Fortsetzung

Der Redner hatte seinen Zweck vollkommen erreicht: nie hatten die bürgerlichen Ritter es lebhafter und bestimmter gefühlt, wie demütigend für sie und wie unheilbringend für das Land der gedachte Paragraph sei, nie hatten sie so von Mut und Drang für die gute Sache geglüht. Der Adel aber war wie niedergedonnert, wie in Ohnmacht gefallen, und als er von derselben zum Ingrimm erwachte, schrie Alles durcheinander und ihre Demagogen selbst hielten die wenigen Redelustigen, die als Freiwillige vortraten, zurück, denn man fühlte recht gut, dass man einem solchen Redner keinen Ebenbürtigen entgegenzustellen habe. Mehrere jüngere Adlige aber, die den Heißsporn spielten und stolz darauf taten, dass ihre Vorfahren das Faustrecht geübt, hatten angeblich immer schon viele Lust gehabt, den Knoten wie weiland Alexander mit dem Schwerte zu durchhauen; diese sprachen nun in einer eigends dazu angesetzten Konferenz ein Langes und Breites darüber, wie es anzufangen sei, den Doktor Bauer auf gute Manier zum Duell zu kriegen. Da reckte sich gähnend der gewaltige Hüne von Unband auf Schadeland, denn das endlose Gerede der Leute machte ihm große Langeweile, und sagte: Wisst ihr was, Kinder, lasst mir das Doktorchen; ich habe mich seit Göttingen her nicht gepaukt und möcht' das Ding für mein Leben gern mal wieder probieren. Mit ungemeiner Bereitwilligkeit ließ man ihm auch sofort den Doktor, obgleich man wusste, dass dem von Unband, um seinen eigenen Ausdruck zu gebrauchen, der ganze ritterschaftliche „Trödel“ ungeheuer „Wurst“ sei. Der von Unband auf Schadeland war aber auch ganz der Mann, von dem man nicht zu fürchten brauchte, dass er sich bei einem Duell kompromittiere. Von der Natur mit einem unverwüstlichen Körper und einer ihn nie verlassenden Jovialität begabt, war Unband unter der laxen Aufsicht einer zärtlichen Mutter schon als Knabe zu einem Meister in allen tollen und übermütigen Streichen geworden, so dass er in dieser Beziehung sogar auf der Universität nichts mehr lernen konnte, sondern auf derselben sofort der Gegenstand allgemeiner Bewunderung ward. Als die Vormünder ihm Schadeland übergeben hatten, setzte er hier seine gewohnte Lebensart fort. Ein Kirchturmrennen mitreiten, die Nacht am Pharaotisch sitzen und dann zu einer Hetzjagd aufspringen, die kleinen Städte der Nachbarschaft, einmal sogar bis zum Läuten der Sturmglocke in Angst und Schrecken setzen, von dem Wirtshauskellner, der ihm das geforderte Viertel Wein bringt, statt der Viertel Flasche ein viertel Anker verlangen, in fremden Revieren jagen, Chausseeböcke umfahren, — das waren so seine kleinen Amüsements. Er wollte freilich die Sache im Großen treiben und sich dem berühmten Lord Waterford anschließen, aber seine alte Mutter hing so sehr an den Wildfang, dass sie ihm keinen Urlaub geben wollte; das wäre ihm nun an sich eben nicht sehr zu Herzen gegangen, aber sie fügte die Drohung hinzu, dass sie ihm bis ans Ende der Welt nachreisen werde, und das war denn allerdings außer allem Spaß.

Unband ging nun sogleich ans Werk. Er ließ sich dem Doktor Bauer in bester Form vorstellen und begann alsdann den Handel mit folgender Anrede: Auf Ehre, Doktor, Ihr könnt parlieren wie ein Advokat und ich war während Eurer Rede himmelangst, dass mein alter Ohm, der geheime Kriegsrat, vor Wut bersten würde. Doch seht, ich bin, was man einen Edelmann von alter Familie nennt und die Unbands haben schon seit Olims Zeiten im Lande Mecklenburg randaliert, ja, ich bin sogar Johannitterritter und da darf ich denn solche Rebellion, wie Ihr sie da macht, nicht leiden. S'ist freilich ein wunderliches Ding mit dem Adel, aber, seht, bei mir heißt's: Ein Hundsfott, wer seine Fahne verlässt. Ergo, wie wir Lateiner sagen, müsst Ihr blaue Bohnen mit mir essen. Ich bitt Euch nun, sagt mir das im Guten zu, denn sonst müsst ich Euch erst insultieren und das sollte mir auf Ehre sehr leid tun, denn Ihr seid, der Teufel hol', ein ganzer Kerl.


Der Doktor Bauer besah sich seinen Mann erst gehörig und erwiderte ihm sodann ohne weitere Diskussion, wie er nach dem Schlusse des Landtags jeder Zeit zu seinen Diensten stehe, worauf er sich mit einer kühlen Verbeugung beurlaubte. Unser Unband besaß so viel Unverschämtheit wie nur irgend ein Anderer, aber er fühlte sich dennoch durch die sichere, ruhige Manier, mit welcher ihn der Doktor abgefertigt hatte, gewissermaßen, wie man sagt, aufs Maul geschlagen. Doch konnte er unmöglich so verdutzt da stehen bleiben und er drehte sich also, nachdem er noch in den Bart gebrummt, das ist aber ein verteufelt vornehmer Kerl, auf dem Absatz um und ging, um seinen Auftraggebern zu rapportieren.

