Auf dem Lande

Überall, in jedem Lande, bewahrt des Dorf länger die örtlichen Eigenheiten und seine Bewohner halten länger an nationalen Sitten und Gebräuchen fest als die Bewohner großer Städte, welche sich in regerem Verkehr mit der Außenwelt befinden. Um daher Georgien kennen zu lernen, genügt nicht der Aufenthalt in Tiflis oder Kutais, vielmehr muss man das Land besuchen, dessen Leben von dem der beiden Hauptstädte ziemlich abweicht.

Als ich Tiflis verließ, war die Sommerhitze in dieser Stadt schon so lästig, dass der Aufenthalt im schattigen Grün der Berge eine doppelte Annehmlichkeit versprach. Schon in geringer Entfernung von Tiflis ändert sich die Landschaft bedeutend, denn man betritt eine waldige Gebirgsgegend, deren üppige Täler mit Dörfern und Gärten übersät sind. Unser Weg führt vorerst zur Mündung der Aragwa in den Kur, zu der Stelle, deren Schönheit Lermontow in seinen „Mzyren" besingt. Liier erheben sich zu beiden Seiten hohe Berge, die ziemlich steil sind und beide Flüsse in enge Täler einschließen, was einen höchst romantischen Anblick gewährt. Unmittelbar an der Mündung der Aragwa in den Kur liegt das alte Mzchet, die ursprüngliche Hauptstadt Georgiens, ihm gegenüber aber, auf einem steilen Berge ein sehr altes Kloster, zu dessen grauem Gemäuer wir hinaufklimmen. Wie der größte Teil der georgischen Klöster, stammt auch dieses aus einer entlegenen Epoche, obgleich es wenig wahrscheinlich ist, dass es im fünften Jahrhunderte gegründet wurde, wie eine über dem Portale eingemauerte Steintafel verkündet. Man muss wohl in dieser Hinsicht einigen Unfug getrieben haben und wahrscheinlich wurden beim Umbau die mit alten Inschriften versehenen Tafeln wieder in das neue Gemäuer eingefügt. Nur auf diese Weise lässt sich das angebliche Alter vieler georgischer Kirchen und Klöster erklären.


Wie dem auch sei, so hat jedenfalls dieses Kloster wie viele andere mehrere Jahrhunderte überdauert und war einst Zeuge eines anderen, bewegteren Lebens als das, welches heute in seiner nächsten Umgebung pulsiert.

Neben dem Kloster standen früher noch andere Gebäude, von denen jedoch nur Trümmer übrig geblieben sind. Die Architektur des noch erhaltenen Baues ist zwar nicht bemerkenswert, wohl aber ist es der Ort, denn auf diesem steilen und schwer zugänglichen Berge war es keine Kleinigkeit, so dicke und umfangreiche Mauern aufzuführen. In allen Gegenden Georgiens findet der Wanderer auf hohen Bergspitzen ähnliche Riesenbaue, die einen Beweis von dem religiösen Unternehmungsgeiste liefern, der die Georgier früherer Jahrhunderte beseelt haben muss. Jene Menschen wandten alle ihre Kraft dazu an, ihr Vaterland zu verteidigen und ihren Religionskultus zu verherrlichen; andere Bestrebungen waren ihnen fast fremd. Diese zwei Faktoren ihres geschichtlichen Daseins zeigen sich in jeder Episode der Vergangenheit Georgiens und jedenfalls waren sie zur Zeit seiner Größe die Haupttriebfedern aller bedeutenderen mit gemeinsamer Kraftanstrengung vollbrachten Taten.

In ganz Westeuropa findet man zahlreiche, auf schwer zugänglichen Felsen und Bergen erbaute Ritterburgen, aber nirgends wird man einer solchen Anzahl auf ähnlichen Höhen aufgeführter Kirchen und Klöster begegnen wie in Georgien, denn nirgends, Ungarn vielleicht ausgenommen, war die christliche Religion Jahrhunderte lang so bedroht wie in diesem Lande. Die georgischen Ritter kämpften nicht nur für die Verteidigung ihrer Freiheit und ihres Eigentums, aber auch für ihren Glauben und da für diesen die Gefahr nie völlig schwand, baute man einen großen Teil der Gotteshäuser auf schwer zugänglichen Höhen, um sie so vor der Zerstörung Seitens der mahomedanischen Eroberer zu sichern. Vor dem Feinde fliehend rückten die georgischen Mönche und Priester gewissermaßen dem Himmel näher und in der Tat hat der Anblick dieser oft mit ihren Zinnen die Wolken berührenden Gotteshäuser etwas Großes an sich.

