Abortieren. Abtreiben

Die Stärke der Leidenschaften auf die menschliche Seele, zeigt sich in keiner Läge so mächtig, als in derjenigen eines sonst wohlerzogenen Mädchens, das zum erstenmale spürt, dass es in seinen Eingeweiden ein lebendiges Geschöpfe herumtrage, welches die Frucht einer außerehelichen Umarmung ist. Dieser schreckliche Augenblick bemeistert sich bald ihres ganzen Gemüts: Schamhaftigkeit, Furcht, Schrecken und Verzweifelung, lösen sich wechselweise ab, und selbst der Tod wird dem hier sonst so schüchternen Geschlechte ein Gegenstand seiner sehnlichsten Wünsche. Schande und bevorstehendes Elend sind die mächtigen Triebfedern so unbeschreiblicher Wirkungen; beide sind nötige Folgen unserer gesellschaftlichen, Verfassung, welche das Recht der Zeugung gewissen Regeln unterworfen und deren Übertretung ahnden musste. Was Wunder also, wenn das verunglückte Mädchen auf das Abtreiben seiner Leibesfrucht verfällt? Ein Gedanke, welcher an sich gegen die menschliche Natur empörend ist, und nur durch den in solchen Fällen missgeleiteten Trieb zur Selbsterhaltung einigermaßen entschuldigt werden kann, von dem man also sich billig wundern muss, wie er bei einigen Völkern Beifall gefunden, und so zu sagen in Mode ausarten konnte. Die Einwohner der westlichen, Hudsons-Bay nötigen, aus einem besondern Polizeigrundsatz, ihre Weiber, ihre Kinder abzutreiben, um sich von der beschwerlichen Last einer hilflosen Familie zu befreien. Die türkischen verehelichten Frauenzimmer treiben ohne alle Furcht öffentlich ihre Kinder ab, ohne dass von Obrigkeitswegen den Afterärzten, die, diese Dienstleistung besorgen, das Handwerk niedergelegt würde. Zu Rom wurde in den alten Zeiten, von vornehmen Frauen das Abtreiben täglich und fast öffentlich versucht. Juvenal sagt von seinen Zeiten, dass man zu Rom wenige vornehme Kindbetterinnen hätte, seitdem das Frauengeschlecht den Vorteil erfunden, sich unfruchtbar zu machen, oder das Kind in seinem Schoße zu töten. Diese abscheuliche Mode wurde durch die herrschende Meinung unterstützt, als sei die Frucht in Mutterleibe noch kein Mensch, sondern bloß ein Teil mütterlicher Eingeweide, und deswegen wurde sie nur als eine Art von Pflanze angesehen, und man glaubte, sie verdiene den Namen einer belebten Frucht nicht eher, als bis sie durch die von der Mutter empfundene Bewegung von dem Dasein ihres Lebens Gewissheit gibt, welches erst in den letzten Monaten der Schwangerschaft zu geschehen pflegt. Diese Meinung wurde in die Gesetze übertragen, und Ulpian sagt: „die Leibesfrucht sei, ehe sie zur Welt geboren wird, als ein Teil der Eingeweide zu betrachten“ — und an einem andern Ort behauptet er: „wenn die Leibesfrucht dies auch wirklich nicht sei, so könne man sich dieselbe in den Rechten doch also vorstellen.“ Papinian aber sagt: „eine Leibesfrucht, die noch nicht zur Welt gebracht sei, könne auch das Recht noch nicht haben, ein Mensch zu heißen.“ Hierauf gründet sich Artikel 133. der peinlichen Gerichtsordnung, wo es heißt: „So jemand einem Weibsbild, durch Bezwang, Essen oder Trinken, ein lebendiges Kind abtreibt, wie auch einen Mann oder Weibsbild unfruchtbar macht, so solches vorsätzlicher oder boshafter Weise geschieht soll der Mann mit dem Schwert, als ein Totschläger, und die Frau, so sie es auch ihr selbsten täte, ertränkt, oder sonsten zum Tode gestraft werden. So aber ein Kind, das noch nicht lebendig wäre, von einem Weibsbilde getrieben wird, sollen die Urteiler, der Strafe halber, mit denen Rechtsverständigen, oder sonst, wie zu Ende dieser Ordnung gemeldet, Raths pflegen.“

