Gaunerspezialisten.

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 4. 1913
Autor: E. E. Weber, Erscheinungsjahr: 1913

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Gauner, Diebe, Betrüger, Heiratsschwindler, Hochstapler, Spieler
Ein hervorstechendes Merkmal des modernen Gaunertums ist es, dass es sich, wie gewisse technische Betriebe und die angewandte Wissenschaft überhaupt, mehr und mehr spezialisiert. Man nimmt nicht wahllos die Gelegenheit wahr, um einen rechtswidrigen Gewinn zu erzielen, sondern ersinnt einen besonderen Feldzugsplan, nach dem man immer wieder vorgeht, und worin man sich die größte Geschicklichkeit erwirbt, wie man es auch vielfach liebt, die verbrecherischen Anschläge gegen bestimmte Erwerbsklassen zu richten.

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Die Bestehlung von Zimmervermieterinnen, bei denen der Gauner angeblich ein Zimmer zu mieten sucht, ist verbraucht. Außerdem bringt sie meist nicht viel ein. Jetzt aber hat ein Gaunerpaar auch diesem Trick eine neue Seite abzugewinnen gewusst. Unlängst hat es allein in Berlin fünf Gastrollen gegeben, die es stets den Inhaberinnen vornehmer Pensionats vorspielte. Der Hergang war dabei immer folgender. Die äußerst schick gekleideten Männer, die sehr sicher auftraten, erzählten den Pensionatsinhaberinnen, dass sie als höhere Beamte nach Berlin versetzt worden seien und nun in dem Pensionat wohnen wollten, bis die Familien nachkämen. Der eine von beiden leitete die Unterhandlung über die Vermietung. Über den Preis war man schnell einig; dann hatte er aber so viele Wünsche über die Ausstattung der Zimmer und die Stellung der Möbel, dass ihm die Vermieterin alle ihre Aufmerksamkeit widmen musste, um sich seine Wünsche einzuprägen. Während der eine so die „Kulisse“ schob, „arbeitete“ der andere, indem er sich diesen oder jenen Gegenstand ansah, mit Entzücken einen Balkon entdeckte und dabei harmlos auch die Nebenzimmer betrat, in denen er alle Wertgegenstände der dort wohnenden Pensionäre an sich raffte. So stahl er in dem einen Pensionat einem türkischem Major einen kostbaren Ring. In den anderen Pensionaten erbeuteten die Gauner für fast tausend Mark Schmucksachen. Von Berlin wandten sich die beiden Spezialisten nach Plauen, wo sie ihren Raub verkauften und dann ihre Kunst an einer dortigen Pensionatsinhaberin erfolgreich versuchten. Die Plauener Beute versetzten sie in Homburg vor der Höhe, übten auch hier ihr Handwerk und reisten nun nach Frankfurt a. M., wo sie die Homburger Erträgnisse versilberten. —

Als ein Heiratsschwindler eigener Art machte sich vor einigen Jahren ein Franzose berüchtigt. Er nannte sich Vicomte Emile de Brissac-Etournelles, war aber, wie sich später ergab, in Wirklichkeit ein Kellner namens Chamant. Der edle „Vicomte“ betätigte sich zuerst in Nizza, Spa, Ostende und verschiedenen Großstädten als Falschspieler und kaufte sich dann mit einer Anzahlung von dreißigtausend Franken ein Schloss in der Normandie. Jetzt war er unbestreitbarer Schlossbesitzer. Den von einem Notar beglaubigten Besitztitel führte er stets bei sich. Dieses Schloss in der Normandie benutzte er nun als Hilfsmittel zu seinen Heiratsschwindeleien. Er wusste in den Kurorten der Schweiz und Italiens die Bekanntschaft mit reichen Engländerinnen und Amerikanerinnen zu machen, deren Familien er sich als Schlossbesitzer auswies, und bald kam dann regelmäßig eine Verlobung zustande. Als glücklicher Bräutigam deutete er seinen zukünftigen Schwiegereltern an, dass seine Familie als Heiratsgut der Braut einen sicheren Besitz verlange und deshalb auf dem Ankauf einer größeren Herrschaft in Frankreich bestehe. Diese Herrschaft wurde denn auch von den Eltern angekauft. Nachdem darauf der Hochzeitstag anberaumt war, rückte der Vicomte mit der Forderung heraus, dass ihm das Besitzrecht an der Herrschaft schon jetzt übertragen werde, da seine Familie nur unter dieser Bedingung mit der Heirat einverstanden sei. Auch dieser Wunsch wurde dem Schlossbesitzer erfüllt. Wenige Tage vor der Hochzeit erkrankte nun der Vicomte. Zu seiner Erholung, für die eine Reihe von Wochen nötig war, begab er sich nach dem Süden. Während dieser Erholungszeit verkaufte er aber die erworbene Herrschaft, um dann, wenn er den Erlös in der Tasche hatte, zu verschwinden. Der Mann hat diese Operation nicht weniger als fünfmal ausgeführt. Bei dem sechsten Versuch kam ihm ein gerissener amerikanischer Bierbrauer auf die Schliche, so dass nun der Schlossbesitzer ein festes Schloss mit vergitterten Fenstern beziehen musste.

