Bedingungen einer gesunden Spekulation

Die Börse hat die Aufgabe durch den Handel mit Wertpapieren die Übertragung der Kapitalien zu befördern und wie beim Warenhandel müssen die Papiere da gekauft werden, wo sie am wohlfeilsten sind, und da verkauft werden, wo sie am teuersten sind. Von den englischen und französischen Schriftstellern wird diese wichtige Aufgabe der Börse häufig verkannt, weil sie in London und Paris hauptsächlich die Geschäfte der Börse beobachten und nur Aus- und Einfuhr der Waren und der edlen Metalle sich der Beobachtung darbieten, während die Aus- und Einfuhr der Wertpapiere sich den statistischen Nachweisungen entzieht und nur aus den Kursen beurteilen lässt. Jeder Geschäftsmann kennt zwar die zum Ankauf und Verkauf von Handelspapieren erforderlichen Manipulationen, über deren Einfluss auf den Wechselkurs macht er sich aber keine klare Vorstellungen, und der Gesetzgeber, welcher bei dem Kaufmann sich Rat erholen will, überzeugt sich bei jedem Gutachten, wie Geld und Kapital, Wechselkurs, Silber- und Goldpari in unklaren Bildern in der Handelswelt sich durchkreuzen, was besonders aus den Enqueten des englischen Parlaments bei der Bankreform im Jahr 1844 hervorgeht. Die erfahrensten Bankiers und Kaufleute haben von dem Metallgehalt der Münzen häufig nur die oberflächlichsten Kenntnisse und ihre Berechnungen werden gewöhnlich nach einem für die Berechnung bequemen Wechselpari und den gegen diesem sich ergebenden Kursdifferenzen angestellt, ohne dass sie sich um das Silberpari oder Goldpari bekümmern. Man erzählt sich, dass einer der ersten Nationalökonomen die Wichtigkeit der Ordnung in den Münzsystemen einem Mitglied des Hauses Rothschild deutlich zu machen versuchte und von diesem die Äußerung erhielt, dass er sich um die Münzsysteme nichts kümmere, und dass für seine Geschäfte nur die Wechselkurse und die Kurse der Wertpapiere maßgebend seien. Wer hat nun Recht? der Nationalökonom oder der Bankier? Wir sagen Beide. Die Börse hat wie ihr Repräsentant nur ihren eigenen Vorteil im Auge, sie führt die Metalle aus, wenn der Ankauf der Wertpapiere oder Anleihen an Staaten und Privaten Vorteil bringt und gerade die mit den größten Opfern ausgemünzten vollwichtigen Sorten sind hierzu die tauglichsten. Die Börse führt aber die Metalle ein, wenn Wertpapiere an das Ausland abgesetzt werden können oder Anleihen aus dem Ausland mit Vorteil zu machen sind. Die Papiere sind daher für die Börse bei der Einfuhr wie bei der Ausfuhr der Metalle entscheidend, und die Metalle sind ihre Ware. Der Nationalökonom hat Recht im Interesse der Gesamtheit, welche das gesetzliche Zahlungsmittel als unverzinsliches Kapital zum Umsatz erworben hat und in gutem Geld das wohlfeilste und sicherste Umsatzmittel findet. Die Börse sucht durch Kreditoperationen aller Art das bare Geld entbehrlich zu machen, und Zahlungsversprechungen in Wechselbriefen und in Aktien statt wirklich eingezahlter Kapitalien als Zahlung zu geben, wodurch allen Schwindeleien Tür und Tor geöffnet wird. Der Austausch der Kapitalien ist der Hauptgegenstand des Börsenverkehrs, die Banken sammeln auch die kleinsten Warenerlöse zu verzinslichen Kapitalien an und vertauschen diese gegeneinander. Der Wechselkurs wird daher durch den Umsatz der Kapitalien bestimmt, welche nur zum geringsten Teil in Geld vorhanden sind, das Geld mag in Metall oder in Wertzeichen von Papier bestehen.

