siebente Fortsetzung

Welch moralischer Eifer, welch sittliche Entrüstung, womit Klaus Groth sich hier düpierter Bürger und Bauern, gefräßiger Küster und geprügelter Juden, christlicher Prediger und Mecklenburgischer Granden, ja sogar des deutschen Helden Blücher und des ganzen Mecklenburgischen Volkes annimmt! Nur Schade, dass kein Einziger von allen diesen sich vor- oder nachher gekränkt, beleidigt fühlen mochte; selbst Jochen Päsel und Krischan Swart nicht, von denen es Fritz Reuter doch fast erwartet hatte. Sie alle begnügten sich einstimmig zu lachen, sowohl aus Freude und Behagen an den lustigen „Läuschen un Rimels", als vor Verwunderung über den unberufenen Anwalt. Und sie konnten nicht anders. Es sind ja, wie aus der bloßen Inhaltsangabe hervorgeht, lauter harmlose gemütliche Geschichten. Nirgends bitterer Spott oder Ironie, Sarkasmus oder Satire, nirgends die geringste Gehässigkeit gegen irgend einen Stand oder eine Kaste, gegen irgend welche politische oder religiöse Partei, nur ein helles vergnügtes Lachen über die kleinen Schwächen und Torheiten der Welt, an denen auch der Dichter Teil zu haben sich vollkommen bewusst ist. Nein, Fritz Reuter ist eben deshalb ein echter Dichter, weil er kein tendenziöser Dichter ist, und sein Herz hängt am Volke, insbesondere an seinen Landsleuten viel zu sehr, als dass er mit ihnen Spott und Hohn treiben sollte. Selbst wenn er uns Säufer und Vielfraße, Tölpel und Einfaltspinsel, Schelme und Gauner, ja ganz naturalistische und paradiesische Szenen vorführt, so malt er diese Dinge doch nie um ihrer selbst willen, am wenigsten das Gemeine und Widrige, Obszöne und Lüsterne. Er malt mit aller Unbefangenheit und nur um die komischen und humoristischen Seiten solcher Figuren und Situationen hervortreten zu lassen; welchen Zweck er auch so gut erreicht, dass uns derartige Nebengedanken gar nicht einfallen. An diesen heitern Geschichten Anstoß nehmen zu wollen, zumal wenn man erwägt, in welch' gesellschaftlichen Kreisen sie vorgehen, ist mindestens altjüngferliche Prüderie und Coquetterie; vielleicht etwas weit Schlimmeres.

Wären nämlich auch jene Vorwürfe eben so begründet, wie sie unbegründet sind, so hätte sie doch nimmer Klaus Groth erheben dürfen, dem solches, wenn nicht Anstandsgefühl, doch bloße Klugheit verbieten musste. Aber die Eifersucht macht bekanntlich blind und toll, und unsere Poeten sind häufig eitler und reizbarer, empfindlicher und auf einander eifersüchtiger als ein paar Ballschönen oder ein paar alte Betschwestern.


Zwar die Zeit scheint glücklich vorbei, wo Jene die Anmaßung hatten, ihre Händel und Eifersüchteleien vor aller Welt auszufechten, Bücher und Broschüren gegen einander schrieben, und gleich Waschweibern sich gegenseitig verleumdeten und beschimpften. Die Zeit scheint vorbei — nicht dass das Publikum an solchen Skandalositäten den Geschmack verloren hätte — aber unsre heutigen Schriftsteller, mögen sie auch von ganzem Herzen einander hassen und verachten, jedenfalls haben sie an äußerer Lebensart gewonnen: sie ignorieren sich oder begegnen einander mit formeller Höflichkeit. Auch die Zeit, wo man Antikritiken schrieb oder durch Klienten
und Parteigänger schreiben ließ, scheint fast vorbei, da solche Unternehmungen — wir erinnern z. B. an Friedrich Hebbel und neuerdings an Karl Gutzkow „in Sachen des Zauberers von Rom" — stets kläglich gescheitert sind. Zu den Letzten, welche solch misslungenen Versuch unternahmen, gehört nun auch Klaus Groth, ein spezieller Landsmann Friedrich Hebbels; seine „Briefe über Hochdeutsch und Plattdeutsch" sind ihrem Kerne nach nur eine Antikritik, an die Adresse der Herren Robert Prutz und Julian Schmidt gerichtet.