Ein Gegenstück zu dem Vicomte Emile de Brissac-Etournelles bildet der kaukasische Fürst Mirschinski oder, wie er sich auch nannte, Daniloff, oder Scherssineff. „Fürst Mirschinski“ war Spezialist in der Nutzbarmachung seiner angeblichen ungeheuren Besitzungen im Kaukasus, und seine Opfer suchte er sich in Bankierskreisen sowie unter den mittleren Rentnern. Zuerst tauchte Mirschinski, der in Wirklichkeit ein armenischer Kleinhändler aus Sewastopol war, in Paris auf. Er hatte sich schnell in die Pariser Gesellschaft eingeführt, zeigte für Börsenunternehmungen das regste Interesse und bedauerte es gesprächsweise wiederholt, dass die reichen Schätze des Kaukasus ungehoben blieben. Ihm selbst ginge es mit seinen Besitzungen so. Obgleich dort nachweislich große Lagerstätten von Kupfer und Silber vorhanden seien, er über ausgedehnte Waldungen mit wertvollen Hölzern verfüge, auch Wasserkräfte zum Betriebe der Werke in Überfülle benutzt werden könnten, käme es doch nicht zu einer Ausbeutung, nur weil es an Unternehmungsgeist, Kapital und auch an Kleinbahnen nach den Ausfuhrhäfen des Schwarzen Meeres fehle. Ein einzelner sei aber nicht imstande, Pochhütten zu erbauen, Sägemühlen zu errichten und Bahnen anzulegen.

So kam es ganz von selbst, dass ihm von seinen Freunden der Vorschlag zur Gründung eines Konsortiums zur Nutzbarmachung der Fürstlich Mirschinskischen Besitzungen gemacht wurde. Der Fürst war nach einigem Zögern damit einverstanden, verlangte aber uneigennützig die Absendung eines Ingenieurs, der die Sachlage an Ort und Stelle untersuchen und darüber ein Gutachten abstatten solle.

Geschickt verstand es Mirschinski, dass ein Komplize von ihm als angeblicher russischer Ingenieur Saburoff mit dieser Aufgabe betraut wurde. Saburoff sandte nach einiger Zeit ein glänzendes Gutachten, silberhaltige Erze und einen Kostenentwurf ein. Nun schritt man zur Einsetzung eines Gründerkonsortiums. Mirschinski verkaufte eine Silbergrube, mehrere Quadratmeilen Eichenwald und einen Wasserfall, der die Betriebskraft für die maschinellen Einrichtungen hergeben sollte, für den erstaunlich billigen Preis von einer Million. Eine halbe Million erhielt er von dem Konsortium, das im ganzen zwei Millionen gezeichnet hatte, in bar ausgezahlt, die andere halbe Million sollte er in Aktien erhalten, sobald das Unternehmen in Gang gebracht und in eine Aktiengesellschaft verwandelt worden sei. Die zweite Million war als einstweiliges Betriebskapital bestimmt. Jetzt wurden noch einige französische Bergingenieure angeworben, die alsbald nach dem Kaukasus abreisten. Auch Mirschinski verließ eine Woche nach ihrer Abreise Paris, ohne sich indessen bei seinen Geschäftsfreunden zu verabschieden. Sie waren wie vom Donner gerührt, als ihnen die französischen Ingenieure nach drei Wochen meldeten, dass die Fürstlich Mirschinskischen Besitzungen auf dem Mond liegen müssten, denn im Kaukasus sei von ihnen nicht die geringste Spur zu entdecken.

Dasselbe Manöver versuchte der Armenier später noch einmal als Fürst Daniloff in Wien, wo er dreihunderttausend Kronen ergatterte, und sodann als Fürst Scherssineff in Moskau, wo ihn aber sein Geschick ereilte.

