Exkursion Sassnitz — Stubbenkammer

Das Ufer zwischen Sassnitz und Stubbenkammer ist wegen der Wirkung der Brandung und des Regens auf die Felsen, sowie wegen der dort deutlich sichtbaren Verwerfungen aus der Interglazialzeit interessant.

Auf der Kreide erscheint als Hangendes blaugrauer, an großen Blöcken reicher älterer Geschiebemergel und zwar in zwei durch eine 3 — 4 m mächtige Sandlage getrennten Bänken. Die Begrenzungsflächen von Kreide und Diluvium sind oft nahezu mit den Feuersteinlagen parallel, woraus man auf eine flache Lagerung beim Beginne der Vereisung schließen darf. Nach Absatz des älteren Diluvium zerbrach aber die Kreide mit ihrer Decke in viele schmale, NW — SO. gerichtete Schollen, die sich an den Brüchen zum Teil zusammenstauchten und geneigte, meistens gegen SW. gerichtete Lage annahmen, über dieses treppenförmige, neugebildete Gelände ging der jüngere Gletscher hinweg, hobelte alle oberen Teile ab und schuf die Hochfläche der Stubnitz. Sein Produkt ist der gelbe jüngere Geschiebemergel, der gleichmäßig, aber in verschiedener Lage den unteren und die Kreidekuppen überzieht, woraus sich mit Gewissheit die Entstehungszeit der Spalten als zwischen das ältere und jüngere Diluvium fallend ergibt. Da die Küste zwischen Sassnitz und dem Kolliker Bach schief zur Längsrichtung der einzelnen Schollen steht, so erhält man spitzwinkelige Schnitte, in denen die typische Gestalt der Verwerfungsklüfte nicht deutlich heraustritt, und es sieht aus, als ob die älteren Geschiebemergel mit ihren Sanden unter der Kreide lägen; denn sie scheinen unter der Kreide aus dem Boden aufzutauchen. Meistens benutzen die Bäche der Stubnitz die von Diluvium eingenommenen Teile des Steilrandes, um nach dem Meere durchzubrechen und haben in den Mergel und Sand ihr Mündungstal eingenagt. Auf der Strecke vom Jasmundstein oder der Ecke am Kollicker Ufer bis nach Krievitz, wo die Küste NW — SO. läuft und einer einzigen, freilich stark gequetschten und gefalteten Scholle entspricht, fehlen diese diluvialen Einschiebungen an den Steilwänden. Sie lassen sich aber ganz deutlich in der Senke südwestlich vom Königsstuhle nachweisen, wo sie von der Einsattelung an der Golgathaquelle gegen NW. fortziehen und durch eine Menge von langgestreckten Mulden bezeichnet werden.


Das Streichen an der Oberfläche ist vielfach ein östliches oder auch nordöstliches, der Verbreitung der Kreide scheinbar widersprechend. Nach meiner Meinung hängt das damit zusammen, dass bei der letzten Vereisung der über die weiche Kreide weggleitende Gletscher ihre obersten Partien durch seinen Seitendruck und seine Bewegungsrichtung von NO. nach SW. resp. von O. nach W. in kleine, ebenso streichende Sättel zusammenpresste. Dadurch sind auch die von der Küste bei Stubbenkammer radial nach Westen ausstrahlenden langgestreckten Buckel auf der Oberfläche von Jasmund bedingt.

