III. Wahl Sophiens zur Braut des Großfürsten.

Elisabeth Petrowna. Die Wendung des 25. November 1741. Berufung des Herzogs von Holstein. Bräute. Projekt Sachsens. Die Prinzessin von Zerbst.



III. Die jüngste Tochter Peter I. und Katharinas, das Kind der Liebe, welches seine Herkunft nicht kannte, Elisabeth Petrowna, hatte von ihren Eltern außerordentliche Schönheit geerbt. Sie war schlank, hatte schönes kastanienbraunes Haar und dunkle Augenbrauen, welche ihre großen blauen Augen hervorhoben; ihr war ein anziehendes Lächeln eigen, das leicht in scherzhaftes Lachen überging und eine Reihe weißer Zähne zeigte; sie war immer zuvorkommend gegen Fremde, freundlich gegen ihre Umgebung; lebhaft, liebenswürdig, heiter, brachte die Czarewna Elisabeth Petrowna einen bezaubernden Eindruck auf die Männer hervor. Der spanische Gesandte, Herzog de Lyna, welcher der Czarewna feindlich gesinnt war, nannte ihre Schönheit eine übernatürliche; die französischen Residenten La-Vie und Campredon nannten sie eine Schönheit. Nicht nur Männer, sondern auch Frauen gaben zu, dass sie sehr hübsch war. Elisabeth war schon weit über 30 Jahre alt und fing bereits an, stark zu werden, als die Fürstin von Zerbst sie sah und ein begeistertes Bild von ihr entwarf. Die Prinzessin war entzückt von der äußeren Erscheinung ihrer sogenannten Tante, selbst als diese schon über 40 Jahre alt and oft krank war.


Es ist schwer, alle Heiraten, die für sie geplant wurden, alle Bewerber um ihre Hand und alle die Glücklichen herzuzählen, die ihr Herz erwählte. Als Kind schon war sie der Gegenstand eines Heiratsprojektes mit dem König Ludwig XV., mit dem Herzog von Chartres, mit Condé, dem Herzog von Bourbon. Nach den französischen Bewerbern traten die deutschen Prätendenten hervor: der Prinz August, Bischof von Lübeck, der Herzog Ferdinand von Curland, Prinz Moritz von Sachsen, Prinz Friedrich von Sulzbach, der Markgraf Carl Brandenburg-Baireuth und selbst Prinz Peter Biron baten um die Hand Elisabeth Petrownas, sowie Don Manuel, Infant von Portugal, und der persische Prinz, Sohn des Schahs Nadir.

Den Ausländern standen die Russen nicht nach: Der Kaiser Peter II. war verliebt in seine schöne Tante, so wie der, dem Kaiser nahe stehende J. A. Dolgorukow, des Fürsten A. A. Menschikow gar nicht zu gedenken.²) Von diesen Bewerbern und Prätendenten erwiesen sich diejenigen als die Glücklichsten, die Elisabeth Petrowna selbst erwählte — vor allem „der Sklave ihres Herzens“, der Gardeoffizier G. B. Buturlin, der schöne A. J. Schubin, der Stallknecht Andrei Wosshinsky, der Page Ljalin, der Sänger Rasumowsky, der Kammerherr Schuwalow und vielleicht noch andere.

Die ganze Bildung Elisabeths beschränkte sich auf die französische und deutsche Sprache; dabei war sie vom Beispiel eynischer Ausschweifung und des lockersten Lebens umgeben.

²) Stadtarchiv II Nr. 56 (Copie des Briefes über den Plan einer Heirat des Markgrafen Friedrich Wilhelm mit der Czarewna Elisabeth Petrowna). Nr. 57 (Brief des Grafen Löwenwolde des Jüngeren an seinen Bruder, über die Wahl eines Bräutigams für die Czarewna Elisabeth Petrowna; perlustriert im Jahre 1768) und Nr. 58 (über den Plan einer Heirat des Prinzen Adolf Ton Schleswig-Holstein).

