel, Gebet und andere Bücher bei zu behalten und Gott anzurufen, dass Er Ihren glauben erhalten wolle, bis ans Ende.“
„Meine Tochter zu zwingen oder zuzureden eine fremde Religion darin Sie selbst Irrtümer findet anzunehmen ist nimmer zu raten, sondern wie ein jeder seines eigenen Glaubens leben muss, so kommt es auf ihr eigen Gebet zu Gott, auf eigenen Fleiß Prüfung und Willkür an, ob sie den griechischen Glauben anstößig halte, oder nicht? Und lieber eventualiter der Regentschaft sich begeben, als in Ihren Gewissen Anstoß leiden wolle.“
„Hiernegst da es eine epineuse Sache ist in ein fremdes Land das souverain regieret wird ohne jemand Vertrautes bei zu behalten, zu gehen. So ist neben dem fleißigen Gebet aufs äußerste zu rekommandieren, dass Sie allen ersinnlichen Respekt und nächst Gott die grösseste Hochachtung, Dienstfertigkeit der Kaiserin Maj. fußfällig beweise, sowohl wegen Dero unbeschränkten Macht, als auch aus recognoscence Ihrer mit Sacrificirung Ihres Lebens und Guts erzeigten Wohltaten, vornehmlich auch nach der Regel, was Du willst das künftig Dir geschehen soll, das tue Du auch.“
„Nach der Kaiserin Maj. hat Sie dem Großfürsten über alles als Herrn, Vater und Souverain zu respektieren und dabei ihre confidence und Liebe bei aller Gelegenheit durch Pflege und Tendresse zu gewinnen. Den Herrn und dessen Willen, allen plaisirs, Schätzen und was in der Welt ist vorzuziehen und nichts was Ihm zuwider oder nur einige peene mache zu begehen oder weniger auf eigenen Willen zu bestehen.“
„Nicht in familiarité oder badinage zu entrieren, sondern allezeit einigen egard sich möglichst konservieren.
Die Domestiquen und Favoriten des Herrn mit einer gnädigen Mine ansehen, ohne Ihre Dienste beim Herrn zu verlangen noch sie zu recompensiren, sondern allein an des Herrn Gnade und Liebe zu reponieren.
Niemand im Audienzgemach alleine sprechen und nach dortiger Ettiquette sich zu regulieren.
Grosse Spiele die einen geitz und Interesse marquiren hassen und meiden.“
„Das Handgeld, das irgend gegeben wird, selbst an sich zu nehmen und zu verwahren und davon successive einem Bedienten auf Rechnung was zu geben, damit Sie sich nicht unter der Curatel Ihrer Hofmeisterin und Bedienten begeben sondern freie Hand behalte, zu ihren Nutzen und Plaisir es anzuwenden, und davon selbst Gutes zu tun, damit Sie selbst die Liebe und Zuneigung Ihrer Klienten gewinnen und nicht andere vor Sie.“
„Allemal auf einen Vorrat von Gelde doch ohne Geitz, so viel der Wohlstand leidet bedacht zu sein.
Vor niemand sich interessieren weil man die Acta und Beschaffenheit der Sachen nicht einsehen und einen einseitigen Rapport nimmer trauen kann, der leidende Teil wird ein abgesagter Feind; und derjenige, den Mann mit dergleichen intercessiones durchhilft vergisst die Wohltat und sündigt hinfort mehr.
Insonderheit in keine Regierungssachen zu entrieren um den Senat nicht zu aigriren.
