erste Fortsetzung

Einen überaus rührenden Eindruck dagegen macht das kleine Bild, das den Pastor am Sterbebette einer armen alten Frau zeigt, wie er sie auf den Himmel vertröstet, der sie für diese mangelhafte Welt entschädigen werde. „Ja“, entgegnete die Alte seufzend, „das hab' ich mir auch schon gesagt, aber die Leute meinen, das soll dort oben auch alles schlechter geworden sein." —

Auch die Bauerkinder, welche von dem Geistlichen auf die Einsegnung vorbereitet werden, liefern dem Dichter Stoff zu einigen Schnurren: — „Was ist das für ein Mensch, dem nie genügt, was er besitzt, der immer gierig ist, noch mehr zu haben?" — so fragt der Pastor, und als die Kinder mit der Antwort zögern, will er einhelfen und meint: „'N Gei . . . . 'N Gei . . . . ?!" — „'N Geistlichen, Herr Paster!" platzt einer der Jungen los (I., 7).
— „Was sind wohl Not und Liebeswerke?" fragt Herr Pastor Zahn seine Konfirmanden, und ein hübsches Mädchen antwortete hurtig: „Wenn Ein den Annern frigen*) deit." (II., 69).


*) freien, heiraten.

Um nun gleich mit den Landpastoren hier abzuschließen, gedenken wir noch der beiden lustigen Geschichten „De Pirdhandel" (I., 4) und „Dat geit woll nich" (II.. 49). — Dort verkauft der Pastor auf dem Markte glücklich sein spathiges Pferd, um es in der Dunkelheit von einem Juden für den doppelten Preis zurückzukaufen. Hier sehen wir den Pfarrer über dem Text zur Predigt schwitzen: Das Weib sei untertan dem Manne! und ihn gleich darauf in der jämmerlichsten Weise von seiner Ehehälfte bepantoffelt werden.

In den Amtsleuten sehen die Bauern natürlich ihre geborenen Feinde, mit welchen sie nur gezwungen in Verkehr treten, und denen sie stets misstrauen. — „Ich will ja nur Euer Bestes!" spricht der Amtmann, (II., 23) und sucht die zusammengerufenen Bauern zu einer neuen Steuer zu überreden. Doch sie ziehen die Schultern, und einer von ihnen entgegnet: „Herr Amtmann, ja, det glöw wie All, äwer das Best' wull'n wi för uns behollen." — Der Schulze N. dagegen zeigt mehr Hingebung. Er leiht dem Herrn Amtmann Schacht bereitwilligst einen Strick, um den zerbrochenen Wagen wieder in Stand zu setzen (I., 43), und als sich Jener dafür bedankt, meint er gutmütig: „Oh, daför nich, Herr! Ne, Sei heww'n woll mihr as Einen Strick üm uns verdeint." — Wie schilt Herr Amtmann X. den Bauern Päsel und droht mit Strafe und Kosten, wenn er sich ferner weigere, dem Pastor Fuhrwerk zu gestellen! (I., 59). Doch Päsel schweigt und lässt unter dem Mantel ein paar Hasenohren hervorblicken; worauf der strenge Richter flugs Sprache und Urteil ändert. „Den Hasen bring Er in die Küche", spricht er gnädig; indes der schlaue Bauer schlägt den Mantel zurück und zeigt — ein paar Hasenohren, die er sich von der Frau hat an den Saum heften lassen. — Das ganze Dorf ist vorgeladen, alle Corl, Krischan und Jehann; aber Alle leugnen, und der inquirierende Amtmann ist mit seinem Latein am Ende (I., 3). Da lässt der Dichter seinen geliebten Amtshauptmann Weber als Deus ex machina erscheinen:

      „Na, hürt mal, säd de Oll, Ji kennt mi woll.
      Ji Slüngels staht hir vör Gericht,
      Ji staht hir vör Amtshauptmann Wewern!
      Nu passt mal up un hürt mal tau!
      Un daut, wat ick Jug heiten dau:
      De stalen hewwen, bliwen stahn,
      De Annern känen rute gahn."

Gesagt, getan. — Alle verlassen das Zimmer, bis auf Drei, die nun zitternd bekennen, die Fische gestohlen zu haben.