Das Altertum scheinet überhaupt in der Kunst, die Kinder in Mutterleibe zu zernichten, weiter gekommen zu sein, als man noch heut zu Tage weiß; doch scheinet auch in jenen Zeiten kein Mittel bekannt gewesen zu sein, womit man immer mit Gewissheit den sündhaften Endzweck hätte erreichen können. Ovid sagt demnach schon mit Recht:


- Nimium vivax admotis restitit infans
Artibus, et tectus, tutus ab hoste fuit.

Und heutiges Tages, wenn man in der gerichtlichen Arzneiwissenschaft die Frage erläutern soll: ob es in der Tat unter den Produkten der drei Naturreiche abtreibende Mittel, das ist, solche gibt, bei deren Einnehmen und Wirkung das Abtreiben in allen und jeden Fällen die unausbleibliche Folge ist, oder ob es nicht vielmehr ein zu faltiger Erfolg müsse genennet werden, wenn eine Leibesfrucht auf ein genommenes Mittel abgeht? so muss man das letztere behaupten. Man hat von allen Mitteln dargetan, die als abtreibend sind verschrien worden, wie wenig man auf dieselben rechnen kann, und wie wenig, wenn auch nach dem Einnehmen derselben, eine sichere Wirkung erfolgen sollte, sie denselben mit Recht zuzuschreiben ist. Ein anderes ist, wenn das Töten der Frucht in der Mutter unmittelbar bewirkt wird, durch die Verwundung vermittelst eines spitzigen Instruments, das durch den Muttermund oder durch die Mutter selbst hineingestochen wird, eine Handlung, welche bei denen alten Römerinnen auch schon im Schwange ging, und von welcher Ovid redet, wenn er sagt:

Vestra quid effoditis subiectis viscera telis
Et nondum natis dira venena datis?
Haec neque in Armeniis tigres fecere latebris,
Perdere nec fetus ausa leaena suos.
At tenerae faciunt, sed non impune puellae
Saep suos utero quae necat, ipsa perit.

Und Haller sagt: „In Italien, als wo die Bosheit sinnreicher ist, dann nirgends, haben die geilen Dirnen im Gebrauch, wann sie an sich Zeichen der Empfängnis wahrnehmen, mit einer Haarnadel, die sie durch den Muttermund in den Uterus zu bringen wissen, den Fötus zu töten; die Sache ist an und für sich mehr als möglich und unter allen Arten des Kindermordes ist diese gewiss für eine der strafbarsten zu halten.“

Hier hat Vater Haller Recht. Die prämeditierte Bosheit — die offenbare Absicht, die Leibesfrucht zu töten, ist hier im geringsten nicht zu leugnen, und verdient exemplarische Strafe; allein in andern Fällen muss man ein gelinderes Unheil fällen, und sich für dem gefährlichen Trugschlusse hüten, dass in allen und jeden Fällen, wo sogenannte abtreibende Arzneien gegeben, oder genommen worden, keine andere Absicht, als das Abtreiben statt finden könne. — Man muss erwägen, wie dunkel— wie zweideutig die Kennzeichen der Empfängnis und Schwangerschaft sind, und wie leicht ein unerfahrnes Mädchen sich selbst und den Arzt täuschen kann. Ja man muss erwägen, dass die Leibesfrucht, besonders wo Gram und Kummer der unglücklichen Mutter stark zusetzen, schon vorher gestorben sein kann, und dass das Einnehmen der sogenannten abtreibenden Arznei mit dem aus andern Ursachen erfolgten Tode des Fötus zusammentraf, ohne dass das Mittel die eigentliche Ursache war. Da man also nur äußerst selten sagen kann, dass die von einer Mutter auf ihr Kind gerichtete Verletzungsart absolut letal ist: so scheint ohne Unterschied die auf einen Abortus gesetzte Todesstrafe großen Schwierigkeiten unterworfen, und immer Gefahr vorhanden zu sein, dass man ein auch den Absichten nach strafbares Mädchen, für einen bloßen Naturfehler, oder für einen Zufall, am Leben strafe, und für Einen Todesfall dem Staate zwei verursache, und hier scheint die gelindert Nennung zum Vorteil der Angeklagten gelten zu müssen. Ich überlasse gern, dem Urteile menschenfreundlicher Rechtsgelehrten, ob die Lage eines unglücklichen und verzweifelnden Mädchens, noch zu diesem einen neuen Bewegungsgrund zu einiger Milderung der Strafe darbiete, wenn sie in dem heftigsten Sturme der Leidenschaften eine Tat begeht, wider die sich gewiss ihr Herz in ruhigen Augenblicken empören würde.