Mit keiner Dame oder sonst confident zu werden, nur alleine der Kaiserin Maj. und des Großfürsten Confidence zu gewinnen, in allen und gegen alle reservé sich zu halten. Denn bei der Nation dergleichen ausnehmend gefährlich.“
Fike war noch nicht 15 Jahre alt, als sie diese „gracieuses instructions“ ihres Vaters las. Sie brachten einen tiefen Eindruck auf sie hervor. „Ich beschwöre Sie“ — schreibt sie dem Vater — „versichert zu sein, dass Ihre Ermahnungen und Ratschläge für immer in meinem Herzen eingegraben sind, gleichwie die Samenkörner unserer heiligen Religion in meiner Seele.“ ¹)
Es ist nicht schwer zu erraten, welcher Art die Eindrücke waren, welche die junge Prinzessin von Zerbst durch das „Pro Memoria“ ihres Vaters erhielt. Diese dienstfertige Erniedrigung, diese vollkommene Verleugnung des eigenen Ich, diese sklavische Unterwürfigkeit unter einen fremden Willen konnten nicht anders als eine jugendliche Phantasie erschrecken und ihr die Zukunft in nicht sehr verlockenden Farben malen. Welche Vorstellungen von Russland und dem russischen Hofe die Prinzessin von Zerbst sich auch aus den Erzählungen und umlaufenden Gerüchten gemacht haben mochte, — diese „gracieuses instructions“ mussten bedrückend auf ihre Ansicht von dem ihr bevorstehenden neuen Leben in einem fremden Lande, unter fremden Menschen, wirken. Die Kleinlichkeit ähnlicher Ermahnungen selbst rechtfertigt das spätere Geständnis Katharinas, sie sei erzogen wurden, bloß um die Gemahlin eines kleinen benachbarten Fürsten zu werden. Weder durch ihre Eltern noch durch ihre Angehörigen und Erzieher war sie vorbereitet worden für die Rolle, welche sie zu spielen bestimmt war. Niemand, und am wenigsten Prinzessin Fike selbst, konnte erwarten, dass die Ermahnungen des Vaters bald verworfen würden als untauglich für die Szene, auf welcher sie zu handeln bestimmt war, und welche so wenig dem Schlosse in Zerbst ähnlich war, in dessen Mauern der Vater sein „Pro Memoria“ geschrieben hatte.
¹) Vom 29. Jan. 1744, aus Königsberg, im Sbornik VII, I; Siebigk 17. Die Lehren und Ratschläge, welche der Vater seiner Tochter beim Abschiede gab, waren natürlich gleichlautend mit den Ermahnungen im „Pro Memoria.“
IV. Das Jahr 1744 begann für die forstliche Familie in Zerbst unter guten Vorbedeutungen. Am ersten Tage des neuen Jahres erhielt die Fürstin Johanna Elisabeth Briefe aus Petersburg und Berlin, aus denen sie ersah, wie das Werk, welches sie mit der Sendung des Bildes ihrer Tochter an die Kaiserin begonnen hatte, den besten Erfolg hatte. In den Briefen wurde ihr das tiefste Geheimnis über diese Angelegenheit anempfohlen, sie sollte mit niemand über die bevorstehende Reise nach Petersburg sprechen. Es verstand sich jedoch von selbst, dass sich dieses Verbot nicht auf ihren Gemahl, den Fürsten Christian August, bezog. Er war nicht nach Petersburg eingeladen, es wurde ihr im Gegenteil ausdrücklich geraten, ohne ihn zu reisen; aber er würde wohl, sobald sich die Verhältnisse änderten, ebenfalls eingeladen werden, nach Petersburg zu kommen.
Die Fürstin vertraute das Geheimnis ihrem Gemahl an, und teilte ihm die beiden Briefe mit; sie rechnete mit Sicherheit auf seine Verschwiegenheit, von welcher, wie in den Briefen versichert wurde, das Glück ihrer Tochter abhing. Drei Tage lang erwogen Fürst und Fürstin alle Einzelheiten der bevor stehenden Reise nach Russland und besprachen sich über die neue Stellung, die ihre ganze Familie einnehmen würde, im Falle der Plan, den die Fürstin ersonnen, von Erfolg gekrönt würde. Am 4. Januar beantwortete die Fürstin die Briefe aus Petersburg und Berlin. Ihr Brief an Brümmer hat sich nicht erhalten. An Friedrich II. schrieb sie:
„Ew. Majestät haben mich so gnädig in Kenntnis der Angelegenheit gesetzt, die ich im Begriff war, Ihnen mitzuteilen, dass ich keine Worte finde, um Ihnen meine Erkenntlichkeit auszusprechen, sowohl für die Erklärung, die Sie mir über diese Angelegenheit geben, als auch für Ihre Teilnahme an derselben, und für Ihre Bemühungen um einen günstigen Erfolg. Graf Podewils ¹) hat Ew. Majestät wohl von dem Briefe Meldung getan, welcher auf meinen Namen aus Petersburg gekommen war, und welchen der Minister dem Postcomptoir in Berlin übergeben hat, damit er mir per Estafette zugeschickt werde.
