Ein Blick auf die Stadt und ihre Bewohner

Wenn unsere im grauen Altertume gebildeten und im wüsten Mittelalter kristallisierten Städte mit ihren engen Straßen und winkeligen Häusern, von den bizarresten Formen und mit tausend von Jahrhundert zu Jahrhundert fortgeerbten Unbequemlichkeiten im Bauplane oft wahren verwachsenen Steinmassen und ausgehöhlten Felsennestern gleichen, in denen planloser Zufall die Wohnungen auf einander setzte, oder Furcht und Not die Mauern ballte, die Gebäude zu Türmen auftrieb und die Menschen wie in Bienenzellen häufte: so wurde dagegen in Petersburg, dem Kinde unserer aufgeklärten Tage, Alles bequem, verständig und genießbar, die Straßen weit, die Plätze regelmäßig, die Gehöfte groß, die Häuser geräumig. Bei uns taxiert und misst man die Bauplätze mit dem Zollstabe. Die 50 Quadratwerst**), welche Petersburg für sich nahm, erlaubten freigebiger zu verfahren, und wenn in Wien oder Dresden selbst die Königspaläste so sehr mit den übrigen Gebäudemassen verschmelzen, dass sie kaum als selbstständige Ganze zu erkennen sind, so nimmt dagegen in Petersburg jedes Haus mit seinen Höfen ein Stück Boden ein, das hinreichend groß ist, um sich ganz bequem ausbreiten zu können, und jeder Baum im großen Häuserwalde tritt selbstständig hervor, sich malerisch präsentierend.

*) Petersburg in Bildern und Skizzen v. J. G. Kohl. Leipzig u. Dresden.
**) Gleich einer Quadratmeile. Auf unsere deutsche Meile, mit der die geographische übereinkommt, gehen sieben Werst.


Aber eben deshalb, weil das Einzelne sich breit macht, verliert das Ganze an Einheit, ist Petersburg nichts weniger als eine malerische Stadt. Alles ist so luftig und licht, es fehlt in den Straßen so sehr an kräftigen Schatten, an hell durchbrechenden Strahlen, an der Mannigfaltigkeit des Lichts, es ist Alles so bequem, verständig, so neu, ja so schön, dass es schwer hält, auch nur Eine poetische Ansicht zu gewinnen, wie man sie in unfern an Kontrasten, Erinnerungen und buntem Leben so reichen Städten unschwer findet. Dazu kommt, dass das Terrain der Stadt so eben ist, dass sich kein Teil über den andern erhebt. Nichts hebt sich, nichts gruppiert sich, Alles zerfällt und verschwindet, und die Augen finden keine Anhaltepunkte in diesem gewaltigen Meere auf- und niederwogender Paläste.

Namentlich macht sich diese Eigentümlichkeit Petersburgs im Winter bemerklich, wo Alles, der Boden, die Dächer, die Newa-Arme, mit einer und derselben Farbe, dem einförmigen Weiß des Schnees, überzogen sind. Die weißen Wände der Häuser heben sich nicht vom Boden ab und scheinen kaum auf festem Grunde zu wurzeln; die beschneiten Dächer zerfließen mit den graulichen Tinten des Himmels, ohne die Häuser deckend abzuschließen, und die nordische Palmyra gleicht dann vielleicht einem Nebelgebilde, einer Schattenstadt, in der alle Linien verschwinden, alle Ecken fehlen, als hätten die Häuser keine Festigkeit, und als wäre alles Gemäuer nur locker und luftig.

Kein Ort erleidet aber auch eine so interessante Verwandlung als die Newatochter im Frühling, wenn ihr Himmel sich abklärt, und die Sonne das bleiche Leichentuch des Winters von den Dächern und Flüssen hebt. Es ist, als wenn dann die Stadt erst wahre Existenz bekäme und sich in wenigen Tagen von Neuem vor den Augen des Zuschauers aufbaute. Die Häuser fassen nun auf dem dunkeln Grunde festen Fuß, die lebhaften Farben der grün angestrichenen Dächer und der auf blauem Grunde mit goldenen Sternen beschneiten Kirchenkuppeln, die vergoldeten Spitzen der Türme, die sich aus der Eiskruste hervorschälen — erfreuen nun das so lange Zeit aller erquickenden Farbenspeise entbehrende Auge mit frischem Reize, und die klaren Flussnymphen, die ihren Eispelz abgeworfen haben, werfen aus taufend Spiegeln das Bild der schmucken Paläste zurück.

Keine unserer heutigen Städte kann sich rühmen, so ganz aus Palästen und Riesengebäuden zusammengesetzt zu sein, wie Petersburg, wo selbst die Hütten der Armut einen Anstrich von Großartigkeit haben. Es gibt z. B. drei Gebäude in Petersburg, die nur durch einen Flussarm von einander getrennt sind, die Admiralität, das kaiserliche Schloss und das erste Kadettenhaus. Um auf dem geradesten Wege von dem einen Ende dieser drei Häuser zum andern zu gelangen, muss ein fleißig daherschreitender Fußgänger 25 Minuten wandern, denn die Entfernung beträgt etwas mehr als eine englische Meile. Es gibt viele Häuser in Petersburg, in denen mehrere tausend Menschen wohnen, z. B. im Winterpalais 6.000, im Hospital der Landtruppen 4.000 (d. h. Betten für eine gleiche Anzahl von Kranken), im Findelhause 7.000 (Kinder), im großen Kadettenhaus mehrere tausend junge Leute. Von manchen Häusern haben die Besitzer eine Einnahme, wie sie manche Grafschaft nicht trägt, denn einige bringen jährlich an 100.000 Rubel ein. Selbst unter den Privathäusern sind viele, welche an Zahl und Weitläufigkeit der Gebäude, an Größe der einzelnen Flügel usw. der Burg in Wien wenig nachgeben. Ein Haus z. B., das ich öfters besuchte, bildet in seinem Erdgeschoss einen Bazar, in dem Kaufleute alle tausend Bedürfnisse dieses irdischen Lebens feilbieten, während auf der andern Seite eine Reihe deutscher, französischer und englischer Künstler und Handwerker ihre Schilder aushängen haben. In der Bel-Etage wohnen zwei Senatoren und die Familien mehrerer reichen Partikuliers. In dem zweiten Stock befindet sich eine berühmte pädagogische Anstalt und eine ziemliche Anzahl von Akademikern, Lehrern und Professoren, und in verschiedenen Hintergebäuden hausen unter vielem obskurem Volke mehrere Majore, Obersten, einige abgedankte Generale, ein armenischer Priester und ein deutscher Prediger.

