Georgien. Natur, Sitten und Bewohner.

Mit 9 Illustrationen nach Original-Aufnahmen.
Autor: Leist, Arthur (1852-1927) deutscher Schriftsteller, Übersetzer und Journalist. Er lebte in Georgien und war Chefredakteur der Wochenzeitung „Kaukasische Post“, Erscheinungsjahr: 1885

Exemplar in der Bibliothek ansehen/leihen
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Russland, Georgien, Odessa, Batum, Tiflis, Krim, Kaukasus, Tscherkessen, Land und Leute, Sitten und Bräuche, Bewohner, Natur,
Von Batum bis Tiflis.

Nach fast viertägiger Fahrt langte unser Schiff von Odessa kommend im Batumer Hafen an und obwohl froh so nahe am Ziele meiner Wünsche zu sein, hätte ich doch noch mit Freuden die Seereise fortgesetzt, denn was gibt es Herrlicheres, Poesiereicheres als eine Wanderfahrt auf sommerlich ruhiger See, wenn das Schiff an malerischen Küsten vorübergleitet und wundervolle Mondscheinnächte die azurblaue See und ihre im Silberschimmer schwindenden Ufer in eine wahre Märchenwelt verwandeln! Zuerst hatte uns das prachtreiche, gebirgige und mit schönen Schlössern und Villen besetzte Südufer der Krim entzückt, darauf aber die unbeschreiblich schöne Küste Kaukasiens mit ihren weit die Wolken überragenden Bergen. Einen ganzen Tag hatten wir das Schauspiel seiner malerischen Berglandschaften, jede Stunde rollten sich in der Ferne neue Bilder auf, deren grüner Waldschimmer mit mächtigen, in der Sonne glänzenden Schneefeldern gekrönt war. Doch still ist es auf diesen grünen Bergen, still in den wonnig grünen Tälern, denn das ganze kaukasische Westufer ist seit dem Auszuge der Tscherkessen fast unbewohnt und nur hie und da lassen angebaute Felder die Nähe von Menschen vermuten. Ganze Dörfer liegen verlassen da, auf hohen Bergen ragen vereinsamte Burgen schweigsam in den herrlichen Sommerglanz der Natur hinaus und weit ringsumher herrscht Totenstille, die zwar nicht reizlos ist, aber immerhin einen höchst traurigen Eindruck macht.

Batum, welches erst seit dem letzten Berliner Traktate zu Russland gehört, ist ein asiatisches Nest, das zwar schon einigen europäischen Schmuck angelegt hat, dessen Gesamtbild aber immer noch den Stempel türkischer Verwahrlosung an sich trägt. Die geringe Zivilisation, die hier seit den paar Jahren Wurzel geschlagen, scheint übrigens nicht schlecht fortzukommen, denn Batum hat heute schon seine erträglich bequemen Hotels, einige Läden und einen hölzernen Bahnhof. Auch besitzt es einen vorzüglichen Hafen, den jedoch weder Russen noch Türken gebaut haben, denn er ist nichts weiter als eine von Bergen geschützte Bucht und seine Baumeisterin ist die Mutter Natur, die überhaupt für Batum sehr gnädig ist und es Jahr aus, Jahr ein mit ewigem Frühlinge versorgt. Das Klima ist hier ein sehr mildes und wäre eines der gesündesten der Erde, wenn sich die Fieberluft aus diesen herrlichen Tälern verdrängen ließe.

Der üppige Pflanzenwuchs und die zahlreichen Sümpfe, die noch lange nicht ausgetrocknet sind, sichern aber dem Fieber noch für lange das Dasein in Batums paradiesischer Umgegend und bis dahin wird wohl von einem wirklichen Aufschwünge dieser Stadt keine Rede sein. Übrigens benimmt sich das Batumer Sumpffieber nicht gegen Alle auf gleiche Weise. Manche leiden Jahre lang daran wie am Rheumatismus, andere fallen ihm in kurzer Zeit zum Opfer, während nicht wenige gar keine Bekanntschaft mit ihm haben und es geradezu verspotten. Es geschieht mit ihm wie mit der Liebe, obgleich mir ein Quarantänebeamte versicherte, dass gegen Liebe und Fieber alle Quarantänemaßregeln erfolglos seien.

Für den, der den Orient zum ersten Male besucht, mag Batum immerhin einigen Reiz besitzen, obgleich sein orientalisches Leben selbst einem türkischen Effendi ganz erbärmlich erscheinen muss. Elende Häuser, einige Moscheen, halb zerlumpte Türken und Griechen und mitunter ein phantomartig verschleiertes Weib sind übrigens Alles, Avas Batum an orientalischen Bildern bietet. Zudem haftet an dem Gesamtbilde der Stadt noch ein sehr prosaischer Anflug hoher Zivilisation, denn Feuer, Wasser, Luft und Erde duften hier nach Petroleum, für welches Batum ein wichtiger Ausfuhrplatz ist.

Petroleumduft und Fieberluft sind nicht gerade anziehend, weshalb ich auch Batum gern den Rücken kehrte und mich zur Weiterreise nach Tiflis anschickte.

Die Eisenbahn dahin führt durch Gurien und Imeretien, zwei der schönsten Provinzen des alten Georgiens, das einst in den Tagen seiner Macht bis an das Schwarze Meer reichte und die ganze Landstrecke zwischen dem großen und kleinen Kaukasus umfasste. Mingrelien, Gurien, Imeretien, Kartalinien und Kachetien waren damals seine Provinzen und erst später in den Zeiten des Verfalls zerfiel das Bagratidenreich in einzelne kleine Staaten, die ihre eigenen Fürsten hatten und durch ihre langwierigen Zwiste den Untergang der Selbstständigkeit Georgiens herbeiführten.

Bald hinter Batum nähert sich der Schienenweg dem Meeresufer und läuft eine weite Strecke längs demselben hin. Das schöne, blaue Meer, die herrliche Azurwelt lacht gar wonnig im Sonnenglanze und frisch toben die Wellen an das Ufer und werfen ihre Wasserperlen bis herauf auf den Schienendamm. Bald ist die weite Meeresfläche von einem grünen Schimmer überflogen, bald färbt sie sich veilchenblau und wie Sträuße von Schneeblumen gaukeln über diesem Farbenspiele die weißen Kämme der Wogen.

- Fortsetzung -

Leist, Arthur (1852-1927) Schriftsteller, Übersetzer und Journalist, lebte und starb in Georgien

Leist, Arthur (1852-1927) Schriftsteller, Übersetzer und Journalist, lebte und starb in Georgien

Georgien. Natur, Sitten und Bewohner Titel

Georgien. Natur, Sitten und Bewohner Titel

00 Ansicht von Tiflis

00 Ansicht von Tiflis

07 Kathedrale in Mzchet

07 Kathedrale in Mzchet

08 Kathedrale in Gelats bei Kutais

08 Kathedrale in Gelats bei Kutais