Die in England gegen den Missbrauch des Kredits bestehenden Gesetze

Von der größten Wichtigkeit sind in dieser Beziehung die Erfahrungen Englands, wo über den gesammten Geldverkehr bereits seit 200 Jahren Erfahrungen gesammelt und die betreffenden Fragen mit der größten Gründlichkeit von Staatsmännern und Gelehrten behandelt worden sind. Der Streit der „Metallmänner und der Papiermänner“ wird mit großer Heftigkeit fortgeführt und es ist wichtig, eine klare Streitübersicht sich zu schaffen.

Um über die Geldzirkulation in England und über die auf Namen von Gesellschaften ausgegebenen Banknoten sich eine deutliche Vorstellung zu machen, sind die bei Assoziationen überhaupt bestehenden Gesetze voranzustellen.


Während in Deutschland und Frankreich man bemüht ist durch Aktiengesellschaften die Kapitalien der mit den betreffenden Geschäften unbekannten Menge der Industrie zuzuwenden und jeder Teilhaber nur für seine Aktie eintritt, hat die englische Gesetzgebung bis auf die neuste Zeit den Grundsatz aufrecht erhalten, dass bei allen Aktienunternehmungen jeder Aktienbesitzer unbedingt für alle Verbindlichkeiten der Gesellschaft mit seinem ganzen Vermögen haften muss. (Das Aktien-Gesellschafts-Bank und Versicherungswesen von Karl Schwebemeyer 1857.) Für alle Aktiengesellschaften sind Normalvorschriften über die Organisation und die Geschäftsführung gegeben und ihre Überwachung geschieht nicht durch die Regierung, sondern durch die Mitglieder der Gesellschaft und durch das Publikum, weshalb die Veröffentlichung der Geschäftsberichte allgemeine Vorschrift ist. Die Einhaltung der Statuten ist mit strengen Strafen belegt und jedem Mitglied einer Aktiengesellschaft sollen die Mittel gesichert sein, sich von dem Stande des Geschäftes Kenntnis zu verschaffen. Bei Verfehlungen der Direktionen gegen diese Vorschriften ist der Teilhaber befugt zu klagen und der Richter erkennt die gesetzlichen Strafen auf Anrufen der Beteiligten. In England hat bereits vor 200 Jahren die Spekulation einen solchen Aufschwung genommen, dass schon 1719 ein Gesetz erlassen wurde, wodurch die bürgerliche Gesellschaft gegen die Schwindeleien der Spekulanten, welche zu Gewinn auf versteckte Weise anlocken wollen, geschützt wird. Diese sogenannte Bubble-(Blasen)Akte blieb von 1719 bis 1825 in Wirksamkeit und hatte die Absicht, das gemeine Recht gegen die Schwindeleien der Spekulanten zu schärfen und gegen die Anmaßung von Korporationsrechten der Handelsgesellschaften das Publikum vor dem Richter zu schützen. Als 1825 die Übertragung der Aktien und eine freiere Bewegung der Banken hinsichtlich der Ausgabe von Banknoten gestattet wurde, blieb die unbedingte Haftbarkeit der Aktienbesitzer noch fortwährend Grundsatz und erst durch ein Gesetz von 1855 wurden in England anonyme Gesellschaften mit bedingter Haftbarkeit gestattet, welche bei allen Bekanntmachungen und Unterschriften durch das Wort „limited“ dem Publikum die bedingte Haftbarkeit bemerklich machen müssen. Dabei zeigte sich die merkwürdige Erscheinung, dass zwar viele Gesellschaften sich ankündigten, welche als anonyme Gesellschaften mit beschränkter Haftbarkeit zu operieren sich anschickten, dass aber nur wenige Gesellschaften mit beschränkter Haftbarkeit seit 1855 registriert wurden, während viele Gesellschaften mit unbeschränkter Haftbarkeit während derselben Zeit zu Stande kamen. Wenn hiernach die meisten Gesellschaften zu Befestigung ihres Kredits vorziehen die unbeschränkte Haftbarkeit auszusprechen, ohngeachtet das Gesetz diese nicht mehr fordert, so liegt dieser Auffassung nicht nur eine alte Gewohnheit zu Grund, sondern sie ist in der Geschäftsbehandlung der Engländer selbst begründet, wie sich mit einfachen Tatsachen nachweisen lässt. Handel und Industrie sind in England unter dem Schutz des Monopols und der Zünfte erstarkt und trotz der entgegengesetzten Ansichten, welche seit Adam Smith eine sehr mächtige Schule verbreitet hat, ist bis auf die neuste Zeit der Schutz des Monopols, der Zölle und Zünfte aufrecht erhalten worden, und was die englischen Staatsmänner Handelsfreiheit und Gewerbefreiheit nennen, ist von der Freiheit der Schule noch sehr weit entfernt. Was Friedrich List schon längst ausgesprochen hat, dass die Lehren über Handels- und Gewerbefreiheit von den Engländern hauptsächlich für den Export gefertigt, im Inlande aber nur mit großer Vorsicht und Mäßigung angewendet werden, ist noch heute richtig.