Die meisten Häuser in Petersburg sind bis jetzt nur zweistöckig, und nur in den innersten Stadtteilen findet man drei- und vierstöckige. Die Mehrzahl ist hölzern, denn die Russen haben eine gleiche Vorliebe für niedrige und hölzerne Häuser, die auch in der Tat viele Vorteile gewähren, namentlich in Hinsicht der Wärme. Die Regierung sucht aber die hölzernen Häuser mehr und mehr zu verbannen, und in einigen Stadtteilen sind sie ganz und gar verboten.

Das Bauen der Häuser ist in Petersburg kostspieliger als in jeder andern Stadt des Reiches, weil die Nahrungsmittel und daher der Tagelohn teurer sind als irgendwo, dann auch der Fundamentierung wegen. Der schwammige und morastige Boden der Stadt macht es durchaus nötig, dass man zuvor ein ganzes Gerüst unter die Erde versenke, ehe es möglich ist, dass eins über derselben erscheint. Alle größeren Gebäude der Stadt ruhen auf Rosten von außerordentlich langen Bäumen, die unten in festeren Schichten der Insel wurzeln.

Als Material bei den hölzernen Häusern bedient man sich natürlich der Fichtenstämme, die nach der gewöhnlichen nordischen Weise über einander gelegt werden; bei den steinernen aber der gebrannten Ziegel und des finnländischen Granits. Die Mauern, die man aus Ziegeln baut, sind gewöhnlich von ungemeiner Dicke, und während man bei uns darüber erstaunen muss, wie man hohe Gebäude mit so äußerst dünnen Mauern aufzuführen wagt, hat man hier Gelegenheit, sich über die 5—6 Fuß dicken Mauern der niedrigen Gebäude zu wundern. Alles wird mit unglaublicher Schnelligkeit gebaut. Teils treibt die Kürze der für den Bau günstigen Jahreszeit dazu, teils die Ungeduld der Russen, das Angefangene fertig zu sehen. Dafür gibt es denn freilich auch eine Menge von Häusern, die frühzeitig an Altersschwäche leiden. Der jetzt wieder fertig gewordene Winterpalast ist das frappanteste Beispiel davon. Es wurden binnen Jahresfrist nicht weniger als 20 Millionen Rubel darin verbaut! Man setzte den Bau im Winter fort, indem man das ganze Gebäude beständig heizte, um die Materialien flüssig zu erhalten und die Wände schnell trocknen zu lassen. Mit den meisten Privatgebäuden der Großen ist es ein ähnlicher Fall. Alles wird so schnell zusammengenagelt, wie Theaterdekorationen.

Bei der Leichtigkeit, mit der die Russen sich zu Veränderungen entschließen, wird man es natürlich finden, dass in Petersburg viel gebaut und umgebaut wird. Es ist fast nie ein Haus völlig fertig, und beständig wird an ihm bald hier, bald da etwas geflickt und geändert. Ein einziges Fest, ein Ball, ein Diner bringt oft nicht unbedeutende Veränderungen im Innern eines Hauses zuwege. Findet man die Suite der Zimmer zu klein, so bricht man eine Mauer durch, zieht das folgende Zimmer hinzu und lässt Türen für den Abend einsetzen. Säulen und Balustraden werden zur Ausschmückung und für die Musiker errichtet, Lauben, Stubengärten, Buffets arrangiert, Zimmer für den Augenblick mit Tapeten behangen und mit Teppichen belegt, ja oft, um noch Zimmerraum zu gewinnen, wird ein vorläufiges hölzernes Zimmer über den Balkon hingebaut, der als hübsch ausgeschmücktes Kabinett oder als Sitz der Musiker mit zum Tanzsaal gezogen wird. Es gibt gewiss kein einem Russen gehörendes Haus, das vierzehn Tage hindurch in demselben Zustande verbliebe. Die furchtbare Langeweile, die innere Unruhe und Launenhaftigkeit lassen die vornehmen Leute nicht vierzehn Nächte hinter einander in derselben Kammer schlafen. Bald ist diese, bald jene Stube der Herrin Schlafzimmer, bald empfängt sie in diesem, bald in jenem Salon, bald wird ihr Schlafzimmer das der Kinder, bald macht man die Schulstube zum Ballsaal. Das Nomadisieren steckt so tief in der Natur der Russen, dass sie im Laufe des Jahres nicht nur von einem Ende zum andern wandern, sondern auch noch im Verlauf einer Jahreszeit, wenigstens in den verschiedenen Etagen ihres Hauses, auf und ab nomadisieren Auch die Polizei flickt mit großer Veränderlichkeit an den Häusern. Bald verbietet sie diese oder jene Fensterform, bald gebietet sie, alle Türen sollen von Eichenholz sein, bald erlaubt sie es, dass hier und da Erker und Vorbauten aus den Souterrains hervortauchen, bald lässt sie dieselben mit einem Male rasieren.

