Der wendischen Völkerschaften Wohnstätte in Nieder-Slawanien

Dies war das Volk, welches die Gegenden zwischen Oder, Havel, Elbe, Eyder und Ostsee, vielleicht schon seit dem Beginne des 6ten Jahrhunderts inne hatte. Es war in mehrere Stämme geteilt, deren Länder wir noch kurz übersehen wollen.

Von allen war, dem politischen Range nach, so wie an innerer Kraft, der bedeutendste der Stamm der Obotriten, wenn gleich sein Gebiet nicht das größte am Umfange. Es begriff dasselbe ungefähr die heutigen Distrikte von Schwerin, Mecklenburg, Wismar, Poel, Buckow, Kröpelin, Doberan, Schwan, Bützow, Güstrow, Malchow, Goldberg, Sternberg und Crivitz. Mikilinburg (wendisch Rerech) war Hauptort und zugleich blühender Stapelort des wendischen Handels. Als Vesten erscheinen: Zwerin (später Schwerin), Kussin (jetzt Neukloster), Werle (Wieck? Amts Schwan), Ilow (Amts Buckow) und Melikow (Malchow). Stets erscheint dieser Stamm als der erste, dem die übrigen entweder verbunden oder unterworfen waren.


Den Obotriten standen zunächst an Macht und Einfluss die Wagrier. Ihre Wohnplätze waren im östlichen Teile des jetzigen Holsteins bis an die obere Eyder; westlich bildeten die Schwentine und der Ploener See ihre Grenzen, südlich trennte die Trave sie vom Polabenlande. Hauptort war Starigorod (Oldenburg, wo das erste christliche Bistum im Wendenlande gegründet wurde), ferner Liubice (Lübeck), am Einfluss der Schwartau in die Traue, Alberg (später Segeberg), Cutilinburg (Lütjenburg).

Südlich von Wagrien und Obotritien erstreckten sich die weitläufigen Gaue der Polaben von der Bill bis zur Elde oder über das heutige Lauenburg, das Fürstentum Ratzeburg und die Ämter Grevismühlen, Rehna, Gadebusch, Wittenburg, Hagenow, Dömitz und Boizenburg, Ihr Hauptort war Racesburg, wo die Göttin Siwa einen Haupttempel hatte, später bischöflicher Sitz. Polabien spielt in der Geschichte keine wichtige Rolle, sondern war von den Obotriten abhängig.

Die Elbufer von Boizenburg bis Dömitz bewohnte der kleine Stamm der Smeldinger, späterhin auf das Nordufer beschränkt und mit Polabien engverbunden.

Rechts bis in die Priegnitz hinein, zwischen der Elbe und Stegnitz war das Gebiet der Cinonen, eines kleinen Stammes, der vielleicht in früherer Zeit auch am südlichen Elbufer Niederlassungen besaß. Leontin, das heutige Lenzen, war der bekannteste Ort.

Ungewiss sind der Umfang und die Grenzen des Kyssinerlandes. Es mochte etwa die Gegenden der Recknitz bis an die Ostsee begreifen; ihr Hauptort Kyssin lag vielleicht da, wo jetzt das Dorf Kessin, Amts Schwaan. Seeraub und Krieg war ihr Haupttrachten. Sie waren, wie die Cinonen, den Obotriten unterwürfig und wurden von diesen streng behandelt.

Östlich und südlich von diesen Gebieten, die stets als ein Ganzes erscheinen, dehnten die Lande der Wilzenstämme sich aus, die jedoch nicht immer mit den bisher genannten in politischer Verbindung standen. Von diesen war der wichtigste, durch Kriegsruhm und Liebe zur Freiheit ausgezeichnetste, der Stamm der Rhedarier. Er besaß südöstlich von den Kyssinern und Obotriten ein ausgedehntes Gebiet um die Seen von Kummerow, Teterow, Malchin, Müritz, Malchow und Plau bis an die jetzigen Südgrenzen Mecklenburg - Schwerins. Wo ihr Hauptort Rhetra, der Hauptsitz der Verehrung des Rhadegast, gestanden, ist nicht mit Sicherheit zu bestimmen; man hat Röbel, Prillwitz oder Teterow als die Orte angegeben, wo seine Stätte zu suchen sei, doch ohne zureichende Entscheidungsgründe für die eine oder die andre dieser Mutmaßungen.

Zwischen den Rhedariern und Cinonen saßen in der heutigen Priegnitz die Brizaner, meist von den Rhedariern abhängig, und, wie sie, unruhig und zu Empörungen geneigt.

Südlich, in der Mark, längs den Ufern der Elbe und Havel, erstreckte sich das Gebiet der Haveler mit den Städten Havelberg und Brennibor (Schörlitz, Brandenburg), späterhin beide bischöfliche Sitze.

Östlich von den Havelern, vielleicht bis an die Oder, wohnte der Stamm der Wiliner, von dem wenig bekannt ist.

Das Gebiet der Ukerer mochte sich auf beiden Seiten des von ihnen benannten Sees und Flusses ausdehnen. Sie waren stets der Teilnahme am obotritischen Staatenvereine abgeneigt.

Westlich an die Ukererlande stießen die Wohnsitze des kleinen Stammes der Stoderaner, hauptsächlich im nordöstlichen Teile der nachherigen Herrschaft Stargard.

An den Ufern der Tollense, bis an die Gebiete der Rhedarier, lag das Land der Tollenzer, etwa die Umgebungen von Neubrandenburg, Strelitz, Penzlin und Treptow begreifend. Ihre eifrige Verehrung des Rhadegast zu Rhetra verband sie eng mit den Rhedariern.

Nördlich davon an der Peene, im späteren Schwedisch Pommern, westlich bis über die Trebel, wohnte der Stamm der Circipaner. Schon früh werden Walgost (Wollgast) und Dymin oder Demmin als Städte erwähnt.

Noch gehören hierher die Rugier oder Ranen, welche das schöne Eiland Rügen besaßen. Hochberühmt waren sie im ganzen Wendenlande als kühne Seefahrer. Hier stand auf Deutschlands Nordspitze der Swantevittentempel zu Arkona, der 1167 von Dänen und Sachsen zerstört wurde.

Endlich wird noch des kleinen Stammes der Warner oder Wariner erwähnt. Sie wohnten im Westen der Kyssiner, allein ihre Wohnsitze lassen sich durchaus nicht mit einiger Sicherheit geographisch angeben. Vielleicht waren sie auch kein besonderer Stamm, sondern die zerstreut lebenden Überreste der deutschen Urbewohner, die sich nicht mit den Wenden vermischt hatten.

Dies waren die einzelnen wendischen Völkerschaften, welche ln das Gebiet unsrer Geschichte gehören; sie gehorchten Stammfürsten (Boihati, Wojewode, Knjes), deren Macht durch den Einfluss der Edlen und Priester beschränkt war. Im Gegensatze gegen die oberdeutschen Wendenländer hießen diese Gebiete bei den Deutschen das niedere Wendenland, Niederslawanien.