Geistererscheinungen.

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1921
Autor: M. Orlof., Erscheinungsjahr: 1921

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Laterna magica, Spuk, Geister, Grauen, Angst, Schrecken, Gräuel, Täuschung, Gauklerkünste, Filmtechnik, Okkultismus, Geistergläubigkeit, Wunder, Betrügerei,
Mit dem technisch vollendeten Kino kann sich die einfache Laterna magica, die das Entzücken der Jugend vor einem Menschenalter gewesen ist, nicht mehr messen. Dieser Vorläufer des Kinos ist viel älter, als man gewöhnlich annimmt. In einer Handschrift des Fontana aus der Zeit um 1420 findet sich die Zeichnung einer Projektionslaterne, auf deren Scheibe — wohl aus dünnem, durchsichtigem Horn gebildet — ein Teufel gemalt ist. Im Innern der Laterne befindet sich ein Wachsstock. Brannte das Licht in einem dunkeln Raum, so erschien das aufgemalte Bild des Bösen auf einer hellen Fläche in ziemlicher Vergrößerung.

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Dann berichtet Daniel Schwenter im Jahre 1636 über eine Zauberlaterne, die vermutlich ein Linsensystem besaß. Athanasius Kircher beschrieb 1646 dreierlei Arten von Projektionsapparaten. Der dänische Mathematiker Thomas Walgenstein verbesserte um 1668 die Laterna magica; er verringerte die Größe der Leuchtkammer und führte auswechselbare Bilderplatten ein. Die ersten beweglichen Glasbilder sind 1713 von B. H. Ehrenberger erfunden worden. Nach Feldhaus zeigten um 1793 in Deutschland die Gebrüder Enslen in ihrem physikalischen Theater Projektionen lebender Personen auf der Bühne. Die Bilder wurden durch einen Hohlspiegel aufgefangen und dann zur Linse des Projektionsapparates geleitet.

Größere Verbreitung fanden derartige Apparate gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts, einer Zeit, die zwischen rationalistischer Aufklärungsmanie, wüstester Abergläubigkeit und Wundersucht schwankte. E. G. Robert, genannt Robertson, ließ sich am 17. März 1799 eine optische Bühne in Frankreich patentieren. Die jedem Spuk zugängliche Richtung seiner Zeit geschickt benützend, verstand er es, die Menschen durch Geistererscheinungen zum Gruseln zu bringen, die er — mit Hilfe der Laterna magica hervorbrachte. Wir würden heute derartige „Vorführungen“ aus der angeblich „vierten Dimension“ belächeln und sie höchst belustigend finden. Anders verhielten sich die Menschen jener Zeit. Robert ließ damals im Saale eines Pariser Kapuzinerklosters Geister erscheinen, die das Staunen und den Schrecken nicht nur der „ersten Stadt des Erdkreises“, sondern der „ganzen Welt“ erregten. In seinen Lebenserinnerungen erzählt er, auf welche Weise er es erreichte, die Zuschauer in haarsträubendste Angst zu versetzen. Die Besucher wurden in geheimnistuerischer, Spannung erregender Weise durch eine Reihe düsterer Gänge und Räume des alten Klosters geführt und standen zuletzt vor einer Türe, die mit Hieroglyphen bemalt war. Der gauklerisch ausstaffierte Eingang zu den „Geheimnissen der Isis“ öffnete sich, und man betrat einen mit schwarzem Tuch ausgeschlagenen Raum, der, nur durch eine Grablampe matt erhellt, in ahnungsvollem Dämmer lag.

Aus dem Dunkel heraus klang die Stimme des Geisterbeschwörers; er sprach vom Schrecken und der Seelenangst, die durch das Erscheinen der abgeschiedenen Seelen hervorgebracht werden, von der Zauberei, die Geister mit Künsten der schwarzen Magie zwingen könne, aus dem Jenseits wieder auf die Erde zurückzukehren. Dann begann er Gespenster zu zitieren. Die Lampe erlosch, und die erwartungsvollen Zuschauer saßen in tiefer Finsternis auf ihren Bänken. Donner rollte. Schrill läutete eine Sterbeglocke. Die Toten sollten im Grabe erwachen. Dazu erklangen Akkorde einer Harmonika. Blitze zuckten im Dunkel auf und erloschen. In weiter Ferne leuchtete ein heller Punkt; allmählich wurde er größer, eine kleine Gestalt erschien, wuchs immer mehr an, ward deutlicher und zuletzt riesengroß erkennbar. Näher und näher rückte das Gespenst auf die Zuschauer los. Ein Schrei! Und die Erscheinung verschwand. In anderen Fällen stiegen die Geister scheinbar aus dem Boden empor oder manifestierten sich auf unerwartete Weise.

Ein Zeitgenosse Roberts beschrieb eine dieser „entsetzlichen“ Sitzungen: „Robespierre steigt aus seinem Grabe und will seine frühere Macht wiedererlangen. Ein Blitz zerschmettert das Ungeheuer zu Staub. Doch da kommen teure Schatten, um den vorherigen Gräuel wiedergutzumachen: Voltaire, Lavoisier, Jean-Jacques Rousseau tauchen nach und nach auf. Diogenes, die Laterne in der Hand, sucht einen Menschen; um ihn zu finden, geht er scheinbar durch die Reihen der Zuschauer und verursacht vor allem bei den Damen einen sanften Schauer.“ Man sieht, die Geistererscheinungen dienten gewissen politischen Tendenzen.

Mehrere Jahre hindurch konnte die damalige Gesellschaft durch die optischen Täuschungen der Laterna magica in Atem gehalten werden. Es war die Zeit der erregtesten Geisterseherei, die selbst kluge Menschen in ihren „magischen“ Bann zog und schwächere Gemüter bis zur Sinnlosigkeit betörte und berückte. Betrügereien oft plumpster Art waren die notwendige Folge der Gier nach Wundern. In Schillers „Geistersehern“ ist uns ein lebhaftes Gemälde dieser betörenden Gauklerkünste überliefert.

Heute drängt die Masse in das Kino, um den Golem zu sehen, und morgen wird uns der Film das Grauen und die Schrecken der „vierten Dimension“ scheinlebendig machen. Die raffinierten Künste der Filmtechnik könnten hier noch ein Feld finden und ungewollt dazu beitragen, dem Okkultismus und spiritistischer Geistergläubigkeit das Wasser abzugraben. Als man im achtzehnten Jahrhundert mit primitiven optischen Täuschungen Geister „beschwor“, verschwand der Zauber, den sie vorher ausgeübt, nachdem sie als handgreiflicher Spuk der Laterna magica erkannt waren.