Das Straßenpflaster ist in Petersburg, wie man aus dem über die Sumpfigkeit des Bodens Gesagten schon schließen kann, eines der teuersten, denn es bedarf beständiger Reparaturen, und doch dringt die Feuchtigkeit überall durch. Auch verstehen sich die Russen auf das Pflastern schlecht, und man hat für die besseren Straßen deutsche Pflasterer aus den Hansestädten berufen, die hier immer genug zu tun finden. Neben dem schlechtesten hat man aber auch das schönste Straßenpflaster, die herrlichsten Holzblockwege, auf denen die Wagen so glatt und geräuschlos rollen, wie die Elfenbeinkugeln auf dem Billard. Diese Wege, die jedoch bloß als schmale Streifen durch die große Newa-Perspektive und einige andere Straßen führen, bestehen aus sechseckigen Holzblöcken, die wie Bienenzellen zusammengefügt sind. Da das Holz bei dem unaufhörlichen Fahren und bei dem feuchten Boden sich schnell verbraucht, so sind diese Wege ungemein kostbar und werden wohl mit der Zeit eingehen. Übrigens wendet man in Petersburg schon deshalb weniger Sorgfalt auf ein gutes Pflaster, weil es sechs Monate hindurch völlig gleichgültig ist, was für ein menschliches Pflaster vorhanden, da die Natur mit Schnee und Eis dann selber pflastert.

Die Zu- und Abgänge der Häuser von allen Seiten her sind bequem und weit. Die meisten Häuser der Großen haben ihre Vorhöfe zum An- und Abfahren der Equipagen, wie bei uns nur die Theater oder Königspaläste. Auch das Innere ist durchweg geräumiger, als in irgend einer unserer Städte, und wer bei uns mit ein paar Zimmern sich begnügt, hält in Petersburg gewiss auf eine Suite von einem halben Dutzend. Die Vorhäuser sind groß, die Treppen winden sich in doppeltem Zuge zu beiden Seiten zur Bel-Etage hinauf. Die Tanz-, Speise- und Gesellschaftszimmer sind hoch und weit. In vielen Palästen findet man eigene Zimmerräume, die zu Wintergärten bestimmt sind. Die größten solcher Wintergärten, die in Petersburg mehr als sonst in irgend einer Stadt Mode sind, befinden sich natürlich in dem kaiserlichen Palais, doch werden oft bei großen Tanzfesten auch nur temporäre Wintergärten mit Lauben, Blumenbeeten, Springbrunnen usw. arrangiert, in deren Mitte dann die Tänzer unter duftenden Gebüschen ausruhen, wie in den Blumengehegen des Paradieses.

Eine der kostbarsten Zierden der Petersburger Häuser entsteht durch den Luxus, der mit den großen Fensterscheiben getrieben wird. Mit Recht hat man gefunden, dass die fatalen Fensterstäbe, welche die Scheiben zusammenhalten, die Aussicht sehr stören. Man lässt sie daher ganz weg und füllt die Öffnung mit einer einzigen großen Spiegelscheibe aus. In den meisten Salons befindet sich gewöhnlich nur Ein so kostbar verglastes Fenster. Dasselbe vertritt dann die Stelle der bei uns gewöhnlichen Guckfenster und Erker, und die Damen arrangieren ihre Arbeitstische und Divans diesem Fenster gegenüber, vor dem sich alle Tableaux des Straßenlebens wie hinter einer Laterna magica vorüber bewegen. Die Häuser der Reichen sind von oben bis unten mit solchen kostbaren Scheiben versehen.

Die Großartigkeit des Planes der Stadt und seine kolossalen Verhältnisse offenbaren, dass man bei ihr auf eine lange Zukunft rechnete. Jetzt reicht die Bevölkerung, so mächtig und schnell sie auch anschwillt, noch immer nicht hin, die großen Räume mit dem Leben zu füllen, das man in einer großen Residenzstadt billig erwartet. Wenn auch sämtliche 520.000 Menschen mit Weib und Kind, mit Sack und Pack auf den Straßen beständig verkehrten, so bliebe doch für Jeden noch immer ein Raum von 400 Fuß, und man würde etwa alle zehn Schritte einen Menschen treffen. Darum fällt jedem Fremden die große Öde und Leere in den Straßen auf. Er findet hier große wüste Plätze, auf denen zuweilen nichts weiter zu erblicken ist, als eine einsame, ihren weiten Weg trabende Droschke, wie ein Boot auf weitem Meere verloren, — Straßen, an denen Reihen stummer Paläste liegen, nur hier und da von einigen Fußgängern umflattert, wie die Felsen einsamer Gebirge.

Die Bevölkerung von Petersburg ist wohl ohne Zweifel eine der buntesten und mannigfaltigsten, die man sich wünschen kann. Namentlich gehen jetzt die Verbindungen Petersburgs zu Lande so weit, wie in keiner zweiten Stadt der Welt, und bringen diese Residenz in Berührung mit so vielen Völkerschaften des Erdballs, dass es eben so schwer sein möchte, die aufzufinden, die hier nicht durch mehr oder weniger Individuen repräsentiert wäre, als alle vorhandenen aufzuzählen. Wie vielfach sind nicht schon die Volksstämme, die sich hier auf heimischem Boden fühlen, reiche Petersburg als ihre Hauptstadt ansehen! Man betrachte nur das Militär. Da gibt es ein eigenes Garde du Corps für die kaukasischen Völker, eine eigene Abteilung für die Tataren, wieder eine für die Finnen, mehrere für die Kosaken usw., von welchen Völkern immer Auserwählte als Geißeln der Treue ihrer Brüder in der Residenz zu weilen gezwungen sind. Man sieht den Kosaken, der sein Ross tummelt, mit eingelegter Lanze, als wären Franzosen zu verfolgen, über den Platz traben, den Tscherkessen in seiner reichen Tracht und in voller Rüstung, auf jedem Zoll seines Leibes bewaffnet und bepanzert, der auf den öffentlichen Plätzen seine kriegerischen Übungen anstellt; den Taurier*), der seiner Steppen und seines Allah eingedenk gravitätisch durch das Getümmel schreitet; die russischen Soldaten, die geschult und geübt in langen Kolonnen durch die Straßen der Stadt defilieren, — alle die verschiedenen Montirungen und Uniformen der russischen Armee, von denen allen eine Probe in der Residenz sein muss, die Garderegimenter, die Husaren, Jäger, Ulanen, Dragoner, Kürassiere und Grenadiere, die Sapeurs, Ingenieurs und Kanoniere, die beständig zu Pferde und zu Fuß, ihre Wachen wechselnd, Kasernen beziehend, zur Parade eilend, durch die Straßen hin - und herziehen.