Für die Oberfläche der Stubnitz sind überhaupt die unregelmäßigen, bisweilen reihenförmig angeordneten, oft abflusslosen Vertiefungen bezeichnend. Einerseits sind dieselben zweifellos durch die Schollennatur und die Staffelbrüche bedingt, weil sich am Steilrande der Kreiderücken alles Wasser sammeln muss, andererseits scheinen Auflösungs- und Ausschwemmungserscheinungen dabei eine Rolle zu spielen. Die Kreide löst sich als kohlensaurer Kalk in den kohlensäurehaltigen Sickerwassern, und durch Einbruch dabei entstandener Hohlräume oder Klüfte bilden sich oberflächlich Erdtrichter und Erdfälle. Diese letzteren werden ferner begünstigt durch ein Ausspülen oder langsames Fortführen der zwischen den beiden Geschiebemergeln lagernden Sande, ein Prozess, der wieder mit der Auflösung der Kreide längs der Küste Hand in Hand geht. Seit historischer Zeit ist ein Trichter neu entstanden — die sog. eingesunkene Stelle nördlich vom Fuchsberge 1 km südlich vom Forsthaus Hagen — , und bald darauf hat sich in einer bei Quoltitz ausfließenden Quelle eine mehrere Monate lang anhaltende milchige Trübung gezeigt. Der Herthasee gehört aber nicht zu diesen Erdfällen, da er am Ende eines längeren vertorften Tales liegt.

An der Küste nördlich von Sassnitz kann man jahraus jahrein die zerstörende Wirkung der Brandung beobachten, die bei Nordoststürmen im Winter bis an die Kreideklippen heranreicht, diese mit ihrem Anprall und dem der Gerölle unterwühlt und dadurch viele hundert Kubikmeter mit den darauf stehenden Bäumen zum Abrutschen bringt. Die Diluvialgeschiebe und die Feuersteine häufen sich nach Auswaschung der leichteren Bestandteile am Ufer an und werden zu einem schmalen Steinstrande zusammengerollt. Da der Küstenstrom aber bei Wellenschlag ziemlich kräftig und im allgemeinen gegen Süden gerichtet ist, führt er das Material immer weiter gegen Sassnitz und auf die Schmale Heide zu, so dass ein Vorland sich nicht zu bilden vermag. Wie ein kleiner Damm, senkrecht zur Strömung aufgeführt, dies Strandgeröll zur Ablagerung bringt, zeigt die Verlandung der Küste vor dem Restaurant Bieramare in Sassnitz, wo noch vor kurzer Zeit nur ein schmaler Fusspfad entlang führte, während jetzt ein ca. 50 m breites Vorland in Folge einiger Stürme angewachsen ist, seitdem mehrere große, im Wasser liegende Blöcke mit dem Ufer durch einen Steinwall verbunden wurden. Die Zerstörung der Küste hat in den letzten fünf Jahren stark zugenommen, weil man die vor dem Strande als Wellenbrecher dienenden Steine herausgefischt (gezangt) und zum Hafenbau bei Sassnitz verwendet hat. Die Wogen können nun mit ganzer Kraft auf das Ufer wirken und zerstören fast jährlich die im Frühling mit nicht unbedeutenden Kosten längs der Felsen hergestellte Strandpromenade.

Die der Brandung entzogenen höheren Teile der Klippen unterliegen der Abschwemmung durch die vom Winde dagegen gepeitschten Regenfluten. Außerdem wirkt der Frost zerstörend, indem zur Winterszeit die feuchten, von Regen oder Wellenstaub bespritzten oberen Schichten frieren und sich durch die Ausdehnung des frierenden Wassers auflockern. Tritt im Frühjahr Tauwetter ein, so bröckeln die Klippen außen oft bis zu einem halben Fuß ab, und es rieseln die Trümmer hernieder an den Strand, wo sie vom nächsten Hochwasser fortgeräumt werden. Sobald aber eine etwas härtere Lage oder eine Reihe von großen Feuersteinen dieser Ausnagung Widerstand leistet, entsteht allmählich ein Grat mit seitlichen Schluchten, in denen sich Wind und Regen nunmehr erst recht fangen und nach hinten aushöhlend eingreifen, so dass zuletzt der Grat mehr oder minder, isoliert als Pfeiler oder Kamm vor der zurückgerückten Wand steht.