Die ganze tatenreiche Vergangenheit Georgiens stand mir lebhaft vor Augen, als ich auf den Mauertrümmern des alten Klosters stehend in die weite, schöne Landschaft hinunterschaute. Mein Fuß stieß auf einen Totenschädel, der vielleicht schon Jahrhunderte hier in der Sonne bleichte und Gedanken an die Vergänglichkeit alles Irdischen trübten plötzlich meine heitere Stimmung. Hier angesichts der uralten Hauptstadt eines einst so mächtigen Reiches, das heute von der zivilisierten Welt fast vergessen ist, dessen Ruhmesglanz nun wie dieser Totenschädel in der Vergangenheit hinbleicht, kann es einem Jeden schwer werden, sich solcher Gedanken zu erwehren. Doch der Anblick der herrlichen Natur, die ringsumher im heitern Sonnenlichte prangte, verwehte bald wieder diesen Anflug von Trauer und heiteren Mutes setzten wir unsere Reise fort. Unser Weg führte jetzt am Ufer der Aragwa hin, entfernte sich aber bald immer mehr von derselben und klimmte die Berge hinan. Hier beginnen die wahrhaft kaukasischen Landschaftsbilder, schön durch die Mannigfaltigkeit ihrer Dekoration und imposant durch die Wildnis der steilen Berge und Felsen. Abwechselnd fahren wir an schroffen Abgründen hin, in deren Tiefe Gießbäche über zerrissenes Gestein dahinrauschen , dann wieder an dicht mit Bäumen bewachsenen Schluchten oder ungeheuren Felswänden vorbei, deren Steinkolosse uns zu begraben drohen und durch ihren Sturz hier wohl für lange Jahre den Weg versperren würden. Auf der Straße begegnen wir langen Zügen von schweren, zweirädrigen Karren, die von Büffeln gezogen werden und mit Holz, Kohlen oder Wolle beladen sind. Auf jedem Wagen sitzt ein georgischer Bauer, der neugierig seine dunklen Feueraugen auf uns richtet und mit der größten Geduld die Sonnenhitze sowie die Langsamkeit seiner Reise erträgt. Gewöhnlich begleitet jede dieser Karawanen ein armenischer Kaufmann, der seinen Stand sofort durch seine bessere Kleidung verrät; er spielt hier überall die Rolle des Mäklers und man sieht es ihm auch an, dass die schwere Handarbeit nicht sein Werk ist. Weiter begegnen wir einigen sonnverbrannten Bauern, die gemütlich ihres Weges reiten, als ob sie einen Spazierritt machten. Ihr Gruß, mit welchem sie uns beehren, ist höflich, ihre Verbeugung graziös und nicht ohne einen Anflug von Ritterstolz. Um auszuruhen, halten wir bei einem Duchan, einem Dorfkruge, an und sofort erscheint der Wirt, welcher uns höflich einladet zu unserer Erquickung mit seinem Weine vorlieb zu nehmen. Er bringt uns daher eine Flasche Kachetiner und einen Blumenstrauß und nachdem wir uns erquickt, leert auch er ein Glas auf unser Wohl und wünscht uns eine glückliche Reise und schönes Wetter.