Der Doktor Bauer war nicht bloß in der Theorie ein Gegner des Duells, sondern würde auch den Mut gehabt haben, in einer ihn rein persönlich betreffenden Sache die Annahme eines solchen zu verweigern; er vertrat aber hier die Sache seiner Partei und glaubte aus Rücksicht auf dieselbe dem Adel auch nicht einmal den zweifelhaften Vorteil eines vergeblich angebotenen Duells lassen zu dürfen, hoffte vielmehr durch die Annahme des auf so brüske Art gesuchten sogenannten Ehrenhandels demselben eine nicht unbeträchliche Schlappe beizubringen. Wirklich entlud sich auch auf Unband und Konsorten der Tadel aller Parteien, denn selbst der größere und bessere Teil des Adels fühlte, dass durch solche Mittel seiner Sache mehr geschadet als genützt werde*); auch wurde Unband auf dem folgenden Landtage von den fürstlichen Kommissarien gänzlich ignoriert und nicht ein einziges Mal zur Landtagstafel gezogen, aus welchem Allen er sich freilich bei seinem Naturel sehr wenig machte.

*) Es scheint sich also wenigstens in dieser Beziehung der Geschmack unseres Adels sehr geändert zu haben, denn noch unter Karl Leopold klagte die Ritterschaft auf Aufhebung des von demselben erlassenen Duelledikts, da dasselbe „ihrer Ehre und ihrem auswärtigen Ruhme nachteilig sei“.

Das Duell war übrigens gleich nach dem Landtage hart an der Grenze vor sich gegangen und Bauer hatte in demselben eine freilich nicht gefährliche, aber doch große Schonung heischende Wunde davon getragen und musste sich, da der Arzt durchaus nicht zugeben wollte, dass er weiter als bis zum nächsten Orte fahre, bei unserem alten Bekannten, dem Baron Neuerung, auf dessen Feldmark man sich geschlagen, einquartieren. Unband, dem die Verwundung des ihm immer vornehmer erscheinenden Bauer herzlich leid tat, ritt, vorauf und bestellte das Quartier, welches der je älter, je geiziger werdende Baron aber erst nach vielem Schimpfen und Fluchen von Seiten Unbands bewilligte, der ihm zuletzt erklärte, er sei eben so wenig ein Kavalier wie seine alte Petze, wenn er einem im Duell verwundeten Mann die Aufnahme versage.

Das Gerücht von diesem Duell war auch zu Roswithen gedrungen und das Gerücht hatte nach seiner alten Gewohnheit Bauers Wunde alsbald zu einer solchen gemacht, an welcher er unbedingt sterben müsse. Der tiefe Schmerz, der Roswithen bei dieser Nachricht ergriff, machte es ihr erst klar, wie sehr, dieser Mann ihre Achtung und, wie sie der Wahrheit gemäß hätte hinzusetzen müssen, auch ihre Neigung gewonnen habe. Um aus der peinigenden Ungewissheit über seinen Zustand herauszukommen, entschloss sie sich rasch, den Baron zu besuchen. Bei ihren verwandtschaftlichen Verhältnissen zu demselben konnte dieser Besuch dritten Personen nicht auffallen, und was den Baron selbst betraf, so hatte derselbe, der durch sie Geschmack an der Lektüre gewonnen und aus Dankbarkeit dafür keine anderen Bücher las als solche, welche sie ihm leihen konnte, sie oft und dringend um ihren Besuch gebeten. Sie traf den Doktor Bauer, der schon am folgenden Tage nach Mannhagen abreisen wollte, fast völlig wiederhergestellt. Sie konnte ihre Freude darüber nicht verbergen und hätte es auch nicht mehr mögen, als sie gesehen hatte, wie wohl dieselbe dem Doktor tat. Dieser schob nun seine Abreise noch um einen Tag hinaus, um Gelegenheit zu einer ungestörten Unterredung mit Roswithen zu erlangen; während seines Krankenlagers war der Entschluss, dieselbe um ihre Hand zu bitten, in ihm gereift und er wollte nun möglichst bald ihre Entscheidung haben. Aber als er sie am folgenden Tage fragte, ob sie seinen Kindern die Mutter ersetzen und ihm die fernere Lebensgefährtin sein wolle, sagte sie doch nicht gleich Ja — das wäre ein Formfehler gewesen, sondern sie erbat sich noch erst, einem altehrwürdigen Herkommen gemäß, einige Tage Bedenkzeit. Für den Doktor, dem freilich starke Indizien vorliegen mochten, dass sie im Herzen ihr Klostergelübde bereits gebrochen habe, schien jedoch keine Ungewissheit weiter vorhanden und er versprach in der Freude seines Herzens dem Baron, dem er bald abgemerkt hatte, dass ihm courante Sachen als Geschenk am liebsten seien, zum Dank für die genossene Gastfreundschaft seine schöne Airshirekuh Vandalia, welche auf der letzten Güstrower Tierschau prämiert worden war. Roswitha schickte aber sogleich durch einen Boten einen Brief an ihren Bruder nach Lütten-Klein, um über den Antrag des Doktors sein ratsames Bedenken einzuholen, welchen Brief jedoch die Kammerherrin in schweigender Verachtung sogleich dem Feuertode im Ofen übergab und darauf dem zum Mitbringen eines Bescheides instruierten Boten sagte: er solle nur eine gehorsamste Empfehlung vom Herrn Kammerherrn machen und es wäre Alles schon gut. So ward das Hochwohlgeborne Fräulein Conventualin Roswitha von Vollblut Frau Dokterin oder, wenn man lieber will, Frau Doktor Bauer. Hier nun höre ich einen alten bürgerlichen Gutsbesitzer, der sich diese Geschichte Abends nach Tische von der Erzieherin seiner Töchter vorlesen lässt, denn ihm tun von der frischen Luft dann die Augen weh, ausrufen: Das ist ja aber 'ne Geschichte wie ein Bandwurm, der reißt auch gar nicht ab. Ach bitte, entschuldigen Sie, meine Damens, fügt er auf einen strafendenden Blick seiner auf Anstand haltenden Ehehälfte hinzu, seinen Fehler noch vergrößernd; entschuldigen Sie, dass ich den alten dummen Bandwurm schon wieder anbringe; da ist Keiner anders Schuld daran als mein alter seliger Vater: der pflegte immer von solchen Herren, die gar zu lange Titel haben, als zum Exempel: Geheimer Obermedizinalrat, zu sagen: Der Kerl hat 'nen Titel wie'n Bandwurm. Na, was ich sagen wollt', Sellin, ist denn also die Geschichte bald aus, oder geht's noch mal wieder feldein?