¹) Der eiste Minister Friedrichs II. Aus einem in Berlin perlustrierten Briefe Brümmers hatte Friedrich wahrscheinlich zuerst von Elisabeth Petiownas entschiedener Wahl der Prinzessin von Zerbst erfahren, was ihn wohl bewogen haben mag, ihr am 30. Dezember den Brief zu schreiben, den sie jetzt beantwortet.
Dieser Brief, Majestät, der mir die erste Nachricht von dem Vorhaben Ihrer Majestät der Kaiserin von Russland, in Bezug auf eine Reise mit meiner Tochter an ihren Hof, brachte, ließ mich eine Angelegenheit vermuten, an welche ich am wenigsten denken konnte. Ich halte es für überflüssig, Ew. Majestät diesen Brief mitzuteilen, weil ich Sie nicht mit Einzelheiten belästigen will, die Ihnen im Wesentlichen bekannt sind, während einige Nachrichten sich ausschließlich auf die bevorstehende Reise beziehen.
Die vollkommene Ehrerbietung, und wenn ich mich so ausdrücken darf die tiefste Achtung, die ich immer für Ew. Majestät empfunden, drängten mich, Ihnen sogleich Mitteilung zu machen. Durch Ihren Brief in diesen Gefühlen bestärkt, schätze ich mich glücklich, das Vertrauen eines wahrhaft großen Herrschers zu besitzen, welcher nicht nur der Freund und Verbündete der Kaiserin, die mir so unaussprechliche Gnade erwiesen hat, sondern auch mein und meiner Familie Beschützer in einer für uns so wichtigen Angelegenheit ist.
Infolgedessen erachte ich es für meine Pflicht, mich den Weisungen zu unterwerfen, welche Ew. Majestät für gut befinden, mir zu geben. Ich begreife vollkommen die Wichtigkeit des Geheimnisses, das Ew. Majestät mir anempfohlen. Doch habe ich aus verschiedenen Gründen, die leichter verstanden als geschrieben werden können, den Fürsten, für dessen Verschwiegenheit ich bürge, in das Geheimnis einweihen müssen; ich hoffe keinen Vorwurf deshalb zu verdienen.
Der Fürst hat seine Einwilligung gegeben. Diese Reise, die, zumal in dieser Jahreszeit, wirklich gefährlich ist, schreckt mich nicht. Ich bin entschlossen, und fest überzeugt, dass alles nach dem Willen der Vorsehung geschieht; die Vorsehung wird mir auch helfen die Gefahren und Hindernisse zu überwinden, denen Viele nicht den Mut hätten, sich auszusetzen.
Die Scheinreise nach Stettin, die Ew. Majestät geruhten mir vorzuschlagen, ist eine um so sicherere Maske, als der Fürst, wenn Ew. Majestät ihm gestatten uns bis dorthin zu begleiten, schon vorher beabsichtigte, eine Reise nach Stettin mit einem Aufenthalte in Berlin zu machen, wo wir uns nur die notwendigste Zeit aufhalten werden, um den Königinnen und dem königlichen Hause unsere Aufwartung zu machen. Täte ich das nicht, so würde darüber geredet werden. Da wir den Karneval schon seit mehreren Jahren in Berlin zubringen, wird das Publikum unserem Erscheinen dort keine Aufmerksamkeit schenken.
Ich kann den Tag unserer Abreise noch nicht unbedingt feststellen, Majestät, und das aus zwei Gründen. Erstens würde eine allzu eilige Abreise nach der Ankunft der Estafette an unserem abgelegenen Orte bei Verwandten und Nachbarn Verdacht erregen. Zweitens hatte ich notwendigerweise Anordnungen in Bezug auf Toilette und andere notwendige Kleinigkeiten zu treffen, was einige Tage Zeit nehmen wird. Ich hoffe bis zum Donnerstag oder Freitag in der nächsten Woche fertig zu werden. Ich erlaube mir die Kühnheit, Majestät, Ihnen meine Antwort nach Russland zuzuschicken, und bitte demütig dieselbe per Estafette weiter zu befördern.
Es bleibt mir noch übrig, Ew. Majestät um eine Gnade zu bitten, welche Ihnen vielleicht geringfügig erscheinen wird, welche unsere Reise aber sehr beschleunigen kann, — geruhen Sie für meine Rechnung in ganz Pommern und Preussen Pferde für mich zu bestellen. Der Pass, auf welchen die Pferde verabfolgt werden sollen, ist auf den Namen der Gräfin Reinbeck ausgestellt, — ein Name, der mir von Ihrer Kaiserlichen Majestät bis zu der Ankunft in Riga vorgeschrieben ist. Dort werde ich meinen wirklichen Namen bekannt machen, um die Eskorte zu erhalten, welche mich begleiten soll.