Oder man erwäge die Kaufmannschaft und den bürgerlichen Verkehr. Da fehlt kein Volk von Europa und fast keins von Asien, nicht der Spanier und Italiener, nicht die Einwohner der grünen britischen Eilande, nicht der Normann aus dem entfernten Thule**), nicht die von Seidengespinnst umrauschten Bucharen und Perser, sogar nicht die Inder aus Taprobane, weder der Schopf des Chinesen, noch die weißen Zähne des Arabers.

*) Aus der Krimm oder Taurien
**) Island


Oder man betrachte das niedere Volk. Da schlendern die deutschen Bauern zwischen dem Getümmel der lärmenden Bartrussen, die schlanken Polen neben den untersetzten Finnen und Esthen, die Letten mit den Juden, die amerikanischen Matrosen und ihre Antipoden, die Kamtschadalen und Tscheremissen, Muhamedaner, Heiden und Christen, weiße Kaukasier, schwarze Mohren, gelbe Mongolen.

Entschieden am interessantesten und schönsten entwickelt sich das Petersburger Straßenleben auf der herrlichen Newsky-Perspektive. Diese prachtvolle Straße führt vom Alexander-Newsky-Kloster auf die Admiralität in einer Länge von vier Werst. Gegen das Ende hin macht sie einen kleinen Winkel. Sie durchschneidet alle verschiedenen Ringe der Stadt, das Quartier der armen Vorstädter wie die Gegenden des Reichtums und Luxus im Zentrum. Sie ist daher von sehr verschiedenem Werte, und eine Reise auf ihrer ganzen Ausdehnung ist entschieden die interessanteste, die man auf dem Terrain von Petersburg machen kann. An ihrem äußersten Ende sind auf der einen Seite ein Kloster, ein Kirchhof: Tod und Einsamkeit. Alsdann kommen kleine niedrige Häuser von Holz, Viehmärkte und Branntweinschenken, von singenden russischen Bauern umschwärmt, Dorfleben und Vorstadttreiben. Weiterhin hier und da zweistöckige und steinerne Gebäude, bessere Wirtschaften, Magazine und Läden, wie man sie in russischen Provinzstädten vergeblich sucht. Märkte und Magazine mit einer Menge alter Möbeln, Kleider und Sachen, welche das Zentrum der Stadt abnutzte und hier den Vorstädten feilbietet. Die Farben der Häuser, nach alter russischer Weise gelb und rot angestrichen, und die Menschen sämtlich mit langen Bärten und noch längeren Kaftans. Etwas weiter hin erscheinen schon Iswoschtschiks (Droschkenkutscher), die sich aus den inneren Kreisen hierher verirrten, rasierte Kinne, französische Fracks und einzelne prächtige Häuser. Wenn man um die Ecke des Winkels biegt, den die Straße macht, so zeigt sich in der Ferne, wie über dem niedrigen Straßennebel schwebend, die goldene Riesennadel des schlanken Admiralitätsturmes, den alle Hauptstraßen der Stadt zum Point de vue haben. Man setzt über ein paar Brücken, und es offenbart sich allmählich der Kern der Residenz. Die Paläste schwellen drei- bis vierstöckig empor, die Inschriften an den Häusern mehren und vergrößern sich bis zum Schneider „Bouton,“ der seinen Namen mit ellenlangen Buchstaben an seinem Hause stehen hat. Die Vierspänner werden häufiger, und es schlüpft hier und da ein eleganter Federbusch vorüber. Endlich gelangt man zur Fontanka*) und der Annitschkow'schen Brücke, und hiermit beginnt die eigentliche Residenz selbst, was gleich das große Palais des Grafen B. ankündigt. Von dieser Brücke bis zum Ende ist das eigentliche elegante und fashionable Stück der Perspektive. Von hier an steigt das Leben schwindelnd. Vierspänner auf jedem Tritte, Generale und Fürsten unter dem Getümmel, die ausländischen Magazine, die Silberbuden, die kaiserlichen Palais, die Kathedralen und Hauptkirchen aller Petersburger Religionen.

*) Ein Arm der Newa, mit besonders schönen Palästen an den Ufern.

Von der Anitschkow-Brücke bis zur Admiralität hin und her zu spazieren, ist eins der anmutigsten Amusements, die ein Stadtleben zu bieten vermag. Auch nimmt jeder Petersburger Elegant ein Mal des Tages seinen Freund an den Arm und macht diese Promenade ein paar Mal auf und ab. Die beliebteste Seite der Straße ist die nördliche, weil sie die Sonnenseite ist, die hier Jeder sucht. In Genua würde es die südliche sein, weil dort Alles nach Schatten schmachtet. Die nördliche Seite ist daher auch mit weit brillanteren Laden und Magazinen besetzt und gibt einen höheren Mietzins, als die südliche. Vor hundert Jahren hätte man das vorher berechnen können, denn es beruht auf Naturnotwendigkeit.