Es ist wahr, man belegt das Abtreiben heutiges Tages mit dem Namen eines abscheulichen Verbrechens, fürnämlich aus dem Grunde, weil man dafür hält, dass von dem ersten Augenblicke der Empfängnis an, die Leibesfrucht von einer vernünftigen Seele belebt sei, und dass das Dasein einer unmateriellen, unsterblichen und vernünftigen Seele zur Existenz des Lebens absolut notwendig sei. Der in Gott andächtige Spener ruft demnach aus: Kinder abtreiben, weil im ersten Augenblick der Empfängnis die Seele vorhanden ist, ist nichts anders vor Gott als ein grausamer Todschlag —, aus der Sünde der Hurerei kommt auch sonderlich der Kindermord, dem auch gleich zu halten ist, wo leichtfertige Dirnen die Frucht abtreiben, und wohl einige gedenken mögen, um solche Zeit, da sie das Leben, wie man sagt, nicht haben, sei es kein Todschlag; aber es ist die Seele in dem ersten Augenblick der Empfängnis da, und also alles solches Abtreiben vor Gott ein grausamer Todschlag.“

So vortrefflich die Gedanken des seligen Mannes sind, so liegt doch eine Verwirrung der Begriffe und ein nicht erwiesener Satz zum Grunde: „dass die Seele notwendig zum Leben des Menschen gehöre.“ Die Fortdauer der Natur des menschlichen Körpers wird sein Leben genannt, das Ende derselben aber sein Tod. Nun aber wird zur Fortdauer des Lebens der Leibesfrucht, keineswegs das Dasein einer vernünftigen Seele erfordert, indem dieselbe der Empfindung zur Befriedigung ihrer Nahrungsbedürfnisse nicht bedarf, auch Beispiele genug vorhanden sind, wo lebende Kinder zur Welt geboren wurden, bei welchen weder Gehirn noch verlängertes Rückenmark, und also gar kein Sitz der Seele zu finden war, und welche doch erst nach mehreren Stunden gestorben, sind, woraus also die Unsicherheit des aufgestellten Satzes zur Genüge erhellt.

Außer denen sogenannten abtreibenden Mitteln gibt es sehr viele zufällige Ursachen, welche das frühzeitige Abgehen der Leibesfrucht befördern können. Hierher ist alles dasjenige zu rechnen, wodurch die Gebärmutter gequetscht, heftig zusammengeschnürt, gepresst oder gewaltsam erschüttert wird. Alles was den Unterleib zusammenschnürt, alles was den Körper erschüttert, so wie unmäßiges Tanzen, gewaltsames Anstrengen u. s. w. kann dazu beitragen. Besonders befördert ein unmäßiger Beischlaf das Abortieren. Weber sagt: „Es wäre nicht nötig, in dieser Sache nur ein Wort zu verlieren, wenn sich nicht das schädliche Vorurteil in die Köpfe so vieler Ehemänner gesetzt hätte, man müsste hierdurch die Niederkunft erleichtern und befördern; ein Vorurteil, welches einer unglaublichen Menge von Kindern noch in Mutterleibe das Leben gekostet, und andere, die unglücklich genug sind, ein hierdurch elend gemachtes Leben davon zu bringen, zu den kläglichsten Krüppeln an Leib und Seele gemacht hat, da sie an beiden gerade sein könnten, wenn die Gesinnungen ihrer Eltern in diesem Punkt nicht schief gewesen wären.“

