sechste Fortsetzung

Wie jeder andere deutsche Bundesstaat hat auch Mecklenburg sein Schilda; es heißt Teterow, und Fritz Reuter hat es in seiner Blumenlese nicht vergessen. Dass ehrliche Spießbürger sich zum Transport eines Gefangenen, dazu eines Räuberhauptmanns, nicht besonders eignen (II., 6), ist eine alte Geschichte. Merkwürdiger sind schon die beiden Boten, die sich gegenseitig in den April schicken (II., 13); aber den ersten Preis verdient doch „Blücher in Teterow" (I., 64): — Ganz Teterow ist auf den Beinen, denn heute wird der Marschall Vorwärts die gute Stadt mit seiner Gegenwart beglücken. Zu seinem Empfange stehen schon bereit: die Schützengilde, weißgekleidete Mädchen, die Geistlichkeit im Ornat, der Magistrat in Galauniform; und Alle harren sehnsüchtig des großen Augenblicks. Inzwischen fährt ein offener Wagen zum Tore herein, darin sitzt ein greiser schlicht gekleideter Mann, der unschuldig seine kurze Pfeife raucht. Niemand beachtet ihn, nur der allgegenwärtige „Kneifer" stürzt auf ihn zu, und entreißt ihm die Pfeife, denn das Tabakrauchen auf offener Straße ist hier bei schwerer Strafe verboten. Blücher — denn er ist es — wenn gleich ob dieses Empfanges ein wenig verdutzt, lässt sich die Konfiskation ruhig gefallen, und als hinterher Bürgermeister und Stadträte den amtseifrigen Kneifer vor ihn bringen, damit er ihn allerdurchlauchtigst zu Galgen und Rad verurteile, hebt er den Zitternden gutmütig auf und schenkt ihm einen
Thaler. — Wie schon erwähnt, hat Fritz Reuter diesen Lokalscherz später dramatisch verarbeitet, jedoch ohne Glück.

Wenn die angeführten Beispiele vorwiegend in das Gebiet des Derb- und Niedrig-Komischen, wenigstens des Burlesken und Lustigen fallen, so geben wir zum Schlusse ein Läuschen „Wat wull de Kirl?' (II., 26), das da zeigt, wie dem Dichter die Farben schalkhafter Anmut und reizender Naivität nicht minder zu Gebote stehen. Wir geben es ganz und im Originals da es sich ohne gewisse Einbuße weder teilen noch übersetzen lässt:


      „Ne, Fiken denk Di, wo't mi güng! —
      As't gistern an tau schummern füng,
      Dunn gah ik hen nah'n Water halen,
      Un as ik kam nah unsen Sod*),
      Dunn steiht en Kirl dor rank un grot
      Un smuck von Kopp bet up de Salen.
      Hei kickt mi an,
      Ik kik em an,
      Hei seggt mi nicks,
      Ik segg em nicks
      Un lat min Emmern in den Sod.
      Un as de Emmern nu sünd vull,
      Un ik nah Hus nu gahen wull,
      Dunn kümmt de Kirl — nu denk Di Fiken! —
      Dunn helpt hei mi die swore Dracht**)
      Ganz fründlich up un strakt mi sacht

*) Brunnen.
**) Das Eimerpaar.


      Un ward mi in de Ogen kiken.
      Hei kickt mi an,
      Ik kik em an,
      Hei seggt mi nicks,
      Ik segg em nicks
      Un nem de Emmern up un gah.

      Un as ik gah de Strat hendal,
      Dunn geit de Kirl — nu denk Di mal! —
      An mine Sid entlang de Straten,
      Un as ik sett min Emmern hen,
      Dunn kümmt hei ran un ward mi denn
      Ganz leiw in sine Armen faten;
      Ik kik ein an,
      Hei kickt mi an,
      Ik segg em nicks,
      Hei seggt mi nicks,
      Un ik gah wider hen nah Hus.

      Un as ik an de Husdör kamm
      Un mine Dracht herunner namm
      Un set't min beiden Emmern nedder,
      Dunn namm hei mi in sinen Arm
      Un drückt un herzt un küsst mi warm —
      Un denk Di mal — ik küsst em wedder.
      Hei kickt mi an,
      Ik kik em an,
      Hei seggt mi nicks,
      Ik segg em nicks,
      Dunn kamm uns’ Frau taum Hus’ herut,
      Dunn was dat mit das Küssen ut. —
      Nu segg mi mal, wat wull de Kirl?“*)

*) Das plattdeutsche „Kirl" hat keineswegs die verächtliche Bedeutung wie das hochdeutsche „Kerl“, sondern ist einfach durch „Mann" zu übersetzen.