Auch das Erpressertum, das zumeist in Großstädten blüht, weist seine Spezialisten auf. Ein solcher namens Joe Taylor übte seine verwerfliche Praxis längere Zeit in raffinierter Weise in London aus. Der Mann wusste aus der Geschichte reicher und vornehmer Familien allerlei unliebsame Vorkommnisse auszuspüren, die er dann bei dem schriftstellerischen Talent, das er besaß, zu sogenannten Schlüsselerzählungen verarbeitete, das heißt, erstellte die Vorgänge und Personen so dar, dass jeder Eingeweihte sofort den richtigen Sachverhalt erriet.

Die Manuskripte seiner Erzählungen übergab Taylor einem Genossen Harry Brocker, der die in den Erzählungen an den Pranger gestellten Familien aufsuchte und sich ihnen als Inhaber einer literarischen Agentur vorstellte. Er erzählte dann, er habe das Manuskript vom Verfasser zum Vertrieb an Zeitungen gekauft, nachher aber durch Zufall erfahren, dass in der Erzählung wirkliche Vorkommnisse in der betreffenden Familie behandelt würden. Damit sie nicht durch die Veröffentlichung in kränkender Weise überrascht würde, lege er ihr das Manuskript zur gefälligen Prüfung vor.

Das Ergebnis dieser Prüfung war dann das, dass die bedrohte Familie, um einen öffentlichen Skandal zu vermeiden, das Manuskript gegen eine erhebliche Summe ankaufte, in die sich die beiden Gauner teilten.

Dass dunkle Existenzen für Einbrecher sehr geschickt gearbeitetes Diebeshandwerkzeug anfertigen, ist bekannt. Neu aber als Spezialität ist eine ganze Fabrik für Diebeswerkzeuge. Diese wurde vor kurzem in Berlin entdeckt. Dort beobachtete ein Kriminalbeamter auf dem Bahnhof Alexanderplatz, wie zwei Arbeiter mit Namen Weber und Weiß mehrere schwere Pakete abholden, die sie beim Portier in Verwahrung gegeben hatten. Bei der Untersuchung der Pakete stellte es sich heraus, dass sie eine reichhaltige Sammlung von neuen Dietrichen, Feilen, Brecheisen und Bohrern im Wert von etwa dreitausend Mark enthielten. Die Ertappten machten zuerst allerlei Ausflüchte, gestanden aber zuletzt, die Werkzeuge, für die sie nicht sogleich Abnehmer gefunden und die sie deshalb einstweilen bei dem Bahnhofportier als Gepäckstücke niedergelegt hätten, selbst gestohlen zu haben, und zwar in der Schönhauser Allee, wo eine Fabrik für derartiges Handwerkzeug bestände.

Bei allen neuen Errungenschaften sind sogleich verbrecherische Spezialisten darauf aus, sie für ihre Zwecke auszunützen. So trieb längere Zeit ein Gauner namens Farkas in Wien sein Wesen, der seine Betrügereien mittels des Telefons verübte. Sein Hauptstreich war folgender. In der Villa eines bekannten Bankiers, der mit seiner Familie in der Sommerfrische weilte, war eines Tages ein schmucker Diener zu sehen. Das Haus hatte mehrere Wochen vollständig unbewohnt gestanden, da der Bankier auch die Dienerschaft mit nach der Sommerfrische genommen hatte. Der erschienene Diener erzählte der Nachbarschaft, er sei von dem Bankier neu engagiert, um die Wohnung für die demnächst zurückkehrende Herrschaft herzurichten. Der neue Diener machte sich denn auch in der Villa emsig zu schaffen. Neben dieser äußeren Tätigkeit, die sich auf die Lüftung und Reinigung der Wohnräume bezog, entwickelte er aber noch, wie sich später herausstellte, eine ebenso rege heimliche. Er telefonierte nämlich an größere Geschäftshäuser aller Art und ersuchte sie im Namen des Bankiers und seiner Gemahlin nur die Zustellung einer Auswahlsendung von Importzigarren, Seidenstoffen, Schmucksachen und dergleichen. Erschienen die Angestellten der Geschäftshäuser, so führte er sie in das Portierszimmer, nahm die Sachen in Empfang, kam dann nach einiger Zeit wieder und stellte den Boten ihre Waren mit dem Bemerken zurück, dass die Herrschaft nichts Passendes gefunden habe.

