Die georgische Literatur

Unter den Kulturvölkern Vorderasiens nehmen die Georgier, Grusier oder Kartweler, wie sie in ihrer Sprache heißen, eine jedenfalls hervorragende Stelle ein und ihre frühere Bedeutung in der Geschichte jener Gegenden Asiens fällt noch mehr ins Gewicht, wenn man ihre geringe Kopfzahl in Betracht zieht. Nie betrug diese im Laufe der Vergangenheit mehr als eine Million, und demungeachtet errangen sie sich die Oberherrschaft in ganz Kaukasien und boten lange Jahrhunderte hindurch der Macht der Perser, Araber, Türken und Tataren Trotz, ohne dabei ihre Verteidigungsmittel völlig zu erschöpfen. Zwar mussten sie in diesen langwierigen Kämpfen oft der Übermacht unterliegen und sich vor dem fremden Joche beugen, aber immer wieder gelang es ihnen Kräfte zu sammeln und ihre Selbständigkeit herzustellen. Trotz eines mächtigen Andranges feindlicher Elemente bewahrten sie ihren christlichen Glauben und ihre nationale Individualität bis auf unsere Tage und stehen heute als ein Volk da, welches ernste Anstrengungen macht, ein modernes Kulturvolk zu werden und seine zivilisatorische Arbeit mit der der Völker Europas zu vereinigen. Eine Nation, die in ihrer Vergangenheit eine solche Ausdauer bewiesen und so hartnäckig ihre Kultur gegen asiatische Barbarei verteidigte, verdient jedenfalls der Beachtung und es lohnt wohl der Mühe, ihr Wirken auf geistigem Gebiete kennen zu lernen.

Die Abstammung der georgischen oder kartwelischen Sprache ist bis heute noch nicht genügend festgestellt trotz zahlreicher in dieser Richtung unternommener Forschungen, Der vor ein paar Jahren verstorbene Professor der Petersburger Akademie, der Franzose Brosset, welcher diese Sprache besser als irgend wer kannte und ziemlich klar ihren Entwicklungsprozess dargelegt hat, bemerkte in ihr viel Verwandtschaft mit den indo-europäischen Sprachen, wobei er jedoch die Behauptung aufrecht erhielt, dass ihr eigentlicher Kern nichts mit diesen Sprachen gemein habe. Es ist also anzunehmen, dass die georgische Zunge nicht indo-europäischer Abstammung ist, dass aber ihre Entwicklung vom Persischen, dem Sanskrit und der Zendsprache beeinflusst wurde, was wahrscheinlich durch Vermittlung des Armenischen geschah. In ihrem heutigen Zustande besitzt die georgische Sprache viele fremde Ausdrücke, besonders arabische und persische und seitdem man begonnen sie den modernen Anforderungen gemäß zu entwickeln und zu bereichern, ist die Zahl der Fremdwörter in ihr noch bedeutend gewachsen, was natürlich nichts zu ihrer Verschönerung beitragen konnte. Gegen diese willkürliche Verstümmlung kämpfen jedoch gegenwärtig einige georgische Philologen, die zunächst bemüht sind, die schon angenommenen Fremdwörter durch eigene zu ersetzen.


Was den Wohlklang des Georgischen anbetrifft, so ist dieser trotz eines gewissen Reichtums an Vokalen ein geringer und steht dem mancher anderen orientalischen Sprache nach.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Georgien. Natur, Sitten und Bewohner.