Sellin konnte aber noch nicht zu Wort kommen, denn seine Jüngste, Jettchen, die im Rufe großer Klugheit, wenigstens pflegte der Vater oft auszurufen: Na, was die Dirn' doch klug ist! — Jettchen sagte belehrend: Ach Papa, Du hast doch Alles, was im vorigen Kalender von der Geschichte stand, rein wieder ausgeschwitzt! (Sellin: Fi, Jettchen, man sagt nicht ausschwitzen statt vergessen.) Da ist ja noch der kleine Junker Gerold, der so hübsche Hände und Füße hat und der ist die Hauptperson in der ganzen Geschichte; sieh', der kommt nun und dann fängt's erst recht an, denn dies ist ja noch alles nichts Ordentliches gewesen.

Feldkümmel. Ja, mein Kind, ich hab' wohl was anderes, in'n Kopf zu nehmen als so'n dummen Junker mit seinen hübschen Händen und Füßen. Ach, Mutter, gib mir doch noch ein Glas Rotwein, ich bin nach den Fischen ganz durstig geworden. Na, was ich sagen wollt', Sellin, ist die Geschichte also bald aus?
Erzieherin. Entschuldigen Sie, Herr Feldkümmel, ich weiß es wahrlich nicht; am Ende steht nichts von: Fortsetzung folgt und auf den paar Blättern, die nun noch kommen, kann doch auch die Geschichte unmöglich beendigt sein.

Ach, die ganze Geschichte ist man sehr mäßig, sagte hierauf das älteste Fräulein Tochter, die sich in ihr Kämmerlein wünschte, um Eugen Sue's Memoiren einer jungen Frau, welches Buch ihr das Buttermädchen heimlich mit aus der Leihbibliothek hatte bringen müssen, zu verschlingen — das ist ja gar nicht ein bisschen spannend, setzte sie hinzu.

Na, was ich sagen wollt': ich weiß gar nicht, was Du seit einiger Zeit mit Deinem Spannen hast, sagte der Vater sie fixierend. Die Geschichte soll auch gar nicht spannend sein. Du dummes Ding; das ist eine politische Geschichte und hängt Alles mit uns Bürgerlichen und mit den Adligen und mit der Ritterschaft und dem Landesvergleich zusammen.

Erzieherin. Ja, darum sagte der Pastor auch, das Buch würde verboten werden.

Feldkümmel. Na, was ich sagen wollt', Sellin, der Pastor hat das Seinige rechtschaffen gelernt, aber von der Verfassung und von uns Landständen da versteht er nun einmal nichts! Sehen Sie, Sellin, wir von der Ritterschaft sind doch immer die Hauptsache, denn, was ich sagen wollt', wenn wir keinen Weizen an den Engländer verkaufen, so kann der Stadtmann nichts verdienen, und wenn wir nichts haben, so haben sie alle nichts. Wir sind also die Hauptsache und wir sind alle gut zu Wege und rebellieren nicht und was so die andern sind, die haben ja nichts und müssen sich also wohl schicken. Also, was ich sagen wollt', warum sollten die Herren von der Regierung sich ein Ansehen machen und so'n Zeugs verbieten? Ne, Sellin, wenn die Regierung das Buch hätte verbieten lassen, so hätte sie das wegen des Aufsatzes über den Grundbesitz getan, denn was da dann steht, das ist lauter dummes Zeug, und wenn es nach dem Menschen seinen Kopf ginge, dann bliebe die Ritterschaft nicht mehr die Hauptsache und es würde Alles anders im Lande. Aber das leidet die Ritterschaft nicht und die Regierung weiß das und ist ruhig und vertraut auf uns Ritterschaft, denn wir werden nur falsch, wenn das liebe Korn nichts gilt — aber da hilft freilich kein Rebellern, denn da sind die Konjunkturen an schuld. Ja, wo sie die Kammern haben und Fabriken und wo die Leute über die Zeitung ihren Kaffe kalt werden lassen und Konstitutionsfeste feiern, und wo keine ordentliche Ritterschaft ist, da muss die Regierung wohl bange werden bei all dem Rufen und Schreien und die Demagogen verbieten und solche Bücher, die immer alles anders haben wollen. Na, was ich sagen wollt', ich muss immer noch über den Pastor lachen mit seinem Bücher verbieten. Ne, Herr Pastor, das tut unsere Regierung den Leuten nicht zu Willen, denn dann würden unsere Skribenten jubeln, dass unsere Regierung nun auch Furcht zeige vor solchen papiernen Drachen.

Madame Feldkümmel. Jettchen, hol' Vatern noch ein Glas Wein, er ist heut so beredtsam, dass ihm gewiss die Kehle schon ganz trocken geworden ist. Aber was ich sagen wollt', Vater (Na, ich glaube, ich gewöhne mir Deine dumme Redensart am Ende auch noch mit an), der Kandidat bei Barons, der unser Sellin immer besucht, — —

Erzieherin. Bitte, Madame Feldkümmel, sein Besuch gilt gewiss gar nicht meiner unbedeutenden Person, sondern allein Ihrem gastfreien und liebenswürdigen Hause.

Feldkümmel. Na, Sellin, was ich sagen wollt', ich habe doch auch schon ein Vögelchen von Ihnen und von dem Kandidaten singen hören. Nun, Sellin, Sie brauchen ja darum nicht so rot zu werden; es ist ja ein netter, ordentlicher Mensch, der gut Karten spielt und das neue schwere Examen auch schon gemacht hat.

