Gerstäcker, Friedrich (1816-1872) Reiseschriftsteller. Biographie

Allgemeine Deutsche Biographie Bd 9 (1879)
Autor: Ratzel, Friedrich (1844-1904) deutscher Zoologe und Geograph, Erscheinungsjahr: 1879
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Gerstäcker: Friedrich G., Reisender, fruchtbarer Schilderer und Erzähler, geboren den 10. Mai 1816 zu Hamburg als Sohn des Sängers Friedrich Gerstäcker (1790-1825), erlernte wider seinen Willen in Kassel die Kaufmannschaft, und widmete sich dann zu Döben bei Grimma der Landwirtschaft. 1837 wanderte er über Bremen nach Amerika aus, wo er unter wechselndem Aufenthalt in Newyork und anderen Städten Streifzüge durch verschiedene Teile der Vereinigten Staaten ausführte und nach ächt amerikanischer Sitte in den verschiedensten, mitunter abenteuerlichen, Lebensstellungen sein Glück versuchte. 1843 nach Deutschland zurückgekehrt, war er literarisch tätig mit der Herausgabe der Schilderungen seiner Streifzüge und zum Theil darauf gegründeter Romane und Erzählungen und machte dann, vom damaligen Reichsministerium zu Frankfurt unterstützt, von 1849–52 eine zweite Reife durch Südamerika, Californien, die Sandwich- und Gesellschaftsinseln, das südöstliche Australien und einige Teile von Niederländisch-Indien. Im Jahre 1860 trat er eine dritte Reise an, deren Hauptzweck der Besuch deutscher Kolonien in Südamerika und Erhebungen über die Möglichkeit einer Hinlenkung des deutschen Auswandererstromes nach diesem verheißungsvollen Erdteile war. Sie führte ihn über die Landenge von Panama nach Ecuador, Peru, Chile, Uruguay und Brasilien. Er kehrte 1861 nach Deutschland zurück. Im folgenden Jahre begleitete er den Herzog Ernst von Coburg-Gotha nach Ägypten und Abessinien. 1867–68 unternahm er eine vierte transatlantische Reise, auf welcher er Teile von Nordamerika, Mexico, Ecuador, Venezuela und Westindien durchzog. Früher in Leipzig und Gotha wohnhaft, lebte er in den letzten Jahren in Dresden und Braunschweig und starb in der letzteren Stadt am 31. Mai 1872. Gerstäcker’s Reisewerke, unter denen die bedeutendsten „Reisen“ (5 Bde., 1853–54) und „Achtzehn Monate in Südamerika“ (3 Bde., 1862), traten an Zahl und Bedeutung weit hinter seinen Romanen zurück. Die letzteren sind es vorzüglich, welche ihm zu dem Rufe und der Beliebtheit verhalfen, die er bei einem großen Theil der deutschen Lesewelt genoss. Daneben hat er eine ausgebreitete journalistische Tätigkeit entfaltet, die unter anderem in der Verteidigung der Interessen deutscher Auswanderer und Ansiedler in fernen Ländern, besonders Südamerika, und in der immer wiederholten Betonung der Notwendigkeit fester nationaler Institutionen für die Vertretung unserer Interessen in den außereuropäischen Ländern, Ziele setzte und Erfolge errang, welche Deutschlands Dank verdienten und das zumal in politisch schläfrigen Zeiten wie vor 1848 und nach 1850. Seine ersten Romane waren: „Die Regulatoren in Arkansas“ (3 Bde., 1846) und „Die Flusspiraten des Mississippi“ (3 Bde., 1848). Zwischen diesen und dem letzten „Ein Plagiar“, der in Mexiko spielt, liegt eine lange Reihe von Romanen und Erzählungen, welche alle Länder und Meere der Erde, mit Vorliebe aber die heißen, leidenschaftseichen Tropengegenden zu ihrem Schauplatz wählen. Die reichen Erfahrungen Gerstäcker’s sind hier mit rasch gestaltender Phantasie zu kecken, naturwahren Bildern verwoben, denen es zwar oft an künstlerischer Durcharbeitung und Vertiefung, nie aber an Lebensfülle und spannender Handlung fehlt. Man sagt, daß das stoffliche Interesse in denselben das künstlerische weit überwiege und es wird freilich eine lebendige Dauer über den Bestand eben jenes Interesses hinaus keinem seiner Werke zuzusprechen fein, da weder Tiefe der Gedanken noch Formschönheit sie klassisch erscheinen lässt. Aber der Name „Naturschriftsteller“, mit dem man Gerstäcker bezeichnet hat, sollte nicht geringschätzig gebraucht werden, denn die Naturwüchsigkeit, Kraft und Lebenstreue seiner Schilderungen und Dichtungen, seine Anlehnung an die große Natur waren ein gesundes und wohltuendes Element in einer Literatur, die, wie die deutsche zur Zeit seines ersten Auftretens, an epigonenhafter Überfeinerung und an binnenländisch-kleinstädtischer Enge des Gesichtskreises litt. Wissenschaftliche Resultate hat Gerstäcker auf seinen zahlreichen Reisen nicht erzielt, übrigens auch nicht gesucht; selbst seine Naturbilder sind bei aller Wirksamkeit selten genau und detailliert genug, um in der schildernden Geographie Verwertung finden zu können.

Friedrich Gerstäcker

Friedrich Gerstäcker