Die Zunahme des Nationalvermögens

Eine solche jährlich über das Vermögen sämtlicher Staatsangehörigen und Gesellschaften vorgenommene Inventarisation würde die Zunahme oder die Abnahme des Volksvermögens mit beurkundeten Zahlen geben, es bedarf aber keiner Ausführung, dass die Wirkung die gleiche ist, ob diese Inventarisation wirklich vorgenommen wird oder nicht. Die Ersparnisse der ganzen Nation stellen sich als die Ersparnisse der einzelnen Bürger nach Abzug der Kapitalverluste der übrigen Bürger dar, und so unsicher alle Einschätzungen des Gesamtvermögens einer Nation sind, so ist doch hinreichend konstatiert, dass die Zunahme im Durchschnitt einer längern Reihe von Jahren bei den Fortschritten der Bevölkerung, der Bodenkultur und der Gewerbstätigkeit in bestimmten Zahlen sich nachweisen lässt, dass aber diese Zunahme innerhalb sehr bsstimmter Grenzen sich bewegt, welche besonders bei den europäischen Staaten bei Berücksichtigung der günstigen und der ungünstigen Perioden nach verschiedenen Untersuchungen jährlich 1 bis 2 % des Nationalvermögens nicht übersteigt, während die dünnbevölkerten und mit Überfluss an fruchtbarem Boden gesegneten Länder in rascher Progression ihr Volksvermögen vermehren, besonders wenn sie durch Kapitalvorschüsse der Mutterländer unterstützt werden, was sich jedoch auch innerhalb sehr bestimmter Grenzen bewegt. Bei dem großen Reichtum der englischen Nation, welcher nach verschiedenen Schätzungen zu 5.000 bis 7.000 Millionen Pfd. Sterlg. angeschlagen wird, ist die bei englischen Schriftstellern verbreitete Ansicht sehr erklärlich, dass die für neue Unternehmungen erforderlichen Kapitalien auch immer zur Verfügung sein werden, wenn für Geld gesorgt werde, es ist aber zu berücksichtigen, dass bei einer jährlichen Zunahme des Nationalvermögens von 1 bis 2 % diese Summe sich jährlich auf 50 bis 100 Millionen Pfd. Sterlg. beschränken würde, während die Spekulation, abgesehen von den wirklich erzielten Kapitalersparnissen, häufig viel größere Summen in Anspruch nimmt, wobei wir nur an die Kapitalanlagen für Verbesserungen im Landbau, für den Bau von Wohnungen, Fabrikanlagen, Kommunikationsmitteln, Schiffe etc. uns zu erinnern brauchen, wozu noch die für den Krieg erforderlichen Kapitalien hinzukommen können. Die Einzahlung ist häufig nur möglich, wenn Aktivausstände eingezogen werden, was für die englische Nation insofern zulässig ist, als das englische Kapital in allen Weltgegenden angelegt ist. Wir müssen uns aber immer vergegenwärtigen, dass verzinsliche Kapitalien von den Engländern verwendet werden müssen, sobald mehr als die jährlich-ersparten Kapitalien zu neuen Unternehmungen erfordert werden, was durch Verkauf der verzinslichen Wertpapiere in Staatspapieren der französischen, deutschen, russischen und amerikanischen Nation oder in industriellen Papieren dieser Länder geschehen kann, welche Papiere in ihrer Heimat immer noch den besten Markt finden, wenn sie auf dem englischen Markt im Kurse gedrückt werden.

Es ist einleuchtend, dass das in Metallvorräten angelegte Kapital zu den für neue Kapitalanlagen zu machende Einzahlungen gar häufig nicht hinreicht, weil die englische Nation, abgesehen von den Vorräten der Bank, auch für den übrigen Verkehr der Metallzirkulation bedarf und daher nur so viel Metall ausgeführt werden kann, als von der andern Seite Metall eingeführt wird, welche Summen gegenüber von den in Wertpapieren zirkulierenden Kapitalien immerhin untergeordnet erscheinen, so sehr die in den Handelsberichten aufgeführten Summen über den Metallhandel den unkundigen Leser in Erstaunen setzen.


Die englischen Nationalökonomen, mit Tooke an der Spitze, lassen sich durch den großen Nationalreichtum Englands zu der Ansicht verführen, als ob für alle Bedürfnisse des Geldmarkts immerhin genug Kapital vorhanden sei, wenn für Geld gesorgt werde, und dass statt der edlen Metalle auch Deckung mit Handelspapieren oder mit Zahlungsversprechungen zulässig sei, während diese Deckung innerhalb der Verfallzeit dennoch beigeschafft werden muss und nur in Waren oder verzinslichen Wertpapieren bestehen kann.

Tooke liefert selbst den sprechendsten Beweis für diese Grundlehre der Geldzirkulation durch seine Untersuchungen über die Metallausfuhr aus Frankreich und nach Ostindien. Er erklärt die für Metallankäufe von der Pariser Bank gemachten Geldoperationen für nutzlos, weil diese durch Aufkauf langsichtiger Wechsel auf London und durch Diskontieren der Wechsel in London bewerkstelligt werden und nach der Verfallzeit das Gold zurückströmen muss, was nur verhindert würde, wenn die Pariser Bank Anleihen auf längere Zeit in London machen oder Sicherheitspapiere verkaufen würde. Ebenso weist er hinsichtlich der Silberausfuhr nach Ostindien nach, dass der Warenhandel zwischen England und Nordamerika einer Seits und Ostindien und China anderer Seits sich ziemlich ausgleiche, und dass die Silbersendungen für Ostindien hauptsächlich durch die für industrielle Unternehmungen in Ostindien von England einzuzahlenden Kapitalvorschüsse veranlasst werden. Die Kapitalübertragungen sind es, welche den englischen Geldmarkt gegenüber von Ostindien in den letzten 8 Jahren zu Barsendungen genötigt haben und die jährlich von Engländern in Ostindien ersparten Kapitalien und Zinse haben für diesen gesteigerten Bedarf nicht mehr hingereicht. Es ist recht wohl möglich, dass die Bedürfnisse des gegenwärtigen Kriegs weniger Zuschüsse von England in der nächsten Zeit erfordern dürften als bisher die industriellen Unternehmungen nötig gemacht haben und dass die von vielen Seiten so ängstlich beobachtete Silberausfuhr dadurch entbehrlich gemacht werden wird. Auf der andern Seite ist zu erwarten, dass die von der ostindischen Kompagnie bisher zurückgewiesene Goldeinfuhr durch den Krieg sich leicht Eingang verschaffen und viele bestehende Vorurteile beseitigen wird.

Den empfindlichsten Verlust wird England bei dem Krieg in Ostindien dadurch erfahren, dass das daselbst von Engländern angelegte Kapital teils verloren geht, teils für viele Jahre keine Rente trägt, während die Ansammlung von Schätzen oder Kapitalien in Ostindien so zur allgemeinen Volksansicht geworden ist, dass alle statistischen Nachweisungen über eine für Europa ungünstige Handelsbilanz diese Tatsache nicht widerlegen werden.

Die Mehreinfuhr von Waren ist für England kein Nachteil, wenn die Zinsen aus den in Ostindien angelegten Kapitalien in Waren bezogen werden. Die Einfuhr von edlen Metallen ist für Ostindien kein Vorteil, wenn die Einzahlung von Anleihen dadurch geschieht, welche die dortigenEinwohner verzinsen müssen, besonders wenn diese Kapitalien nicht nutzbringend sind, wie diess bei den meisten StaatsAnleihen der Fall ist.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geld und Kapital