Die Czarewna hatte viel zu leiden von denen, welche die Macht in Händen hatten, — von Anna Jvanowna, Anna Leopoldowna, von Menschikow und Dolgorukow, von Biron und Ostermann. Um den Ranken am Hofe zu entgehen, die so weit gingen, sie in ein Kloster sperren zu wollen, zog sie sich in ihre Alexandrowsche Slobode zurück, wo sie mit ihrem Favoriten Schubin in Männerkleidern, die ihr so gut standen, auf den Feldern jagte und die Reihentänze der Dorfmädchen anführte. Bald tat sie, ohne sich zu schämen, Dinge, „vor denen die am wenigsten bescheidenen erröteten,“ bald verrichtete sie heiße Gebete vor dem Bilde der heiligen Mutter Gottes.“

Als Elisabeth Petrowna die Krone angeboten wurde, um derentwillen Anna Ivanowna aus Mitau nach Moskau eilte, wollte die Czarewna nicht einen Schritt tun, um ihre Rechte aufrecht zu erhalten. Es bedurfte 10 Jahre unerträglicher Verfolgungen und kleinlicher Unannehmlichkeiten von zwei Frauen, welche sich unter Anderem wegen ihrer Schönheit an ihr rächen wollten, bis sie sich entschloss, in die Kasernen zu gehen und die Soldaten zum Aufstande gegen die Macht aufzuwiegeln, der sie selbst nicht den Eid geleistet hatte.

Nach dem Tode Peter II. bestieg Anna Ivanowna den Thron. Sie regierte zehn Jahre und bestimmte vor ihrem Tode einen Säugling, den Sohn der Prinzessin von Mecklenburg und des Prinzen von Braunschweig-Lüneburg Ivan Antonowitsch zu ihrem Nachfolger auf dem Throne. Diese Bestimmung rief ein dumpfes Murren im Volke hervor. Warum war ein Kind von zwei Monaten zum Kaiser ernannt, und nicht seine Eltern, sein Vater oder seine Mutter? War es erhört, dass einem Kinde der Vorzug vor seinen Eltern gegeben wurde? Warum war einem Antonowitsch, dem Sohne eines Ausländers, der Vorzug vor Elisabeth Petrowna, der Tochter Peters des Grossen, gegeben? Auch die Bestimmung Birons zum Regenten, während der ganzen Zeit der „Unmündigkeit“ Ivans, erregte allgemeinen Unwillen, denn Biron war von Allen gehasst und, was noch mehr ist, verachtet.

Dass er ein Deutscher war, tat nichts — die Russen hatten in den letzten zehn Jahren schon angefangen sich an die Deutschen zu gewöhnen, da sie ihnen an allen höheren Posten begegneten: bei dem Kommando der Armee, in der Administration der Flotte, in den kaiserlichen Kollegien, im hohen Rate, — aber Biron war ein Eindringling, der auf unreinen Wegen die Macht erlangt und seine Stellung missbraucht hatte. Gegen ihn waren durchaus Alle, — der Hof, die Geistlichkeit, das Heer, besonders die Garde, d. h. alle höheren Stände des Reiches; gegen ihn war auch das Volk. Er wurde geduldet, so lange der Krönungsmantel der Kaiserin Anna Ivanowna, der Nichte Peters des Grossen, ihn deckte: mit dem Tode Anna Ivanownas war seine unwürdige Rolle zu Ende gespielt; er begriff das nicht — und ging zu Grunde; nach zwei Wochen schon wurde er verhaftet und nach Pelim in Sibirien verschickt.

Als Münich die Garde zur Verhaftung Birons führte, waren die Soldaten überzeugt, dass dieses eine Wendung zu Gunsten Elisabeth Petrownas sei. Allein in dem Manifeste vom 9. November 1740 wurde Anna Leopoldowna (wie ihr rechtgläubiger Name war), die Mutter des Säuglings Ivan, als Regentin erklärt. Dieser Name sagte dem russischen Herzen nichts, er war demselben fremd wie der Name Anton Ulrichs, Vater des kaiserlichen Kindes. Man betrachtete die Regentin wie früher den Regenten, als ein unvermeidliches, aber vorübergehendes Übel. Anna Leopoldowna selbst schien ihre Macht nur als eine provisorische, zufällige, anzusehen, niemand dachte an die Befestigung derselben.

Im Namen des Säuglings wurden Gesetze erlassen, Kriege geführt, das Reich regiert und intrigiert ohne Ende; — es intrigierten die Deutschen und die Russen, die eigenen und die fremden Minister, es intrigierten Weltliche und Geistliche, Männer, wie Frauen, — alle, welche Macht besaßen oder der Macht nahe standen.

