Studentenzeit, Untersuchungshaft, Verurteilung

Schon nach Verlauf eines halben Jahres wandte er sich nach Jena (Ostern 1832), wo er ein Jahr verblieb. Mit dem Jus wollte es hier noch schlechter gehen, wieder trieb er Mathematik und Zeichnen, vornämlich aber beschäftigten ihn die Angelegenheiten der Burschenschaft, deren eifriges Mitglied er wurde.

Bekanntlich hatte sich die Jenenser Burschenschaft im Jahre 1830 in zwei Fraktionen geteilt, in die „Germania" und „Arminia", von denen letztere der Zahl nach die bei Weitem stärkere war und einen spezifisch wissenschaftlichen Zweck betonte, während die Germanen in erster Reihe eine politische Tendenz verfolgten, „die Herbeiführung eines freien und einigen Lebens in Deutschland“. Beide Fraktionen hatten sich gegenseitig in Verruf erklärt, verfolgten sich mit Schimpf- und Schmähworten, und zwischen beiden fanden nicht selten blutige Prügeleien statt.


Fritz Reuter trat in die „Germania", welche in Folge der Zeitereignisse gerade damals eine stürmische Tätigkeit entwickelte. Man beschickte das Hambacher Fest (27. Mai), feierte die Gedächtnistage der französischen Juli-Revolution und des polnischen Ausstandes, vor Allem lieferte man den Arminen, deren „Halbheit" man nicht genug verachten konnte, und die man spottweise „Schwanenritter" nannte, wiederholt förmliche Schlachten, und die Debatten und Trinkgelage nahmen kein Ende. Unter diesen exaltierten Jünglingen war eine der fragwürdigsten Gestalten — Fritz Reuter, schon in Tracht und Haltung, noch mehr aber beim Reden und Trinken. „Ein magerer, lang aufgeschossener Bursche mit langem Halse, bedeckt mit einer schwarz-rot-gold verbrämten Mütze; in der Hand trug er einen Ziegenhainer und hatte in seinem Wesen etwas Antediluvianisches, jetzt Untergegangenes." — So schildert er sich später einmal selber.

In Folge wiederholter Exzesse, die immer besorgniserregender wurden, rückte endlich am 23. Januar 1833 ein starkes Militärkommando in Jena ein, worauf zahlreiche Verhaftungen und Ausweisungen stattfanden. Schon beim Bekanntwerden der Stuttgarter Beschlüsse hatte es die „Germania" für ratsam gehalten, sich aufzulösen; und kurz vor Ostern verließ Fritz Reuter die Stadt und kehrte einstweilen nach Hause zurück. Gerade zu rechter Zeit; denn bald nach seinem Abgange wurden in Jena scharfe Untersuchungen wegen des studentischen Verbindungswesens vorgenommen.

Die nun folgenden Maßnahmen sind bekannt. Das unselige Frankfurter Attentat (am 3. April 1833), an welchem auch einige ehemalige Jenenser Germanen mit den Waffen in der Hand teilnahmen, ließ die „Partei der Ordnung" die große Demagogenhatz in Szene setzen. Neben der Zentralbehörde zu Frankfurt a. M. bildeten sich in den verschiedenen Bundesländern noch Spezial-Untersuchungskommissionen, und die Verhaftungen erfolgten aller Orten massenweise, vorzugsweise aus der Zahl der ehemaligen Burschenschafter.

Hätte Fritz Reuter ruhig in seinem engeren Vaterlande verweilt, wäre er wahrscheinlich gänzlich unbehelligt geblieben, schlimmstenfalls mit einer kurzen Haft davongekommen. So aber ließ er sich's einfallen, Mecklenburg zu verlassen und geradeswegs in die Höhle des Tigers zu laufen. Im November 1833 kam er nach Berlin und verweilte hier frei und offen mehrere Tage, trotz verschiedener Warnungen, die er in jugendlichem Übermut und studentischer Renommisterei verachtete, denn er pochte auf seine Eigenschaft als Ausländer. Also wurde er verhaftet und saß ein volles Jahr in Untersuchung, bis Neujahr 1834 auf der Stadtvoigtei, und dann bis zum 15. November 1834 in der Hausvoigtei.