Da von der Einwohnerschaft Petersburgs allein 60.000 im Dienste des Mars stehen, so ist der neunte Mann, der Einem in den Straßen begegnet, ein Soldat; und da weder Gemeine noch Offiziere sich von je ihren Epauletten und Waffen trennen, und auf jedem Spaziergange eben so bis an die Zähne aufgezäumt, wie auf der Parade, erscheinen müssen, so sieht man denn auch auf den Spaziergängen nichts häufiger als die Federbüsche und die blinkenden Rüstungen dieser Herren. — Unter ihnen erregen besonders die Phantasie des Fremden die wilden Kaukasier, die Tscherkessen, die hier in silberne Panzer und stählerne Netze gekleidet, mit dem zivilisierten russischen Offizier scherzen und plaudern. Doch tut man selbst in Petersburg besser, diesen Leuten aus dem Wege zu gehen. Denn ihre Dolche sind beständig geschliffen, und ihre Gewehre tragen sie nicht anders als schussfertig. Sogar auf den Bällen erscheinen sie nicht anders und tanzen mit unsern Damen die Polonaise mit scharfgeladenen Pistolen. Vor einigen Jahren sah man oft einen von ihnen, einen Fürsten Ali, dem man seiner ausgezeichneten Schönheit und Liebenswürdigkeit willen Vieles durch die Finger sah, in den Straßen von Petersburg im launigen Übermut sein Pistol gegen die Sonne oder sonst auf einen Gegenstand abfeuern. Wenn die Polizei ihn haschen wollte, so sprang er rasch auf sein Pferd, das treu wie ein Hund hinter ihm hertrabte, und war wie ein Spukgeist verschwunden. Meistens schoss er nur auf die Sonne, die Laternen und Laternenpfähle, seltener auf Menschen. Doch kam dies auch vor; so einmal auf einen russischen Offizier, an dem er Ärgernis genommen, weil jener im Gespräche sich unehrerbietiger Ausdrücke gegen seine Mutter im Kaukasus bedient hatte. Glücklicherweise verfehlte er ihn, nicht weil er schlecht gezielt hatte, sondern weil ein anderer russischer Offizier noch zur rechten Zeit seinem Pistol durch einen heftigen Schlag eine andere Richtung gab. Die wilde Natur steckt diesen Herren so tief im Geblüt, als den Katzen, so dass es den Russen schwer wird, sie zu humanisieren, obgleich man sie schon als kleine Knaben in das Kadettenkorps aufnimmt und lange Jahre an ihnen schult.

Es ist nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, halb Petersburg stecke in der Uniform. Denn außer den 60.000 Militärs mögen auch ungefähr eben so viele Zivil- und Privatuniformen tragen, die Beamten, Polizisten, Lakaien, Bedienten usw., weshalb denn fast das ganze Publikum bordiert, belitzt, besternt, verbrämt und eingekantet erscheint. Nichts desto weniger ist es falsch, wenn einige Reisende behaupten, dass der Frack und der einfache Überrock hier nichts gelten. Das ganze große, zahlreiche Korps der Kaufmannschaft, die ganze englische Faktorei, alle die deutschen Barone aus den Ostseeprovinzen, viele müßige junge Leute, alle die Petit-Maitres und Galant-Hommes, viele reiche russische Gutsbesitzer, Fürsten und Herren, die meisten Ausländer, insbesondere die zahlreichen Privatlehrer usw. stecken im Frack, der freilich der Uniform weichen muss bei allen Militär- und Zivilbeamten, auch bei den Lehrern aller öffentlichen Schulen, bei den Professoren wie bei den Gymnasiasten und den Zöglingen öffentlicher Anstalten, die ebenfalls als angehende Staatsbeamte uniformiert erscheinen und wie die Schmetterlinge in allerlei bunten Farben glänzen.

Wie in der Natur anderes Wetter immer andere Tiere zum Vorschein bringt, wie im Regen die Enten, im Sonnenschein die Schmetterlinge sich freuen, wie im Abendnebel die Phalänen, am Mittage die Sonnenfalter streichen und das Wild im Winter einen andern Rock anzieht als im Sommer, so auch bei den Menschen; anderes Wetter bringt andere Menschen auf die Straße. Da nun das Wetter des Petersburger Himmels erstaunlich wankelmütig ist, so verändert sich der Anblick des Petersburger Straßenpublikums ungemein häufig. Im Winter die dicken Pelze, im Sommer die leichten Flore und Seidenstoffe. Am Abend Alles in Mänteln und Kapots, am Tage Alles lustig und bloß. Im Sonnenschein die flatternden Elegants und Modedamen, im Regen alles Elegante verschwunden und nichts als schwarzes Volk. Heute auf dem Schnee Alles Schlitten und Schleife, morgen auf den Steinen Alles Wagen und klapperndes Rad.

Noch mehr als die Verschiedenheit des Wetters ändert die Verschiedenheit der Religionen den Anblick des Publikums. Freitags, am heiligen Tage der Muhamedaner, paradieren die Turbans, die schwarzen Bärte der Perser und die geschorenen Köpfe der Tataren auf den Straßen. Am Sabbath erscheinen die schwarzseidenen Kaftans der Juden und am Sonntage jubeln die Scharen der Christen hinaus. Dazu die Verschiedenheit der christlichen Sekten, Heute läuten die Lutheraner zum Bußtage und man sieht die deutschen Bürger, Vater, Mutter und Tochter, schwarze Gesangbücher unter dem Arme, nach der Kirche pilgern — morgen rufen die Katholiken zu einem Feste der unbefleckten Jungfrau, und Polen, Litauer, französische und österreichische Untertanen wallen zu den Tempeln. — Übermorgen aber rufen die tausend Glocken der griechischen Kolokolniks, und nun summt und flattert es auf allen Straßen von den grasgrünen, blutroten, schwefelgelben, veilchenblauen Töchtern und Frauen der russischen Kaufleute. An großen Staatsfesten aber, den sogenannten „Kaiserlichen Tagen.“ erscheinen dann alle Trachten, alle Farben und alle Moden, die von Paris bis Peking gang und gebe sind. Es ist, als wenn Noahs Arche an der Newa gestrandet wäre und ihres sämtlichen bunten Gefieders sich entledigte.

Petersburg ist eine Stadt der Männer. Der Frauen sind hier 100.000 weniger als der Männer, weshalb diese keine große Auswahl haben. Dabei scheint den zarten Blumen das Petersburger Klima nicht günstig zu sein, denn sie verblühen in demselben bald, und überhaupt gilt es ganz allgemein von den Russen, dass die Frauen durchweg weniger schön sind als die Männer. Endlich werden sie auch, je weniger zahlreich sie sind, um so mehr in Gesellschaften und Vergnügungen, wo sie unentbehrlich sind, abgemattet. Selten sieht man ein hübsches, frisches Mädchenangesicht, bleich ist ihre allgemeine Farbe, und man merkt es ihnen an, wie viel Grazie, Frische und Anmut die Residenz konsumiert. Die deutschen Damen machen davon eine Ausnahme, mit denen sich Petersburg fortwährend aus den Ostseeprovinzen, wo sie auf dem Lande, in der gesunden Luft der Gärten und Wälder aufwachsen, rekrutiert. Aus Finn-, Esth-, Lief- und Kurland kommt der Stadt viel Schönes zu, und Alles, was hier in der Gesellschaft glänzt, ist fast immer von dort. Daher haben denn auch die Russen so hohe Begriffe von der deutschen Schönheit, dass sie einer „Njemka“ (Deutschen) fast nie das Beiwort „krasiwaj«,“ (schön) versagen.

