Mecklenburgische Linie. Johann der Theologe; Heinrich der Pilger; Anastasia; bis 1301

Ohne bedeutende Ereignisse verstrich die Regierung Fürst Johann I. zu Mecklenburg, der, auf der Pariser Hochschule gebildet, wegen seiner Vorliebe für das Studium der Gottesgelahrtheit den Beinamen: der Theolog erhielt. Er nahm Teil an der Fehde König Erichs von Dänemark wider dessen Bruder Abel, wo er 1248 den Sieg bei Oldisloh erfechten half; zerstörte das feste Darzow, den Schlupfwinkel des berüchtigten, vom Grafen Johann von Holstein beschützten Raubritters Scheele von Nunnendorp, im Verein mit Lübeck, mit welcher Stadt er stets gutes Vernehmen unterhielt. Seine Residenz verlegte er von dem baufälligen Mecklenburg nach Wismar; auch ist er Erbauer der Veste Neuburg, die er zum Witwensitze seiner Luitgard bestimmte. Er starb 1264.

Von seinen 6 Söhnen hatten sich Herrmann, Nicolaus und Johann dem geistlichen Stande geweiht; der jüngste, Poppo, focht in den Reihen der Kreuzritter. Die beiden ältesten, Albrecht I. und Heinrich I. folgten ihm in der Regierung) ersterer starb jedoch schon im folgenden Jahr, und so war denn Heinrich, obwohl mit Widerspruch seiner Brüder, der alleinige Herrscher.

Dieser Heinrich I., mit dem Beinamen: der Pilger bezeichnet, war von feurigem, tatkräftigem Sinne, schwärmerisch für Religion und Frömmigkeit glühend. Schon als Prinz kämpfte er in Liefland als Kreuzritter, wo die Rettung eines 3jährigen Mädchens aus dem Mordgewühl der Schlacht, das er mit heimführte und im Rehnaer Kloster erziehen ließ, seine Menschenliebe, wie seinen reinen Eifer für das Christentum beurkundet. Der Zeitsitte gemäß erfreuten sich Kirche und Geistlichkeit vieler Schenkungen; vor allen das Kloster Sonnenkamp. Sein frommer Sinn trieb ihn aber, weiter nach dem gelobten Lande zu pilgern; an des Erlösers Grabe zu beten, war sein heißester Wunsch. So wie die Lage und Verhältnisse seines Staates es demnach gestatteten, zog er fort über das ferne Meer im Jahre 1272, Vaterland, Gattin und unmündige Kinder verlassend, um sie vielleicht nie wieder zu sehen.


Die Verwaltung des Landes, während seiner Abwesenheit, übergab er Anastasien, seiner treuen und verständigen Gattin. Als Ratgeber stellte er die Ritter Oertzen und Strahlendorf ihr zur Seite. Fünfzehn Jahre führte sie mit Weisheit die Zügel des Staates, oft bedrängt von ihrem Schwager Johann II., der nach Heinrichs Entfernung mit neuen Ansprüchen auftrat, und dem sie Stadt und Land Gadebusch abtreten musste, wo derselbe bis zu seinem Tode, 1299, eine abgesonderte Herrschaft ausübte. Von Heinrich dem Pilger kam keine Kunde; alle von Anastasia durch Lübecks Vermittlung betriebenen Nachforschungen waren vergebens. Da übergab sie, nachdem sie 1283 mit den übrigen Fürsten der Wendenlande einen zehnjährigen Landfrieden aufgerichtet, 1287 die Regierung ihren nunmehr erwachsenen Söhnen Johann III. und Heinrich II., und zog sich, in stiller Trauer fortan lebend, auf ihren Witwensitz Poel zurück.

Johann III. ertrank schon im folgenden Jahre auf einer Seefahrt bei Poel, wenige Tage nach seiner Vermählung. Die Sorge für den Staat blieb also Heinrich II. (dem Löwen) allein überlassen. Zwistigkeiten mit seiner Hauptstadt Wismar, die ihm sogar 1292, als er dort sein Beilager mit Beatrix von Brandenburg feiern wollte, die Tore verschloss, wurden durch Lübecks Vermittlung beigelegt. Dagegen wandte er sich, im Verein mit Lübeck und seinen werleschen Vettern, gegen die lauenburgischen Raubritter und deren Beschützer, den Herzog Albert von Sachsen. Damals, 1294, wurden die Raubschlösser Weningen, Walerow, Klocksdorf, Carlow, Mustin, Thurow, Klausdorf, Nunnendorf, Linow, Burchardsdorf u. a. m. demoliert. Aber hier vernichtet, brach das Unwesen der Raubritter bald von Neuem an der Elde wieder aus. Endlich machten die benachbarten Fürsten sich auf, die Hauptveste Glaisin, wo Herrmann Rieben furchtlos ihrem Angriff erwartete, zu erobern. Die Belagerung zog sich bis ins folgende Jahr hin. Da (1298) scholl die ungehoffte Kunde, Fürst Heinrich lebt und kommt wieder heim.

Er war nämlich, von Marseille ausschiffend, Korsaren in die Hände gefallen, und hatte 25 lange Jahre zu Kairo in harter Gefangenschaft (deren Leiden die Anhänglichkeit und rastlose Arbeit seines treuen Knappen Martin Bleyer nur in etwas zu mildern vermochte) geschmachtet, bis endlich am Ende des Jahres 1297 Sultan Ladgin el Mansur ihm die Freiheit schenkte. Neu von Hoffnung belebt, eilte Heinrich über Morea nach Rom, wo er beim Papst eine ehrenvolle Aufnahme fand, als Greis in seine Heimat zurück, die er als rüstiger Mann verließ; im Lager von Glaisin (welches bald darauf eingenommen wurde) sah er seinen Sohn Heinrich, den er als Knäblein verlassen, als kräftigen Helden wieder, und eilte dann nach Vicheln in die Arme seiner treuen Anastasia. Lauter Jubel tönte im ganzen Lande, der sich besonders bei seinem Einzug in Wismar und Lübeck aussprach.

Aber nicht war es dem müden Pilger vergönnt, seine letzten Tage in friedlicher Ruhe zu beschließen; noch im Herbst desselben Jahres entspann sich eine Fehde mit Fürst Nicolaus dem Kinde von Rostock, welche indessen durch Vermittlung der Stadt Rostock bald beendet ward. Schwieriger war das gespannte Verhältnis mit Wismar zu ordnen, welche Stadt – obwohl sie ihn mit lärmender Freude empfangen hatten – nicht abließ, durch schwere Beleidigung den Fürsten zu reizen. Die Aussöhnung mit der vom päpstlichen Bannstrahl getroffene Stadt bewirkte endlich Lübeck (März 1300), der zu Folge Heinrich der Stadt seine Burg käuflich überließ und innerhalb der Stadt eine Residenz baute.

Endlich im Herbst 1301 beschloss Fürst Heinrich der Pilger seine mühselige irdische Wallfahrt.