Abschnitt. 2

Eine lange Reihe sich um die beiden Hauptgestalten gruppierender Personen! Träfe sich’s nun so, daß diese dramatis personae unausgesetzt und ausschließlich an der Seite der Quitzows oder aber umgekehrt unausgesetzt und ausschließlich gegen dieselben gekämpft hätten, so würde sich in der Erzählung dieser Kämpfe, trotz ihrer großen und verwirrenden Ähnlichkeit untereinander, doch, mit Hülfe von Scheidungs- und Gruppierungskunst, etwas wie Klarheit herstellen lassen, da sich’s aber leider so trifft, daß die gesamte Reihe der vorstehend aufgeführten weltlichen und geistlichen Machthaber, je nach Vorteil und Sachlage, Bundesgenossen oder Widersacher, will also sagen, heute quitzowsch und morgen antiquitzowsch waren, so haben wir in der Geschichte dieser endlosen Überfälle, Belagerungen, Erstürmungen und Plünderungen ein derartig wirres Durcheinander, einen solchen Rattenkönig von Verschlingungen, daß die Lösung derselben zwar nicht als ein absolut unmögliches, aber doch jedenfalls als ein sehr schwieriges und sehr undankbares Unternehmen anzusehen ist. Undankbar, weil auch im Falle des Gelingens eine Geduldsprobe für den Leser. Denn wer kennt nicht aus eigener Erfahrung die Schrecknisse jener aus hundert Vettern- und Enkelnamen zusammengesetzten Prozeß- und Familiengeschichten, in denen sich alle Kalenderheiligen und alle Geburtstage bis zur Großmutter hinauf ein Rendezvous geben! Aber eine solche mit Namen und Daten gespickte Familienprozeßverwirrung ist eine Kleinigkeit neben der Quitzowkampfverwirrung von 1400 bis 1410, weshalb ich – unlustig, in ein Labyrinth hinabzusteigen, „von dannen keine Wiederkehr“ – mich an dieser Stelle darauf beschränke, die Resultate dieser zehnjährigen Anstrengungen einschließlich alles durch Erbschaft, Heirat und Verpfändung Erworbenen aufzuzählen. Am Schlusse des Jahres 1410 hatten die Quitzows folgende Städte, Schlösser und Burgen inne:

Quitzöwel, Rühstädt, Stavenow, Kletzke, prignitzischer Erbsitz;


Schloß Teupitz, in Händen des Schwiegervaters Schenk von Landsberg;

Schloß Kremmen, in Händen des Schwiegervaters Lippold von Bredow (ebenso Schloß
Neustadt an der Dosse);

Schloß Bötzow (jetzt Oranienburg), 1402 gemeinschaftlich mit den Pommern erobert;

Stadt Strausberg auf dem Barnim, 1402 gemeinschaftlich mit den Pommern erobert;

Schloß Plaue a. d. Havel, 1400 beziehungsweise 1404 als Heiratsgut erworben;

Schloß Saarmund, 1406 erobert;

Schloß Köpenick, 1406 erobert;


Stadt Rathenow, 1408 von Jobst von Mähren erkauft oder als Pfandobjekt erhalten;

Schloß Friesack, 1409 für die Summe von 2000 Schock böhmischer Groschen erkauft;

Schloß Hohenwalde, zwischen Frankfurt und Müllrose, von Conrad von Quitzow erworben;

Schloß Beuthen, durch Johann von Quitzow mittelst kluger Machinationen in Besitz gebracht.

Irrtümlichen Überlieferungen folgend, wird sogar von „vierundzwanzig Burgen und Schlössern“ gesprochen, die die Quitzows um 1410 besessen haben sollen. Das ist aber übertrieben. Indessen auch das hier Aufgezählte repräsentiert einen Machtzustand, der anderweitig, auf dem weiten Gebiete zwischen Oder und Elbe, wenigstens damals nicht anzutreffen war, und erklärt zur Genüge, daß die hervorragendsten weltlichen und geistlichen Fürsten Norddeutschlands in eine gewisse Notlage gerieten, in der sie sich vor dem Trotz und der Energie dieser märkischen Edelleute beugen mußten.

Es ist Wusterwitz, dessen Chronik wir gerade hierüber die allerinteressantesten Mitteilungen verdanken. Er schreibt: „... Um diese Zeit war es, daß Dietrich von Quitzow, auf daß er ja nicht zu Ruh und Frieden käme, den Herzögen Rudolf und Albert zu Sachsen ‘abzusagen’ für gut fand. Und was als das Schlimmste dabei gelten konnte: beide löbliche Herzöge haben sich solch ungerechten Leuten gegenüber zu jeder Nachgiebigkeit bereit gezeigt und an den Landeshauptmann in Mark Brandenburg geschrieben und sich allenthalben zu Recht erboten, so die Quitzows begründete Klage wider sie hätten. Landeshauptmann über die Mark aber ist in genanntem Jahre (1409) der Herzog Swantibor von Pommern-Stettin gewesen und hat besagter Herzog von Pommern-Stettin mit großer Müh und Arbeit sowohl den Adel wie die Städte der Mark zu Berlin versammelt und zu solcher Versammlung auch den Dietrich von Quitzow berufen und ihm vorgehalten und geraten, daß er die Gerechtigkeitserbietung der Herzöge zu Sachsen annehmen solle. Dietrich von Quitzow aber, als ein Feind und Widersacher aller Gerechtigkeit und alles Friedens, hat solch Erbieten und solche Worte nur verachtet und verlacht.“

In diesem Tone klagt Wusterwitz weiter, zugunsten der sächsischen Herzöge hinzusetzend, daß der anscheinende Kleinmut derselben nicht bloß in der Unzulänglichkeit ihrer Machtmittel, worüber sogar Zweifel gestattet seien, sondern vor allem in ihrer großen Güte (um ihre Leute vor Schaden zu bewahren) und in ihrem gesetzlichen Sinne den eigentlichen und ausschlaggebenden Grund gehabt habe. Denn die Herzöge hätten sehr wohl gewußt, daß eines Landes Obrigkeit nicht allein mit den Waffen, sondern auch durch Klugheit und Gesetzlichkeit gezieret sein solle, weshalb sie, der Klugheit und Gesetzlichkeit zu genügen, zuvörderst allerlei Bündnisse nachgesucht und vor allem die märkischen Städte, die zumeist unter den Quitzows gelitten, zu gemeinschaftlichem Vorgehen aufgefordert hätten.