Die vorzüglichste Zeit für den Spaziergang auf der Perspektive sind die Stunden nach dem Frühstück von 12—2 Uhr, wo auch die vornehmsten Frauen hier in die Magazine zu ihren täglichen Einkäufen fahren. Gegen 2 und 3 Uhr, wo diese Einkäufe, die Wachtparade, die Börse und die Handelsgeschäfte beendigt sind, wendet sich die promenierende Gesellschaft dem englischen Quai zu, wo dann die eigentliche Promenade, die nur Promenade ist, beginnt, und wo sich dann auch die kaiserliche Familie einfindet. Der verstorbene Kaiser hat den englischen Quai in Aufnahme gebracht. Er bildet einen nicht minder prächtigen Spaziergang, als die Perspektive. Dieser herrliche Quai, der wie alle anderen in Petersburg, aus Granitblöcken aufgeführt ist, geht am Ufer der Newa zwischen der Neuen und Alten Admiralität hin. Sein Bau ist ein Riesenwerk aus der Zeit Katharinas, die ungefähr 24 englische Meilen Flussufer mit Granit einfassen ließ. Wie bei allen Wasserbauten, ist das Riesenmäßige an der Arbeit äußerlich wenig sichtbar. Der gewaltige Rost, auf dem die Quais ruhen, steckt tief im Sumpfe, und ebenso die ganzen Unterbauten, mit denen nur die obere schmale Kante, die der Spaziergänger genießt, mit der Einfassung eines zierlichen Eisengeländers ruht. Für die Fußgänger führen überall elegante Treppen, und für die Wagen breite, schöne Abfahrten, deren Seiten im Winter gewöhnlich noch mit allerlei aus Eis gemeißelten und gedrechselten Säulen und Geländern verziert werden, zum Wasser hinab. Auf der einen Seite des englischen Quais zieht sich eine lange Reihe schöner Palais hin, die meistenteils von Engländern erbaut worden, aber jetzt größtenteils im Besitz russischer Großen sind; auf der andern Seite hat man die Aussicht auf den breiten Newaspiegel mit allen den Schiffen, Booten, Gondeln, die auf ihm schaukeln, und gegenüber die prächtigsten Gebäude von Wasili-Ostrow, die Akademie der Künste, das Kadettenkorps usw. Der englische Quai stellt in Petersburg ungefähr Dasselbe vor, was in Frankfurt die „Mainstraße,“ in Hamburg der „Jungfernstieg“ ist. Nur müsste man hier „Fürstenstieg“ sagen. Denn da hier Tag für Tag nur die höchste und vornehmste Gesellschaft wandert, Kaiser, Großfürsten, Kleinfürsten, so ist Alles, was hier an Steinen abgenutzt wurde, nur durch noble Fürstenfüße abgetreten worden.

Noch eine sehr besuchte Promenade ist der Sommergarten Alle übrigen Gärten der Stadt, der des Taurischen Palais, der des Michailow'schen Palais, werden wenig oder gar nicht besucht. Nur die deutschen Handwerker haben noch einen Garten in Beschlag genommen, in welchem sie Konzerte, Bälle, Illuminationen und andere Vergnügungen geben, an denen auch viele Russen Teil nehmen.

Der Sommergarten ist insbesondere der Tummelplatz der Petersburger Jugend, die sich unter den schönen hohen Lindenbäumen vergnügt. Hierher kommen die jungen Damen mit ihren Gouvernannten, die Lehrer mit ihren Zöglingen, die Ammen mit ihren Säuglingen, und es bietet sich hier die beste Gelegenheit, die Jugend der Stadt zu studieren. Man kann nichts Reizenderes sehen als eine tändelnde Versammlung dieser kleinen hübschen Kosaken, Tscherkessen und Muschiks; denn es ist bei den Russen aller Stände Mode, ihre Kinder bis in das siebente, achte Jahr „à la Moujik“ zu kleiden. Die Haare rund herum abgeschnitten, wie bei den Bauern, kleine zierliche Kaftans, von einem hübschen Gürtel zusammengehalten, und hohe tatarische Mützen, wie bei den Kutschern. In neuerer Zeit ist die tscherkessische Kleidung bei der Petersburger Jugend sehr beliebt geworden, die ihr wegen der vielen Silberbordierung und Pelzverbrämung noch hübscher steht und noch mehr gefällt. Erst im neunten oder zehnten Jahre fangen die Kinder an, sich europäisch zu tragen. Auffallend ist es aber, dass dies nur von den Knaben gilt; die Mädchen bedienen sich gleich anfangs der französischen Toilette.

Da die Kinder russische Bedienten haben, englische und französische Bonnen und deutsche Lehrer, so lernen sie die Sprachen aller dieser Nationen auf ein Mal, und nehmen in ihre ganz eigentümliche Kindersprache aus allen Idiomen solche Worte auf, die ihnen eben bequem sind. Es entsteht so ein höchst merkwürdiges, eigentümliches Sprachragout, dessen sich die Petersburger Kinder bedienen, und welches — da die Sprache mit den Vorstellungen und Begriffen des Geistes so genau zusammenhängt — eine ganz eigene Begriffsverwirrung und sonderbare Unklarheit in ihr Denken und Fühlen bringen muss. Einmal hörte ich im Sommergarten folgendes Gespräch zwischen einem reizenden kleinen Jungen und seiner französischen Bonne:

Bonne: Nikola, bist Du artig gewesen?

Nikola: Da, Nann! (Russich: Ja, Nana.)