Madame Feldkümmel. Also der Kandidat bei Barons, der unser Sellin, i nicht doch, der unser gastfreies und liebenswürdiges Haus so oft besucht und der die Briefe über den Pietismus von dem langen Reinhard, der in der Kirschenzeit mal mit ihm einen Nachmittag hier war, von Ort zu Ende auswendig weiß, der sagte mir letztlich: Ja, das Buch wäre wirklich verboten, aber nicht wegen Eures Junker Gierath, sondern wegen der Reinhard'schen Briefe und weil, keiner die Pietisten, was ganz ruhige, stille Menschen sind, turbieren soll.

Erzieherin. Ja, der Herr Kandidat sagte, die Reinhard'schen Briefe hätten, wie er sich ausdrückte, eingeschlagen wie Hagel in die Fenstern und allen Leuten die Augen geöffnet über die Religionsheuchelei. Die Regierung sei zwar nicht so, dass sie dergleichen verbiete, aber die Pietisten hätten schon allenthalben vielen Anhang und hätten richtig das Verbot durchgesetzt. Der Herr Kandidat klagte dabei, dass er unter diesen Pietismus wohl noch lange auf eine Pfarre warten könne, denn er habe nicht das jetzige Glaubensmaß und verstehe die fromme Augenverdrehung nicht.

Feldkümmel. Na, Sellin, die Augensprache versteht er doch sonst aus dem Grunde. Also, was ich sagen wollt', da ist der Kandidat auch auf einem Holzwege, wenn er glauben tut, die Duckmäuser von Pietisten hätten Einfluss bei unserer Regierung. Ne, die Regierung weiß: Religion Muss sein und Spaß muss auch sein, und so denkt die Ritterschaft auch. Denn sehen Sie, Sellin, ohne Religion glauben unsere Leute nicht an den Dienstzwang und ohne ein bisschen Spaß halten sie ihn doch wieder nicht aus.

Madame Feldkümmel. Na Kinder, nun macht nur, dass Ihr mit Eurer Vorleserei fertig werdet und dann wollen wir zu Bett gehen.

Feldkümmel. Na, was ich sagen wollt', Jettchen, du schläfst ja wohl schon?

Jettchen. Ach Papa, wenn Gerold keine Geliebte kriegt, so ist es ja gar kein ordentlicher Roman und dann mag ich auch nichts mehr davon hören.

Erzieherin. Jettchen, wie oft habe ich Dir schon gesagt: Man sagt, nicht: kriegen, man sagt: bekommen.

Jettchen. Soll ich denn auch sagen: Alwine, bekomm mir mal das Strickzeug her?

Feldkümmel. Jettchen, wenn Du auch noch so klug bist, so musst Du doch nicht dummdreist werden gegen Sellin. Na, was ich sagen wollt', Kinder, ich bin auch hässlich müde und wir können die Geschichte ja morgen weiter hören, wie der Großmogul immer sagt, wenn der Sandmann kommt, in dem hübschen Buche, was wir im vorigen Winter lasen. Und was ich sagen wollt', Sellin, ich weiß nicht, die Wine (seine älteste Tochter Alwine) will mir jetzt gar nicht gefallen; sie sieht so weiß aus wie Stoppelbutter ohne Safran und ihre Gedanken sind immer so weit weg wie meine Füllen, wenn sie aus der Koppel gebrochen sind. Lassen Sie die Dirn' nur ja nichts Spannendes lesen; das soll nicht gut sein für die Moral und solche junge Dinger sollen dadurch so confus werden wie die Schafe, wenn sie die Drehe haben. Also, was ich sagen wollt', Sellin, lassen Sie die Wine nur solche Geschichten lesen, wie dieser Gerold — die tun keinem Menschen was.

Erzieherin. Aber Herr Feldkümmel, solche Geschichten sind denn doch wohl ein bisschen zu langweilig für junge Damen.

Feldkümmel. Weiß wohl, Sellin. Ich höre die Geschichte von Gerold auch nur darum so gern, weil man so barbarisch müde dabei wird und die Wine soll auch müde sein, wenn sie zu Bett geht und nicht bis zwölf im Bett lesen und das Licht verschwelen. Na, was ich sagen wollt', da ist Mutter ja schon mit den Schlüsseln und wir sprachen ja vom Zubettgehen. Na, 'gute Nacht auch, meine Damens.