„Es ist aber aus Furcht vor den Quitzowen“, so fährt er fort, „in der ganzen Mark Brandenburg keine Stadt gefunden worden, die sich mächtig genug gefühlt hätte, den Herzögen zu Sachsen zu Beistand und Hülfe zur Seite zu treten. Denn alle Städte sind mit Quitzowschen Schlössern samt vielen festen Plätzen ihres Anhangs derart umgeben gewesen, daß die Bürgersleute kaum gewagt haben, bei Gefahr ihres Leibes und Lebens, vor den Toren ihrer Stadt spazierenzugehen. Überall hat die Hinterlist gelauert, und so die Bürger und Bauern im Felde gearbeitet haben, haben die Quitzowschen die Leute gefangengenommen und ihnen dabei vorgehalten, daß man sie bloß vorläufig, um dieser oder jener Ursach willen, zu Pfand gesetzt habe. Denn in Auslegungen und Wortstreitigkeiten sind sie jederzeit von einer geschwinden und wunderbaren Klugheit gewesen, so daß sie Bosheit in Einsicht verwandelt und die Gerechtigkeit von der Ehre abgeschieden haben.“

Unter den Städten, die zu der genannten Zeit den Mut eines Bündnisses wider die Quitzows nicht aufzubringen vermochten, waren auch die Schwesterstädte Berlin und Cölln, die durch alle voraufgehenden Jahre hin, und zwar im Gegensatze zu den meisten anderen Bürgerschaften der Mark, um die Gunst der mächtigen Familie gebuhlt hatten. Endlich aber, am 3. September 1410, hatte Dietrich von Quitzow, vielleicht der ewigen Rücksichtnahme, vielleicht auch kleiner Gegenforderungen und Nadelstiche müde, durch Überfall und Viehwegtreibung den Berlinischen gezeigt, daß ihr Wohlwollen und ihre Freundschaft ihm wenig, ihre Furcht aber viel bedeute, was unsern mindestens ebenso von berlinischem als quitzowschen Antagonismus erfüllten Dom-Brandenburger (Wusterwitz) zu nachstehender, ganz ersichtlich von einer gewissen Schadenfreude diktierten Philippika hinriß: „Und nun, Ihr Berlinischen, jetzt endlich seht Ihr’s, welch schöne Vergeltung Euch Eure mannigfaltigen Wohltaten gebracht haben. Als die Quitzowschen, zusamt dem Grafen zu Lindow, das Schloß Bötzow gewonnen hatten, ei, wie haben da die Berlinischen praktizieret und Anschläge gemacht, daß die Quitzows wieder zu der Hauptmannschaft in Mark Brandenburg erhoben werden möchten. Ja, wie haben sie da die Quitzows hofieret und traktieret? Da hat man gesehen, wie sie diesen Dietrich von Quitzow zu glänzenden Banketten geladen und ihm zu Ehren den Tisch mit schönen Frauen und Saitenspiel gezieret haben. Und wer ihn nicht hat können zu Gaste laden, ist nicht mehr unter die Reichen gezählt und von ihrer Gesellschaft ausgeschlossen worden.*) Item, es ist nicht genugsam zu sagen, wie man ihn, ebendiesen Dietrich von Quitzow, mit Laternen, Fackeln und Freudengesängen zu seiner Herberge geführt und ihm einen Abendtanz mit schönen Jungfrauen und Weibern gehalten, desgleichen ihn mit welschem Wein verehret und beschenket hat. Und nun, Ihr Berlinischen, was ist davon kommen? Ohne daß er Euch abgesagt hätte, hat er Euch das Vieh weggetrieben und etliche von Euren Leuten getötet und verwundet und sechzehn Namhaftige gefangengenommen. Und den Nikolaus Wyns, der doch aus einem Eurer besten und altgesessenen Geschlechter gewesen, den hat er als einen öffentlichen Räuber und Dieb behandeln und ihn mit den Füßen in eiserne Fesseln legen lassen.“

So Wusterwitz aus dem Jahre 1410.

Das Quitzowansehen stand auf seiner Höhe.

*) Der Eindruck, den man von dieser überaus lebendigen Schilderung empfängt, ist der, als ob es sich um Dinge von heut, um moderne Menschen und Vorgänge handle. So würde Bismarck anno 1866 und 1870 empfangen, umworben und bis zum Abgöttischen gefeiert worden sein, wenn er nicht, im Gegensatze zu Dietrich von Quitzow (der sich erst spät, und zwar in genanntem Jahre 1410, zum Anti-Berliner ausbildete), von Anfang an ein Gefühl starker und nicht einmal ausschließlich politischer Gegnerschaft gegen die Hauptstadt gehabt und gezeigt hätte. Gleichviel, damals wie heut etwas Nervöses und Exzentrisches. Ja, man ist geradezu frappiert, die Berlinerinnen des 15. Jahrhunderts den Berlinerinnen des 19. Jahrhunderts so ähnlich zu sehn. Oder war es immer und allerorten so?