Münich verhaftet Biron, Ostermann arbeitet daran, die Stellung Münichs zu untergraben. Ostermann erfährt dasselbe von Golowkin, Tscherkassky, Sr. Hochwürden Juschkewitsch. Über diesen Intrigen werden Kaiser und Reich vergessen. Die Furcht vor dem Einflüsse Julie Mengdens auf die Regentin beschäftigte die Gemüter mehr als die Angelegenheiten des Staates; man spricht von der steigenden Gunst Lynars, von den Misshelligkeiten in der Braunschweigischen Familie, das kaiserliche Kind ist ganz vergessen.

Bei feierlichen Gelegenheiten wird das Kind dem Volke gezeigt, so z. B. als die persische Gesandtschaft mit den ersten Elefanten, die in Petersburg erschienen, ihren Einzug hielt. Dann sah das Volk natürlich weder das Kind noch seine Mutter — diese waren immer durch Biron und Münich in den Hintergrund gedrängt — interessierte sich auch nicht für den Säugling, und wusste kaum, dass er durch seine Mutter ein Urenkel des Zar Ivan Alexejewitsch war, der seiner Zeit durch die grandiose Figur seines Bruders Peter Alexejewitsch bei dem Volke in Schatten gestellt war. Das Volk wusste nichts von dem Zaren Ivan, erinnerte sich wohl aber Peters, und suchte über den Köpfen der Günstlinge und der Regentin mit liebevollem Auge Elisabeth Petrowna, freute sich ihrer Schönheit und wunderte sich, dass nicht die Tochter Peters, sondern ein deutsches Kind auf dem Throne saß.

Seit mehr als einem Jahre schon wurde in den Kirchen für „die glückliche Regierung Ivans“ gebetet, und die Fürbitter sowohl als die Betenden konnten nicht begreifen, warum der Säugling Kaiser geworden war. Da gab die Cesarewna Elisabeth Petrowna in der Nacht von dem 24. auf den 25. November 1741 Befehl, die Regentin Anna Leopoldowna, ihren Gemahl, den Generalissimus Anton Ulrich und ihren Sohn Ivan zu arretieren, und proklamierte sich als Kaiserin. Das Heer, das Volk, ganz Russland nahm diese Umwälzung als etwas ganz Natürliches, Erwünschtes und langst Erwartetes auf.¹)

¹) Die Ausländer, welche den inneren Zusammenhang dieser politischen Umwälzung nicht kannten, wunderten sich über die Leichtigkeit, mit welcher dieselbe zu stände gebracht worden war. Sie behaupteten in allem Ernste, dass man in Russland „mit einigen Grenadieren, einigen Fässern Branntwein und einigen Säcken Gold alles machen konnte, was man wollte.“ In der Depesche des Sachsen Petzold heißt es wörtlich: „Es bedürfe bloß des Beistandes einer Anzahl Grenadiere, eines Kellers voll Branntwein und einiger Säcke Gold, um zu machen was man wolle.“ (Herrmann IV 685.) Dasselbe hat später Rulhière wiederholt „la facilité avec laquelle une révolution se fait en Russie (Rulhière 7). In unserer Zeit teilen noch diese Ansicht Herrmann, nicht bloß in seiner Geschichte des Russischen Staates (IV, 680), sondern auch in der späteren Broschüre (Hof, 272), Brückner in der „Russischen Revue“ (V, 98) und andere Deutsche. Das Schicksal der Braunschweigischen Familie hat diese Ansicht am besten widerlegt und deren Unhaltbarkeit bewiesen. Anton Ulrich, Generalissimus des ganzen russischen Militärs und nicht „einiger Grenadiere“; konnte dennoch die Macht nicht in seiner Hand behalten; Anna Leopoldowna, die als Regentin über alle Kellergewölbe voller Branntwein und über alle Geldsäcke des Reiches gebot, und die Mutter des seit einem Jahre schon anerkannten Kaisers war, fiel dennoch. Das Heer, das Geld und die Herrschaft niedriger Leidenschaften erwiesen sich bei solchen Gelegenheiten gewiss als ziemlich überzeugende Argumente, — aber doch nur mittelbar. Um eine dauerhafte politische Umwälzung hervorzubringen, bedarf es noch anderer, ernsterer Beweggründe; in dem gegebenen Falle wurden diese Beweggründe weder von Petzold noch von Rulhière, weder von Herrmann noch von Brückner und anderen, verstanden.