Und auch wir wollen hiermit allen Mitgliedern des Hauses des bürgerlichen Ritters Feldkümmel auf Kümmelfeld eine geruhsame Nacht wünschen. Aber damit kommen wir noch nicht wieder in das Gleis unserer Geschichte, mit der ich mich, wie dem geneigten Leser nicht entgangen sein wird, so ziemlich festgefahren habe. Ich wandte mich in dieser Verlegenheit an meine liebe Frau, welche in solchen Dingen zuweilen einen ganz guten Einfall hat. Aber die Gute arbeitete, wie sie es zu nennen beliebt, schon wieder an ihrem Reisetagebuche, und bat mich, sie nicht zu stören, da sie eben in der Schilderung eines Sonnenuntergangs auf der offenbaren See oder, wie mein Junge sagt, auf der Offenbarung begriffen sei. Ach, das verwünschte Reisetagebuch! Ich lebte so glücklich mit meinem Frauchen, als sie noch an nichts Anderes dachte, als mir Alles so behaglich als möglich einzurichten und nun habe ich, unglücklicher Mann, statt einer Hausfrau, deren höchster Stolz ihr musterhaftes Hauswesen ist, einen leibhaftigen Blaustrumpf. Die Sache kam so. Ein Sprössling einer alten Staatsdienerfamilie wurde ich nach notdürftig bestandenem ersten Examen sofort als wirklicher überzähliger Sekretär bei einem Kollegium in Schwerin angestellt und erhielt auf meine klägliche und bewegliche Eingabe im vorigen Jahre wiederum eine Zulage von 150 Rthlrn. Man wendet in solcher Eingabe die uralte Tradition der Schweriner Bureaukratie, dass das Leben in Schwerin und merkwürdiger Weise besonders für die Angestellten beispiellos teuer sei, auf seine besondere Lage an und fährt hiermit so lange fort, bis Wirkung erfolgt. Sobald mir nun jene Zulage bewilligt worden war, fing meine Frau urplötzlich eine neue Art von Tischgesprächen an. Sie sei noch nie aus Mecklenburg heraus gewesen; sie habe von ihrem Leben eigentlich gar nichts; man reise jetzt so wohlfeil und bequem; Die und Die und Die und Die habe auch mit ihrem Manne eine Vergnügungsreise gemacht, kurz: nur Reisen sei Leben und sie müsse vor ihrem seligen Ende zum wenigsten Dresden und die sächsische Schweiz sehen. Das gab mir einen gewaltigen Strich durch die Rechnung, da ich allein eine Rheinreise machen wollte; ich machte jedoch gute Miene zum bösen Spiel und änderte nur die Reise nach der sächsischen Schweiz und Dresden in eine Reise nach dem lieblichen Rügen, wohin vor der Zeit der Eisenbahnen und Dampfschiffe die mecklenburgischen Naturbewunderer so fleißig zu wallfahrten pflegten. Frau Gemahlin machte freilich die gewagtesten Manöver, um doch nach ihrem Dresden mit seiner Schweiz zu gelangen. Diese Reise, eiferte sie, sei das Minimum einer anständigen, redenswerten Reise und eigentlich gehöre Prag und Karlsbad auch notwendig zu derselben; nach Rügen liefen wohl noch in den Hundstagen ein paar Turner, aber sie wolle lieber zu Hause bleiben, als in den Thee's gestehen zu müssen, sie habe ein so unmodernes Reiseziel gehabt. Ich blieb aber diesmal fest und schrieb sofort an einen lieben alten Freund, dem Pfarrer und Altertümler eines Rügenschen Dorfes, dem ich bei dieser Gelegenheit einen Besuch machen wollte. Meine Frau ergab sich denn auch klüglich in das Unvermeidliche und die Rugianische Familienreise ging vor sich. Vorher hatte sie alle Reisebeschreibungen und Fremdenführer, die sich nur über Rügen auftreiben ließen, durchstudiert und auf der Reise selbst benutzte sie jeden Augenblick, wo es nichts zu sehen gab und ich in den Wirtsstuben ganz gemütlich über die Schwedenzeit und die Stralsund-Berliner Eisenbahn, über pommersche Gänse und pommersche Fräulein, über den Fürsten Putbus und seine Ritterakademie plauderte, um ihre Anschauungen und Erlebnisse gewissenhaft zu buchen. Ich ließ mir dies gern gefallen, denn eine hübsche, lebhafte Frau auch, ohne mehr als landübliche Koketterie wird in einem Gasthause ihrem Ehemann nur zu oft Anlass zu eifersüchtiger Aufregung geben. Ich Armer hatte aber die Folgen dieses Notizensammelns nicht bedacht. Sobald wir nur in unserer Häuslichkeit ordentlich wieder Posto gefasst hatten, ging die Ausarbeitung der Reisenotizen zu einer lesbaren Reisebeschreibung vor sich und dies Leiden dauert noch ununterbrochen fort, denn meine anfängliche Hoffnung, dass die Gute der Sache bald überdrüssig werden würde, ist durch ihre abscheulichen Freundinnen, welche die Reisebeschreibung „göttlich, wunderherrlich, deliziös“ finden, längst zu Wasser geworden. Wie will das noch werden, wenn erst alle unsere Eisenbahnen fertig sind! Meine einzige Hoffnung ist noch, dass man dann durch eine Ordonanz allen fürstlichen Dienern das Reisen in Vergnügungsgeschäften bei willkürlicher Strafe verbietet.