Schon sind wir ziemlich hoch in den Bergen und in der Ferne tut sich uns ein immer schöneres, umfangreiches Panorama auf, dessen großartigen Hintergrund die hohe kaukasische Gebirgskette bildet. Zur Rechten haben wir schön bewaldete Berge, während sich zur Linken tief unten zwischen grünenden Fluren die silberne Aragwa hinschlängelt. Stellenweise verlieren wir alle Aussicht, denn von beiden Seiten umgibt uns ein prächtiger dichter Eichenwald oder das undurchdringliche Dickicht anderer Bäume und Sträucher. Überall, wohin das Auge reicht, waltet ein mächtiges Grün, jeder Baumstamm, jeder Fels ist von seinen mit unverwüstlicher Lebenskraft emporschießenden Ranken bedeckt. Endlich gelangen wir wieder zu einer Lichtung und hier erschließt sich uns eins der herrlichsten Landschaftsbilder von ganz Georgien. Den im Sonnenglanze glitzernden Wasserpfad der Aragwa sehen wir auf mehrere Meilen weit und dort, wo ihr Silberstreifen schon verschwindet, bezeichnen tiefe Täler noch weit in die Berge hinein ihren Lauf. Der Kasbek, dieser Riesengletscher, ist in dunkles Gewölk eingehüllt, aber östlich und westlich von ihm erheben sich andere, weniger hohe Schneegipfel, deren weiße Häupter heiter im hellen Sonnenglanze blinken. Unterhalb dieser Schneeregion treten andere Berge hervor, die alle mit dichten Wäldern bedeckt sind und zwischen denen sich unbeschreiblich schöne Täler auftuen. In ihren wonnigen Gründen wie an den Abhängen der sie einschließenden Berge wuchert ein üppiges Grün, das in diesem prachtreichen Lichtspiele mannichfaltig schattiert ist. Wie im Goldglanze blinkt das Grün der der Sonne zugekehrten Wälder, während die tief in den .Schatten versunkenen wie in einer Zauberdämmerung schimmern. Zwischen diesem paradiesischen Grün glänzen silberne Gießbäche, wo anders wieder hebt sich vom dunklen Grunde das Goldgelb reifender Getreidefelder ab und weiter unten ziehen sich üppige Gärten hin, dann liegen Dörfer, Kirchen und Landhäuser, die weithin sichtbar sind.

Auch erblicken wir schon das Haus unseres Freundes, welches mitten im Grün anmutiger Gärten auf einer Anhöhe steht.

Die Landhäuser in Georgien haben viel Ähnlichkeit mit den Häusern der Städte und sind wie diese stets mit Galerien umgeben, welche sich gewöhnlich um einige Fuß über den Erdboden erheben und deshalb von der Außenseite mit Treppen versehen sind. Größtenteils sind die Häuser der Landgutsbesitzer nicht sehr geräumig und ihre innere Einrichtung ist oft ziemlich bescheiden.

Wer einmal die gastliche Schwelle eines georgischen Hauses überschritten hat, wird es nur ungern verlassen, denn der Gast findet hier nicht nur freundliche Aufnahme, sondern es wird ihm auch von Seiten des Wirtes die größte Sorgsamkeit und Pflege zu teil. Der Georgier richtet sich ganz und gar nach seinem Gaste, tritt ihm die bequemsten Räume seines Hauses ab und opfert ihm seine Zeit. Auch ist er in allem bemüht, ihm den Aufenthalt angenehm zu machen, obwohl das Landleben in Georgien noch weniger Zerstreuungen bietet als in Europa. Jagden, Spazierritte, Gastmähler und Besuche in der Nachbarschaft sind Alles, was man hier zu den Zerstreuungen rechnen kann. Wer jedoch ein Naturfreund ist, der findet hier tausend Annehmlichkeiten, die er Dank dem milden Klima fast das ganze Jahr hindurch genießen kann. Von jedem Berge und Felsen eröffnet sich hier eine malerische Aussicht, jeder Wald und Hain besitzt eine endlose Mannigfaltigkeit, jeder Bach, jede Quelle hat der Reize zur Genüge, (ranze Tage lang kann man in diesen Tälern herumschlendern, von Berg zu Berg, von Fels zu Fels klettern, ohne Langeweile zu empfinden, denn die reiche georgische Natur gibt immerfort neue Schauspiele, ohne Unterlass enthüllt sie neue Bilder und ein neues Farbenspiel. Im Frühlinge, wenn die Wälder und Fluren mit dichten Blütenteppichen bedeckt sind, wenn große Gesträuche wie ein einziger Blütenstrauß erscheinen, erschallen in diesen duftigen Dickichten die Lieder von tausend Nachtigallen, Drosseln und anderen befiederten Sängern und das Leben der jungen Natur bereitet da eine unvergleichliche Wonne.

