Castraten. Kastraten

Zur Mannbarkeit und Ehestandsfähigkeit des männlichen Geschlechts wird das Dasein der Hoden erfordert.

Diese Teile heißen auch Testes oder Testiculi, weil sie den Beweis der Mannheit abgeben, und weil bei den römischen Gerichten keine Mannsperson ein Zeugnis ablegen konnte, wofern sie nicht mit denselben versehen war. Es sind ihrer gemeiniglich zwei, doch will man auch Beispiele wissen, wo Mannspersonen mit drei, ja mit vier begabt gewesen sein sollen; allein Haller fällt das Urteil, dass die mit mehr Genauigkeit ausgeübte Zergliederungskunst nichts habe auffinden können, wodurch die Existenz dieser wohlbegabten Leute vergewissert wurde — man hat vielmehr an ihrer Statt Balggeschwülste gefunden, auch Speckgeschwülste und andere Verhärtungen, welche im Hodensack das Dasein eines Testikels vorspiegelten.


Bisweilen befindet sich nur ein Hode in dem Hodenbeutel, und manchmal gar keiner. Man muss aber nicht allezeit glauben, dass das wirklich fehlet, was zu fehlen scheint. Oft sind die Hoden in dem Unterleibe zurückgehalten worden, oder haben sich in die Ringe der Muskeln verwickelt; oft aber überwinden sie diese Hindernisse mit der Zeit und senken sich an ihren Ort. Auch da wo sie sich nicht zeigen, sind doch Leute, bei denen sich dieses so verhält, zur Zeugung geschickt; man hat sogar bemerkt, dass sie munterer dazu sind als andere. Auch bei Leuten, die wirklich nur einen Hoden haben, schadet dieser Mangel nichts; dieser einzige ist alsdann viel größer als gewöhnlich.

Durch die Kastration haben vorzeiten viele Menschen diese edlen Teile verloren, und, auch heutiges Tages wird diese Operation häufig in denen Morgenländern verrichtet. Sie geschieht auf verschiedene Art, entweder wird nur ein Hode ausgerissen, und der andere bleibt hängen, und diese unechte Kastraten nannten die Lateiner Spadones. Nach römischen Rechten wurde diesen die Ehe nicht verboten, weil die Zeugung bei, einem einzigen gut beschaffenen Hoden, so gut als bei zweien statt findet. Andern werden beide Hoden ausgeschnitten — noch bei andern aber alle äußerlichen Zeugungsteile weggenommen, daher der Unterschied der schwarzen Verschnittenen von den weißen, bei den Türken. Ein türkischer Kaiser soll diese Operation eingeführt haben, weil ihn das Bezeigen eines gewallachten Pferdes zu einem Misstrauen gegen die gelinder Verschnittenen gebracht; doch kommen von hundert kaum fünfzig davon. Bei der ersten Gattung, wo nur die Hoden weggenommen, ist Fähigkeit zum Beischlaf in einigem Grade vorhanden, aber keine zur Zeugung. Sie wurden demnach schon zu Juvenals Zeiten von wollüstigen Damen gemissbraucht, und wir glauben, dass, wenn ein Frauenzimmer eine Affektion zu einem solchen Subjekt fassen würde, man den Ehestand erlauben könne — indem sie einen Teil der ehelichen Pflicht ganz erträglich leisten, und einem nicht gerne platonisierenden Weibe noch wohl die Unterhaltung machen können. Und gestattet die Obrigkeit ungleiche Ehen, wo Kinderzeugung eben so physisch unmöglich ist, wie bei denen Kastraten — warum sollte man hier nicht durch die Finger sehen können? Die letzte Gattung hingegen besitzet nicht die mindeste Fähigkeit.

Es war eine besondere Raserei der Menschen, wenn sie in dem Wahn standen, durch die Selbstentmannung machten sie sich denen Göttern gefällig. Solche Rasende waren z. B. die Priester der Göttin Cybele zu Rom. Aretäus der Arzt drückte sich folgendermaßen über diese Handlung aus; „Sie schneiden sich die Geburtsglieder ab, und glauben, dass hiermit den angerufenen Göttern ein besonders angenehmer Dienst geschähe. Die erhitzte Einbildungskraft gebiert diese Tollheit: bei einer einnehmenden Musik, und beim Weine werden sie begeistert, oder das Zusprechen der Zuschauer unterhält den heiligen Unsinn, welchen man von der Göttereingebung herleitet.“

Auch unter den Nachfolgern der ersten christlichen Kirche fanden sich solche Rasende, so dass sich endlich die Kirche genötigt sah, alle ihr Ansehen diesem Unsinn entgegenzusetzen und zu beschließen:

„Wer sich selbst das männliche Glied abgeschnitten, der solle zum geistlichen Stande, weil er ein Mörder an sich selbst, und ein Feind der göttlichen Schöpfung ist, für untauglich gehalten werden.“
„Wenn einer, der schon ein Mitglied der Geistlichkeit ist, sich diesen Teil abschneidet, der solle als ein Selbstmörder verstoßen werden.“

Als die Kaiser den Orientalischen Pracht annahmen, so spielten auch zu Konstantinopel die Verschnittenen an dem Hofe eine glänzende Rolle, und hatten das meiste zu sagen, waren aber auch unter allen Höflingen die schlimmsten. Ammian Marcellin sagt von ihnen: ,,ihr Geldgeiz übertraf alles, was menschlich ist.“ Das unbegreiflichste war, wie er den Leuten entstand, die für keine Nachkommenschaft zu sorgen hatten. Zwei der vernünftigsten Männer der damaligen Zeiten suchen uns diese moralische Erscheinung aufzuklären. Der Poet Claudian sagt, dass sie das Gold als eine Entschädigung dessen ansehen, was ihnen an andern Lüsten abgeht. Ammian Marcellin, dass sie aus Abgang der Kinder, und anderer Gegenstände, woran sich ihr Affekt heften könnte, die Goldpfennige als ihre liebsten Töchter umfangen. Beide machen ihnen den Vorwurf der Härte und Gefühllosigkeit in Ansehung anderer, weil sie nichts für ihre Kinder zu fürchten haben, oder vielmehr, weil ihre Herzen durch die sanftern Gefühle, die durch Liebe und Freundschaft erzeuget werden, nicht erweicht sind.