In dem ausführlichen, bei dieser Gelegenheit erlassenen Manifeste, suchte die Regierung zu beweisen, dass die Umwälzung überdies auch vollkommen gesetzlich war. Sie wies auf das „Testament der Kaiserin Katharina I. gesegneten Andenkens“ hin, wo im zweiten Artikel die Ordnung der Thronfolge, für den Fall dass der Großfürst Peter Alexejewitsch, später Kaiser Peter II., kinderlos stirbt, deutlich bestimmt ist: „Wenn der Großfürst ohne Erben aus dem Leben scheidet, so hat nach ihm die Cesarewna Anna mit ihren Descendenten, nach ihr die Cesarewna Elisabeth und ihre Descendenten, und nach ihr die Grossfürstin den Thron zu besteigen, wobei männliche Thronerben vor den weiblichen den Vorzug haben. Niemals aber soll Jemand in dem russischen Reiche herrschen, der nicht zur griechischen Kirche gehört, oder bereits eine andere Krone trägt. Die Czesarewna Anna, welche den Vorzug vor ihrer jüngeren Schwester hat, ist nicht mehr am Leben; ihr Descendent ist gesund und auch männlichen Geschlechtes und darum dem weiblichen vorzuziehen, allein er ist nicht zur griechischen Kirche gehörig, und darum liegt das formelle Recht auf der Seite Elisabeth Petrownas.

Aber was geschieht? Gleich nach dem Regierungsantritt schickt Elisabeth Petrowna, um die Thronfolge festzustellen, nach Kiel, zu dem Descendenten der Czesarewna Anna, ihrem Neffen, lässt den Herzog Peter Carl Ulrich²) kommen und beschleunigt seinen Übertritt zur Orthodoxie.

2) It is Said that the Duke of Holstein will be sent for, probably on her Majesty's resolution not to marry; he will be presumptive heir, a new rising sun, to be adopted and another instrument of a future revolution, whenever the janissaries grow weary of the present, and want to try a new government. (Depesche Finch’s vom 5. Dez. 1741. Londoner Archiv. Russia Nr. 88.) Mannstein 249.

Der Umstand, dass der Sohn Anna Petrownas, indem er zur griechischen Kirche übertritt, ein größeres Recht an den russischen Thron gewinnt, als seine Tante, macht Elisabeth Petrowna keine Sorge. War sie nicht Selbstherrscherin? Hatte sie nicht das Recht, das Testament ihrer Mutter nach Willkür umzuändern? Dieses Testament hatte seine Rolle ausgespielt — die Gesetzlichkeit der durch Elisabeth gemachten Umwälzung war durch dasselbe begründet, — und Elisabeth veränderte es aus eigener Machtvollkommenheit: ihr Neffe wurde Großfürst von Russland, Peter Feodorowitsch, und zum Erben des Thrones ernannt. ³)

³) Depesche Petzolda vom 5. Dez. 1742, im Sbornik VI. 465.

Blieb der Sohn Anna Petrownas in Kiel, so konnte er als Prätendent hervortreten, und mit Hilfe Frankreichs oder Schwedens gefährlich werden. ¹

In Petersburg aber, und zur Orthodoxie gehörig, war er nichts als ein russischer Großfürst und Thronfolger. Es blieb nur noch übrig für Descendenten des Thronfolgers zu sorgen und ihn zu verheiraten, um die Erbfolge des Thrones in der Zukunft zu sichern, und sich sowohl als das Reich vor den ,,schädlichen“ Offenbarungen des Mitleids mit dem Kaiser Ivan Antonowitsch zu schützen.²)

Elisabeth hatte im Namen „des Enkels Peters I.“ die Umwälzung hervorgebracht, durch welche sie den Thron gewann. In den Responsorien der Kirche wurde auf Befehl der Kaiserin nach ihrem Namen der Name ihres Nachfolgers, des Großfürsten Peter Feodorowitsch, des Enkels Peter I. und rechtgläubigen Herrn, genannt. Die Senatoren und die Grossen des Reiches waren außerordentlich missvergnügt darüber, dass sie, in einer so wichtigen Angelegenheit, nicht wie früher um ihre Meinung befragt worden waren. 3) Würde Elisabeth bei der Wahl der Braut ihres Nachfolgers nach der Meinung anderer fragen?