Der Sommer hat zwar seine Beschwerden, denn da ist die Tageshitze oft unerträglich, aber die an Zauber reichen Abende und Nächte bieten Ersatz für die Unannehmlichkeit des Tages.

Die schönste Jahreszeit in Georgien ist der Herbst, in welchem sich oft Monate lang kein Wölkchen am Himmel zeigt und heiter und warm sind seine Tage. In diese Zeit fällt die Weinlese und die Ernte anderer Früchte, an denen Georgien so reich ist, dass es damit noch zwei oder drei andere Länder seiner Größe versorgen könnte. Während dieser frohen Tage beleben sich alle Landhäuser und Lieder erschallen in seinen Gärten, in denen die herrlichen Gaben der Natur in allen Farben schimmern und einen Wohlgeruch verbreiten, als hätten würzige Frühlingsblumen ihre Kelche geöffnet. Der Himmel ist immer hell und die Sonne geht heiter auf und unter. Der September und Oktober vergehen und in nichts ändert sich das schöne Wetter, weder der Himmel, noch die Sonne verliert ihren Glanz, denn der Winter ist noch weit von Georgien. Nach langen Wochen dieser Zauberzeit welken erst die Blätter, die Wälder legen golden rosige Gewänder an und die Blumen senken ihre Häupter, denn in der Nacht ist ein eisiger Wind von den Bergen hereingebrochen, wo schon der Winter haust. Nach solchen Frostschauern treten aber wieder schöne, warme Tage ein, wieder erwacht die Natur, die Rosen blühen auf und das ewige Grün der Lorbeerbäume, Myrten und Zypressen verscheucht die Wintertrauer. In solchen Abwechslungen vergeht der georgische Winter und nur in manchen höher gelegenen Gegenden ist er etwas rauer.

Während der schönen Jahreszeit hält man sich in Georgien nach orientalischer Sitte meist im Freien auf, und die Galerie oder der Balkon dient da den ganzen Tag über anstatt der Zimmer zum Aufenthaltsorte. Jede Beschäftigung, die man draußen verrichtet, hat natürlich einen gewissen Reiz, besonders, wenn das Haus auf einer Anhöhe steht, von der man eine angenehme Aussicht genießt. Die verschiedenen Mahlzeiten werden gleichfalls auf der Galerie eingenommen, was natürlich die Annehmlichkeit des Speisens bedeutend erhöht. Übrigens ist auch die georgische Küche ausgezeichnet und nie fehlt der feurige Kachetinerwein auf dem Tische. Bei einem solchen Reichtum an Wildpret, Geflügel, Fischen, Gemüsen und Obst, wie ihn Georgien besitzt, ist seine Küche sehr mannigfaltig und die Zubereitungsart der Speisen ist zudem noch eine vortreffliche.

