Treptow (1850—1856)

„Un as wi an’t Land kemen, treckte ik den Schaulmeister sinen Rock an, un was hei ok eng, so höll mi doch Wind un Weder von’n Liw, un wenn ik ok Johrelang de Stun’n zau twei Gröschen gewen müsst, heww ik mi in em doch gaud genauh gefollen: und hadd ik för den Herren Paster ok kein Schriweri tau besorgen, denn schrew ik des Abends „Läuschen und Rimels, un dat würd min Tüftenland, un uns’ Herrgott hett doräwer jo sine Sünn schinen laten un Dau un Regen nich wehrt – un de dummsten Lüd’ bugen de meisten Tüften.“
„Ut mine Festungstid.“ Schluss

Nach Treptow überzusiedeln war Fritz Reuter einmal durch seinen Freund Peters und andererseits durch den dort ansässigen (jetzt schon verstorbenen) Justizrat Schröder bewogen worden, welch letzterer als intimer Freund der Peters’schen Familie häufig in Thalberg verkehrte. Da beide Männer sich eines großen Bekanntenkreises in dem damals ungefähr 3.852 Einwohner zählenden Städtchen an der Tollense erfreuten und viel in demselben galten, so konnten sie unserm Fritz in Treptow günstige Aussichten für seinen Privatunterricht eröffnen, und auf ihre Empfehlung bauend, hielt denn der Privatlehrer Reuter im Frühjahr 1850 seinen Einzug in den nicht gerade ansehnlichen Ort. Er sollte es nicht bereuen, denn er fand hier seinen ausreichenden, wenn auch bescheidenen, Lebensunterhalt und in dem unausgesetzten Verkehr mit seinem Freunde Peters und dem Justizrat Schröder vollen Ersatz für die äußeren Annehmlichkeiten, welche ihm sein neuer Aufenthaltsort nun einmal nicht zu bieten vermochte. Der Justizrat Schröder, eine behäbige Figur mit „glattrasiertem, breitem, weinfrohem Gesichte", war ein beliebter Gesellschafter, ausgestattet mit der liebenswürdigsten Gemütlichkeit und einer unverwüstlichen Laune, und konnte dabei auch für eine Art Original gelten. So erzählte man sich in Treptow, dass er, wenn er irgend einen Besuch erwartete, in der Zerstreutheit zuweilen selbst an seine Tür klopfte, um dann ein kräftiges „Herein!" ertönen zu lassen. *) Diesem originellen, immer mobilen Freunde, welchem der Dichter später den zweiten Teil der „Läuschen un Rimels" „zur Kräftigung seiner gemütlichen Laune“ dedizierte, verdankte Reuter manche Anregung zur humoristischen Schriftstellertätigkeit. Letztere — die Schriftstellerei — blieb ungeachtet mannigfacher Anlässe vorerst noch Nebenbeschäftigung, die Hauptsache war der Unterricht, welcher fast den ganzen Tag in Anspruch nahm. Reuter erteilte Privatstunden an Knaben und Mädchen in allen Unterrichtsfächern, namentlich auch im Zeichnen, und zwar, wenn wir den eigenen Berichten des Dichters trauen dürfen, gegen ein sehr niedriges Honorar. **) Nachdem unser Freund in seiner neuen Stellung festen Boden in Treptow gewonnen, verheiratete er sich im Sommer 1851 mit seinem geliebten „Lowising". Welch ein glückliches Leben begann jetzt für den Dichter! Überall stand ihm Frau Luise liebevoll zur Seite, eine treue Gefährtin in Lust und Schmerz. Es war in der Tat eine „wunderschöne Zeit", welche mit dem Einzuge dieses guten Geistes für ihn anbrach. Der gesellige Kreis, welchem Fritz bisher mit soviel Freude angehört hatte, schrumpfte nicht etwa, wie es wohl bei anderen Ehen zu geschehen pflegt, plötzlich zusammen, nein, er erweiterte sich noch, seitdem demselben in Luise'n ein neues, liebenswürdiges, geistvolles Mitglied zugeführt war. ***) Es war wirklich ein glückliches, gemütliches Leben, das hier dem Dichter trotz seiner in materieller Beziehung keineswegs glänzenden Lage beschieden war. Denn alle Bedenken, welche sich für manchen anderen an letztere geknüpft hätten, schwanden hier dahin bei dem praktischen Verstande, welchen Frau Reuter neben dem hochentwickelten Sinne für alles Gute und Schöne entfaltete. ****)