Meine Equipage wird so bescheiden als möglich sein, nicht nur um meine Bereitwilligkeit, allen Ihren Weisungen zu folgen, auszudrücken, sondern auch um zu beweisen, wie hoch ich alle Ihre gnädigen Worte schätze. Mit der höchsten Ehrerbietung verbleibe ich Ew. Majestät
ergebene und gehorsame Johanna Elisabeth.“
Zerbst,
4. Januar 1744.
In dem ganzen Briefe kein einziges Wort von derjenigen, welche die Veranlassung der Reise war. Dies ist weder Zufall noch Vorbedacht — es ist ein Charakterzug der Fürstin von Zerbst: sie stellt immer und überall ihr eigenes Ich in den Vordergrund, zuweilen in ganz unpassender Weise und meistens ohne Not. So im vorliegenden Falle. Aus dem Briefe der Fürstin geht gar nicht hervor, dass sie um das Schicksal ihrer Tochter besorgt ist, dass sie in Bezug auf die ihr bevorstehende Veränderung irgend welche Befürchtungen hegt, oder auch nur die Teilnahme einer zärtlich liebenden Mutter für sie hat.
Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass die Prinzessin von Zerbst die bevorstehende Reise nach Russland erriet: die eiligen Reisevorbereitungen waren ganz anderer Art als sonst, zu den Reisen in der Karnevalszeit nach Berlin. Die in letzter Zeit häufigeren Estafetten aus Berlin, die Briefe aus Russland, die heißen Unterredungen über Glaubensfragen zwischen ihrem Vater und ihrer Mutter, die besondere Zärtlichkeit ihres Vaters, der sonst ein rauer Mann war, die größere Aufmerksamkeit der Verwandten, — der Onkel, regierender Fürst Johann Ludwig, schenkte ihr Zeug zu einem Kleide, blau mit Silber, — und andere, geringfügigere Anzeichen mussten die Prinzessin auf den Gedanken bringen, dass eine ungewöhnliche, andere Reise bevorstand ab nach Berlin oder Stettin.
Wusste Sophie Friederike von dem wirklichen Ziele der Reise nach Russland? Auch dieses erriet sie wahrscheinlich. Sie war beinahe 15 Jahre alt, sehr entwickelt für ihr Alter, der Vater sprach oft mit ihr über die Unmöglichkeit, die Religion zu ändern, über die Notwendigkeit „lutherische Christin“ zu bleiben — wozu das alles, und namentlich vor der Reise nach Russland, wenn ihr nicht ein Religionswechsel bevorstand. Diese Notwendigkeit bezeichnete das Ziel der Reise nach Russland.
Alle trieben Johanna Elisabeth zur Eile an: Brümmer sandte der Fürstin noch einen Brief mit der Bitte, „die Reise zu beschleunigen und keine Zeit zu verlieren“; Friedrich II. schrieb wieder über die Notwendigkeit, ,,die Reise nach Moskau so viel wie möglich zu beschleunigen.“ Mardefeld teilt dem König von Preussen aus Petersburg mit, „die Kaiserin bittet Ew. Majestät dringend, der Fürstin von Zerbst zu befehlen, ihre Abreise nach Möglichkeit zu beschleunigen und auf der Reise zu eilen.“¹)
Die Fürstin von Zerbst brauchte nicht zur Eile angetrieben zu werden! Brümmer charakterisierte sie richtig, als er der Kaiserin Elisabeth Petrowna auf die Frage, wann die Gäste aus Zerbst ankommen würden, antwortete: „Ihrer Durchlaucht fehlen nur die Flügel, sonst würde sie zu Ihrer Majestät geflogen kommen.“ Die Vorbereitungen waren nicht groß und bezogen sich mehr auf die Mutter als auf die Tochter: Fike brachte nach Petersburg 3 bis 4 Kleider, ein Dutzend Hemden, Strümpfe, Taschentücher mit, — und weiter Nichts; sie hatte nicht einmal Bettwäsche. Es wurde offenbar mitgenommen, was da war; Neues wurde nicht angeschafft. Während die Mutter das Einpacken beeilte, schloss sich der Vater in seinem Kabinett ein und schrieb. Die so ungewöhnliche Beschäftigung bei dem „echten Soldaten“ erregte die Aufmerksamkeit aller. Was konnte er schreiben?