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Haben wir hiermit eine Übersicht der „Läuschen un Rimels" gegeben, sie ihrem Inhalt und ihren Beziehungen nach gruppiert, so müssen wir nochmals betonen, dass sie keine Sammlung bloßer Anekdoten oder gereimter Schnurren sind. Als solche wären die meisten zu ausgedehnt, zu behäbig, ohne eigentliche oder doch scharf heraustretende Pointe, da in allen mehr der Humor als der Witz vorwiegt. Nein, es sind frische saftige Genrebilder, heitre gemütliche Charakter- und Situationsgemälde, in denen Spaß, Scherz und Laune abwechselnd oder gemeinsam den Pinsel führen, und die uns zugleich einen treuen Abdruck von dem Wesen und Treiben der Landsleute des Dichters geben. Sie lassen sich weder mit den Langbein'schen Schwänken noch mit Hebels Allemannischen Gedichten oder den Geschichten des Rheinländischen Hausfreundes vergleichen; denn erstere entbehren der poetischen Stimmung, und in letzteren tritt teils das idyllisch-beschreibende, teils das didaktisch-moralisierende Element zu sehr in den Vordergrund.

Reuter dagegen zeichnet lieber Menschen als Landschaften, und diese Menschen sind nichts weniger als idyllische Hirten und Fischer, die sich in Lenz und Mondschein berauschen; leben auch sonst gerade nicht in patriarchalischer Einfalt und Unschuld. Reuter ist ferner zu viel Dichter, als dass er seinen Geschichten die Moral gleich einem Schwanze anheften sollte, allein diese wird oft genug dem Leser ins Gesicht springen und ihn an der Nase zupfen. — Näher läge vielleicht eine Vergleichung mit dem Klaus Groth'schen „Quickborn", nämlich mit den Familienbildern und den längeren epischen Gedichten; doch Klaus Groth's Muse ist eine elegisch-sentimentalische Dame, ihre komische Ader fließt schwach, die humoristische noch schwächer.

Will man durchaus eine Vergleichung haben, so vergleichen wir die „Läuschen un Rimels" mit den Londoner Skizzen von Dickens. Dort wie hier eine Fülle und Mannigfaltigkeit urkomischer und humoristischer Personen und Situationen; dort wie hier scharfe Beobachtungs- und plastische Darstellungsgabe. Beides Erstlingswerke, die sofort allgemeinen Beifall finden, die reiche Begabung und alle Vorzüge ihrer Schöpfer zeigen, und doch beides nur Vorstudien zu größeren umfassenderen Dichtungen.

Aber England und Alt-Mecklenburg, die Weltstadt und ein norddeutsches Dorf oder ein entlegenes Krähwinkel! wird man fragen. Und warum nicht?! Zeichnet doch auch Boz vorzugsweise das Leben des Hauses und der Familie, Kindtaufen und alte Sonderlinge, Waschweiber und Liebespärchen, Landpartien und Weihnachtsabende; und selbst wenn er uns auf die Märkte und Straßen, in die Theater und Gerichtshöfe führt, dient ihm das Alles nur als Staffage, um uns die Lebensgeschichte eines Omnibus-Cad, die Abenteuer eines unternehmungslustigen Ladendieners, oder einen wunderlichen Rechtshandel zu erzählen. Boz wie Reuter sind beide tiefe Kenner des Menschenwesens mit all seinen Schwächen und Gebrechen, Torheiten und Vorzügen, es entgeht ihnen keine Miene oder Gebärde, und sie wissen das Geheimnis jeder Gesichtsfalte und jeder Hutschnalle zu ergründen und uns zu deuten.