Bei so bewandten Umständen war von der lieben Frau nichts zu hoffen und ich entschloss mich also zu dem, was ich gleich hätte tun sollen und schlankweg zu sagen: Wir kehren jetzt endlich wieder zu dem kleinen Gerold zurück. Ja, kommt nur mit zu ihm und labt euch an dem kleinen Prachtmenschen. Der Knabe war an Geist und Körper eine so urkräftige Natur, dass ihm selbst die Affenliebe der gnädigen Mama und die Schmeicheleien der Domestiken nichts anhaben konnten. Für sein Helles Kindesauge waren alle Menschen durchsichtig und er sah in leibhaftigen Gestalten alle die Männchen und Kapriolen, die ihre Torheiten und Schlechtigkeiten machten. Kinder haben oft diese Gabe und starren ihren Mann so lange unverwandt an, bis sie aus ihm klug geworden sind oder schauen drein, als wenn die Erwachsenen eigends zu ihrem Amüsement eine Komödie aufführen. Wir sehen freilich nichts Unnatürliches mehr darin, wenn sich ein paar sogenannte Freundinnen küssen und herzen, welche sich aus Herzens Grund hassen, oder wenn man einem verächtlichen Menschen eine devote Verbeugung macht, oder wenn eine alte Kokette ihre Gimpel exerzieren lässt, — aber das Kind mit dem noch unbefleckten, reinen Sinn, mit dem noch nicht durch schmutzige Leidenschaften getrübten Blick sieht noch vollkommen die Unnatur und Lächerlichkeit unseres guten Tons, die Verschrobenheit unserer Mannen und konventionellen Formen und platzt dann mit seinen oft wie Orakel klingenden naiven Bemerkungen heraus. Man schickt sie dann als unartig und unverschämt hinweg, fühlt aber dabei recht wohl die Wahrheit des Sprichworts, dass Kinder und Narren die Wahrheit reden. Darum können Menschen, in deren Innern es schlecht aussieht, den auf sie gehefteten Kindesblick nicht ertragen. So ein Knabe war unser Gerold. Man fürchtete seine Naivitäten und doch war er mit seinem liebefunkelnden Auge der allgemeine Liebling; die gnädige Mama jedoch, die sich keine Mühe verdrießen ließ, um ihm all den Hochmut seines Standes einzuimpfen, verzweifelte freilich immer mehr daran, dass ein Edelmann nach ihrem Sinne aus ihm werde. Sie hatte dies selbst verschuldet. Hätte sie dem Knaben gar nicht von edler, besserer Geburt und reinem Blute und dergleichen Unbegreiflichkeiten gesprochen, so wäre er wahrscheinlich unbewusst in die Vorurteile seines Standes hineingewachsen, aber die krassen Abgeschmacktheiten, die sie ihm einzutrichtern suchte, mussten bei einem Knaben wie Gerold das gerade Gegenteil bewirken: er entwuchs dem Adel auf das vollständigste. Am Schlusse ihrer Vorlesungen rief dann Gerold wohl: Ach, Mama, ich hätte Dich noch mal so lieb, wenn Du keine Edeldame wärst; denn sieh', ich mag die anderen Leute weit lieber und seitdem ich gehört habe, dass die meisten Sachsenberger sich einbilden, sie wären Könige oder Heilige oder gar unser Herr Christus selbst, obgleich sie ganz gewöhnliche Menschen sind, seitdem kommen mir die Adligen ganz sonderbar vor. Und dann lief der Knabe ins Feld und trug dem kleinen flachshaarigen Mädchen, welches dem Vater-Tagelöhner das Essen nachbringen musste, den Henkeltopf, oder suchte sich seinen einzigen Freund, den alten Schäferknecht auf, und sie setzten sich unter die Eichen des alten Hünengrabes und der Schäferknecht erzählte ihm seine prächtigen alten Mährchen und Sagen, und Gerold schauerte vor Lust zusammen und sah all die Geschichten leibhaftig hervortreten, wie auf einem alten Altargemälde auf Goldgrund. Er kehrte dann erst am späten Nachmittage mit seinem Freunde zurück; und wenn er dann durchglüht von der freien Luft des schönen Sommertags und von den Gebilden, die er mit seinem inneren Auge geschaut, sich an die Mutter schmiegte, so siegte auch in ihr das reinmenschliche Gefühl und sie konnte ihn nicht darüber schelten, dass er schon wieder den ganzen Tag bei Johann Jochen gewesen, sondern musste ihn herzen und küssen, bis er von Wonne ermüdet, dem Schlaf in die Arme sank. Nur Tante Witha ging ihm über Johann Jochen. War sie in Lütten-Klein, so wich der Knabe nicht von ihrer Seite, denn nur durch sie fühlte er sich ganz befriedigt und er starrte sie daher auch nie an wie ein Rätsel, da Alles, was sie tat, ihm schien, als dürfe es gerade nur so und nicht anders sein; überglücklich war er aber, wenn Tante Witha mit ihm zu Johann Jochen ging und sich auch von demselben Geschichten erzählen ließ. Aber diese ehrfurchtsvolle Liebe des Knaben zu Roswithen weckte die Eifersucht der Kammerherrin und sie suchte seitdem derselben den Aufenthalt zu Lütten-Klein auf alle Weise zu verleiden.

Der Knabe war so seine sieben Jahr alt geworden und es wurde ihm nun in der Person des Kandidaten Dunkelmann ein Hofmeister bestellt. Der Vater des Kandidaten war ein in Rostock wohnhafter armer Weber und wie viele seines Zeichens ein arger Frömmler und Heuchler. Der schwächliche, scheue Knabe, bei dem die Mutter immer auf die Würmer los dokterte, sollte nach dem Plane des Vaters studieren, d. h. einmal Pastor werden. Dieser Plan schien bei der Mittellosigkeit des Webers sehr abenteuerlich, war aber nichts desto weniger wohl durchdacht, da die Frömmler aller Orten zusammenhalten wie die Kletten und unser Weber eines ganz besonderen Ansehens unter ihnen genoss. Der Knabe kam den Absichten des Vaters auf halbem Wege entgegen. Verhöhnt und verspottet von den anderen Knaben, wegen der ihm mangelnden körperlichen Rüstigkeit, wandte sich seine brennende Ehrsucht dem „Lernen“ zu; die Lehrer lobten bald den fleißigen, stillen, bescheidenen Schüler, aber seine Mitschüler waren auch schnell fertig mit dem Urteile: Der Junge tauge nichts und sei durch und durch wurmstichig. Und er taugte wirklich nichts und war sich auch vollkommen dessen bewusst, dass er nichts tauge und da er zu feig war, um einen offenen Krieg gegen die Gesellschaft zu führen, so nahm er die Maske der Heuchelei vor. Den Scheinheiligen meisterhaft zu spielen, Alle, die in ihm einen sittenreinen, frommen Jüngling sahen, am Narrenseil zu haben, das war fortan sein größter Genuss. Nicht die Bewunderung der Menschen kitzelte ihn so, denn, er verachtete das ganze Geschlecht auf das Gründlichste, sondern dies, dass sie sich so von ihm foppen und beherrschen ließen: es war dies ein Kitzel gleich dem, wie ihn die Giftmischerin empfindet, wenn sie durch ihr zerstörendes Mittel wie ein böser Dämon die heiligsten Bande zerreißt. Es konnte ihm nicht an Gönnern und Beschützern fehlen. Er studierte zuerst in Rostock, wo man schon dahin gekommen ist, dass man in öffentlichen Blättern gläubige Ammen und christliche Hausknechte sucht, und darauf, an mehrere ältliche Damen warm empfohlen, in Berlin. Eben von der Universität zurückgekehrt, wurde er nun, von einem vielgeltenden pietistischen Geistlichen als ein junger Gottesgelehrte von wahrhaft christlicher Frömmigkeit ausgepriesen, Hofmeister unseres Gerold.