Die Vorbereitungen waren bald beendigt, und am 10. Jan. 1744 verließ die Prinzessin von Zerbst mit ihrem Vater und ihrer Mutter Zerbst.2)
¹) Siebigk, 135, 189; Depesche Mardefelds vom 23. Dez. 1743; Pol. Corr. II. 498. —
³) Der Tag der Abreise ist bis jetzt unrichtig als der 12, Jan. bezeichnet worden. (Siebigk, 18; Brückner, 200 Dirin, 35 und 48.) In dem Reskripte Friedrichs II. an Mardefeld vom 13 Jan. ist deutlich gesagt, dass die fürstliche Familie von Zerbst am 11. Jan Abend — avant hier au soir, in Berlin angekommen ist (Pol Corr. III, 10) Am 12. Jan. 1744 (31. Dez. 43) schon brachen die Reisenden von Zerbst auf (Brückner, 22). Hier sind zwei Fehler: nicht den 12. aber den 10. Jan. und der 12. Jan. neuen Stils entsprach im XVIII. Jahrhundert dem 1. Januar, und nicht dem 31. Dezember.
Dem Rate Brümmers gemäss, in welchem die Fürstin den Wunsch der Kaiserin zu erkennen glaubte, war das Gefolge der Reisenden ein außerordentlich beschranktes: der Schlosshauptmann Lattorf, das Hoffräulein Khayn und einige Bedienstete, unter denen das Stubenmädchen der jungen Prinzessin, Mlle. Schenk, sich befand ¹). In Berücksichtigung des geforderten Geheimnisses geschah die Abreise in gewohnter Weise ²), wie sonst bei den Reisen nach Berlin zum Karneval. Diese Abreise zeichnete sich indessen durch eine Besonderheit aus, die jedoch unberufenen Augen verborgen blieb: Ehe man sich in die Equipagen setzte, übergab der Fürst Christian August seiner Tochter einen langweiligen Traktat des Heineccius über die verschiedenen Glaubensbekenntnisse und bat sie, das Buch aufmerksam durchzulesen und im Falle von religiösen Zweifeln zur Richtschnur zu nehmen, und seiner Gemahlin händigte er eine kleine Schrift, die Frucht seiner Feder während der letzten Tage, „zum Andenken“ (Pro memoria) ein. Er trug seiner Gemahlin auf, in Bezug auf ihre Tochter in allem den Ermahnungen gemäss zu handeln, welche in der Schrift „zum Andenken“ niedergelegt waren; und wenn die Zeit dazu gekommen war, sollte diese Schrift, als eine summarische Übersicht der Lehren der Moral, seiner Tochter zur Benutzung in dem neuen, ihr bevorstehenden Leben übergeben werden.
¹) Johann Wilhelm Lattorf, Schlosshauptmann; von Khayn, Hoffräulein (Siebigk, 18); Mlle. Schenk, la fille de chambre que j'avais amenée d`Allemagne (Memoires, 37.) —
²) In Zerbst hat sich bis auf den heutigen Tag die Überlieferung erhalten, dass der Prinzessin von Zerbst bei ihrer Abreise nach Russland auf dem Schlossplatze ein feierlicher Abschiedsgruss von dem Magistrate und den Bürgern gebracht worden sei, bei welchem sie ein, noch auf dem Rathause aufbewahrtes Glas auf das Wohlergehen der Stadt geleert habe. (Siebigk, 18.) Das alles sind Erfindungen aus späterer Zeit.
Diese Zeit kam bald heran. Es waren noch nicht zwei Monate vergangen, als die Prinzessin dem Vater dankt für die gracieuses iustructions, die er für sie niedergeschrieben, und ihm verspricht, stets nach denselben zu handeln und dieselben niemals zu vergessen. Fike hatte eine große Verehrung für ihren Vater und behielt ihn stets in gutem Andenken. Gewiss wird sie die väterlichen Ermahnungen aufmerksam und vielleicht mehr als einmal gelesen haben, und, in der ersten Zeit wenigstens, hat sich ihr Benehmen nach den Wünschen ihres Vaters gerichtet. Was lehrte sie der Vater? Welche Ratschläge gab der Feldmarschall in preussischen Diensten, „der strenge Lutheraner“, das Haupt des regierenden Hauses, seiner Tochter? Wir führen diese „gracieuses instructions“ wörtlich an. Der Verfasser nennt sie:
„Pro Memoria, so ich meiner Gemahlin mitgegeben.“ ²)
„Wegen der griechschen Religion wäre zu versuchen, ob nach dem Exempel der Zarwitzen aus dem Braunschw. Hause ³) nicht die Lutherische bei zu behalten, oder Sie bei dem Baurglauben bleiben könne.