Wenn auf der einen Seite in der Beschränkung des freien Assoziationsrechtes eine Bevorzugung der Geldaristokratie erkannt wird, so sind auf der andern Seite die wohltätigen Folgen hervorzuheben, welche für alle mit großem Kapital auszuführenden Unternehmungen sich dadurch ergeben, dass vorzugsweise Kapitalisten sich an die Spitze von solchen Unternehmungen stellen, welche mit dem Kapitalbesitz auch die nötige Sachkenntnis verbinden, um den wahrscheinlichen Erfolg beurteilen zu können. Da bei unglücklichem Erfolg sie mit ihrem Vermögen für alle Verbindlichkeiten haftbar sind, so ist alle Veranlassung für sie vorhanden nicht mehr als ihre Einlage zu wagen und die Erfahrung zeigt, dass es in England an Kapital für nützliche Unternehmungen nicht fehlt. Diese unbedingte Haftbarkeit ist für die Gesellschaftsmitglieder ganz ungefährlich, so lange das von ihnen eingelegte Kapital nicht vollständig verbraucht ist. Die Haftbarkeit wird erst dann für die Mitglieder gefährlich, wenn ihr Kapital verbraucht ist, und sie mit fremden Geldern das Geschäft fortsetzen wollen, um ihre Verluste auf Gefahr fremder Kapitalisten wieder zu ersetzen. Dass eine solche Geschäftsführung eine Unterstützung der Gesetzgebung nicht verdient, sollte wohl nicht zweifelhaft sein.

Eine für das Gelingen wohltätige Bedingung folgt in England aus diesem Verhältnis dadurch, dass die industriellen Unternehmungen sich nur mit speziellen Aufgaben beschäftigen und durch das Gesetz verbunden sind, den Zweck ihres Unternehmens genau anzugeben. Gesellschaften wie der „Credit mobilier“ in Frankreich, eine Bank für Handel und Industrie und ähnliche Unternehmungen mit dem allgemein ausgesprochenen Zweck der Spekulation könnten in England grundsätzlich gar nicht bestehen, diese Gesellschaften müssten sich vielmehr in ebenso viele spezielle Gesellschaften verteilen, als sie Unternehmungen ins Leben zu rufen beabsichtigen. Wie den Zünften nach ihrem ursprünglichen Zweck die möglichste Vervollkommnung der einzelnen Gewerbszweige nach dem richtigen Grundsatze der Teilung der Arbeit als Aufgabe gestellt war und erst die Auswüchse des Zunftwesens zu Missständen führten, so hat sich der Grundsatz der Spezialität in England auch auf die größeren industriellen Unternehmungen fortgepflanzt und die Verbindung von Kapital und Geschäftskenntnis wird als nothwendige Bedingung des Gelingens noch heute von der großen Mehrheit der englischen Geschäftsmänner und Staatsmänner angesehen. Ausnahmen von der unbedingten Haftbarkeit für größere auf Aktien zu gründende Unternehmungen wären bis auf die neuste Zeit nur durch eine besondere Parlamentsakte gestattet und es muss sich erst der Grundsatz der beschränkten Haftbarkeit durch die Erfahrung in England erproben.

Wenn in Frankreich und Deutschland die Spekulation durch Freiheit in dem Geschäftsbetrieb von Assoziationen aller Art nach den Lehren einer weit verbreiteten Schule gehoben werden will, so ist es gewiss geraten, die Erfahrungen und bestehenden Einrichtungen der sehr praktischen Engländer gründlich zu studieren und zunächst die Bedürfnisse der eignen Nation zu erforschen. Man hat häufig als einen Ausfluss der Geldaristokratie bezeichnet, dass die Spekulation dem wenig Bemittelten durch die Beschränkung von Aktiengesellschaften erschwert werde, es kommt aber dagegen die Gefahr in Betracht, wenn die mit den industriellen Verhältnissen ganz unbekannten großen und kleinen Kapitalisten veranlasst werden, ihre Ersparnisse zu Aktienunternehmungen zu verwenden, deren Erfolg nicht verbürgt werden kann, während bei guten Unternehmungen es an Kapitalien für tüchtige Geschäftsleute nicht fehlen sollte, welche bei Verwaltung ihrer eignen Sache den Ertrag zu genießen haben, aber auch für den Verlust einstehen müssen. Wenn trotz dieser Beschränkungen der anonymen Gesellschaften die Spekulation in England dennoch zu ebenso großen Schwindeleien geführt hat, als in andern Ländern, so müssen andere Ursachen hierauf einwirken, und unter diesen ist zunächst die Ausbildung der Kreditinstitute von Bedeutung.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geld und Kapital