Die „Gårds.“

Da die Oberfläche des Landes fast aus lauter unfruchtbaren Hochebenen besteht, und die Talgehänge außerordentlich steil, zuweilen senkrecht abfallen, können sich keine Dörfer ausbreiten. Mit Ausnahme von Lillesammer am Mjösen-See sind wir keinem Platze begegnet, der verdient hätte, ein Dorf genannt zu werden, seitdem wir Christiania verlassen. Dagegen trafen wir auf einzelne Häuser, höchstens zu zwei bis drei vereinigt, von mehreren Familien bewohnt. Dies macht einen „Gård“ (sprich Goard) aus, und ist gewöhnlich als Grundeigentum einem Bauer gehörig, der sich auch wohl nach dem von ihm besessenen oder bewohnten Grund selber nennt, wie dies in den schottischen Hochlanden gleichfalls Gebrauch ist. *) Der Gårdbesitzer fühlt sich als Edelmann und verachtet den „Huusmann,“ den bloßen Häusler; Ehen zwischen den Kindern beider gelten für Missheiraten. Unser Wirt im Tofte behauptete mit stolzem Selbstgefühl, ein Nachkomme Harad Harfagers, eines der ältesten kleinen Könige Norwegens zu sein.

Die Häuser der Gårds sind meist blockhausähnlich von Holzstämmen aufgeführt; die Mehrzahl derselben ist niedrig, von Rauch geschwärzt, mit Rasen gedeckt, ohne Öfen, welche Kamine ersetzen. Die reichern Bauern haben Häuser, welche den Wirtshäusern gleichen, die von wohlhabenden Schweizerbauern in jenen Dörfern unterhalten werden, die nicht auf der Touristenstraße liegen. Auf Porträts und Erbstücke der früheren Generationen wird viel gehalten.


Getrennt von der übrigen Welt pflanzt sich bei ihnen alte Sitte unverändert fort. Seit vielen Jahrhunderten ist die Ruhe in diesen Tälern selten und nur vorübergehend gestört. Das abgeschlossene Dasein hat selbst den Stamm in seltener Reinheit erhalten. Diese einsamen Wohnplätze enthalten Weniges, was die Raubgier herrschsüchtiger Großen reizen könnte, daher ist das Feudalsystem niemals in Norwegen aufgekommen. Schweden hat einen uralten mächtigen Adel, Dänemark einen zurückgedrängten, Norwegen gar keinen.**)

*) Gård (englisch garden) bedeutet eine Umzäunung, eine Einfriedung, einen Landsitz. Nicht zu verkennen ist der Zusammenhang mit dem Griechischen, dem Germanischen Garten, dem Gotischen Gards (nach Jacob Grimm von Gairdan, cingere – gürten), eben so wenig als die Verwandtschaft mit dem Slavischen grad, grod und dem Persischen gerd, gird, Umkreis, Kreis; dann auch fürstlicher Landsitz, Schloss oder Stadt. Alexander v. Humboldt, Kosmos I. S. 387 u. 388.

**) Steffens, die gegenwärtige Zeit. II., S. 419 ff.