„Wenn es grosse difficultet setzt, wäre meine Tochter doch Erst zu instruieren, worin die difference bestehe und hat ein Professor in Halle Heineccius einen Tractat herausgegeben worin die deformietet der Lutherischen mit der griechschen deduzieret wird.4)
²) In den Papieren Katharinas II., welche in dem Reichsarchiv aufbewahrt werden, fehlt diese Schrift; wahrscheinlich hat die Fürstin-Mutter, als sie Russland verließ, das »Pro Memoria“ das ihr eigentlich gehörte und der Tochter nicht mehr nötig war, mitgenommen. Diese Schrift, von der eigenen Hand des Fürsten Christian August geschrieben, hat sich in dem Zerbstschen Archiv erhalten und ist von Siebigk, 143, herausgegeben. —
³) In dem Ehevertrag des Czarewitsch Alexei Petrowitsch mit der Prinzessin Charlotte Christine Sophie von Braunschweig-Wolfenbüttel wird der Prinzessin gestattet „nach dem Beispiel der englischen und dänischen Könige bei dem evangelisch-lutherischen Glauben, in dem sie geboren und erzogen war, zu verbleiben, und deshalb an ihrem Wohnorte für sich und ihre Umgebung eine Betkapelle zu haben.“ P. S. Z. No. 2854; Ustrjalow, VI. 25. —
4) Dieses Buch hatte die Prinzessin mit auf die Reise erhalten.
„Meine Tochter ist schon in ihrer Religion so fundiert, dass Sie die Grundsätze des wahren seligmachenden Glaubens erkennen, und dass niemand durch eigne Werke, Gelübde und Worte der Heiligen was verdienen noch erlangen könne, sondern dass alles aus dem Verdienst Christi des Sohnes Gottes herkommen müsse.“
„Was diesen Glauben ähnlich ist, kann Sie selbst prüfen und annehmen, das andere nicht. Wobei Sie dann die Lutherisch Bibel, Gebet und andere Bücher bei zu behalten und Gott anzurufen, dass Er Ihren glauben erhalten wolle, bis ans Ende.“
„Meine Tochter zu zwingen oder zuzureden eine fremde Religion darin Sie selbst Irrtümer findet anzunehmen ist nimmer zu raten, sondern wie ein jeder seines eigenen Glaubens leben muss, so kommt es auf ihr eigen Gebet zu Gott, auf eigenen Fleiß Prüfung und Willkür an, ob sie den griechischen Glauben anstößig halte, oder nicht? Und lieber eventualiter der Regentschaft sich begeben, als in Ihren Gewissen Anstoß leiden wolle.“
„Hiernegst da es eine epineuse Sache ist in ein fremdes Land das souverain regieret wird ohne jemand Vertrautes bei zu behalten, zu gehen. So ist neben dem fleißigen Gebet aufs äußerste zu rekommandieren, dass Sie allen ersinnlichen Respekt und nächst Gott die grösseste Hochachtung, Dienstfertigkeit der Kaiserin Maj. fußfällig beweise, sowohl wegen Dero unbeschränkten Macht, als auch aus recognoscence Ihrer mit Sacrificirung Ihres Lebens und Guts erzeigten Wohltaten, vornehmlich auch nach der Regel, was Du willst das künftig Dir geschehen soll, das tue Du auch.“
„Nach der Kaiserin Maj. hat Sie dem Großfürsten über alles als Herrn, Vater und Souverain zu respektieren und dabei ihre confidence und Liebe bei aller Gelegenheit durch Pflege und Tendresse zu gewinnen. Den Herrn und dessen Willen, allen plaisirs, Schätzen und was in der Welt ist vorzuziehen und nichts was Ihm zuwider oder nur einige peene mache zu begehen oder weniger auf eigenen Willen zu bestehen.“
„Nicht in familiarité oder badinage zu entrieren, sondern allezeit einigen egard sich möglichst konservieren.