Eine Reise nach der Stadt ist für den Bauern stets mit mancherlei Fährlichkeiten und Abenteuern verbunden. Mag er dort unter den Händen des Bartscherers wimmern, von dem er sich aus Sparsamkeitsrücksichten mit einem „Sößlingsmetz" kratzen lässt (I., 23); mag ihn der Barbierlehrling aus einer Ecke des Zimmers in die andere zerren, bevor der hohle Zahn endlich zu Tage kommt (I., 58); oder mögen ihm gar die Rostocker Musensöhne einreden, das zu Markt gebrachte Kalb habe sich inzwischen in eine Gans verwandelt (I., 34b). — Noch schlimmer geht es den Bauerjungen, wenn ihnen in der Apotheke eine Arznei oktroyiert wird, die sie für einen Dritten abholen wollten (I., 36); oder wenn sie in der Bude des Taschenspielers als Zielscheibe seiner Künste dienen müssen (I., 56); oder „bei den wilden Tieren" um das Legegeld betrogen werden, indem der Wolf statt des versprochenen Handwerksburschen nur ein elendes Kalbsgeschlinge verspeist (II., 41): Das größte Pech hat allerdings Fritz Swart, der um die „Kultur der Welt" kennen zu lernen, von Vater und Mutter auf den Jahrmarkt geschickt wird (I., 38), wo er von Affen und Schustergesellen mancherlei Realinjurien erfährt, und die zu Markt getriebene Kuh an einen Juden für fünfzig — Brillen losschlägt. Wie man sieht, hat sich der Dichter hier desselben Motivs bedient, das im „Landprediger von Wakefield" eine so ergötzliche Rolle spielt, jedoch ist es keine bloße Nachahmung, sondern glücklich variiert.

Das Hauptvergnügen eines Mecklenburg-Vorpommerschen Landmannes besteht bekanntlich im Essen und Trinken. Was er darin leisten kann, sehen wir an dem alten Inspektor Samuel Ludwig Peter Brandt, der zum Wollmarkt nach Berlin gekommen (I., 48), hier in einer Restauration ein Frühstück vertilgt, das Kellner und Gäste in Staunen und Schrecken versetzt. — Etwas unwahrscheinlicher ist der Bauer gehalten, der nach der Preußischen Hauptstadt gekommen, um seinen beim Kaiser Franz Regiment stehenden Sohn los zu bitten (II., 22), von dem Kriegsminister mit einem Erbsenbrei bewirtet wird, damit er sich durch seinen Appetit als echten Pommer ausweise. — Ganz vorzüglich dünkt uns dagegen das Leckermaul Jochen, der in der Stadt sich einen Kaffee geben lässt, ein Getränk, das er vorher noch nie genossen (I., 24), dann aber ihn mühsam auslöffelt, da er aus Furcht, gegen die Schicklichkeit zu verstoßen, nicht zu trinken wagt.

Wie der Bauer Plattdeutsch spricht, so Küster, Wirtschafter und sonstige Personen, die auf eine höhere Bildung Anspruch machen — „Missingsch." Hierhin gehören die beiden Geschichten von dem alten Kasprati zu Rostock — einem durch beide Mecklenburg bekannten Original — in denen die Pointe übrigens etwas gesucht ist (I., 35a u. b). — Ferner die „Grugliche Geschicht" (II., 45), wo Herr Penkuhn von einem anhaltenden Rumor in der anstoßenden Küche erwacht, im bloßen Hemde dorthin eilt und hier sein Dienstmädchen Lotte in gleichem Aufzuge antrifft. Zuerst glaubt Jeder in dem Andern ein Gespenst zu erblicken, und prallt voll Entsetzen zurück; sobald sie sich aber zu erkennen gegeben, beginnen sie nach dem nächtlichen Poltergeist zu suchen. Es ist des Nachbars Katze, auf die sie nun gemeinschaftlich Jagd machen; lange ohne Erfolg, bis das Tier endlich zum Fenster hinausspringt. Erst jetzt überkommt Beide das Bewusstsein ihres paradiesischen Kostüms; Lotte schlüpft hinter den Küchenschrank, während der alte Herr Penkuhn verschämt dasteht und seinen Gedanken die folgende Worte leiht:

      „Geh' man zu Bett un leg' Dich dal,
      Denn weißt Du, Lotte, süh mal süh!
      Die Welt könnt' Redensorten machen,
      Dass Du just, as wie Nahwers Katt,
      Mit mir hättst eine Liebschaft hadd
      Ercetera. pp. un in dergleichen Sachen."