Nur werfen die Boz'schen Gemälde nicht selten schwere Schlagschatten, oft sind sie wilde Nachtstücke. Auch die Art, wie Reuter Leben und Dinge anschaut und auffasst, ist eine weit unbefangenere, denn bei Boz; der neben den ästhetischen auch allerhand politische und sozialistische Zwecke verfolgt; sonst ganz ehrenwerte Zwecke, aber der moralische Unwille, der Hass und Grimm, womit er Heuchelei und Zopftum geißelt, lassen ihn zuweilen Kopf und Besinnung, wenigstens die künstlerische Objektivität verlieren. Auch ist er ein wenig Hypochonder, während Reuter an der Welt und seinen Gebilden die herzlichste Freude empfindet. Endlich ist seine Darstellungsweise weit realistischer als bei Boz, der uns die Gegenstände gern in phantastischer ja gespenstischer Beleuchtung zeigt, z. B. einen Stiefelknecht grinsen, einen Tischfuß nach uns schnappen lässt; während ihn seine satirischen Gelüste zur Zeichnung von manierierten und karikierten Personen verführen. Reuter dagegen malt stets mit kräftiger sicherer Hand, mit frischen gesättigten Farben, die ebendeshalb einen so reichen lebhaften Schmelz verbreiten. Mit wenigen Strichen weiß er uns Personen und Dinge hinzustellen, nicht nur dass wir sie als lebensvoll erkennen, sondern in ihnen auch gute Freunde und alte Bekannte begrüßen. Z. B. wenn er uns den kleinen quecksilbernen, die Rekruten malträtierenden Lieutenant vorführt (I., 9):

      In Ludwigslust stunn bi de Granedir
      Einmal en Leutnant, Herr von Fink.
      Dat was en wohres Krätending,
      Obglik de Kirl man keshoch wir.
      Na, de let mal Rekruten inexieren
      Un let sei rechtsch und linksch marschieren.
      Dat Ding sprung allentwegen 'rümmer
      Un schreg un kummandierte ümmer,
      Un makt dorbi so'n dullen Larm
      Un smet und fuchtelt mit de Arm,
      Ja, likster Welt, grad as so'n Hampelmann,
      Un Jeden snauzt dat Dingschen an.
      — — — — — — — — — — — — —
      Un as hei mit de Hauptsak fahrig was,
      Nahm hei den einen Kirl sik noch apart
      Un slog „mit großer Geistesgegenwart"
      Den dummen Bengel hellsch verdwas
      Mit dat Gefäß von sinen Degen
      Bald unner't Kinn, bald up den Bregen.

Oder der Offiziersbursche Johann Päsel (II., 25), wie er die Bestellung seines Herrn ausrichtet:

      „Empfehlung von 'n Herrn Leutinant
      An gned'ge Fru von Diamant,
      Un was mein gnedigst Leutnant war,
      Der kem heut nich zu's Essent her,
      Denn nach 'ner guten Stunde schon
      Musst Allens gnedigst abmarschieren,
      In Woldeck war 'ne Rebellion,
      Un täten hellschen rebellieren
      Von wegen einer Holzgeschicht,
      Un darum könnt' Herr Leutnant nich."

Und später bringt er der Dame mit der Entschuldigung ob seiner Dummheit den Kuchen:

      „Empfehlung von Herrn Leutinant
      An gned'ge Fru von Diamant"
      „„Was bringst Du da, mein lieber Sohn?““ —
      „Un gned'ge Fru von Diamant . . ."
      „„Na, lass nur, lass ich weiß das schon.""
      „Un sollten gnedigst doch verzeihn
      Un einen Kauken is dadrein,
      Un sollt vor Sie 'ne Wollust sein."

Ebenso Blücher in Teterow, als man den amtseifrigen Kneifer vor ihn schleppt, und Bürgermeister und Väter der Stadt ihn um Verzeihung ob der ihm zugefügten Unbill anflehen:

      „Ei wat," säd nu de Oll, „lasst mir in Ruh!
      Ik bin kein Held, ik bin der olle Blüchert
      Un wenn ik mal wat duhen duh,
      Wat mit de Polizei sich nich verdrägt,
      Denn globt mir zu, denn seid versichert,
      Dat mich denn och't Jewissen schlägt;
      Ik geb denn meine Straf och willig.
      Wat Enen recht ist, is den Andern billig!
      — — — — — — — — — — — — —
      Ik hab jerocht; dat is jewiss!
      Der Mann, der hat janz recht jehabt,
      Als er die Pfeif' mir wegjeschnappt.
      Dat is nu einmal schon jeschehn.
      Nu lasst den armen Deuwel jehn!
      So, so! mein Sohn, nu geh man weck,
      Da hast en Daler vor den Schreck."