Einige Tage später telefonierte er wieder an dieselben Geschäftshäuser und bat nochmals um Auswahlsendungen besserer Qualität. Wieder nahm der Diener die Sachen in Empfang, erklärte nun aber bei seiner angeblichen Rückkehr von der Herrschaft, sie könne sich im Augenblick noch nicht entscheiden, sondern werde das Nichtausgewühlte zurücksenden. Weder die Überbringer noch die Geschäftsinhaber fanden nach den Erfahrungen bei der früheren Bestellung in dieser Antwort etwas Verdächtiges. So gelang es Farkas in einigen Tagen für mehrere tausend Kronen Waren nach der Villa bringen zu lassen, mit denen er dann verschwand.

Das Auto hat sich schon längst in den Dienst von Verbrecherspezialisten stellen müssen. Ein Pariser Gauner, der sich Baron Remercier und ähnlich nannte, mietete sich mit dem dazu gehörigen Chauffeur wertvolle Autos zu einer mehrtägigen Tour über Land. Den Betrag erlegte er sofort. Auf der Tour nahm er auch feinen Diener mit. Die Fahrt verlief nun regelmäßig so. Am zweiten Tag machte der liebenswürdige Baron durch reichliche Verabreichung von Wein, dem Morphium beigemischt war, den Chauffeur so berauscht und schlaftrunken, dass man ihn unterwegs an einer geeigneten Stelle abladen konnte. Der Diener legte nun die Kleidung des Chauffeurs an und übernahm die Führung des Autos.

In der nächsten Stadt, die Eisenbahnstation war, fuhr man vor dem ersten Hotel vor. Hier erklärte der Baron dem Hotelier, er habe auf der Fahrt seine Brieftasche mit tausend Franken verloren. Er selbst, der Baron, könne sich nicht länger aufhalten, da er am nächsten Tag zu einer Hochzeitsfeierlichkeit erwartet werde. Dabei nannte er je nach den Verhältnissen einen Ort, der eine Bahnfahrt von sechs Stunden und mehr entfernt war. Der Hotelier solle ihm daher unter Zurücklassung des Autos und seines Chauffeurs mit fünfhundert bis siebenhundert Franken aushelfen. Gleichzeitig sandte der Baron eine Depesche an eine Mittelsperson in Paris ab mit dem Auftrag, die geliehene Summe sogleich an den Hotelier abzuschicken.

Da außerdem der Baron bestimmte, der Chauffeur solle erst nach dem Eintreffen der Geldsendung mit dem Auto nachkommen, so wurde ihm die verlangte Summe anstandslos übergeben. Der Baron fuhr noch an demselben Tag mit der Eisenbahn ab. In der Nacht verduftete dann der angebliche Chauffeur, der Hotelier aber wartete vergeblich auf die Geldsendung und erkannte, als der wirkliche Chauffeur auftauchte, zu spät, dass er einem Schwindler zum Opfer gefallen war. Auch in Lyon, Bordeaux und anderen Großstädten übte der Hochstapler denselben Trick.

Selbst die Aviatik ist schon von einem Gauner zu einer Betrügerei herangezogen worden. In Le Havre erschien vor kurzem bei dem Maire ein als Flieger gekleideter flotter junger Mann, der sich für den bekannten Aviatiker Beaumont ausgab und erklärte, er wolle ein öffentliches Schaufliegen veranstalten. Er bat den Maire, ihn mit maßgebenden Persönlichkeiten der Stadt bekannt zu machen, fiesen Wunsch erfüllte auch der Maire hocherfreut. Der sehr geschäftsgewandte Flieger setzte sich nun mit einem Zimmermeister in Verbindung, dem er den Bau der Tribünen und Schranken auf dem auserwählten Platz übertrug, und den er dabei um Mehrere hundert Franken anpumpte. Mehreren Gastwirten, Zigarrenhändlern und Kuchenbäckern gab er gegen hohe Pachtgebühren die Erlaubnis, am Flugtag auf dem Schauplatz Wein zu verschenken und ihre Waren zu verkaufen. Von dem Karten-Verkäufer endlich, dem er ansehnliche Prozente bewilligte, ließ er sich zur Bestreitung der erwachsenden Unkosten einen Vorschuss von dreihundert Franken auszahlen. Dann schrieb er in Gegenwart des Komitees, das sich gebildet hatte, nach Paris mit der Anordnung, ihm seinen Eindecker zuzusenden.

Das war das Letzte, das man in Le Havre von dem Flieger vernahm. Am anderen Tag war der saubere Vogel auf Nimmerwiedersehen davongeflogen, und noch dazu ohne jeden Apparat.