Seine volle Wirkung äußert dieses köstliche Kauderwelsch jedoch erst dann, wenn es Küster und Schulmeister radebrechen. So lässt sich Küster Sur (I., 25) in der Schule, wie folgt, vernehmen:

      „Ja, Kinder, ja! Glaubt mich das nur!
      Seht, unsre Welt, das is 'ne Welt
      Wie's nahrens*) eine gibt hier in der Welt.
      Ich wär schon weit herumgekommen
      Auf meine Wanderschaft, as ich noch Schneider wär,
      Doch hätt ich niemals nich vernommen,
      Dass's eine bessre gebe mehr;
      Das heißt, den Himmel ausgenommen.
      Das kann Jedwederein insehn.
      Ne, unsre Welt un all die Sachen,
      Die in ihr sünd, die sünd so schön,
      Dass ich sie selbst nicht könnte besser machen.
      — — — — — — — — — — — — — — — —
      Gott schuf den Menschen un den Affen;
      Worum hat er denn woll das Jahr erschaffen? —

*) nirgends

      Wer weiß't? Besinnt Euch noch en Beten! — —
      Ihr dummen Jungs, Ihr wisst das nicht? — —
      Seht! das is dorum so inricht,
      Dass jeder Knecht und jedes Mäten
      Zu rechter Zeit sein Jahrlohn krigt,
      Un unserein sein Bitschen Geld.
      — — — — — — — — — — — —
      Un denn die Monat! Seht wie wunderbor!
      Zwölf Monat hat ein jedes Johr,
      Un jeder Monat dreißig Tag',
      Un etliche noch einen mehr.
      Klänhamels Jehann Jöching, sag',
      Wo kömmt denn diese Sach woll her?—"

Und der Knabe antwortet ganz im Sinne des Meisters:

      „Von die Karninkens kömmt das her,
      Wil di denn ümmer jungen daun."

Ganz unübertrefflich ist „de Sokratische-Method'" (II., 56). Schulrat Ix inspiziert die Dorfschule zu Ohserin und weist dem Schulmeister die pädagogische Hebammenkunst, welche dieser sofort kapiert und bei seinen Pflegebefohlenen zur Anwendung bringt; mit nicht minderem Erfolge als sein Oberer. Schulrat Ix hat die Kinder bis Elf zählen lassen, um sie bei dieser Zahl angelangt, in die Elbe zu stoßen. Meister Rosengräun wiederholt das Manöver, und als der aufgerufene Knabe bis Zwölf gekommen, unterbricht er ihn:

      „—— Halt, seggt Rosengräun;
      Wo mündet nun die Elbe rein?
      Fällt keinem denn der Name ein? —
      Nun, 's ist doch so 'ne leichte Sach!
      Denkt doch bei Zwölfe etwas nach!
      Zwölf! — Zwölfe!! — Tut's Euch überleggen! —
      Da stehn sie nu, die Dämelkläs'! —
      Stats Zwölfe müsst Ihr Nordsee seggen."

Küster und Schulmeister gehören zu den Lieblingsfiguren des Dichters, und wir werden ihnen in seinen späteren Dichtungen noch öfter begegnen. Hier verweisen wir nur noch auf das Läuschen „de Köster up de Kindelbier" (I., 12), das den Küster auf einem Taufschmause zeigt, für den er sich durch tagelanges Fasten gewissenhaft vorbereitet, um nun einen Hunger und einen Durst zu entfalten, die beide unendlich zu sein scheinen. Doch die Nemesis bleibt nicht aus. Er wird am andern Morgen im Schweinestall des Schulzen mitten unter dem Borstenvieh gefunden und nur mühsam aus seinem Totenschlummer erweckt, worauf er den Schulzen beschwört:

      „Vadder, un verrad' mi nich!
      Seggt man blot den Preister nich
      Un bileiw' nich mine Fru."

Wir dürfen das platte Land nicht verlassen, ohne der Edelleute und Rittergutsbesitzer, ihrer Wirtschafter und Bedienten zu gedenken, die der Dichter gleichfalls mit mancher hübschen Skizze bedacht hat. — Da ist der Herr von Lüttemann, Major außer Diensten (II., 42), der seinen Hauslehrer sofort entlässt, als der junge Mann bei Tische mitzureden wagt; ferner Herr von April (I., 20), der für den Tierarzt nur ein Schnäpschen, für seinen kranken Schimmelhengst aber einen ganzen Weinkeller übrig hat; ebenso Herr Karbatschky (I., 21), der sich selber einer Schafkur unterzieht. — Die „Twei Geschichten von Junker Corl von Degen" (I., 49 a. u. b.) erscheinen uns etwas läppisch und outriert, die Pointe verfehlt. — Herr von Lanken (I., 61) spricht zu seinem Statthalter*), der etwas angeheitert vom Ochsenhandel heimkehrt:

*) Unterinspektor.