Alle diese Erscheinungen lassen sich trefflich auf einer Wanderung von Sassnitz nach Stubbenkammer beobachten. Der Weg erfordert 3 bis 3 1/2 Stunden und wird am besten am Strande bis zur Waldhalle genommen. Dann steigt man dort hinauf, geht oben am Rande der Klippen entlang bis zu dem tiefen Einschnitte des Kieler Baches, wo eine primitive Ladestelle ist. Man wende sich nun rückwärts am Ufer, um dort die drei schönsten sog. Einschiebungen von Diluvium in Kreide anzusehen und kehre dann auf den oberen Pfad zurück, da die Strandwanderung auf den Feuersteinen sehr unbequem ist. Vom Kieler Bach bis Stubbenkammer gebraucht man noch 3/4 bis 1 Stunde und muss wiederholt von der Höhe der Kreideklippen in die von Diluvium erfüllten Senken hinab, was bei nassem Wetter durch den schlüpfrigen Boden nicht gerade erleichtert wird.

Gleich hinter Sassnitz*) bei der Ladostelle einer oben liegenden Schlämmerei sieht man einige große Geschiebe im Wasser liegen, die von der Höhe herabgefallen sind und die Grenze eines früheren Ufers angeben. Sofort bei der ersten Spitze beginnt die scheinbare Wechsellagerung von Diluvium und Kreide am Galkower und Wissower Ufer. Zahlreiche, zum Teil riesige Geschiebeblöcke mit prächtiger Glazialschrammung und Glättung sind am Strande verstreut oder stecken, zum baldigen Herabfallen gelockert, in den Diluvialmergeln. Man überschreitet erst den Lenzer, nach 1 Kilometer den Wissower Bach, umgeht die Spitze und sieht dann aus dem Buschwerk die eigentümlichen Pfeiler der Wissower Klinten aufragen. Dieselben bestehen unten aus Kreide, oben aus gelbem jüngeren Geschiebemergel und sind durch den Regen in der geschilderten Weise herausgespült. Der eine trägt oben eine Krone von Buschwerk, die ihn vor weiterer Abspülung von oben her schützt, die aber, von der Seite unterwaschen, in kurzer Frist herabfallen wird, worauf auch der Pfeiler rasch zu Ende gehen muss. Zwischen den beiden Pfeilern ist die Schrundenbildung trefflich entwickelt und vertieft sich von Jahr zu Jahr. Am Strande findet man reichlich kristalline Geschiebe, besonders rote Rapakiwis und Aländer Granite, Päskallavitporphyre mit blauem Quarz u. a. m. Sedimente kommen nur in geringerer Zahl vor, da die harten Feuersteine die weichen Kalke und Sandsteine bald zerreiben.

*) Man erkundige sich vor Beginn dieser Strandwanderung bei den Fischern, ob man um die Felsen herum kommen kann. Ist das nicht der Fall, gehe man oben bis zur Waldhalle, dort hinunter und dann auf dem Feuersteinstrande bis zur Mündung des Kieler Baches am Schnacksufer und Tipper Ort entlang; sonst, wenn auch dort der Strand fortgerissen, muss man wieder bei der Waldhalle hinauf und bis zum Kieler Bache oben bleiben. Die Gangbarkeit des Strandes wechselt von Jahr zu Jahr.

Der Weg auf der Höhe von der Waldhalle bis nach dem Kieler Bach bietet eine Reihe landschaftlich schöner Punkte und einen angenehmen Gang durch den Wald. Am Strande unten sind die Klippen am sog. Tipper Ort reich an Versteinerungen; freilich muss man in den frisch abgebrochenen Stücken sorgsam suchen, um kleine Brachiopoden und viele Bryozoenkolonien zu erkennen. Von der Mündung des Kieler Baches an nach Sassnitz etwa ½ km zurückgehend, hat man das in der Abbildung wiedergegebene Profil.

