Die Schönheit des Polarwinters.*)

Es war um die Mitte Novembers. Das Wetter war angenehm und hatte jene Ruhe und jenes bestimmte Ansehen gewonnen, wie es im Durchschnitt der ganze Winter beibehält. Es ist wahr, die Sonne hat uns verlassen, aber wie konnte ich ihre Abwesenheit bedauern, wenn ich die wunderbare Schönheit des Schauspieles betrachtete, welches ihr Verschwinden hervorbrachte! Die Sonne schien sich nur deshalb unter dem Horizonte zu verbergen, um allen Dingen einen Schein von Ruhe und Feierlichkeit, einen magischen Glanz durch die üppige Glut, die sie über den ganzen Himmel unsichtbar verbreitete, zu erteilen.

Wie in der Natur, ward auch in meinem Gemüte Alles ruhiger und stiller; die Sonne hatte alle Leidenschaften mit sich hinweggenommen. Die schwächsten Töne waren in ansehnlicher Ferne hörbar, und ich pflegte auf dem gegenüber liegenden Ufer von Fuglenäs Alles zu hören, während im Sommer kein Laut von demselben zu mir herüber drang. Das Schauspiel eines Himmels ohne Sonne war so ergreifend und eigentümlich, dass ich auf meinen Jagdstreifereien die Erde unter mir ganz vergaß und nur immer nach oben und zu dem Horizonte aufschaute. Der Tag glich einer hellen Dämmerung, und wir waren im Stande, unser Mittagsmahl zu verzehren, ohne Licht anzuzünden, obgleich dies notwendig war, wenn man lesen oder schreiben wollte.


Sobald der Abend kam, spielten tausend tanzende Lichter geheimnisvoll durch die Luft, als wären sie von der Vorsehung bestimmt, durch ihre milden und schönen Strahlen die Stunden der Dunkelheit zu erheitern. Bisweilen bildet das Nordlicht, quer über den Himmel, einen glänzenden Bogen von einer blassen spielenden Flamme, die sich mit unbegreiflicher Schnelligkeit in Schlangenlinien fortbewegt. Dann verschwindet es plötzlich, und die Nacht hüllt Alles in ihren schwarzen Schleier; aber gleich darauf wird der unermessliche Raum des Äthers so schnell wie das Blinken eines Sterns mit einem Feuer überdeckt, welches eine ganz neue Gestalt annimmt und den Himmel mit einem schwachen Silberlichte übergießt, das in Wellen oder vielmehr in Wolken, die von dem Winde getrieben werden, dahin schwimmt. Bisweilen schießen schmale Flammenstreifen mit unbegreiflicher Schnelligkeit hervor, durcheilen in wenig Minuten den ganzen Bogen des Himmelsgewölbes und verschwinden unter dem südlichen Horizont. Von Zeit zu Zeit sieht man plötzlich über dem Scheitel eine breite Ächtmasse, die in Form eines schönen Strahlenkranzes gegen die Erde heruntersteigt und dann in einem Nu verschwindet.

Das Nordlicht zeigt sich am häufigsten bei stillem Wetter; jedoch sah ich es nie lebendiger als bei einem frischen Südostwinde, welcher, obgleich er dem Nordlichte, das mit der größten Schnelligkeit von der entgegengesetzten Seite kam, gerade begegnete, die Bewegung desselben nicht im Geringsten störte, denn dieses setzte in einem schmalen, stetigen Lichtstrome seinen Weg fort. Ich bemerkte immer, dass es von Nordwest herkam und in Südost verschwand. Anfangs zeigten sich gewöhnlich schwache, unregelmäßige Lichtstrahlen, welche hinter den Gebirgen in die Höhe stiegen und große Ähnlichkeit mit dem Widerschein eines entfernten Feuers hatten. Sie blieben aber nicht lange am Horizont, sondern stiegen bis zum Zenith und nahmen eine große Mannigfaltigkeit der Form und Verschiedenheit der Bewegung an, dass eine bloße Beschreibung keinen entsprechenden Begriff zu geben vermag.

Die Erscheinung des Nordlichts war nicht immer auf einen wolkenlosen Himmel beschränkt; denn bisweilen bemerkte ich es auch bei teilweise trübem Himmel. Einmal zeigte sich auch eine dunkelgelbe Flamme, welche hinter einer schwarzen Wolke unten im Nordwesten langsam emporzukommen, und eine oder zwei Minuten still zu stehen schien, als wenn sie von einem größeren Lichte ein Widerschein wäre. Als ich nach dem Zenith aufschaute, nahm ich einen kleinen matten, kaum bemerkbaren Lichtpunkt wahr, und im Augenblick nachher war die ganze Fläche des Himmels erleuchtet, gerade so, als ob die Sonne mit Einem Male aus einer dichten Wolke hervorträte. Am folgenden Tage war das Wetter trübe und drohte mit Schnee. Gegen Ende des Novembers ward die Kälte heftiger, der Himmel klarer, und das von der nordischen Morgenröte (aurora borealis) herkommende Licht bisweilen so stark, dass ich bei demselben im Stande war, etwas groß Gedrucktes zu lesen und eine Nadel zu finden, falls ich sie verloren hätte.