Gerold betrachtete ihn indessen bloß als Lehrer und keinesweges als Erzieher und Dunkelmann stand auch nach einigen misslungenen Versuchen, den Knaben zu verziehen, gänzlich von diesem Vorhaben ab, denn er fühlte, dass diese Natur weder zu verderben noch zu beherrschen war. Die Kammerherrin dagegen wurde eine große Bewunderin Dunkelmanns, wie denn pfäffische und aristokratische Tendenzen sich von je an gesucht und verstanden haben. Ihn als Lütten-Kleiner Pastor zu sehen, war von jetzt an eins ihrer Lieblingsprojekte. Der jetzige Pastor, behauptete sie, sei ein gefährlicher Mann und bei dem demokratischen Grundton seiner Predigten nehme die Ergebenheit der Leute gegen die Gutsherrschaft immer mehr ab. Neulich noch habe er, der von jeher ungehöriger Weise das Landvolk von der Kanzel herab über seine Verhältnisse zu belehren gesucht, nach Anleitung der Textworte: Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, in einer Predigt gesagt: Dieser Bibelspruch, meine andächtigen Zuhörer, geht die meisten von Euch gar nicht, oder doch nur in so fern an, als Ihr dem Fürsten und dem Vaterlande als Soldaten dienen müsst; denn Euer näherer und beziehungsweise mächtigerer Herr ist der Gutsherr als Erheber der von Euch zu zahlenden Steuern, als Patron Eurer Kirche, als Inhaber der Polizei- und Gerichtsgewalt, unter der Ihr steht, und als Eigentümer des Grundes und Bodens, auf welchem Ihr wohnt. Für Euch muss jener Spruch daher heißen: Gebet dem Gutsherrn, was des Gutsherrn ist — und hierzu ermahne ich Euch denn hierdurch, bis auch für unser Land die Zeit kommen wird, wo Ihr keinen anderen weltlichen Herrn habt als den Fürsten des Landes und wo der Besitz nicht mehr jene hochwichtigen Ämter gibt, sondern die Gemeinde die Männer wählt, welche sie bekleiden sollen. Bei diesen grundverderblichen Lehren, fuhr die Kammerherrin fort, erhob ich mich sogleich und verließ die Kirche mit möglichst vielem Geräusch, aber der Pastor hatte noch die Impertinenz, die ganze Zeit über, welche ich dazu gebrauchte, mit seinem Vortrage inne zu halten.

Aber ein Pastor ist so leicht nicht zu vertreiben und dazu sah der unsrige ganz so aus, als wenn er sich fest vorgenommen habe, vor seinem Tode noch sein Amtsjubiläum, dieses große Fest der Anciennetät, zu feiern. Leichteres Spiel hatte man mit dem Schulmeister, der unseren beiden Verbündeten ebenfalls nicht fromm und gläubig genug war. Dieser Mensch, ein aus Lütten-Klein gebürtiger Schneidergesell, der längere Zeit in der Schweiz und in Frankreich gearbeitet und ungeachtet seines nicht geringen Schneidertalents in Folge unseres Heimatrechts, jenes unseligen Rechtes mit dem schönen Namen, in keiner Stadt und in keinem Dorfe des Landes sich hatte niederlassen dürfen, war erst vor Kurzem von der Kammerherrin selbst, der er zu schmeicheln gewusst und der er in seiner Noch gelobt hatte, alle ihre Intentionen mit der Dorfjugend in Ausführung zu bringen, angestellt worden. Er glaubte aber, nachdem er nun wirklich als Schulmeister eingeführt worden, ein selbstständiges Amt zu bekleiden und die Schulkinder nach seinem eigenen besten Wissen unterweisen und erziehen zu dürfen. Da kam aber das arme Dorfschulmeisterlein schön an. Wir haben nämlich eine Verordnung vom Jahre 1821, welche das Schulwesen im Ritterschaftlichen reguliert und die, wenn sie befolgt wird, den Schulmeistern, die daneben ein bisschen schneidern und schustern, allerdings ein notdürftiges Auskommen gewährt. Aber trotz dem, dass die Prediger regelmäßig über die Einkünfte der Schulmeister berichten sollen und der Regierungsfiscal dieserhalb gemessene Instruktionen hat, geben viele Ritter ihren Schulmeistern keineswegs das vom Gesetz bestimmte Einkommen. Der Prediger und der Fiscal sind hieran nicht schuld: Der Grund liegt vielmehr ganz einfach und allein in der Bestimmung jenes Gesetzes, nach welcher der Ritter seinem Schulmeister beliebig kündigen kann. Will nun der Schulmeister nicht gekündigt sein (und das darf er nicht riskieren, denn wo soll er hin bei der Abgesperrtheit unserer Kommunen?) so muss er sich von dem Gutsherrn Alles gefallen lassen und muss den Prediger, der verordnungsmäßig von dem zu niedrigen Einkommen Anzeige machen will, nur bitten, dies nicht zu tun, wenn er ihn nicht unglücklich machen wolle, denn wenn der Fiscal den Gutsherrn zur Erfüllung seiner Verbindlichkeiten anhalte, so würde sicher er zum nächsten Gallen gekündigt werden. Bei solchem Gesetz, welches dem Schulmeister gar keine Garantie gibt, konnte denn freilich die Kammerherrin den ihrigen bald los werden und einen andern von Dunkelmann empfohlenen berufen.

