Hammerfest, die letzte Stadt im europäischen Norden. (Aus Marmiers „Lettres sur le Nord.“)

In einer Bucht von Qualöe (Wallfischinsel) auf der rechten Seite, wenn man aus dem offenen Meere kommt, bemerkt man fünf bis sechs Häuser an die Felsenwand gebaut, überragt von einem hölzernen Kirchturme und durch zwei friedliche Kanonen, in denen die Vögel nisten, verteidigt. Dies ist Hammerfest, die letzte Stadt des Nordens. Sie ist größer, als man auf den ersten Anblick glauben sollte, mehr als die Hälfte ihrer Wohnungen liegt in einem Tale versteckt, und wenn man an einem Sommermorgen den felsigen Berg besteigt, der sie beherrscht, so öffnet sich den Blicken ein großartiger Anblick. Am Fuße des Berges liegt die Stadt mit ihren hübschen Kaufmannshäusern, ihren roten Magazinen und ihren Fischerhütten, die sich wie ein Gürtel am Rande des Wassers hinziehen, mit ihrem Hafen, der in einen Kreis von Hügeln eingeschnitten und mit Barken und Handelsfahrzeugen bedeckt ist; — weiterhin auf der andern Seite der Bucht von Fuglenäs, einer schmalen Landzunge, auf welcher sich ebenfalls einige Wohnungen erheben, erblickt man das Meer, auf dem die große karierte Flagge des norwegischen Schiffes weht, und in der Ferne die Gebirge von Sarö mit ihren ausgezackten und ewig beeisten Gipfeln.

*) Aus Marmiers „Lettres sur le Nord.“


Seit dem Anfange des Mittelalters erscheint der Name Hammerfest in den Handelsannalen der Finnmark. Es war damals nur eine Gruppe von Hütten; aber der sichere und bequeme Hafen war den Kaufleuten von Bergen schon bekannt, und ebenso den russischen Fischern, welche bald sich damit begnügten, hier ihre Netze ins Meer zu werfen, bald an den Küsten das Handwerk von Piloten übten. Der während eines Jahrhunderts monopolisierte Handel von Finnmark brachte die Bevölkerung jener Gegend in eine Art Sklaverei herunter und stürzte sie in das tiefste Elend. Im Jahre 1789 begriff die dänische Regierung endlich die traurigen Folgen des Vertrags, welchen sie mit einer habgierigen und grausamen Gesellschaft geschlossen hatte. Der Handel wurde wieder frei, und Hammerfest empfing zu gleicher Zeit die Privilegien einer Kaufmannschaft. Nach der Meinung Derer, welche diesen Regierungsbefehl von 1789 ausstellten, sollte die Stadt einen reißenden Aufschwung nehmen. Man glaubte sie bestimmt, der Mittelpunkt des Handels im Norden, dessen Niederlage zwischen Finnmark und Archangel zu werken; aber diese Hoffnungen verwirklichten sich nicht; Hammerfest blieb lange Zeit nur ein Anlegeort und nichts mehr. Leopold von Buch, welcher es im Jahre 1810 sah, entwirft davon ein trauriges Gemälde; die ganze Stadt — sagt er — besteht aus neun Wohnungen und hat nicht mehr als 44 Einwohner, worunter der Pfarrer, vier Kaufleute, ein Schullehrer und ein Schuhmacher. Man findet da keine Lebensmittel, nicht einmal Brennholz.

Binnen dreißig Jahren war aber der Ort schon so emporgekommen, dass er 80 Häuser mit 400 Einwohnern zählte, und gegenwärtig hat er 1.200 Einwohner, mehrere große Magazine, zwei Wirtshäuser, die den Namen Hotel tragen, Handwerker und Fabriken, ja selbst ein Billard. Dieser Fortschritt ist durch die Betriebsamkeit der Kaufleute geschehen, und Kaufleute bilden die ganze Aristokratie dieser Gegenden. Diejenigen unter ihnen, welche das Glück haben, Konsularagenten eines fremden Landes zu heißen, genießen eines unermesslichen Privilegiums. Man gibt ihnen den Titel „Konsul,“ und ihre Gattin, anstatt sich bloß einfach „Madame“ rufen zu lassen, wird „Frue“ genannt. Im Alltagsleben ist die Auszeichnung des Konsuls eine Stickerei; bei wichtigen Gelegenheiten hat er den Vorrang vor allen übrigen Kaufleuten. Der Prediger ist zu bescheiden, um einer so vornehmen Würde nicht zu weichen. Der Zollaufseher allein mit seinen goldgestreiften Pantalons und mit seiner stets durch eine anspruchsvolle Tresse gezierten Mütze könnte den Rang streitig machen.