Diese Beispiele beweisen zugleich, wie der Wert der „Läuschen un Rimels" nicht in den untergelegten Schwänken und Anekdoten, sondern in der Charakter- und Situationsmalerei steckt. Fritz Reuter hat die Luthersche Regel befolgt und „den Leuten brav aufs Maul gesehen". Alle seine Helden und ihre kleinsten Eigentümlichkeiten sind dem wirklichen Leben entnommen; und was er in der Vorrede befürchtet, könnte ihm wohl einmal passieren, nämlich dass der Bauer Jochen Päsel oder Krischan Swart in des Dichters Zimmer tritt, sich breitspurig vor ihn hinstellt, drohend seinen Kreuzdorn schwingt und dazu spricht:

      „Herr, wat hewwen Sei mit mi un min Fru tau dauhn?"

Unübertrefflich kleidet die „Läuschen un Rimels" das Gewand des Mecklenburgischen Platt, das sich einerseits durch seinen breiten vollen Klang — wie Brauder, Kauken, Preister, Gäuder — andrerseits durch die kosenden schmeichelnden Diminutiva auf ing — Sähning statt Söhnchen, Döchting statt Töchterchen, Herring statt Herrchen, Pasting statt Pastorchen, sogar fixing statt schnellchen, nipping und pricking statt genauchen — von andern niederdeutschen Mundarten vorteilhaft unterscheidet. Aber diese Geschichten sind nicht nur plattdeutsch gedichtet, sondern auch plattdeutsch gedacht und empfunden, so dass Stoff und Form zu einer organischen Einheit verschmolzen. Viele wären in hochdeutscher Sprache gar nicht möglich, oder sie würden dann platt, albern, läppisch erscheinen. In der Übersetzung müssten alle unendlich verlieren, und einige lassen sich überhaupt nicht übersetzen, wegen der naiven und naturwüchsigen, humoristischen und onomatopöietischen Ausdrücke und Wendungen, an denen die Dialekte so reich sind. Beispielsweise können Wörter, wie Schosen, Finzel, Slafitken, Flutscher; braudern, vergrisen, fikatzen, stenzen, zaustern, spillunken, fummeln; nägenklauk, stur, veninsch, fipprig, bräsig, piplings, quanzwis u. a. m. gar nicht oder doch nur sehr unvollkommen umschrieben werden. Oder man versuche einmal die Übersetzung folgender Verse, welche die Seitens des Herrn Bürgermeisters angeordnete Konfiskation des Demagogenbarts schildern (II., 58):

      De wehrt sik denn nu, wat hei kann,
      Dat helpt em nicks,
      De Kniper kriggt em bi de Büx,
      De Schirensliper
      Helpt den Kniper,
      De olle Nagelsmidtsgesell,
      De höllt em wiß up sine Stell,
      Un swutsch un swutsch
      Smit em de Bengel von Barbutsch'
      Den Sepschum rinne in't Gesicht,
      Un rutsch un rutsch
      Herrunne flüggt
      Up eine ganz behenne Ort
      De schöne Demagogenbort.

Noch schwieriger wäre die Übersetzung der Jahrmarktsszene (I., 38), wo der auf dem Kamel sitzende Bauernjunge wider seinen Willen von dem Affen gelauset wird:

      Nu kümmt de Ap! Nu passt mal up!
      De springt ok up't Kamehl herup,
      Un von't Kamehl springt hei up Fritzen.
      „Wat sall dat wesen? Lat de Witzen!“
      De Ap fängt nu em an tau taren
      Un em in dat Gesicht tau klaren,
      Un nimmt em von den Kopp de Mütz.
      „Verfluchtes Ding!" röppt unse Fritz.
      Je ja, je ja! De Ap, de nimmt s' un smit s'
      In einen Hümpel Jung's herinner
      Un fängt nu an, em sinen Kopp tau lusen,
      Un in de roden Hör herüm tau plusen,
      Un dat Kamehl, dat löppt nu swinner.
      Uns' Fritz, de will dat Dings nu packen
      Un grippt sik hin'n nah sinen Nacken,
      Rutsch! sitt dat Ding em up de Näs'
      Un giwwt em dor en barschen Kes',
      Un wenn hei'n hir nu will beluren,
      Rutsch! sitt hei wedder achter 'e Uhren.
      „Herun mit di un lat din Heweln!"
      Ratsch, bitt de Ap em up de Knäweln.