Bonne: Bist Du gewiss nicht unartig gewesen?

Nikola: No, no! (Englisch: Nein, nein!) Koko sa, Koko mi. (Koko, russische Abkürzung für Nikola; sa, französich für sage, artig; mi, russisch für mihloi, gut.)

Bonne: Ist Dein Bruder Iwan auch artig gewesen?

Nikola: Wawa na! (Wawa, russische Abkürzung für Iwan; na, englisch für naughty, unartig.)

Bonne: Was hat er denn gemacht?

Nikola: Bibi koko. (Englisch: he has beaten Nikola, er hat Nikola geschlagen) usw.

Die Erwachsenen sprechen oft in noch mehr Sprachen durcheinander, obgleich viel vollkommener als die Kleinen. Dabei ist es aber merkwürdig, dass die Schmeichel- und Liebesworte alle in der Muttersprache bleiben. Es ist kaum eine Sprache so reich an zärtlichen Ausdrücken, kosenden und schmeichelnden Diminutiven wie die russische. „Lubesnoi,“ „mein Lieber,“ – „Milinkoi,“ „mein Liebchen,“ — „Däduschka,“ „Großväterchen;“ — „Matuschka,“ „Mütterchen;“ — „Druschka,“ „Freundchen,“ - „Golubtschik,“ „Täubchen,“ — „Duschinka,“ „mein Seelchen“ — sind Ausdrücke, die selbst von dem Fremden angenommen werden; die französischen Bonnen sprechen mit ihren Kindern „Dusschinka, Druschka,“ usw., und die Deutschen geben sich untereinander diese Titel.

Auf der einen Seite stößt an den Sommergarten die sogenannte „Zarenwiese,“ von den Deutschen auch „das Marsfeld“ genannt. Dies ist der am meisten benutzte Paradeplatz für die einzuübenden Rekruten; die gewöhnliche tägliche große Wachtparade wird aber nicht hier, sondern auf dem Admiralitätsplatze in der Nähe des Schlosses abgehalten. Auch dieses Schauspiel gehört bei vielen Einwohnern Petersburgs zu den täglichen Genüssen.

Die Admiralität ist von einem Boulevard und einer doppelten Allee von Bäumen umgeben. Unter diesen Bäumen pflegt das Publikum während der Parade zu spazieren. Der Kaiser kommandiert hier gewöhnlich selbst, und da immer ein paar tausend Mann und so und so viele Generale und Oberoffiziere dabei zugegen sind, so ist diese einfache Parade jedesmal ein brillantes Schauspiel und wie eine kleine Revue. Schon das ist allein ein merkwürdiger Anblick, den Kaiser in der Mitte seines zahlreichen Stabes vorüberreiten zu sehen, hinter und neben ihm eine Wolke von galoppierenden Reitern, von denen keiner geringer als eines Fürsten Sohn und von dem Range eines Generalmajors ist. Vom aufgeregten Staube umhüllt, braust das Ganze wie eine Wetterwolke heran, aus der die Blitze der Waffen und Ordenssterne hervorschießen. Die Soldaten stehen in Reih und Glied und präsentieren das Gewehr, während die Zuschauer bei dem Herannahen der Majestät alle das Haupt entblößen. Den Soldaten ruft der Kaiser: „Guten Tag, ihr Kinder!“ zu. „Wir danken Eurer Majestät!“ donnert es aus tausend Kehlen in Einem Tempo zurück.

Die Parade dauert oft mehrere Stunden lang, und wer sie mit angesehen, die englischen Quais, die Perspektive und den Sommergarten besucht hat, der hat vom Fache der Promenaden nichts in der Stadt versäumt.

Übrigens hat man gar nicht nötig, um den Kaiser zu sehen, sich auf die Wachtparade zu verfügen. Er zeigt sich zu Fuß, zu Pferde, auf der Droschke, im einspännigen Schlitten so oft in den Petersburger Straßen, dass man ihn geradezu diejenige Person nennen kann, die Einem am öftesten begegnet. Es ist kein Monarch in der Welt, den so viele Geschäfte in die Straßen führen, als den Nachfolger Peters des Großen, wie denn auch keinen eine so ungeheure Menge von Geschäften drängen, tägliche Inspektionen der hundert Anstalten seiner Residenz, Besuche in den verschiedenen Ministerien, Revuen, herkömmliche Teilnahme an öffentlichen Volksvergnügungen, persönliche Anordnungen neu zu gründender Staatsbauten, Visiten bei vornehmen Männern und mächtigen Günstlingen, ja sogar bei kranken alten Damen, und hundert andere Angelegenheiten.

Dabei ist es eine höchst merkwürdige Erscheinung, dass der Kaiser überall da, wo er bei gewöhnlichen Gelegenheiten öffentlich auftritt, es in der einfachsten und anspruchslosesten Weise von der Welt tut,*) Die Orientalen und Okzidentalen sehen das Wunder mit Staunen, wie viel Hoheit, Macht und Majestät auf der Straße von einem kleinen Pferdchen in einem kleinen Schlitten sich herumschleifen lässt. Auf seinen Reisen im Innern des Reiches erblickt man den Kaiser oft auf einfacher, roh gearbeiteter Telege, wie sie die Leibeigenen nicht besser haben, und man begreift es kaum, wie die Majestät nicht fürchtet, in den Augen des Volkes an Ansehen zu verlieren, wenn sie sich so alles Glanzes bar zur Schau stellt. Man weiß dies um so weniger zu reimen, da doch sonst der russische Hof sich prächtiger und glänzender zeigt als irgend einer. Es ist dies überhaupt Sitte der russischen Kaiser; Peter der Große war eben so, Paul auch nicht anders, und über Alexander I. einfaches Auftreten wunderten sich sogar im Jahre 1818 die Untertanen des englischen Königs, die von dem mächtigsten Gebieter der Welt Lehren über die unnötige Pracht erhielten. Ich bin überzeugt, dass selbst der kleinste Fürst in Deutschland glauben würde, „billigen Anstand“ nehmen zu müssen, wenn er so eine kleine niedrige Droschke besteigen sollte, wie sie der Kaiser von Russland täglich gebraucht. Es ist überhaupt eine Eigentümlichkeit der Russen, dass sie im gewöhnlichen Sein und Leben so einfach als möglich sich zeigen, während sie doch im Ganzen so äußerst prunkliebend und luxuriös sind. Die größten Magnaten lassen gerade heraus und offen mit sich reden, und man braucht bei ihnen weniger Umstände zu machen, als bei dem kleinsten Bürgermeister unter uns. „Ohne Umstände!“ ist aber auch eine Redensart, die der Russe immer im Munde führt, besonders wenn er mit umständlichen, rücksichtsvollen Deutschen zu tun hat, „die sich oft nicht anders bewegen, als hätten sie ellenlange, steife Manschetten an den Händen und Stelzen unter den Füßen“ So sprach ein Russe zu mir über die Deutschen.