Die am meisten materielle Seite des Lebens entbehrt also hier nicht ganz der Poesie und in anderer Hinsicht zeigt sie sich noch mehr, denn die Georgier sind höflich, zum Scherzen aufgelegt und allen Eindrücken des Schönen leicht zugänglich. Im gesellschaftlichen Verkehre zeigt sich nicht nur ihr ritterlicher Geist, aber auch andere schöne Züge ihres Familienlebens, welches bis heute noch viele acht patriarchalische Eigenschaften bewahrt hat. Angenehm berühren auch den Ausländer das Zartgefühl und die Achtung, welche die Männer den Frauen erzeigen und dies betrifft nicht nur die gebildeteren Stände, denn selbst die georgische Bäuerin wird von Männern ihres Gleichen, besser behandelt als viele ihrer Standesgenossinnen in manchem hochzivilisierten Lande Europas. Ihrerseits legt auch die Georgierin im Verkehr mit Männern viel Takt und Würde an den Tag und versteht es zugleich bescheiden und doch ungezwungen zu sein. Ein solches Benehmen findet man nicht nur bei Frauen, die eine bessere Beziehung genossen haben, sondern auch bei solchen, die den niederen Volksklassen angehören, so dass man oft über ihr würdevolles Betragen erstaunen muss. Der Hauptgrund dieser Erscheinung scheint in ihrem sanften Charakter zu liegen, obwohl wahrscheinlich auch die Erinnerung an die Absonderung, in welcher früher die Georgierinnen lebten, ihren Einfluss noch ausüben mag. Zwar existierten niemals Hareme in Georgien, aber trotzdem lebten hier früher die Frauen in einer gewissen Getrenntheit von den Männern und bewohnten einen besonderen Teil des Hauses, den zu betreten den Männern nicht gestattet war. Beim Ausgehen trugen sie gewöhnlich lange Schleier, die Gesicht und Busen verhüllten. Heute bestehen diese Gebräuche nicht mehr, aber wohl kann man noch zahlreiche ältere Georgierinnen finden, die mit Ärger von der Freiheit und Zwangslosigkeit ihrer Töchter und Enkelinnen sprechen, welche anstatt der alten Pantoffeln Stiefelchen mit hohen Absätzen tragen und unverschleiert Gesicht und Taille den Blicken der Männer aussetzen. Der Einfluss dieser Großmütter und bejahrten Tanten ist natürlich noch nicht ganz erloschen und trägt nicht wenig zu der Reserve bei, die gegenwärtig noch viele Georgierinnen im gesellschaftlichen Verkehr beobachten. Es betrifft dies hauptsächlich Frauen, die ihre Erziehung im Elternhause genossen haben, während andere, welche in öffentlichen Anstalten oder unter der Leitung ausländischer Lehrerinnen erzogen wurden, sich weit freier bewegen. Die Frauenerziehung war auch früher in Georgien, obgleich es damals hier noch keine höheren Töchterschulen gab, ziemlich sorgfältig und beruhte außer den Elementarwissenschaften hauptsächlich auf der Kenntnis der vaterländischen Geschichte und Literatur, wobei auf die Einflößung religiöser und moralischer Grundsätze besonderes Gewicht gelegt wurde. In neuerer Zeit hat sich natürlich die Zahl der Unterrichtsgegenstände sehr vermehrt.

Was die Sittlichkeit der Georgierinnen anbetrifft, so stehen sie weit höher als andere Frauen des Orients und werden als treue Gattinnen und gute Mütter gepriesen. Wenn es dabei unter ihnen Frauen gibt, in denen der Hang zu sinnlichen Genüssen ziemlich stark ist, so ist das eben eine Erscheinung, die sich bei allen Völkern antreffen lässt. Auch mag für die Georgierinnen der Pfad des Lebens schlüpfriger sein als für die Frauen anderer Nationen, denn die Natur hat sie mit seltenen Körperreizen begabt, ihnen aber ein sanftes Temperament verliehen, das sie nicht gerade immer zu anhaltendem Kampfe gegen die Verführung befähigen mag. Daher gibt es auch unter ihnen keine Salonlöwinnen in unserem Sinne und herausfordernde Koketterie scheint ihnen ganz fremd zu sein. Meistens gibt die Georgierin ihrem Herzensdrange nach, liebt leidenschaftlich und mit Aufopferung. Das können viele Europäer der verschiedensten Nationalitäten bezeugen, die sich mit Georgierinnen verheiratet und in solcher Ehe ihr Glück gefunden haben.

Da ich hier von den Tugenden und Makeln der Georgierinnen spreche, so wäre es vielleicht am Orte, auch Einiges über ihre Wirtschaftlichkeit zu sagen. Nun, mir scheint es, dass diese reizvollen Wesen hinter dem Ideale der deutschen Hausfrau bedeutend zurückstehen, denn auch die Landessitte erlässt ihnen jede schwerere Arbeit, so dass sie in dieser Hinsicht oft ganz untätig sind. Bei solchen Umständen ruht mitunter die ganze Flauswirtschaft in den Händen der Männer und anders ist es nur in Häusern, in denen das Leben schon nach abendländischem Stile eingerichtet ist. Übrigens zweifle ich, ob die Männer allzu sehr jene ideale Wirtschaftlichkeit für ihre Frauen herbeiwünschen, ohne die wir Deutsche uns kein weibliches Geschöpf denken können, denn jedenfalls würden sie dann manchen Reiz verlieren, der ihnen heute eigen ist. Energische Küchendragoner sind doch höchst prosaische Wesen!

