Runen. Runenstäbe. Runenbücher. Helsinger Runen

Zu den Eigenheiten dieser Nation in alten Zeiten gehörten die Runen. Dies waren gewisse Figuren, die Bedeutungen hatten; anfangs wurden sie zu Denkmählern gebraucht, die man berühmten Männern nach ihrem Tode errichtete; hernach aber wurden sie auf Alles angewandt. Man sah unter dieser Benennung mit Buchstaben bezeichnete Steine, größerer und kleinerer Art; teils simpel, teils verziert, nach Maßgabe der Zeitalter und Geschlechter. Ihr Ursprung verliert sich in der Nacht des Altertums, und wurde für heilig gehalten; auch fand man in der Edda die Worte: „Die heiligen Götter“ und der mächtige Alte haben zuerst Runen „geschnitzt.“

Es waren jedoch höchst wahrscheinlich die Scythen, eigentlich die Völkerschaft der Wodiner, die diese Runen in Schweden einführten, wo davon nach und nach ein sehr ausgedehnter Gebrauch gemacht wurde. Ursprünglich simple Monumente, hernach zu Inschriften auf Grabhügeln bestimmt, wurden sie bald die Chroniken des Landes, und endlich den Schweden ihr Alles: ihre Denksteine; ihre Reliquien; ihre moralischen Lehrbücher; ihr Codex; ihre Rechentafeln; ihre Wörterbücher; ihre Zauberinstrumente; ihre Grabmähler; ihre Liedersammlungen, und ihre Kalender. Von den Steinen ging man auf Holz über, und zwar machte man dünne Scheiben von Buchenholz, worauf man diese Buchstaben einschnitt; hernach schrieben die Schweden nach eben dieser Schnitt-Weise auch auf Bast, Baumrinde und Felle, endlich auch auf Münzen, welches bis zum zwölften Jahrhunderte statt hatte. Das Runenschneiden wurde eine Kunst, die, durch das allgemeine Bedürfnis, bald ihre Höhe erreichte, hernach aber ausartete; auch gedenkt die Geschichte zwei berühmter Runenschnitzer, Ubir und Bali, die im elften Jahrhunderte in Schweden durch ihre besondere Geschicklichkeit Aufmerksamkeit erregten.


Die sogenannten Zauberer schnitten Runen in hölzerne Klötze, beschmierten sie mit Blut, und sagten dabei Gebete oder geheimnisvolle Worte her; war Unglück bei der Zauberei beabsichtigt, so stießen sie schreckliche Flüche aus, und warfen sodann den Klotz in die See. Man zählte wohl zwanzig Arten von Runen, von denen die in Klassen geordneten Zauberrunen den größten Teil ausmachten. Sie waren in wohltätige, schädliche und täuschende geteilt; Charaktere, die noch jetzt von magischen Gauklern gebraucht werden. Eigentlich aber war sechzehn die Zahl der Runen oder Buchstaben, die im allgemeinen Gebrauche, und für die Sprache der alten Schweden und Goten hinreichten. Eine jede Rune hatte einen Namen und auch ihren eignen Denkspruch; diese bezeichneten teils eine simple Bemerkung, als: „Jeder Fluss hat seine Mündung.“ — „Viel Reiten verdirbt das Pferd.“ — „Das Eis ist die breitste Brücke.“ — Teils hatten sie einen moralischen Sinn; als: „Eigentum ist der Freunde Hader.“ — „Not ist eine harte Kost.“ „Der Mensch ist des Staubes Vermehrung etc.“

Außer diesen National-Runen waren in einigen Provinzen, besonders in Helsingland, andre üblich. Man hatte hier fünfzehn an der Zahl, die man füglich Provinzial-Runen nennen kann; diese zeichneten sich durch ihre große Simplizität aus, die ganz die Kindheit der Volkskultur bewies. Es waren lauter einzelne Striche, zwölfgerade, und drei etwas gekrümmte, die durch ihre ungleichen Stellungen und Richtungen mit den heutigen Telegraphen viel Ähnlichkeit hatten. Ihre Bedeutung war verloren gegangen; sie wurden daher lange als Hieroglyphen betrachtet, bis im Jahr 1675 ein gelehrter Schwede, Magnus Celsius, sie enträtselte.

Zu der Anwendung der Runen gehörten auch die sinnreich ausgedachten und wohlausgeführten Runstäbe, die viereckig, mit Charakteren und Bilden bedeckt, und zu mancherlei Gebrauche waren; vorzüglich aber, vermittelst einer sinnreichen Einrichtung den alten Schweden zu Kalendern dienten. So bedeutete der Pflug über den 21sten März, den Anfang der Ackerbauarbeiten; der Kuckuck über den 25sten April, die Zeit, wo dieser Vogel gewöhnlich anfängt sich hören zu lassen; der kahle Baum über den 14ten Oktober den Anfang des Winters u. s. w. Man sah ferner auf diesen Runstäben den Sonnenzirkel, die goldne Zahl, und andre auf die Veränderung der Jahreszeiten Bezug habende Dinge. In der Folge waren auch die heiligen Tage und andre mit dem Christlichen Gottesdienste verbundenen Gegenstände auf diesen Stäben bemerkt.

Die Runenbücher, von denen sich noch eins, Hiolmars-Saga, im Königlichen Archive zu Stockholm befindet, wurden lange in großen Ehren gehalten, und waren in beträchtlicher Anzahl, bis sie im Anfange des elften Jahrhunderts auf Königlichen Befehl, aus Christlichem Religionseifer, und weil man die lateinischen Buchstaben einführen wollte, alle verbrannt wurden. Dies hinderte jedoch nicht, dass die Runen selbst bei dem gemeinen Volke noch einige hundert Jahre lang, vornehmlich auf Runsteinen und Runstäben im Gebrauche blieben; und auch noch bis auf den heutigen Tag werden sie von den Dalecarliern zur Bezeichnung der Bäume in den Wäldern gebraucht, da diese Dalmänner die Runen besser, als die Schwedischen Buchstaben kennen.

Die Helsinger Runen, die durch ihre große Einfachheit, rohen Menschen, die alle Erlernung scheuen, angenehm sein mussten, waren nach dem Untergange der Runenbücher, noch einige hundert Jahre länger im Gebrauche; auch fand man deren in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts in Schweden noch über fünfzehn hundert; als Reste von Denkmählern; in Dalecarlien aber wurden in dieser uns so nahen Zeit noch hin und wieder Spuren ihrer förmlichen Beibehaltung gefunden.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte Gustavs Wasa Königs von Schweden. Band 1