Im Sommer bietet die kleine Stadt Hammerfest ein heiteres und belebtes Gemälde dar; sie sieht im Verlauf einiger Monate fast 200 Fahrzeuge, teils norwegische, teils fremde, ankommen. Die einen freilich fahren nur durch den Fjord, um sich nach Archangel oder Tromsö zu wenden; andere gehen von Insel zu Insel, ihre Ladung voll zu machen, aber eine große Anzahl bleibt hier. Sie bringen Mehl, Hanf usw. und nehmen als Austausch Fische, Tran, Rentierhäute, Eiderdunen, Füchse und Erz mit fort. Hammerfest ist die Hauptstadt von ganz Westfinnmark. Sie zieht den größten Teil der Produkte des Landes, von der Jagd nämlich und vom Fischfange, an sich, und verbreitet im Einzelnen die fremden Bedürfnisse, welche sie empfangen hat, in die verschiedenen Kauforte des Distrikts.

Die Russen kommen in großer Anzahl in die Stadt. Kaum sieht man jährlich zwei oder drei schwedische, dänische oder deutsche Briggs; aber jeden Tag führt der günstige Wind mehrere Bodjes heran. Dies sind kurze Fahrzeuge von drei Masten, die Mehrzahl so abgenutzt und alt, dass man sie kaum für fähig hält, einem Sturme zu widerstehen. Die kleinsten davon haben nicht einmal Nägel; von vorn bis hinten sind die Planken mit Hanf zusammengebunden. Man erzählt, dass, als einst der Kaiser von Russland eines von diesen Schiffen in den Hafen von St. Petersburg kommen sah, ihm dasselbe so auffiel, dass er es für die Folge von jedem Zoll befreite. Mit diesen gebrechlichen Fahrzeugen, welche einen Matrosen von Portsmouth erschrecken würden, umschiffen die Russen das Nordkap und dringen in alle Buchten des Eismeers. Während die Einen den Handel mit den Finnmarken ausbeuten, begeben sich die Andern auf die Fischereibänke. Geschickter und tätiger als die Norweger, haben sie oft ein mit Fischen reich beladenes Boot, wo ihre Konkurrenten oft nur ein halbleeres Netz herausziehen. Es ist ihnen zwar verboten, auf eine Meile von der Küste zu fischen, aber sie überschreiten täglich die Grenzen, welche ihnen gezogen sind. Durch Beharrlichkeit ermüden sie die Aufmerksamkeit Derer, welche sie überwachen sollen. Im Osten, im Westen, im Norden, von allen Seiten umringen sie die Küste von Finnmark; ohne Aufhören kehren sie wieder.

Neben den russischen Fahrzeugen erscheint die ärmliche Barke des Finnen, welcher dem Kaufmann die Fische bringt, die er mühsam in mehreren Monaten gefangen hat, um einen Teil seiner Schulden in Ordnung zu bringen. Auf dem aus Holz gebauten Umgang, welcher die Magazine umgibt, bemerkt man alle Arten von Trachten, sowie man alle Sprachen des Nordens hier sprechen hört. Der Kaufmann ist daselbst immer auf dem Platze und beschäftigt, die Mütze von Fischotter auf dem Kopf, die Feder hinter dem Ohre, von seinem Komptoir zur Niederlage und von da wieder zurücklaufend. Jetzt ist die Zeit der Arbeit. Von diesen drei oder vier Monaten seiner Berechnungen und Schreibereien hängt der Erfolg des ganzen Jahres ab. Da fertigt er Fahrzeuge nach Spitzbergen und Fischladungen nach Spanien und Portugal ab. Der ganze Tag vergeht in einer ununterbrochenen Kette von Geschäften; nur Abends bei der Punschbowle wird geplaudert. Dann überlassen sich diese braven Kaufleute mit Lust ihren Herzensergießungen, ihren gastfreundschaftlichen Gewohnheiten, und wenn ein Fremder unter ihnen ist, so haben sie für ihn eine Güte und Zuvorkommenheit ohne Gleichen.

