Abschnitt. 1

Der Einzug in Schloß Plaue war der entscheidende Moment im Leben der Quitzows. So schloß unser voriges Kapitel. Dietrich, der ältere, der bedeutendere, jedenfalls der politisch planvollere der beiden Brüder, kehrte von Brandenburg beziehungsweise von Schloß Plaue nach Quitzöwel zurück, und auf dieser Rückfahrt mochten sich ihm zum ersten Male Gedanken und Wünsche, die bis dahin ein bloßes Spiel seiner Phantasie gebildet hatten, als zu verwirklichende vor die Seele stellen. Und nach Lage der Sache mit gutem Grunde. Denn er durfte sich mehr oder weniger schon damals neben seinem persönlichen auch ein politisch-militärisches Übergewicht zuschreiben, ein Übergewicht, das politisch in seiner Günstlingsstellung zu Markgraf Jobst von Mähren*), dem damaligen Landesherrn der Mark (dessen beständiger Geldverlegenheiten er sich allzeit hülfreich erbarmte), militärisch aber zu nicht unwesentlichem Teil in der strategischen Beschaffenheit der ihm zur Verfügung stehenden festen Punkte seinen Grund hatte. Zog man nämlich eine Schräglinie durch die Mark, so war er es, der die beiden Flügel und mit diesen zugleich auch das Zentrum in Händen hielt. Freilich war nur ein Bruchteil davon sein eigen, aber der Einfluß, den er im Westen (Prignitz) auf die gesamte Quitzowsche Vetterschaft samt Kaspar Gans zu Putlitz, im Osten (Lausitz) auf die Schenken von Landsberg und ihren Anhang, im Zentrum (Plaue mit Havelland) auf seinen Bruder Johann und die reich begüterten Bredows übte, war so groß, daß er diese bundesgenössische Kraft seiner eigenen ohne weiteres zurechnen konnte. Das tat er denn auch, und weil sich kein Fehler in seine Berechnung einmischte, so begann jetzt von 1400 bis 1410 eine Periode beispielloser und, soweit man Kleines mit Großem vergleichen darf, an die Napoleonische Zeit**)erinnernder Erfolge. Diese zehn Jahre heißen die Quitzowzeit und bilden ein wenigstens zunächst noch des tragischen Ausgangs entbehrendes Drama, darin folgende Mitspieler auftraten:

Albert, Erzbischof von Magdeburg (bis 1403);


Günther von Schwarzburg, Erzbischof von Magdeburg von 1403 ab;

Johann und Ulrich, Herzöge von Mecklenburg-Stargard und Statthalter (1401) in Mark Brandenburg;

Günther, Graf von Schwarzburg, Vater des magdeburgischen Erzbischofs und Statthalter (1403) in Mark Brandenburg;

Swantibor, Herzog von Pommern-Stettin und Statthalter (1409) in Mark Brandenburg samt seinen Söhnen Otto und Kasimir;

Barnim und Wratislaw, Herzöge von Pommern-Wolgast;

Rudolf und Albert, Herzöge zu Sachsen;

Ulrich und Günther, Grafen zu Lindow und Ruppin;

Henning von Bredow, Bischof zu Brandenburg;

Heinrich Stich, Abt zu Kloster Lehnin.

*) Jobst von Mähren, Neffe Kaiser Karls IV. und Vetter von König Wenzel und König Sigismund, war 1388 in den Besitz der ihm vom König Sigismund um Geldes willen abgetretenen Mark Brandenburg gekommen. Jobst war nun Landesherr, erschien aber nur selten in der Mark und ließ diese durch Statthalter oder Landesverweser, die man spöttisch „Landesverwüster“ nannte, regieren. Unter diesen waren Lippold von Bredow, Hauptmann der Mittelmark – und in Vertretung desselben zeitweilig Johann von Quitzow –, ferner Herzog Johann von Mecklenburg, Graf Günther von Schwarzburg, Herzog Swantibor von Pommern und Kaspar Gans zu Putlitz, Hauptmann der Altmark und Prignitz, die wichtigsten. Jobsts Interesse für die Mark beschränkte sich darauf, möglichst viel Geld aus ihr herauszuziehen, und alle diejenigen Personen, die, wie die Quitzows (besonders aber Dietrich), bereit und in der Lage waren, ihm, gegen Pfand, in seinem Geiz oder seiner Geldbenötigung zu Diensten zu sein, waren ihm die liebsten.

**) Solche Parallelen zu ziehen ist immer ein mißliches Tun, das leicht ins Komische fällt. Es läßt sich aber, wenn man über die freilich sehr verschiedenen Macht- und Größenverhältnisse hinwegzusehen vermag, von einer geradezu frappierenden Ähnlichkeit sprechen, in Charakteren, Daten und Zahlen, in Anfang und Ende. Von 1391 bis 1414 die Quitzowtragödie, von 1793 bis 1814 die Napoleontragödie. Folgendes sind die Hauptdaten aus der Quitzowzeit: 1391 erste Waffentat vor Schloß Kletzke, 1394 Vermählung mit Elisabeth von Schenk, 1400 Vermählung mit Agnes von Bredow und Einzug (als Gast) in Schloß Plaue, 1404 Besitznahme von Schloß Plaue, 1406 Eroberung von Saarmund und Köpenick, 1409 Erwerbung von Schloß Friesack, 1410 bis 12 erste Zeichen des Niedergangs; Bündnisse zum Sturz beider Brüder, 1414 wirklicher Sturz. Was dieselben Zahlen, unter selbstverständlicher Zurechnung von 400, innerhalb der Napoleonischen Ära bedeuten, ist bekannt. Auch das Waterloo-Nachspiel, der Versuch, das Verlorene zurückzugewinnen, findet sich in veränderter und doch ähnlicher Gestalt bei Dietrich von Quitzow.