Am häufigsten stellt sich das Missgebären in dem Siebenten Monat ein. Ein Siebenmonatskind wird aus folgenden Zeichen als ein solches angesehen: 1) Wenn die Haut so zart ist, dass sie bei der geringsten Berührung verletzt wird. 2) Wenn auf dem Hirnschädel keine Haare sind. 3) Wenn die Fontanell auf dem Kopf so zart und weich ist, dass man durch das Gefühl und Gesicht die Bewegungen des Gehirns wahrnehmen kann. 4) Wenn die Suturen an dem Hirnschädel weit von einander stehen. 5) Die Ohrläppchen sind unvollkommen. 6) Sie können keinen vernehmlichen Laut von sich geben. 7) Sie bewegen sich nicht viel. 8) Die Finger sind noch nicht ausgebildet, ja manchmal ganz zusammengewachsen. 9) Es fehlen auch an den Fingern die Nägel. 10) Oftmals können sie für Schwachheit weder Urin noch Kot von sich geben, 11) Wenn man den Unterleib gegen die Sonne hält, so kann man die Gedärme wahrnehmen. 12) Sie können auch nicht saugen.

Um den Fall gehörig untersuchen zu können, besonders wo Verdacht eines Abtreibens statt findet, muss der Arzt auf folgende Stücke Rücksicht nehmen: Ob die Person einen harten und schweren Fall getan, und ob derselbe mit einer starken Erschütterung des Unterleibes verbunden gewesen? Ob an dem Unterleibe blutiges Unterlaufen, und an dem Leibe des Kindes braune und blaue Flecken erscheinen? Ob die Frau gleich nach dem Fall, Unruhen in dem Körper empfunden? Ob sich bald darauf ein Blutfluss eingestellt? Ob die Person von einer solchen empfindlichen und reizbaren Beschaffenheit sei, dass auch ein mittelmäßiger Fall eine solche Veränderung hervorbringen kann ? Ob sie eine schwere Last gehoben? Ob sonst eine starke Leibesbewegung oder Vollblütigkeit vorhergegangen? Ob und was für Arzneien sie wahrend der Schwangerschaft gebraucht habe? Ob sie den Leib fest gebunden und eingeschnürt? Ob das Kind mit der Nabelschnur um den Hals stark umschlungen gewesen, wodurch der Zufluss der Säfte nach dem Kopfe verhindert worden? Wie und auf was Art ihre sonstige Gesundheit beschaffen gewesen?

In der Praxis sucht man die unzeitigen Geburten gemeiniglich durch vieles Blutlassen zu verhüten, und so gewiss dieses in manchen Fallen hilft, so ist es doch bei schwächlichen Personen nicht zu versuchen, da bekannt ist, dass die schwächlichsten Weiber am meisten abortieren, und das Blutlassen noch mehr schwächt. Bei solchen schwächlichen und bei hysterischen Personen ist das Aderlassen fast allemal schädlich. Ist aber das Frauenzimmer von einer starken und blutreichen Leibesbeschaffenheit, hat sie in den ersten Monaten der Schwangerschaft noch ihre monatliche Reinigung behalten, und pflegt sie um diese Periode zu abortieren; dann ist eine Aderlass um diesen Zeitpunkt heilsam, auch muss man den Leib kühl und offen halten, und die Patientin muss nur eine ganz magere und leichte Kost genießen. Ist eine Schärfe im Blute, so dienet Eselsmilch mit Selters- oder Emserwasser zu trinken; ist eine große Schwäche vorhanden, ein Chinaaufguss. Bei Krämpfen ist Hallers saures Elixier dienlich. Drohen Anhäufungen des Bluts nach der Mutter zu den Abortus zu bewirken, so muss man durch Saugen an den Brüsten, oder durch Applizierung blinder Schröpfköpfe in ihrer Gegend die Säfte nach oben zu leiten suchen. Hat die Person einen Abortus erlitten, so lasse man einen breiten, mit Eichenrinde, China oder Granatschalen gefüllten Gürtel tief um den Unterleib tragen, und diesen täglich mit Pontak, in welchem bei großer Erschlaffung noch Alaun aufgelöst worden, besprengen. Bis zum sechsten Monat hin muss Beischlaf und neue Schwängerung vermieden werden.