¹) The Duke of Holstein having been sent for in such great haste, is attributed to the Czarina's apprehension that this prince might hereafter be played off, by France and Sweden, as an engine against her. Her Majesty, by getting this young prince into her hands, thinks she has such an additional security, that she wants no more. Depesche von Finch vom 28. Jan. 1742. (Londoner Archiv, Russia Nr. 40.) Diese Kombination erwies sich richtig; nicht bloß durch den Krieg, den Schweden, immer bereit Russland Schwierigkeiten zu bereiten, gegen Russland führte, sondern auch durch die Ansicht Frankreichs von den gegenseitigen Rechten der Tante und des Neffen: Mais à ne rien dissimuler, la Czarine Elisabeth n’avait aucun droit à la couronne, soit qu' on la suppose héréditaire, soit qu' on pense que le souverain à droit de se nommer un successeur. Si c'était l’ordre de la naissance dans la famille qui appelât au trône, la couronne appartenait au neveu d’Elisabeth, Pierre, duc de Holstein, petit-fils du Czar Pierre I. par sa mère qui était soeur ainée d'Elisabeth; si au contraire le choix du souverain est une loi qu'il faille respecter, la couronne était lègitimement portée par Jean de Brunswick, désigné successeur par la Czarine Anne. (Pariser Archiv, Russie, Memoires et documents vol. I. pièce L). —

²) Andere Beweggründe führt Helbig an: „Religiöser Aberglaube, der der griechischen Kirche einen Proselyten zuführen wollte, natürliche Gutmütigkeit, die den Sohn ihrer Schwester glücklich zu machen wünschte, und Hang zu einer zügellosen Wollust, die außer der Ehe leichter befriedigt werden konnte. Helbig, Biographie I, 28. —

3)The Empress had proclaimed him without communicating. Her design to the privy Council, the Senate or any person of distinction. Depesche Finch's vom 8. Nov. 1742. (Londoner Archiv, Nr. 42.) Depesche Petzold's vom 15. Dez. 1742 im Sbomik VI, 403. —


Es war schon ein Jahr seit der neuen Regierung vergangen, und das politische System des russischen Hofes stand noch nicht fest und war für viele unklar. Im Laufe dieses Jahres fand am russischen Hofe, an den Stufen des Thrones ein verwickelter Kampf um politischen Einfluss statt. Die Wahl einer Braut für den Erben des russischen Reiches, einen schwachen, kränklichen Jüngling, war vielleicht die Wahl einer zukünftigen Kaiserin von Russland, und bildete eine ernste Frage der Politik, nicht nur für die russische Regierung, sondern auch für die auswärtigen Höfe.

Der Leibmedikus Lestocq, der Ober-Hofmarschall Brümmer, der Vize-Kanzler Bestushew, der französische Gesandte Marquis de la Chétardie, der preußische Baron Mardefeld, der sächsische Resident Petzold — alle politischen Faktoren, die eigenen wie die fremden, sehen in der Wahl der Braut ein Anzeichen des zukünftigen, politischen Programmes, welches ihrer Meinung nach, — wenn es auch das System selbst nicht bestimmte, doch die Richtung desselben anzeigen musste, und sie setzten alle ihre Bemühungen daran, um diese Wahl mit ihren Interessen zu vereinbaren. Man sprach Elisabeth Petrowna bald von einer englischen, bald von einer französischen Prinzessin, schlug ihr die Tochter des Königs von Sachsen vor, nannte ihr die Schwester des Königs von Preussen, — die Kaiserin hörte alle an, gab aber keine entscheidende Antwort. ²)

Der sächsische Resident Petzold meldet dem Grafen Brühl: „Da Frankreich sich hier immer noch desselben Wohlwollens erfreut, habe ich Lestocq gebeten, mir aufrichtig zu sagen, ob noch an eine Heirat des Herzogs von Holstein mit einer französischen Prinzessin gedacht wird. Obgleich er diese Heirat eine Chimäre nennt, und Brümmer sich in gleicher Weise gegen den Vize-Kanzler geäußert hat, so sehe ich es doch nur für Heuchelei an; — wenn die Zeit da ist, so werden wir alle durch die Wahl der Braut überrascht werden, wie jetzt durch die Bestimmung des Herzogs zum Erben des Thrones ¹)

Petzold hätte es natürlich vorgezogen, den russischen Hof durch Familienbande mit dem sächsischen Hofe zu verbinden. Die Tochter des Königs von Polen, August III., eine sächsische Prinzessin, Maria Anna, war hübsch, von altem Geschlecht, und eine Altersgenossin des Großfürsten, — sie war 16 Jahre alt, wie Peter Feodorowitsch. Dieses Heiratsprojekt wurde jetzt von dem „allmächtigen“ Vize-Kanzler befürwortet, welcher unlängst noch eine Verbindung mit dem preussischen Königshause vorgeschlagen hatte. ²) Der kluge Graf Bestushew Rjumin sah in dem sächsischen Heiratsprojekt eine Befestigung der Verbindung Russlands mit Österreich, Holland und England gegen Frankreich und Preussen, ein System, welches ein Vermächtnis Peters des Grossen war; er sah darin auch eine Befestigung seiner eigenen Stellung am Hofe, und setzte seinen ganzen Einfluss, seine Klugheit und Erfahrung an die Unterstützung dieses Projektes.