Eher scheint es, dass die georgischen Frauen für ihre Männer eine Wendung zum Besseren sehnlichst wünschen, denn die Landwirtschaft steht in Georgien noch sehr niedrig und ist stellenweise ganz und gar primitiv. Die Wirtschaften der Bauern stehen natürlich noch niedriger als die der größeren Gutsbesitzer und es genügt des georgischen Pfluges zu erwähnen um ihren Urzustand zu charakterisieren. Dieses Ungeheuer wird vermöge der Ziehkraft von acht Paar Büffeln in Bewegung gesetzt, während zu seiner Bedienung sechs Arbeiter nötig sind. Gewöhnlich besitzt eine ganze Dorfgemeinde nur einen einzigen solchen Pflug, was natürlich für die einzelnen Wirte nicht gerade vorteilhaft sein mag.

Die Wirtschaftsgebäude sind in Georgien höchst elend und bestehen gewöhnlich nur aus geflochtenem Reisig; Wirtschaftshöfe in unserem Sinne gibt es fast gar nicht, da man Getreide und Heu meist in Schobern aufbewahrt, so dass Scheuern fast überflüssig sind und da auch das Vieh fast das ganze Jahr über im Freien gehalten wird, so wird auch auf Ställe nicht viel Gewicht gelegt und diese befinden sich daher in einem höchst primitiven Zustande.

In letzterer Zeit hat sich manches, was die Landwirtschaft in Georgien anbetrifft geändert und viele Gutsbesitzer sind bestrebt, auf ihren Gütern Verbesserungen einzuführen. Auch besteht seit ein paar Jahren nicht weit von Tiflis eine Ackerbauschule, deren Gründer und Erhalter, Namens Zynamsgwarischwili, kein Mittel scheut, um sie auf die Höhe ihrer Bestimmung zu bringen. Ohne Unterstützung von Seiten der Regierung hat dieser ächte Patriot eine Musterschule geschaffen, die in jeder Hinsicht lobenswert ist und eine wahre Kulturstätte für die Landbevölkerung der Umgegend zu werden verspricht.

Weit höher als die eigentliche Landwirtschaft steht in Georgien der Gartenbau und die Obstgärten sind auch der Hauptreichtum seiner Bewohner. Sehr oft haben sie einen Umfang von mehreren hundert Morgen, befinden sich aber trotzdem nur selten in vernachlässigtem Zustande. Außer unseren Obstbäumen werden in ihnen auch Mandel-, Maulbeer- und Ölbäume gezogen. Nicht minder sorgfältig pflegt der Georgier seine Weingärten, wogegen jedoch die Zubereitung des Weines nach dem Urteile von Fachleuten noch keine vorzügliche ist. Jeder Gutsbesitzer besitzt ein eigenes Kelterhaus, in welchem sich auch sein „Weinkeller" befindet, nämlich ungeheure bis fünf tausend Flaschen fassende Tonkrüge die nach der Füllung mit Erde überschüttet werden, um so gegen Diebe gesichert zu sein.