Von diesem Bachrisse bis nach Stubbenkammer führt der Weg dicht am Steilufer auf der Höhe hin und bietet wiederholt herrliche Durchblicke auf das Meer und die Klippen. Auf der Victoria-Sicht, dem letzten Felsen vor dem Königsstuhl, erhält man einen typischen Einblick in die Gratbildung und deren Zusammenhang mit den der Abschwemmung widerstehenden Feuersteinlagen. Der Königsstuhl bei Stubbenkammer besteht aus zwei benachbarten plateauähnlichen, vorspringenden Kreidefelsen, mit einem tiefen zwischenliegenden Schrunde, der unten von zwei säulenartigen niedrigen Klippen flankiert und von unten her zugänglich ist. Der Königsstuhl (119 m) besteht aus stark zusammengebogenen, zum Teil vertikalen Schichten, was aber erst von unten her sichtbar wird. In der von Diluvium erfüllten Senke zwischen Königsstuhl und Victoriahöhe tritt eine Quelle als Überfallquelle (Golgathaquelle) an der Grenze von Geschiebemergel und Kreide heraus.

Von Stubbenkammer aus besuche man den Herthasee mit dem alten Burg wall und dem Opfersteine. Der See ist leicht zu finden, da man von Stubbenkammer nur der Fahrstraße zu folgen und bei der Straßenkreuzung einfach geradeaus zu gehen braucht; die Entfernung ist nicht ganz 1 km. Der von Hochwald umrahmte, im Sommer mit Wasserrosen dicht bedeckte See nimmt die Kreuzungsstelle zweier moorigen Mulden ein und hat keinen sichtbaren Abfluss. Alle über ihn bestehenden Sagen sind gelehrten Ursprungs, und mit der Göttin Hertha (Nerthus) hat er nichts zu tun. Dass aber hier ein alter Wohnsitz war, zeigt der an der Ostseite aufgeworfene, mächtige, nach außen steil abfallende Ringwall, von dessen äußerster Spitze durch eine Baumlücke Arkona im Norden sichtbar ist. Östlich vor dem Walle liegen in der Senke zwei sog. Opfersteine, mit welchen ein gewaltiger Hokuspokus getrieben wird. Die ursprünglich kaum deutlichen Eindrücke des oberen sind dank freundlicher Nachhilfe im Laufe der Jahre immer mehr den Abdrücken eines großen und eines kleinen Fußes ähnlich geworden. Der untere, angeblich ein Opferstein, in dessen Kinne zum Abschlachten das Menschenopfer gelegt wurde, hat an seinem Fuße einen erst später dorthin versetzten Mahlstein der Wendenzeit, welcher aber als Blutschale gedient haben soll. Die rote Farbe des Blutes wird jährlich etwas aufgefrischt.

Von Stubbenkammer kann man nun am Herthasee entlang auf dem Hauptwege nach Sassnitz zurückkehren (2 — 2 ½ Std.) oder mit einem Dampfer an der Küste entlang fahren, um noch einmal einen Gesamteindruck der Kreidefelsen zu erhalten. In ersterem Falle lässt sich 2 km vor Sassnitz bei der Oberförsterei Werder noch ein zweiter, südöstlich des Gehöftes gelegener Burgwall besuchen, in dessen Nähe an der Ostseite auch ein Hünengrab sich befindet. Ein Fußweg führt von der Oberförsterei zwischen beiden hindurch und mit einem seitlichen Abstecher in den Burgwall hinein. Seine Verlängerung endet an dem nach Sassnitz hinabführenden Bachrisse der Krenz.
Kleine Stubbenkammer auf Rügen

Kleine Stubbenkammer auf Rügen

Sassnitz 2011

Sassnitz 2011

Stubbenkammer um 1900

Stubbenkammer um 1900

Stubbenkammer, vom Strand aus betrachtet

Stubbenkammer, vom Strand aus betrachtet

Stubbenkammer, von der Seeseite

Stubbenkammer, von der Seeseite

Stubbenkammer von der Victoria-Sicht aus betrachtet

Stubbenkammer von der Victoria-Sicht aus betrachtet

Sassnitz, Hotels an der Strandpromenade

Sassnitz, Hotels an der Strandpromenade

Sassnitz, Kirche

Sassnitz, Kirche

Sassnitz, Rathaus

Sassnitz, Rathaus

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