Die Untersuchung führte der berüchtigte Kriminalrat Dambach, ein geriebener aalglatter Inquirent, der die Unkenntnis und Eitelkeit der Angeklagten schlau benutzend, gar Manches aus ihnen heraus zu verhören, sogar ihr Vertrauen zu gewinnen und sie dadurch zu einem offenen umfassenden Bekenntnis zu bringen wusste. Zu bekennen war allerdings weiter nichts, als dass die Jünglinge Mitglieder der Jenenser „Germania" gewesen, oder — wie Fritz Reuter sich ausdrückt — „am hellen lichten Tage in den deutschen Farben umhergegangen"; und weil Das eben nicht recht genügte, mussten sie dem Herrn Kriminalrat gestehen nicht nur, was sie getan, sondern auch gedacht und gefühlt hätten. Dafür regalierte er sie mit Trostworten und Komplimenten. „Lassen Sie sich immerhin auf die Festung abführen“, sagte er zu Fritz Reuter, „Sie müssen entschieden an Ihr Vaterland ausgeliefert werden." Und zu einem Anderen: Er wäre „ein philosophischer Kopf, er könne das Objekt der Untersuchung in seiner ganzen Totalität umfassen und übersehen." Das wirkte. Der Gimpel gestand nicht bloß von sich selber Alles, was der Herr Kriminalrat wissen wollte, sondern er fing auch an zu denunzieren und seine ehemaligen Couleurbrüder zu verraten, nämlich solche, welche die Regierung als Mitglieder der „Germania" noch nicht entdeckt hatte, und die bereits in Amt und Brot, mit Weib und Kind dasaßen.

Und was der Inquirent dann noch zu wünschen übrig ließ, vollbrachte der Referent, Herr von Tschoppe. Er referierte und judizierte, bis er den „Conat des Hochverrats" glücklich zu Stande gebracht hatte. Freilich wurde Herr von Tschoppe hinterher wahnsinnig und starb auch im Wahnsinn, aber der von ihm erfundene „Conat des Hochverrats" blieb doch in Kraft und Geltung.

Die Angeklagten durften sich ihren Verteidiger nicht wählen, sondern dieser wurde ihnen von Amtswegen zugeordnet. Auch der Anwalt Reuters versprach dem Jüngling wiederholt, er müsse an Mecklenburg ausgeliefert werden, und dafür wolle er, der Verteidiger, schon sorgen; aber hinterher vergaß er seines Versprechens und beantwortete nicht einmal die Briefe, die sein Klient dieserhalb an ihn richtete.

Die Untersuchungshaft war eine harte. Fritz Reuter saß in einer Zelle, die außer einem Strohsack nichts enthielt und nur oben ein Stückchen Himmel, etwa zwei Hände breit, hereinfallen ließ. Der Gefangene war glücklich, als es ihm endlich gelang, einen alten Blechlöffel zu erhaschen, den er zu einem Messer schärfte, um damit sein Brot zu schneiden. Mit demselben Messer schnitt er aus der Diele einen Kienspan, der ihm als Feder diente, und brannte sich eine Art Tusche aus den Schalen einiger Wallnüsse, die er zu Weihnachten erhalten. So hatte er Schreibzeug. Er wollte keine neue Staatsverschwörung anzetteln, nicht einmal einen Fluchtversuch vorbereiten. Ach nein! Er dachte nur seinem Herzen, das vor Angst und Sehnsucht zu springen drohte, in ein paar unschuldigen Versen Luft zu machen. — „Die Tochter Jephtha’s" von Byron, die er aus dem Gedächtnis niederschrieb, bewahrt er noch heute als Angedenken. Byron war damals sein Mann.

Endlich erfolgte das Erkenntnis des Berliner Kammergerichts, an dessen Spitze Herr von Kleist stand. Von den 204 Inquisiten wurden 39 zur Todesstrafe verurteilt. Darunter befand sich auch Fritz Reuter. — Das Erkenntnis erfolgte ohne Entscheidungsgründe; diese sollten nachgeliefert werden, sind aber bis dato ausgeblieben.

Wieder riet Herr Dambach, doch ja nicht zu appellieren — das verschleppe nur die Sache — sondern Alles getrost der Gnade des Königs zu überlassen; und wieder gingen die armen Jünglinge in die Falle. Die königliche Gnade blieb wirklich nicht aus. Friedrich Wilhelm der Gerechte veränderte, „kraft oberrichtlicher Gewalt" das Urteil; er schenkte den Hochverrätern das Leben und — dreißig Jahre Festung dazu. Vier, über welche die geschärfte Todesstrafe ausgesprochen, wurden mit lebenswieriger Haft belegt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Fritz Reuter und seine Dichtungen - Fritz Reuter
Rostock, Rathaus

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