06. Gepäckträger.

Obst- und Weingärten sind größtenteils Eigentum der Gutsbesitzer, während sich die Bauern fast nur mit Ackerbau und Viehzucht beschäftigen. Die materielle Lage der letzteren ist heute in vielen Fällen eine ziemlich sorgenfreie, denn viele von ihnen erfreuen sich gegenwärtig eines nicht geringen Wohlstandes, der jedoch nur wenig Einfluss auf die Änderung ihrer bisherigen Lebensweise ausübt. Schon das äußerliche Aussehen eines georgischen Dorfes zeigt, wie hartnäckig seine Bewohner noch an der althergebrachten Lebensweise festhalten. Straßen gibt es im georgischen Dorfs fast gar nicht und die Hütten oder Wirtschaftsgebäude, wenn man die elenden Schuppen so nennen darf, liegen im ganzen Dorfe zerstreut, so dass man nirgends ein Gehöft oder einen Garten wahrnimmt. Scheuern und Ställe bestehen aus geflochtenem Reisig, während die Hütten oder Saklen Kellern ähnlich sind, denn fast bis zur Hälfte stehen sie in der Erde, Trotz dieses elenden äußeren Aussehens, ist ihre innere Einrichtung mitunter ganz erträglich. Die Hütte eines wohlhabenden georgischen Bauern umfasst gewöhnlich drei Räume, nämlich eine Wohnstube, die auch Küche und Speisestube zugleich ist und außer einem oder zwei niedrigen Sofas und Wandfächern für das Küchengeschirr nichts weiter enthält, dann die Gaststube, deren Einrichtung mitunter sogar einen Anflug von Luxus zeigt und schließlich den Schlafraum, in welchem sich lange, mit Kissen und Decken versehene Sofas und Truhen zur Aufbewahrung der Wäsche und Kleider befinden. Die Sofas der Gaststube sind meist mit besserem Stoffe überzogen als die übrigen, auch findet man hier Teppiche und Kissen, dann Krüge und Becher zur Bewirtung der Gäste sowie verschiedene Waffen, die gewöhnlich die Wände zieren. Nach der inneren Einrichtung seiner Wohnung zu urteilen, ist der georgische Bauer keineswegs so wenig zivilisiert als man nach dem elenden Äußeren seiner Hütte vorauszusetzen geneigt ist. Er steht auch in Wirklichkeit höher als der Bauer mancher Länder Osteuropas und zwar vor allem durch das höhere Bewusstsein seiner Menschenwürde, durch persönlichen Mut und ein gewisses Anstandsgefühl im Umgange. Nie verneigt er sich vor seinem Gutsherrn bis zur Erde wie dies der slawische Bauer tut, sondern sein Gruß ist würdevoll und nicht ohne einen Anflug von ritterlicher Höflichkeit. Auch weiß er in Worten seiner Höflichkeit Ausdruck zu geben und nicht selten ist seine von Artigkeiten strotzende Rede eines zivilisierten Salonmenschen würdig. Dabei besitzt er viel Empfänglichkeit für die Poesie, bedient sich stets einer blumenreichen, etwas überschwänglichen Sprache und ist ein Freund lyrischer und epischer Dichtung. Daher ist auch die georgische Poesie ein Gemeingut für Alle, denn Gedichte, die heute zum ersten mal in den Salons deklamiert werden, klingen in wenigen Tagen schon im Munde des Volkes.

Was die gegenseitigen Verhältnisse zwischen Gutsbesitzern und Bauern anbetrifft, so sind diese in Georgien ziemlich freundschaftlich und oft bezeigen die Dienstboten große Anhänglichkeit an ihre Arbeitgeber, denen sie nicht selten mit aufrichtiger Aufopferung in Gefahren beistehen. Trotz dieser Treue, die der georgische Bauer im Dienste an den Tag legt, dient er doch nur, wenn es die Notwendigkeit erheischt und liebt über Alles seine Unabhängigkeit. Noch weniger Neigung zum Dienen besitzt die georgische Bäuerin, die sich überhaupt sehr wenig mit schwerer Arbeit befasst und nie sah ich eine Georgierin im Felde arbeiten. Im Hause verrichtet sie gleichfalls nur leichtere Handarbeiten, beschäftigt sich aber fast ausschließlich mit der Erziehung der Kinder. Bei solchen Umständen ist natürlich auch die Stellung der georgischen Bäuerin von der ihrer Standesgenossinnen in Osteuropa sehr verschieden, denn seitens der Männer genießt sie eine achtungsvolle Behandlung und versteht es auch sich dieser würdig zu zeigen; größtenteils ist sie ernsthaft, was mit ihrer Schwerfälligkeit vortrefflich harmonisiert.

Die Trägheit hat im Orient immer einen Anflug von Ernst, während jede Tätigkeit eine nervöse Hast kennzeichnet.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Georgien. Natur, Sitten und Bewohner.