Es ist schwer, einen bestimmten Grund jener Erscheinung, die wir Nordlicht nennen, anzugeben. Der Umstand, dass es bei hellem und kaltem Wetter am glänzendsten ist, führt allerdings zu der Vermutung, welche die allgemeinste zu sein scheint, dass es auf elektrischen Ursachen beruhe. Eine Meinung, die unter dem ganzen finnländischen Volke verbreitet ist, hat etwas ganz Eigenes und Sonderbares. Diese Leute nehmen an, das Nordlicht werde von den unermesslichen Haufen von Heringen in dem Polarmeer verursacht, welche, sobald sie von großen Fischen verfolgt werden, eine plötzliche Wendung machen. Sie meinen, die Bewegung des Wassers und der Heringe rufe das (phosphorische) Licht hervor, das bloß vom Himmel widerscheine.

Die Lappländer, welche sehr abergläubisch sind, bilden sich ein, es seien die Geister ihrer abgeschiedenen Verwandten, die herumtanzen; und da das Nordlicht unaufhörlich seine Gestalt verändert, so rufen sie öfters aus: Da ist mein Vater, da meine Mutter! usw., je nachdem ihnen die Phantasie eine Ähnlichkeit in dem flatternden Lichte zeigt. Bei anderen Gelegenheiten glauben sie auch darin den Teufel mit der Sippschaft seiner bösen Geister zu sehen. Es ist sonderbar, dass die amerikanischen Indianer denselben Glauben haben. Diese erblicken in den Lichtwellen die Geister ihrer verstorbenen Freunde; wenn das Nordlicht aber besonders glänzend ist, zu welcher Zeit es an Farbe, Form und Lage am meisten wechselt, so sagen sie, unsere abgeschiedenen Freunde sind sehr fröhlich!

Außer dem glänzenden Lichte, welches das Nordlicht gewährt, hat es keinen geringen Nutzen für die Einwohner, indem es sie in den Stand setzt, den Wind und das Wetter aus seiner Erscheinung voraus zu bestimmen. Die Erfahrung bestätigt meistenteils die Richtigkeit ihres Urteils. Ist das Nordlicht gleichmäßig über den Himmel verbreitet, ohne sich lange am Horizont zu zeigen, ist seine Farbe blass und seine Bewegung nicht geschwind, während das Wetter zu gleicher Zeit hell und schön ist, so wird dieses noch ferner so bleiben. Wird das Nordlicht niedrig in den nördlichen Gegenden des Himmels gesehen, nimmt es eine bestimmte Form an, fährt und fliegt es mit großer Schnelligkeit dahin, oder bildet es einen schmalen Strom, oder zieht die Flamme einen Bogen quer über den Himmel, so hat man wildes und stürmisches Wetter zu erwarten; dasselbe ist der Fall, wenn das Nordlicht mannigfaltig wechselnde Farben annimmt. Wenn es auf die südliche und südöstliche Himmelsgegend beschränkt ist, so pflegen die Einwohner einen Landwind, d. h. einen solchen, der über das südliche Festland weht, zu erwarten.

Wir waren jetzt genötigt, um Ein Uhr, während der Zeit unseres Mittagsessens, Licht anzustecken, und um zeichnen und schreiben zu können, musste ich den ganzen Tag Licht brennen. Unser Zwielicht, welches ungefähr eine und eine halbe Stunde währte, war dennoch hinreichend stark, um vor dem Haufe im Freien Gedrucktes lesen zu können. Für das Jagen, Rudern und andere körperliche Übungen (auf die sich die Tätigkeit der Eingebornen und Kaufleute beschränkt) reicht es völlig hin. Der Schnee auf den Gebirgen war nun hart und fest, so dass man über die tiefsten Abgründe gehen konnte, ohne einzusinken. Nun ward auch unsere Abreise von Hammerfest*) beschlossen, und weil das Wetter günstig war, sollte auch die Schlittenkarawane die Nacht hindurch fahren. Ich freute mich darauf.

*) Eine Handelsniederlassung an der Nordküste der Finnmark (des norwegischen Lapplands).

Der Abend näherte sich mit ungewöhnlichem Glanze; das mit Sternen besäete Himmelsgewölbe glänzte mit verdoppeltem Schimmer, und das Schauspiel war im höchsten Grade herrlich und prachtvoll. Der Frost war scharf; es blitzerte und blinkte am Himmel und auf der Erde.

Es ist schwer, das außerordentlich lebhafte Funkeln der vielen Himmelskörper zu beschreiben, denn sie wechselten von der Feuerfarbe, dem Pomeranzengelb, bis zu der Farbe des Hochrots, und jeder Strahl von ihnen drang durch den reinen Äther ins Auge. Das Nordlicht begann um uns und über uns zu spielen. Ein blasser Flammenguss strömte zuerst von dem Scheitelpunkte, dann schossen zitternde Feuer schnell längs dem Himmel hin und bewegten den blauen Luftozean, während der Planet der Nacht hoch am Firmament seine Bahn verfolgte und mild und schwermütig auf uns niederschaute. Es flimmerte jeder Zweig und Spross, als wenn er mit zahllosen Edelsteinen behangen wäre; und das heitere Funkeln der tausend und aber tausend Kristalle erinnerte an die Mährchen der Feenländer — die Tannen und Birken waren Bäume aus einer schöneren Welt. Wir zogen durch einen bezauberten Wald, wo die Natur ihre magischen Wunder entwickelte, um uns die Stunden der Nacht zu verkürzen. Mit unfern abenteuerlichen Pelzgestalten, von Frost und Reif dick überzogen, und stillschweigend dahinjagend, von den zackig - behörnten Schneerossen gezogen, hatten wir weniger das Ansehen von Menschen als von einer Bande unterirdischer Wesen, die den öden Raum durchstrichen, um mit den lappländischen Hexen zu tanzen und ein Fest der Mitternacht zu feiern.