Wenn man durch die wogenden Nebel und die dichten Wolken, welche gewöhnlich den Himmel von Hammerfest verschleiern, plötzlich einen schönen Sonnenstrahl dringen sieht, wenn die Gebirge der Inseln mit ihren bläulichen Rändern und ihren schimmernden Gipfeln in der Ferne erscheinen, wenn das Meer, welches kein Wind in Bewegung setzt, wie ein silberner See sich zwischen der Stadt und den Felsen ausbreitet, o! das ist ein schönes, poetisches Schauspiel. Eines Abends im Monate August habe ich von der Höhe dieses wie eine Turmspitze aufsteigenden Piks die Sonne, im ersten Augenblick durch eine leichte Wolke verhüllt, um Mitternacht in all' ihrer Pracht sich erheben sehen. Das ganze Meer erglänzte im Lichte; die Gebirge hatten eine Färbung von Azur, gleich den fernen Horizonten der südlichen Gegenden, und die Sonne, zwischen den Hügelwänden in ihrem Bette von Granit wie eingeschlafen, glich einer kristallenen Schale. Sobald diese schönen Tage erscheinen, entsteht in der ganzen Stadt eine große Bewegung. Jeder will das so seltene, so eilig fliehende Schauspiel genießen. Aber diese Tage der Erheiterung sind nur spärlich; ein dunkler Nebel verhüllt das Blau des Himmels; der Frost beginnt mitten im schönsten Sommer, bald verschwinden die fremden Schiffe eines nach dem andern, die Warenhäuser werden geschlossen, die Geschäfte hören auf, Alles wird still.

Der Winter ist da. Und welch' ein Winter! Nächte ohne Ende, ein schwarzer Himmel, ein gefrorener Erdboden. Zwölf Uhr des Mittags muss man im Monat Dezember sich ganz nahe ans Fenster stellen, um einige Zeilen zu lesen. Vom Morgen bis zum Abend ist die Lampe in allen Häusern angezündet, und keine Freude gibt es mehr, kein Leben, keine Neuigkeiten. Die Post, die dreimal monatlich ankommen soll, erscheint nur noch zu unbestimmten Zeitpunkten. Die, welche die schwedischen Gebirge passiert, ist oft durch die Nacht und die schlechten Wege aufgehalten; die von Drontheim übers Meer stößt auf noch größere Hindernisse. Die Stadt ist jetzt, wie eine Welt für sich, vom ganzen Erdboden getrennt. Die armen Menschen, welche sie bewohnen, suchen dann alle möglichen Mittel hervor, um sich zu zerstreuen. Sie haben einen Verein gebildet, um sich dänische und deutsche Bücher zu verschaffen. Sie versammeln sich des Abends bald bei dem Einen, bald bei dem Andern, wenn die Schneewirbel sie nicht verhindern, auszugehen. Sie trinken Punsch, sie rauchen, sie spielen Karten. Selbst die wissenschaftlichsten unter ihnen müssen sich auf jene Zeitvertreibe beschränken; denn anhaltend beim Lampenschein zu lesen oder zu schreiben ist unmöglich. Eines ihrer größten Vergnügen ist, wenn bisweilen der Himmel sich aufklärt, die langen norwegischen Schneeschuhe von Holz anzuschnallen und über die Felsen und Gebirge zu laufen, an denen die Schneemassen alle Unebenheiten ausgeglichen haben.

Gegen Ende des Januars beginnen sie am Horizont die ersten Lichtblicke der Sonne zu suchen, welche sie so lange geflohen hat. Anfangs unterscheidet man in dem düsteren Gewölk nur einen rötlichen Schein, aber dies ist das wohlbekannte Zeichen, das Alle freudig begrüßen: es ist der Vorbote der Sonne, welche im Begriff steht, Erde und Menschen wieder zu beleben. Der Erste, welcher das frohe Zeichen erblickt, verkündet es mit lauter Stimme, und Jedermann läuft auf den Hügel. Dieser Tag ist ein Festtag in allen Familien. Nach und nach vergrößert sich der rote Schein; die unbestimmte Linie wird zu einer breiten Scheibe, welche die Wolken durchzieht, und Woche zu Woche sich mehr über den Horizont erhebt, und da verweilt, bis sie drei Monate hintereinander den Nordmenschen leuchtet.