      „Er ist besoffen, wie ich sehe,
      Was soll ich mit so'n Schweinhund tun?"

Worauf der Andere:

      „Ja, gned'ge Herr, dat segg'n Sei woll!
      Wenn unserem mal grad nicht steiht,
      Denn heit dat glik: Er, Schweinhund, Er!
      Doch wenn so'n vörnem gned'ge Herr
      Sik mal en rechten Ducht'gen tügt,
      Denn heit dat blot: Wir waren sehr vergnügt."

Indes wissen sich die „Stroms" und „Schwriwerbengels" in der Stadt nicht minder „vergnügt" zu halten, als ihre gnädigen Herren, die sie dort zu kopieren suchen (I., 8). Auf dem Gute freilich spielen sie eine klägliche ganz untertänige Rolle, speisen am Bediententische und sättigen sich von den Brocken, die eine herablassende Zofe oder weichmütige Beschließerin ihnen zuwirft. — Aber hier ist ein Undankbarer, der seiner Wohltäterin arg gelohnt hat, und jetzt vor dem Amtmann steht:

      „— — — Sie sind verklagt,
      Die Wirtschaftsmamsell Müller sagt,
            Sie hatten schändlich sie geschlagen
      Und dreizehn Hiebe ihr gegeben.
I      ch frag Sie nun, ob solches Sie getan?"

Worauf der Beklagte:

      „Herr Amtmann, ne, dar nenn' ik äwerdrewen,
      Dat nenn ik utgestunkne Lägen!
      Ik strid dat nicht; ik heww sei slahn;
      Doch Drüttein? Ne! Söß hett s'man kregen;
      Ik weit mit Damens ümtaugahn."

Zuweilen wetteifern Herren und Diener an Einfältigkeit mit einander (I., 26); zuweilen herrscht zwischen ihnen ein wahrhaft kameradschaftliches Einvernehmen, wobei wir an den alten Major denken (I., 37), der seine Gäste mit den stärksten Münchhausiaden bewirtet, und alle aufgeworfenen Zweifel durch seinen Kutscher Johann niederschlagen lässt, den er zu diesem Zwecke vorsorglich in der Nähe hält. — Großen Diensteifer zeigt der Kutscher des Baron von Mulderjahn (I., 47), der seinem Herrn um jeden Preis den Advokaten Witt herbeischaffen soll, und diesen nun unverdrossen von Ort zu Ort verfolgt. Endlich kehrt Kutscher Brummer triumphierend heim, aber nicht mit dem Doktor, der ihm zu folgen sich hartnäckig weigerte, nein, mit dem Reitpferde desselben; in der richtigen Voraussetzung, dass der Besitzer wohl oder übel nun bald nachkommen werde. — Etwas ungeschickter zeigt sich der Diener des Baron von Sprudelwitz, der anstatt der Visitenkarten seines Herrn — abgegriffene Spielkarten abgibt (II., 8).

Zum Abschied blicken wir noch in den Kuhstall (II., 24), wo Jochen und Dürten bei einander sitzen und sich herzen und küssen, während Klein Hanning ausschaut, ob kein Störer nahe. Er guckt durch die Türspalte und summt immerfort:

      „Noch pümmt hei nich,
      Noch pümmt hei nich,
      De Herr, de pümmt noch lange nich!"— bis der Herr plötzlich mitten im Stalle steht. —

Eine ebenso reiche und mannigfaltige Ausbeute gewährt dem Dichter das Leben und Treiben der Städter. — Der Respekt nötigt uns, mit dem Bürgermeister zu beginnen, der sich die Bullenwiese, trotz des Mehrgebots eines Dritten, für den alten Pachtschilling wieder selber zuschlägt (I., 5). Noch klüger ist sein Kollege zu Grimmen (II. 2), wenn er, um ein glänzendes Beispiel seiner Unparteilichkeit zu geben, nicht nur die angeklagten Bürger, sondern auch sich selber wegen der am Sonntag vorgenommenen Ernte in die gesetzliche Strafe verurteilt; was freilich ihm nicht den geringsten Schaden bringt, denn die Strafen fließen alle in seinen Säckel, bilden alle miteinander einen Teil seines Einkommens. Nur der Bürgermeister von Trippnitz musste sich verrechnen (II., 58), als er lüstern nach Demagogen, durch den blutgierigen „Kneifer"*) einen Jüngling aufgreifen und ihm gewaltsam den Vollbart abscheren ließ, worauf der Geschorene sich als ein — unschuldiger Probenritter entpuppte.

*) Polizeidiener.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Fritz Reuters Dichtungen - Läuschen un Rimels