Nach der Ansicht des preussischen Gesandten Mardefeld -war dieses Projekt „unmöglich“; aber was konnte Mardefeld, der vor ein paar Monaten noch auf die Bitte des russischen Hofes, als der Kaiserin missfällig, aus Petersburg entfernt werden sollte? Alle deutschen Bräute wurden durchgenommen; es wurde keine „passende“ gefunden als die sächsische Prinzessin; so machte man sich denn nur Sorge wegen der französischen Bräute, welche durchaus nicht eine Chimäre zu sein schienen.

¹) Depesche vom 4. Dez. 1742, im Sbornik VI, 446. Schon in der Depesche vom 25. Jan. erwähnt Petzold der französischen Prinzessin (VI, 397). Diese „französische Prinzessin“ verfolgte ihn wie ein Cauchemar, so dass der Sachse darüber die Prinzessin von Zerbst übersah. — ²) Siehe Anhang I. — Polit. Cor. II 252.

Im März 1743 erschien der Prinz August von Holstein in Petersburg. Es war kein Zufall, dass er Elisabeth Petrowna das Bild seiner Nichte, der 14 jährigen Prinzessin Sophie Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst, brachte. Das Bild scheint nicht besonders gut gewesen zu sein; der Lehrer des „Bräutigams“ Stelin spricht sich folgendermaßen in seinem Tagebuche darüber aus: „Ankunft des Prinzen August von Holstein. Se. Durchlaucht hat Ihrer Majestät das Bild der Prinzessin von Zerbst gebracht, welches von Paine in Berlin gemalt worden ist. In diesem Bilde kann man den Pinsel dieses Künstlers kaum noch erkennen, weil er im Alter seine Kraft und sein schönes Talent eingebüsst hat. Trotzdem hat selbst in diesem schlechten Bilde die ausdrucksvolle Physiognomie der jugendlichen Prinzessin der Kaiserin gefallen. Auch der Großfürst Peter Feodorowitsch hat das Bild nicht ohne Vergnügen betrachtet

Friedrich II. freute sich, als er hörte, das Bild der Prinzessin von Zerbst habe einen günstigen Eindruck auf die Kaiserin und den Großfürsten hervorgebracht; — das sächsische Heiratsprojekt, welches zudem noch von Bestushew, dem Feinde Preussens, unterstützt wurde, war gegen seine Interessen: „Um das sächsische Projekt zu zerstören“ — schrieb er an Mardefeld, — „schlagen Sie doch eine Prinzessin aus irgend einem alten herzoglichen Hause Deutschlands vor. In Bezug auf meine Schwestern kennen Sie meine Ansicht — ich gebe keine von ihnen nach Russland. Ich wundere mich, dass die Kaiserin nicht bei ihrer Wahl der Prinzessin von Zerbst stehen bleibt, da sie von holsteinischem Geschlecht ist, welches die Kaiserin so sehr liebt.

Es sind auch in Hessen -Darmstadt noch zwei Prinzessinnen, von denen die eine 20 und die andere 18 Jahre alt ist.“

Dieses Reskript des Königs von Preussen an Mardefeld ist am 24. November 1748 eingetragen; in demselben erwähnt Friedrich II. zum ersten Male der Prinzessin von Zerbst, und zwar in einer unbestimmten Weise, zugleich mit den Prinzessinnen von Hessen-Darmstadt, welche er noch im Dezember vorschlägt, als Elisabeth Petrowna ihre Wahl einer Braut für den Großfürsten schon getroffen hatte, und die Fürstin Johanna Elisabeth dem Könige ihr Vorgefühl mitteilte, dass die Kaiserin ihre Tochter zur Gemahlin ihres Neffen, des Großfürsten Peter Feodorowitsch, bestimmt habe.“