Bis zum November 1852 ein obskurer Landschulmeister, sah er sich in Folge seiner Gedichtsammlung „Quickborn" plötzlich mit Ruhm und Auszeichnungen aller Art überschüttet. Professoren und vornehme Damen feierten ihn als den plattdeutschen Goethe oder Heine, hervorragende Gelehrte und Literarhistoriker wiesen öffentlich auf ihn hin. Die Universität Bonn ernannte ihn zum Ehrendoktor, der König von Dänemark verlieh ihm ein Reisestipendium, später eine lebenslängliche Pension, andere Monarchen ließen ihm Orden oder Geldgeschenke überreichen. Ein solcher Glückswechsel kann auch den Besonnensten schwindelig, in seiner Selbstschätzung und seinen Anforderungen maßlos machen, und Klaus Groth ist keineswegs eine besonnene, sondern eine überaus nervöse, fast hysterische Natur.

Sein großer Erfolg rief in der plattdeutschen Literatur, die seit langen Jahren brach dalag und bisher überhaupt kein nennenswertes Produkt auszuweisen hatte, eine stürmische Bewegung hervor. Plattdeutsche Poetlein wuchsen aller Orten wie Pilze empor, und verursachten mit ihrem lyrischen Gewinsel und epischen Gekläffe einen wüsten Lärm. Kein Wunder, dass Klaus Groth, der das Plattdeutsche als seine eigentliche Domains betrachtete, und gleich einem Diktator Gesetze erließ, wie man hinfüroschreiben und singen solle, kein Wunder, wenn Klaus Groth unter jenen Kötern etwas umherzuschlagen und aufzuräumen begann. Nur Schade, dass er sich in seinem Eifer so sehr vergriff, nämlich ohne alle Ursache einen Gegner herausforderte, der sich ihm als völlig gewachsen, sogar überlegen erwies. Dieser Gegner war — Fritz Reuter.

Bald nach dem „Quickborn" erschienen die „Läuschen un Rimels", aber vor den Fanfaren- und Posaunenstößen, die die Bewunderer Klaus Groth's vollführten, konnten sie sich erst sehr allmählich und zunächst nur unter plattdeutschen Lesern Gehör verschaffen. Schon lagen sie in dritter Auflage vor, schon bereitete der Dichter eine neue Folge für den Druck vor, schon hatte er verschiedene andre Dichtungen erscheinen lassen — als endlich auch die Kritik von ihrer Existenz erfuhr. Es war Robert Prutz, der in dem von ihm herausgegebenen „Museum“ (Jahrgang 1857, Nummer 45) zuerst auf Fritz Reuter aufmerksam machte. Nachdem er von Klaus Groth gesprochen, dem er nach wie vor große Anerkennung zollt, fährt er fort:

„— Jedenfalls sollten Diejenigen, die jetzt so laut für Klaus Groth und seine niederdeutsche Muse schwärmen, dabei nicht einen Dichter übersehen, der schon vor dem gefeierten Autor des „Quickborn" in plattdeutscher Sprache gedichtet und sich durch diese seine Dichtungen, wenn auch allerdings nur in seiner nächsten Nachbarschaft, ein ebenso zahlreiches wie anhängliches Publikum erworben hat. Das ist der Mecklenburger Fritz Reuter, gegenwärtig in Neu-Brandenburg lebend, ein Name, der in Mecklenburg und Pommern überall bekannt ist, wo der alte heimische Dialekt noch irgend Zutritt findet, ja der selbst da noch mit Begeisterung genannt wird, wo man übrigens kaum einen zweiten deutschen Dichter kennt. In mancher Hinsicht ließe sich sogar behaupten, die Reuter'schen Poesien seien für Sprache und Denkweise unserer plattdeutschen Bevölkerung charakteristischer als selbst diejenigen von Klaus Groth. Klaus Groth steht in der Mehrzahl seiner Gedichte wesentlich unter dem Einfluss der modernen hochdeutschen Bildung, es sind Momente hochdeutschen Kultur- und Geisteslebens, die er bearbeitet, und gerade der Widerspruch, der darin liegt, diese zum Teil sehr raffinierten Empfindungen — man erinnere sich beispielsweise nur an die zahlreichen Heine'schen Pointen, die bei Klaus Groth wiederkehren — in dem nachlässig naiven Gewande des plattdeutschen Dialekts wieder anzutreffen, bildet vielleicht einen Hauptreiz dieser ebenso interessanten wie anmutigen Dichtungen. Fritz Reuter dagegen ist durch und durch Plattdeutscher, seine Muse ist eine derbe Landmagd, etwas vierschrötig, mitunter selbst etwas ungeschlacht, aber kerngesund, mit prallen Gliedern, die schalkhaft verschmitzten Augen keck im Kreise umherwerfend und jeden Augenblick zu lustiger Rede und Gegenrede bereit. Darum gelingt ihm auch das komische Genre am besten; er entwickelt hier nicht nur einen gewissen derben trocknen Humor, sondern auch eine Plastik und Frische der Gestaltung, die ihn unsern besten komischen Dichtern anreiht. — —"

Dieses überaus mäßige, fast zurückhaltende Lob bewog nun Klaus Groth zu jenem gehässigen Ausfall. Er schrieb die „Briefe über Hochdeutsch und Plattdeutsch", in welchen er zunächst dieses auf Kosten jenes ungebührlich erhebt, worin er dem „Quickborn" ganz bescheiden einen Platz neben Klopstock, Schiller und Gothe anweist, und ebenso unbefangen in Gemeinschaft mit Jakob Grimm und Wilhelm von Humboldt sprachwissenschaftliche Urteile fällt; um sodann über einen Mann herzufallen, der still und allein seinen Weg gegangen, nie Ein Wort weder schriftlich noch mündlich, weder gegen noch über seinen Angreifer geäußert, dessen ganzes Verbrechen darin bestand, in einer um Jahre verspäteten Rezension mit einer winzigen Anerkennung bedacht worden zu sein. Wie Klaus Groth hierbei dem Polizeidiener von Teterow eine Tracht Prügel andichtet, die der arme Kerl bei Fritz Reuter gar nicht erhält, ebensowenig scheut er sich, aus der Prutz'schen „Landmagd" eine „Viehmagd" zu machen und eben deshalb die Reuter'sche Muse eine „Düngerpoesie" zu nennen. Überhaupt ist der Angriff in einem Tone gehalten, der fast an Wolfgang Menzels berüchtigte Denunziation erinnert.