*) Es ist hier die Rede vom verstorbenen Kaiser Nikolaus I. Pawlowitsch, dem sein Sohn Alexander II. Nikolajewitsch unterm 2. März 1855 in der Regierung nachfolgte.

Die Aufsicht über das Petersburger Straßenpublikum ist einer Klasse von Menschen anvertraut, die man „Butschniks“ nennt, und die Nacht und Tag auf den Straßen in kleinen „Butten“ (Buden) kampieren. Diese kleinen hölzernen Buden stehen an jeder Ecke und auf jedem Kreuzwege. Drei Butschniks sind immer auf eine Bude angewiesen, in der sie ihre Betten, ihre Küche und ihre ganze kleine Wirtschaft haben. Einer, in einen grauen mit Rot besetzten Mantel gehüllt und mit einer Hellebarde bewaffnet, steht zur Zeit als Wache aus, der zweite bringt die Gefangenen in die Polizeihäuser, deren es in jedem Quartier eins gibt, überbringt auch die Polizeibefehle zu den übrigen oder zu den Bewohnern der benachbarten Häuser, und der dritte besorgt die kleinen häuslichen Geschäfte der Gesellschaft. Der Wachthabende steht Tag und Nacht in Parade auf seinem Posten und übersieht von hier aus das ihm zugeteilte Stadtviertel, arretiert die Betrunkenen, schlichtet die Streitigkeiten der Kutscher, bringt die Lärmenden zur Ruhe und unvorsichtige Iwoschtschiks, die einen Fußgänger verletzten, zur Haft. Die Butschniks haben kleine Pfeifen, mit denen sich die benachbarten Posten unter einander Zeichen geben, wenn ein Flüchtling zu haschen ist; und da sie selbst wieder stets von den die Runde machenden Polizeimeistern in Aufsicht gehalten werden, so ist die Ordnung in den Petersburger Straßen im Ganzen eine sehr gute. Dasselbe gilt von allen übrigen Städten des Reichs, wo überall dieselben polizeilichen Maßregeln ergriffen werden. Es mögen wohl ein paar tausend Mann mit beständiger Regulierung und Beaufsichtigung des Petersburger Straßenverkehrs beschäftigt sein.

Die einzigen Bewohner Petersburgs, die von dieser Inspektion ausgenommen sind, sind die Raben und die Tauben, von welchen beiden Vogelgattungen die Residenz so erstaunlichen Überfluss hat, wie vielleicht keine andere Stadt. Sie fliegen frei aus und ein, setzen sich auf den Kopf Peters des Großen, bald auf das Kreuz des Engels der Alexandersäule; sie krächzen auf den Kirchenkuppeln wie auf dem Dache des Kaiserpalastes. Die Raben haben ihre Hauptversammlung auf dem Anitschkow'schen Palaste in der Perspektive, wo sie in Gesellschaft vieler Tausende ihre Abendkonversation halten. Sie sitzen am liebsten auf den grün angestrichenen Dächern. Die Tauben werden bei den Russen heilig gehalten, weshalb sie auch, weil ihnen Niemand etwas zu Leide tut, so dreist sind, dass sie auf allen Straßen mitten im Menschengewühle ihre Nahrung suchen und dem Vorübergehenden kaum ausweichen.
Zar Peter der Grosse

Zar Peter der Grosse

Alexander I. Zar von Russland

Alexander I. Zar von Russland

Alexander I. Kaiser von Russland

Alexander I. Kaiser von Russland

Garde Tscherkesse

Garde Tscherkesse

Tscherkesse

Tscherkesse

Russisches Sittenbild

Russisches Sittenbild

Im Park von Peterhof

Im Park von Peterhof

Kronstadt

Kronstadt

Die Nikolaus-Brücke

Die Nikolaus-Brücke

Pferdeschlitten

Pferdeschlitten

Das Denkmal Peter des Großen

Das Denkmal Peter des Großen

Die Börse

Die Börse

Der Kaiserliche Winterpalst

Der Kaiserliche Winterpalst

Russisches Kaiserpaar in historischen Kostümen

Russisches Kaiserpaar in historischen Kostümen

Volksleben in Petersburg

Volksleben in Petersburg

Russischer Geistlicher

Russischer Geistlicher

Russische Parlamentaria beim Verlassen der Duma

Russische Parlamentaria beim Verlassen der Duma

Reiterstandbild Peter I.

Reiterstandbild Peter I.

Im Schneesturm

Im Schneesturm

Kosaken

Kosaken

Mutterliebe

Mutterliebe

Ganz privat - Teestunde am Samowar

Ganz privat - Teestunde am Samowar

Russisches Bauernmädchen

Russisches Bauernmädchen

Russicher Bauer in Wintertracht

Russicher Bauer in Wintertracht

Eine Großrussin

Eine Großrussin

Russischer Dorfmusikant

Russischer Dorfmusikant

Auf dem Vieh- und Fleischmarkt in St. Petersburg

Auf dem Vieh- und Fleischmarkt in St. Petersburg

An der Neva mit Blick auf den Winter-Palast

An der Neva mit Blick auf den Winter-Palast

Eine Troika

Eine Troika

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