Die Domestiquen und Favoriten des Herrn mit einer gnädigen Mine ansehen, ohne Ihre Dienste beim Herrn zu verlangen noch sie zu recompensiren, sondern allein an des Herrn Gnade und Liebe zu reponieren.
Niemand im Audienzgemach alleine sprechen und nach dortiger Ettiquette sich zu regulieren.
Grosse Spiele die einen geitz und Interesse marquiren hassen und meiden.“
„Das Handgeld, das irgend gegeben wird, selbst an sich zu nehmen und zu verwahren und davon successive einem Bedienten auf Rechnung was zu geben, damit Sie sich nicht unter der Curatel Ihrer Hofmeisterin und Bedienten begeben sondern freie Hand behalte, zu ihren Nutzen und Plaisir es anzuwenden, und davon selbst Gutes zu tun, damit Sie selbst die Liebe und Zuneigung Ihrer Klienten gewinnen und nicht andere vor Sie.“
„Allemal auf einen Vorrat von Gelde doch ohne Geitz, so viel der Wohlstand leidet bedacht zu sein.
Vor niemand sich interessieren weil man die Acta und Beschaffenheit der Sachen nicht einsehen und einen einseitigen Rapport nimmer trauen kann, der leidende Teil wird ein abgesagter Feind; und derjenige, den Mann mit dergleichen intercessiones durchhilft vergisst die Wohltat und sündigt hinfort mehr.
Insonderheit in keine Regierungssachen zu entrieren um den Senat nicht zu aigriren.
Mit keiner Dame oder sonst confident zu werden, nur alleine der Kaiserin Maj. und des Großfürsten Confidence zu gewinnen, in allen und gegen alle reservé sich zu halten. Denn bei der Nation dergleichen ausnehmend gefährlich.“
Fike war noch nicht 15 Jahre alt, als sie diese „gracieuses instructions“ ihres Vaters las. Sie brachten einen tiefen Eindruck auf sie hervor. „Ich beschwöre Sie“ — schreibt sie dem Vater — „versichert zu sein, dass Ihre Ermahnungen und Ratschläge für immer in meinem Herzen eingegraben sind, gleichwie die Samenkörner unserer heiligen Religion in meiner Seele.“ ¹)
Es ist nicht schwer zu erraten, welcher Art die Eindrücke waren, welche die junge Prinzessin von Zerbst durch das „Pro Memoria“ ihres Vaters erhielt. Diese dienstfertige Erniedrigung, diese vollkommene Verleugnung des eigenen Ich, diese sklavische Unterwürfigkeit unter einen fremden Willen konnten nicht anders als eine jugendliche Phantasie erschrecken und ihr die Zukunft in nicht sehr verlockenden Farben malen. Welche Vorstellungen von Russland und dem russischen Hofe die Prinzessin von Zerbst sich auch aus den Erzählungen und umlaufenden Gerüchten gemacht haben mochte, — diese „gracieuses instructions“ mussten bedrückend auf ihre Ansicht von dem ihr bevorstehenden neuen Leben in einem fremden Lande, unter fremden Menschen, wirken. Die Kleinlichkeit ähnlicher Ermahnungen selbst rechtfertigt das spätere Geständnis Katharinas, sie sei erzogen wurden, bloß um die Gemahlin eines kleinen benachbarten Fürsten zu werden. Weder durch ihre Eltern noch durch ihre Angehörigen und Erzieher war sie vorbereitet worden für die Rolle, welche sie zu spielen bestimmt war. Niemand, und am wenigsten Prinzessin Fike selbst, konnte erwarten, dass die Ermahnungen des Vaters bald verworfen würden als untauglich für die Szene, auf welcher sie zu handeln bestimmt war, und welche so wenig dem Schlosse in Zerbst ähnlich war, in dessen Mauern der Vater sein „Pro Memoria“ geschrieben hatte.
¹) Vom 29. Jan. 1744, aus Königsberg, im Sbornik VII, I; Siebigk 17. Die Lehren und Ratschläge, welche der Vater seiner Tochter beim Abschiede gab, waren natürlich gleichlautend mit den Ermahnungen im „Pro Memoria.“
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte Katharina II. Band 1 Abteil. 1