      Hei lus't un plus't,
      Hei ritt un bitt,
      Hei nart un tart,
      Hei wippt un knippt,
      Un uns' Fritz Swart,
      De grippt un grippt
      Bald rechts, bald links,

      Un ümmer flutscht em weg dat Dings,
      Em will dat Gripen nich gelingen
      Un kann em ok nich von sik bringen.
      Nu fängt't Kamehl gor an tau springen,
      Un dunn was't mit de Rüteri
      Von unsen Fritzen ok vörbi.
      Noch einen Sprung! Baff, liggt hei 'runner! —

Einen andern Reiz erhalten die „Läuschen un Rimels" durch die Abwechslung von Hochdeutsch, Plattdeutsch und „Missingsch", wie in Rede und Gegenrede zwischen Personen verschiedenen Standes und verschiedener Bildung bald dieses bald jenes hervortritt und mit einander auf das Ergötzlichste kontrastiert. Hiervon, sowie von der Meisterschaft, mit welcher der Dichter die Sprache überhaupt, desgleichen Rhythmus und Reim handhabt, haben wir hinreichende Proben gegeben.

„Ja, springt und lärmt nur, ihr armen Schelme! Bald wird es aus sein mit eurer Lust, und wenn ihr unter fremde Leute kommt, wird man euch ziehen und zerren, euch richten und hobeln, man wird eure Ausgelassenheit züchtigen; was Ihr in aller Unschuld und Natürlichkeit für Scherz hieltet, wird man euch als Grobheit und Rohheit in Anrechnung bringen."

„Ich bin darauf gefasst, und sitze, wie der Perser sagt, auf dem Sofa der Geduld und rauche die Pfeife der Erwartung.“ — Dies waren die Worte, mit denen Fritz Reuter seine geistigen Kinder in die Welt entließ.

Indes mochten sie kaum ernstlich gemeint sein, und wirklich ist solch alberner Vorwurf von der Kritik nirgend und niemals erhoben worden. Nur Eine Stimme ließ sich gegen den Dichter vernehmen, sie erklang sehr spät und von ganz unerwarteter Seite. Es war der plattdeutsche Dichter Klaus Groth, also der Spezial-Kollege unsers Fritz Reuter, der sich in seinen 1858 erschienenen Briefen über Hochdeutsch und Plattdeutsch folgendermaßen äußert:

„— — Fritz Reuter hat sich besonders durch seine Läuschen un Rimels einen Namen gemacht, und die Kritik erklärt fast allgemein diese Art Poesie für die echte" plattdeutsche Volkspoesie. Es tut mir leid, dass ich dem nicht anders wirksam widersprechen kann, als indem ich die Unrichtigkeit dieser Ansicht im Speziellen nachweise. — Die Läuschen un Rimels sind in gewandtem Plattdeutsch geschrieben, ohne Zwang und Gewaltsamkeiten, sie sind leicht und bequem erzählt, klar und anschaulich, die Pointe wird nie verfehlt, Reim und Rhythmus sind natürlich, aber sie sind durch und durch gemein. Sie führen uns nur plumpe unwissende oder schmutzige schlaue Figuren vor. Ein Bauer wird betrogen oder betrügt selbst, er begeht die gemeinsten Ungeschicklichkeiten, versteht nicht einmal eine Tasse Kaffee zu trinken, belügt seinen Amtmann, zeigt sich dümmer als sein Knecht. Und nicht bloß der Bauer, auch der Kaufmann, der Handlungsreisende, der Arzt, der Advokat, der Küster auf der Kindtaufe werden uns nur vorgeführt, um über sie als Tölpel oder Spitzbuben zu lachen. Der christliche Prediger tritt nur auf als geeignetste Person, von einem jüdischen Rosskämmer beim Pferdehandel düpiert zu werden, unser deutscher Held Blücher nur damit ein übereifriger Polizeidiener ihm die Tabakspfeife wegnehmen und dafür von ganz Teterow Prügel bekommen kann. Das wäre die Blüte des Volkslebens? das seine Poesie, die man ihm absieht und ihm wiederbringt? Nein, das heißt alles in den Qualm und Wust der Bierstube hinab- und hineinziehen, wo man sich in der schluderigsten Sprechweise Vademecums-Anekdoten erzählt. Da ist alles gleich, nämlich Alles gemein, Bürger und Adel, hoch und niedrig. " — — — „Wer in den Läuschen un Rimels die Natur Mecklenburgs und seiner Bewohner sucht, der wird staunen über einen Augiasstall von Grobheit und Plumpheit. So kann die grellste Wirklichkeit nicht sein und ist es nicht und nirgends."
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Fritz Reuters Dichtungen - Läuschen un Rimels