Man machte nun einen förmlichen Plan zur Wiederherstellung der früheren Ergebenheit des Landvolks. Die Kammerherrin ging davon aus: Die Leibeigenschaft sei zwar durch das Gesetz für aufgehoben erklärt, aber diese Aufhebung stehe nach dem Urteile aller Sachkundigen im offenbaren Widerspruch mit dem sonstigen ungeschmälerten Bestande der Gutsherrlichkeit und habe daher die faktischen Verhältnisse der Leute namentlich auf denjenigen alten Edelhöfen, die nie in den Händen von Pächtern oder bürgerlichen Gutsbesitzern gewesen, wenig verändern können, denn auf solchen Höfen hätten es die Leute bekanntlich am besten, so dass auch Kündigungen auf denselben selten vorkämen. Doch wüssten die Leute durch jenes Gesetz nun einmal, dass sie ein Kündigungsrecht hätten und wenn man dazu die Wirkung der Irrlehren des Pastors bedenke, so könne man sich nicht verhehlen, dass die gute alte Zeit auch in dieser Hinsicht vorüber sei. Wenn also das Recht nicht mehr den Tagelöhner an den früheren Leibherrn kette, so müsse der Adel ihn jetzt um so mehr durch Dankbarkeit an sich zu fesseln und so ein wahrhaft patriarchalisches Verhältnis herzustellen suchen; es müsse unter dem Landvolk die Ansicht, dass sie im Adligen und zwar im eigentlichen Adligen*) mit der meisten Rücksicht behandelt würden, immer allgemeiner werden, und dies werde der Adel bei einiger Herablassung leicht machen können, da die Leute selbst es noch immer als abnorm ansähen, wenn ihr Herr kein Edelmann sei, auch es dem sie gut haltenden bürgerlichen Gutsbesitzer um ihre Ergebenheit nicht im gleichen Maße zu tun sei, da er sie lediglich darum gut halte, damit sie ihm viel leisteten. Sie stimme also in dieser Hinsicht nicht ganz mit ihrer intimen Freundin, der regierenden Gräfin Pfau auf Schloss Hahnenhorst überein. Diese energische Dame habe für die Begüterung ihres Gemahls ein Zirkular erlassen, nach welchem sie immer noch wirklich Leibeigene zu haben glaube und in welchem mehrfache Strafbestimmungen für die Austretenden enthalten seien. Doch sei sie, die Kammerherrin, durch die in jenem Zirkular enthaltene Bestimmung wegen der mecklenburger Käppel auf die Idee einer allgemeinen Kleiderordnung für die Leute gekommen, zu welcher es, da der Kattun und die Wollenzeuge der Tuchmacher das kleidsame und haltbare sogenannte eigengemachte Zeug immer mehr verdrängten, nur noch eben Zeit sein dürfte.

*) Der gemeine Mann teilt mit unserem älteren staatsrechtlichen Sprachgebrauch aus der Zeit, wo noch fast alle ritterschaftlichen Güter in den Händen des Adels waren, las gesamte platte Land ein in das Fürstliche (Domanium) und in das Adlige (die ritterschaftlichen Besitzungen), Das eigentliche Adlige der Kammerherrin sind denn die zur Zeit noch adligen Besitzern zugehörigen ritterschaftlichen Güter.

Zunächst beschloss nun unser Paar, allenthalben bei Kranken und in Sterbefällen bei den Angehörigen Besuche zu machen, bei welcher Gelegenheit denn Dunkelmann durch geistlichen Zuspruch und die Kammerherrin resp. durch Kraftsuppen und durch einen Zuschuss zu den Beerdigungskosten wirken sollte; bei Kindbetterinnen sollte aber die Kammerherrin allein agieren und bei vorseienden Hochzeiten sollten die Verlobten vor ihr erscheinen und nach Anhörung eines leitenden Artikels über den Ehestand reichlich beschenkt werden. Dass für dies Alles die Leute von Dunkelmann befehligt wurden, die Familienfeste der Herrschaft aus freien Stücken durch Gratulationen und Eichenlaub zu verherrlichen, versteht sich von selbst; für das Neujahrsfest führte er eine vom Schulmeister zu überreichende Glückwünschungsadresse ein, welche von möglichst vielen Vollblut'schen Hintersassen unterschrieben oder unterkreuzt sein musste; dazu errichtete er eine Schillingskollekte für die Heidenmission und verteilte Traktätchen. So gelang es beiden, der Gegenstand größter Verehrung für die Lütten-Kleiner zu werden, denn die Lütten-Kleiner sind gute Leute, aber schlechte Menschenkenner; nur Johann Jochen, der alte Schäferknecht, brummte wohl in den Bart: Dei gnädig Fru is ein ollen Pageluhn und dei Kandat is ein Schlike.

Schon wieder haben wir unsern Gerold verlassen. Aber was lässt sich auch viel sagen von einem solchen Normalmenschen, der sich naturgemäß aus sich selbst entwickelt. Denn erzogen wurde der Knabe, der mehr Selbstständigkeit und mehr Charakter hatte als irgend Einer aus seiner ganzen Umgebung, eigentlich gar nicht und diese täppischen Versuche, die Umrisse seines Wesens zu verwischen, und aus ihm einen ganz gewöhnlichen Menschen zu machen, blieben ihm also glücklicher Weise ganz fern. —
Nehmen die Leser aber auch noch ferner Anteil an unserem Helden, so wollen wir ihn im nächsten Jahrgange in Liebe fallen und nachdem er diesen großen Entwickelungsprozess glücklich überstanden hat, die Adelskette zerbrechen lassen.

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Nachschrift des Verfassers an den Herausgeber.

Mein Herr! Ich stelle diese Fortsetzung meines Gerold nur unter der Bedingung zu Ihrer Disposition, dass Sie diesem „Machwerke“ nicht wieder eine üble Nachrede beigeben Da Ihre Nachschrift zum Gerold im vorigen Jahrgange einen so herben Tadel enthielt, dass Alle, welche das literarische Handwerk kennen, dieselbe für eine Selbstkritik gehalten haben, indem Keiner es glaublich fand, dass Sie einen Ihrer Mitarbeiter durch eine so scharfe Kritik zurückstoßen würden, so muss ich Sie noch in unser beider Interesse ersuchen, hierunter zu erklären: wie nicht Sie, sondern ein Ihnen Unbekannter mit dem Kriegsnamen Franz Bürgerpack der Verfasser dieses Genrebildes sei.*)

*) Geschieht hierdurch mit ganz besonderem Vergnügen, **) Der Herausgeber.
**) Man sieht hieraus, wie unzuverlässig solche Erklärungen sind.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Gerold von Vollblut - Ein Genrebild