Der reelle Handel mit verzinslichen Wertpapieren beruht auf einer ebenso gesunden Grundlage wie aller Warenhandel, es ist die genaue Bekanntschaft mit allen Bezugsquellen und Absatzwegen für den Bankier erforderlich und aus seinen Kalkulationen ergeben sich die mit den verschiedenen Arten der Geldanschaffung verbundenen Kosten und der für ihn und seine Abnehmer zu erwartende Gewinn. Der Telegraphendienst erweitert den Markt der Börsen zu einem Ganzen und auf jeder Börse wechselt Nachfrage und Angebot der Kapitalien und damit der Zinsfuß. Bei Papieren zu festen Renten äußert sich die Änderung des Zinsfußes im Kurs, bei Wechselbriefen im Diskontsatz. Die Börsengeschäfte erscheinen allerdings als bloßes Spiel, wenn die Spekulanten an einer Börse nur auf Differenzen handeln, welche der eine Spieler gewinnt und der andere verliert, und von dieser Seite eifern die Nationalökonomen mit Recht gegen das Börsenspiel und den Papierhandel. Über diesen Schattenseiten wird aber der mit der Übertragung der Kapitalien für die Industrie zu erzielende Vorteil gar häufig übersehen und die Sozialisten und Kommunisten in Frankreich schöpfen aus diesen Erscheinungen ihre Angriffe gegen das Kapital überhaupt, wobei sie die Börse in Paris als den Zusammenfluss der Kapitalien von Frankreich sich denken, während die in allen Erwerbszweigen in Frankreich vorhandenen Kapitalien auf 80 bis 100 Milliarden anzuschlagen sind, das in Metall aber an der Börse vorhandene Kapital nur 3 Milliarden beträgt. Man darf sich daher auch nicht wundern, wenn die Börse in kurzer Zeit die Kapitalien von mehreren Hunderten von Millionen Franken aufbringt, weil nur ein geringer Teil des Nationalvermögens flüssig zu machen ist, um die Deckung zu realisieren. Auf der andern Seite hat aber das verfügbare Kapital seine sehr bestimmten Grenzen, deren Überschreitung Notzustände zur Folge haben muss. Für nutzbare Verwendung stehen die Kapitalersparnisse der ganzen Welt zur Verfügung und sie können auch unbedenklich in Anspruch genommen werden, wenn der Unternehmer, sei er ein Privatmann, oder eine Gesellschaft, oder der Staat selbst, die Zinse und die Tilgung mit Zuverlässigkeit verdienen kann. Dadurch wird gerade die von den Kommunisten angefeindete Despotie des Kapitals aufgehoben, dass dem Arbeiter, welcher durch Intelligenz und Fleiss sich Vertrauen zu erwerben weiß, bei gut geordneten Kreditverhältnissen das Kapital auch zur Verfügung steht, und die Börse hat diese Aufgabe zu erfüllen.


Um den Gewerben die Vorteile der Börsengeschäfte zu sichern, die Nachteile aber möglichst zu beseitigen ist erforderlich, dass alle Scheinkäufe und Täuschungen durch Versprechungen vermieden und nur reelle Kapitalien zum Gegenstand der Börsengeschäfte gemacht werden. Man hat gegen den Handel mit Promessen schon vielfach Maßregeln getroffen, und es ist anerkannt, dass mit Papieren, welche nur mit 1/10 eingezahlt sind, hauptsächlich der Schwindel genährt wird, es wird aber auch hier nur Abhilfe durch möglichste Bekanntschaft mit dem wirklichen Stand der einzelnen Geschäfte und durch möglichste Ausdehnung des Geschäftsmarktes zu erwarten sein. Die Anpreisungen von Unternehmungen mit 20 bis 30 % Gewinn müssen Misstrauen erregen, wenn diese Geschäfte in Marktgebieten entstehen sollen, wo der Überfluss an Kapitalien einen niedrigen Zinsfuß veranlasst und industrielle Geschäftskenntnis gehörig verbreitet ist. Solche Geschäfte sind aber recht wohl möglich in Ländern, wo Mangel an Kapital und Geschäftskenntnis noch mit den Anfängen der Gewerbstätigkeit zu kämpfen hat.

Die nützliche Verwendung des Kapitals in solchen Gegenden durch Beteiligung an den Geschäften mittelst industrieller Papiere ist für Kapitalisten sehr einladend, welche in der Heimat nur die hohen Dividenden einzuziehen haben und in Ermanglung von eigener Geschäftskenntnis besorgen Agenten, Bankiers und Kreditinstitute wie der Credit mobilier etc. die Prüfung der Solidität des Unternehmens. In den wenigsten Fällen lässt sich aber das solideste Unternehmen vor dessen Vollendung mit Sicherheit aus der Ferne beurteilen, während die Inländer hierzu alle Hilfsmittel sich leichter verschaffen können, wenn ihnen die nötige Sachkenntnis zu Gebot steht. In einem solchen Fall werden die Inländer auch bei den meisten industriellen Unternehmungen die Leitung des Geschäfts besser besorgen können, als Ausländer, und zu einem guten Geschäft werden sich in der Regel Inländer finden, wenn die Kapitalien selbst ihnen zu billigen Bedingungen geboten werden.

Es kann nicht genug gegen die sehr verbreitete irrige Vorstellung angekämpft werden, als ob die Macht der Börse durch die Ausgabe von Papieren neue Kapitalien schaffen könne; man muss sich dagegen immer klar machen, dass nur mit erworbenen Kapitalien die Unternehmungen, seien sie gut oder schlecht, gegründet werden können, und dass Promessen auf Aktienscheine oder teilweise eingezahlte Aktien wirkliche Einzahlungen erfordern, welche nur möglich sind, wenn das erforderliche Kapital auch wirklich erspart worden ist.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geld und Kapital