Elisabeth Petrowna hörte alle Vorschläge an, erwog alle Heiratsprojekte, verwarf sie, und blieb bei der Wahl der Prinzessin von Zerbst. Sie handelte in dieser Angelegenheit vollkommen selbständig. Ein Diplomat jener Zeit, welcher den Gang dieser Angelegenheit mit Aufmerksamkeit verfolgte, und bei deren Entscheidung interessiert war, schrieb an sein Ministerium: „Bei dieser Gelegenheit können wir nicht anders als bemerken, dass die Kaiserin die Angelegenheit der Heirat des Thronfolgers wiederum entschieden hat, ohne sich vorher mit den Ministern zu beraten, gerade wie bei der Bestimmung des Großfürsten zu ihrem Nachfolger. Man kann daraus schließen, dass sie den Grundsatz hegt, dass innere und Familienangelegenheiten dem Urteile ihrer Minister nicht unterliegen.“

„Als die Wahl der Kaiserin schon auf die Prinzessin von Zerbst gefallen war, teilte sie es dem Vize-Kanzler unter der Bedingung des tiefsten Schweigens mit.

Sie sagte ihm, dass man ihr viel von einer französischen Prinzessin gesprochen, dass sie auch an die königlich polnische Prinzessin gedacht habe, es am Ende aber doch als das Beste erachtet habe, als Braut für den Großfürsten eine Prinzessin zu wählen, die zwar aus einem alten, aber kleinen Geschlechte und protestantischen Glaubens war, damit die Verbindungen und die Suite der Prinzessin bei dem hiesigen Volke keine Aufmerksamkeit und keinen Neid erregen. Sie glaube, dass die Prinzessin von Zerbst allen diesen Bedingungen entspräche, um so mehr, als sie dem Hause Holstein schon verwandt sei.¹)

In den ersten Tagen des Dezember-Monats 1743 trug Elisabeth Petrowna Brümmer, als dem Hofmarschall des Herzogs von Holstein, auf, die regierende Fürstin von Zerbst und ihre Tochter nach Petersburg einzuladen. Der Brief Brümmers trägt das Datum des 6. Dezember. Am 10. März meldete Chétardie nach Paris: „Gestern Abend war Lestocq bei mir und teilte mir mit, dass die Wahl der Braut entschieden ist. Die Czarina hat heimlich 10,000 Rubel, was 40,000 Lire macht, der Fürstin von Zerbst geschickt, und sie eingeladen, so schnell als möglich nach Petersburg zu kommen.²)

Als der Entschluss der Kaiserin mehr oder weniger bekannt wurde, bemühten sich die Personen, welche sich davon einen Vorteil versprachen, die Tatsache dieser Wahl zu ihrem Nutzen auszubeuten. In den bereits angeführten Briefen an die Fürstin Johanna Elisabeth schreibt Brümmer den Erfolg ohne Weiteres seinem persönlichen Einflüsse auf die Kaiserin zu, und Friedrich II. stellt seine Dienstleistungen in den Vordergrund. Weder der eine noch der andere erwähnt dessen mit einem Worte, dass die Wahl der Braut für den Erben des russischen Thrones ausschließlich Elisabeth Petrowna zuzuschreiben war.

¹) Depesche Petzold's vom 1. Februar 1744. Im Sbomik VI. 405. —
²) Pariser Archiv, Russie, vol. 43, 283. Perlustration im moskauschen Archiv des auswärtigen Ministeriums Ssoloview XXI. 820. —


Beide rieten sie indessen der Fürstin Johanna Elisabeth, den Hauptzweck ihrer Reise nach Russland geheim zu halten. Weshalb? Hauptsächlich deshalb, weil man es zu der Zeit liebte, jede Kleinigkeit in ein Geheimnis zu hüllen. Man kann es wohl kaum Zartgefühl nennen oder als den Wunsch erklären, die Prinzessin von Zerbst nicht zu kompromittieren, im Falle die Heirat aus irgend einem Grunde nicht zustande käme. In dem vorliegenden Falle spielte der Wunsch, ihre Verdienste bei der Gestaltung des Schicksals ihrer Tochter in den Augen der Mutter zu erhöhen, wohl eine grosse Rolle.

Sobald die Braut des Großfürsten gewählt und die Einladung „ohne Verzug“ nach Petersburg zu kommen, abgegangen war, begannen die Ränke, die man wohl voraussehen konnte, die aber doch hätten beseitigt werden müssen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte Katharina II. Band 1 Abteil. 1