Von Mecklenburgs Urbewohnern und den Wenden

Wenn es gleich vor dem Ausgang des 8ten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung durchaus an sichern Nachrichten über die Länder, welche das heutige Mecklenburg ausmachen, fehlt, so ist doch mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass deutsche Völkerschaften die Urbewohner dieser Gegenden waren. Welche Stämme indessen hier gesiedelt, welche Begebenheiten sie bewogen, ihre alten Wohnplätze zu verlassen, wie endlich ihre Lande von slawischen Stämmen eingenommen worden, das lässt sich mit historischer Gewissheit nicht angeben. Doch darf man wohl annehmen, dass auch Mecklenburgs Urbewohner — seien sie nun unter den Vandalen oder Herulern oder den Völkern des Rhadagaisus oder noch andern zu suchen — an den Zügen jener großen Völkerwanderungen, die seit dem Ausgang des 4ten Jahrhunderts über 150 Jahre hindurch die europäische Welt bewegten und neu gestalteten, Teil genommen haben, und dass dadurch, wenn auch nicht eine gänzliche Entblößung von Einwohnern, doch eine beträchtliche Entvölkerung in den nördlichen und östlichen Gegenden Deutschlands bewirkt worden sei. In diese, durch Kriege und Auswanderungen also verdünnten Reihen der germanischen Urbewohner rückten nun — ob durch Eroberung oder auf friedlichem Wege, bleibt unausgemacht; doch scheint das Letztere wahrscheinlicher — allmählich slawische Stämme aus dem fernen Osten ein, so dass wir beim Beginne unsrer Geschichte die Ostseeländer zwischen der Elbe und Weichsel von wendischen Völkerschaften besetzt finden.

Diese Wenden machten eine Hauptabteilung des großen slawischen Völkerstammes aus, der noch jetzt die größere östliche Hälfte Europas inne hat. Ihre körperliche Beschaffenheit kam der der heutigen Polen und Russen gleich; Hauptbeschäftigung war ihnen Ackerbau und Viehzucht, nicht unwichtig ihr Handel, besonders der Seehandel mit dem Norden. Rerech (Mikilinburg) war schon früh bedeutender Handelsplatz; Vineta nicht minder; — freilich auch dem Seeraube ergab sich der hiesige Wende; schwer lastete besonders seine Hand auf den dänischen Küsten. In Künsten und Gewerben erstreckte sich ihre Kenntnis nicht über die ersten und rohesten Anfänge; schlecht waren ihre Wohnungen von Holz und Lehm gebaut, ihre festen Plätze mehr durch Natur als Kunst gesichert. Ihre Nationaltracht bestand bei den Männern aus langen Beinkleidern, knappanschließender Weste und dem weiten Mantel, Zupan. Ihre Waffen waren Schwert und Lanze, Bogen und Pfeile, sie fochten zu Fuß und zu Ross, ihr Feldzeichen war ein fliegender Drache, Zirnitra.


Sie ehrten Belbog, den guten Gott, doch mehr noch fürchteten sie den Czernebog, ferner den Donnergott Thor; Rhadegast, der zu Rhetra seinen Haupttempel hatte, den Gott des Krieges; Nemisa war Schutzherr der Schiffer, Podaga der Jäger. Vor allen ward Svantevit verehrt, der Gott der Jahreszeiten, der Sonne und des Lichts. Auf Arkonas Felsenufer erhob sich sein Tempel; dahin wallte aus allen Stämmen viel Volks, seinen Segen zu erstehen und die Zukunft zu erforschen, denn Swantevits heiliges Ross gab Orakelsprüche gegen reiche Opferspenden. Groß war der Einfluss des Oberpriesters, so wie überhaupt der der Priesterkaste in allen wendischen Landen. Auch wurde Prowe verehrt, der Gott der Gerechtigkeit, Siwa, die Lebengebende u. a. m.

Ihre Sprache war ein slawischer Dialekt, hat sich aber nie zur Schriftsprache erhoben. Von wissenschaftlicher Kultur kann ohne Schriftkunde nicht füglich die Rede sein, indessen standen ihre deutschen Nachbarn damaliger Zeit sicher auf keiner höheren Stufe.