Nun, er sollte seiner Züchtigung nicht entgehen, die, so mutwillig herausgefordert, Fritz Reuter natürlich selber übernahm. Er antwortete seinem Ankläger in einer bald darauf erschienenen Broschüre, „Abweisung" betitelt, worin er ihm zunächst Verdrehung und Entstellung sowohl seiner Gedichte als der Prutz'schen Rezension nachweist, dann aber dartut, wie alle die Auswüchse, deren Klaus Groth die „Läuschen un Rimels" ohne Grund und Ursache bezichtigt, tatsächlich in den Gedichten des „Quickborn" vorkommen. Wirklich finden sich dort einige stark unflätige Stellen, wirklich sucht man sich dort über Juden und ehrsame Handwerker lustig zu machen, nur dass es leider beim bloßen Versuche bleibt, denn dem kleinen Kaneeljuden will das Mauscheln durchaus nicht gelingen, und die armen Schuster von Heide machen trotz der 570 Verse, die der Dichter an sie wendet, einen mehr langweiligen und platten, als lustigen Eindruck. Genug, diese „Abweisung", die durch glänzende Polemik, scharfen und schlagfertigen Witz an die Lessing'schen Streitschriften erinnert, ist für Klaus Groth geradezu vernichtend; sein Auftreten gegen Reuter hat ihm allgemeine Missbilligung zugezogen, ihm unberechenbaren Schaden zugefügt. Später suchte er diesen Fehlgriff wieder in etwas gut zu machen, indem er beim Erscheinen der „Olle Kamellen" (1861) diesen im Altonaer „Merkur" seinen ganzen Beifall aussprach. Indes; war damals der Wert unseres Dichters bereits aller Orten anerkannt, Klaus Groth kam mit seinem Lobe sehr post festum, und dazu beging er eine neue Sottise, indem er, anstatt sein Unrecht oder wenigstens seinen Irrtum offen einzugestehen, die Rezension mit der Bemerkung einleitete: Fritz Reuter sei seiner Mahnung gefolgt und habe den früher eingeschlagenen Weg verlassen, er wünsche ihm zu dieser Umkehr Glück und freue sich, ihm jetzt seinen Beifall aussprechen zu dürfen. — Glücklicherweise war von einer Umkehr keine Rede, wohl aber von einem Fortschritt, was wir seiner Zeit nachweisen werden.

Einigermaßen erklären, wenn auch nimmer entschuldigen, lässt sich jener Angriff, wenn man das Geschick erwägt, das Klaus Groth inzwischen erlitten, und es mit dem von Fritz Reuter vergleicht. Dieser hatte seinem Erstlingswerke den Namen „Läuschen un Rimels", also den bescheidensten Titel von der Welt gegeben; es mit einem ebenso bescheidenen Motto versehen:

      „Wer't mag, de mag't; un wer't nich mag, de mag't jo woll nich mägen";

auch in der Vorrede nichts weiter als ein wenig Scherz und Spaß versprochen. Wider Erwarten sah er es mit einem Beifall und einer Freude aufgenommen, die mit den Jahren noch größer und allgemeiner wurden, und dies ermutigte ihn zu größeren und wertvolleren Dichtungen. — Wie so anders Klaus Groth! Er nannte seine Gedichtsammlung „Quickborn", das ist ein frischer rinnender Born, was er freilich auf das Dithmarsensche Volksleben bezogen wissen wollte, aus dem er geschöpft habe und das er behandelte; aber er ließ das Buch doch durch seine Gönner als eine Oase in der Oede deutscher Poesie, sich selber als einen Luther der plattdeutschen und echten Volksdichtung ankündigen. Wirklich war diese Erstlingsgabe zugleich sein bedeutendstes Werk, alle späteren Dichtungen zeigten einen starken Abfall; was ihm das inzwischen ernüchterte Publikum aber sehr übel nahm, was es ihn hart büßen ließ. Die Tageswelle, welche ihn emporgetragen, warf ihn bald wieder zurück, und sein Stern erbleichte vor der aufgehenden Sonne: Fritz Reuter. Mit einfachen Worten: man fing an, ihn ebenso sehr zu unterschätzen, wie man ihn früher überschätzt hatte. Denn es ist unzweifelhaft, dass viele seiner lyrischen Gedichte sich an Schmelz, Duft und Wohllaut dreist mit denen von Heine und Goethe messen können: — nur hätte Klaus Groth das nicht selber sagen müssen.

Wir werden sonst wenig Gelegenheit haben, zwischen Klaus Groth und Fritz Reuter Parallelen zu ziehen; beide bewegen sich auf ganz verschiedenen Gebieten und sind fast entgegengesetzte Naturen, nur das glauben wir schon jetzt aussprechen zu dürfen: Fritz Reuter ist ein bei Weitem kräftigeres und vielseitigeres Talent als Klaus Groth.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Fritz Reuters Dichtungen - Läuschen un Rimels