*) Ich folge bei diesen Notizen über Schröder den Angaben des Herrn Dr. Otto Piper im „Daheim“ Jahrg. 1874. Nr. 47.
**) Vgl. „Ut mine Festungstid“ Schluss, wo Reuter ausdrücklich sagt, dass er die Stunde „tau twei Gröschen" (2 ½ , Silbergroschen) geben musste.
***) Vor Allem wurde auch jetzt noch der Verkehr mit der Peters'schen Familie in dem nur ca. ¼ Meile von der am Ausgange der Stadt gelegenen Reuterschen Wohnung entfernten Thalberg fortgesetzt. Reuter und Frau waren dort, so lange die Jahreszeit Fußtouren dahin irgend zuließ, fast regelmäßige Abendgäste.
****) Dass Frau Reuter nicht gleich anfangs allen Funktionen einer Hausfrau glänzend gerecht wurde, beweist die den Lesern der Gartenlaube (1874, Nr. 40) wohlbekannte ergötzliche Geschichte von dem ersten Mittagessen im Reuter’schen Hause, bei welchem die intendierten Fricandellen die Gestalt eines Pfannkuchens annahmen. Bald jedoch wurde Luise Reuter auch in dieser Richtung eine perfekte Hausfrau.

In den freien Stunden aber, welche ihm seine Lehrtätigkeit und der freundschaftliche Umgang ließen, legte Reuter sich jetzt ernstlich auf das dichterische Schaffen und suchte wahr zu machen, was er „Wising' einst bei seiner Werbung in Aussicht gestellt, dass er nämlich „ja auch mal ein Buch schreiben könne“. Er begann die während seiner „Stromtid“ selbst erlebten oder von anderen berichteten Anekdoten, die er
schon so oft in munteren Freundeskreisen unter allgemeiner Heiterkeit vorgetragen, zu Papier zu bringen und zwar in poetischer Form. Den neu geschaffenen fügte er die schon früher, als Landmann aufgezeichneten hinzu, häufig aber in nicht unwesentlich veränderter Gestalt, und so entstand der erste Teil von „Läuschen un Rimels".*) Eine reizende Schilderung von dem allmählichen Entstehen dieser Sammlung launiger Gedichte hat uns Frau Luise Reuter **) gegeben. Nach ihrem Berichte fiel die erste Entscheidung über den Wert eines eben vollendeten „Läuschens" ihr zu, und behagte es ihr, lobte sie namentlich den pointierten Schluss desselben, so rieb sich Reuter vor Vergnügen die Hände und sprang wie ein Kind im Zimmer herum. Am nächsten Sonntage wurde dann das Poem dem Thalberger Freundeskreise zur Begutachtung vorgelegt und, bestand es auch diese Prüfung, in die Sammlung aufgenommen, jene zum Druck bestimmte Sammlung, deren dereinstiges Erscheinen im Voraus schon Frau Luise mit Bangigkeit erfüllte, fürchtete sie doch ihren, als Schriftsteller noch völlig unbekannten Mann sofort beim Eintritt in die literarische Arena von dem unbarmherzigen Zähne blutgieriger Rezensenten auf das Schrecklichste „zerfleischt" zu sehen.

*) Bekannte aus Reuters „Stromtid“ erinnern sich noch sehr wohl, wie er ihnen häufig allerlei versifizierte Anekdoten zum Besten gab, und mit einem dieser „Läuschen und Rimels" trat er ja auch schon — vergl. die Anmerkung auf S 208, — an die Öffentlichkeit.
**) Vgl. den schon auf S. 215. erwähnten Aufsatz (von Friedrich Friedrich) in der „Gartenlaube": Fritz Reuters „Louising“, für welchen Frau Reuter selbst die Notizen über den Anfang der Schriftstellertätigkeit ihres Mannes geliefert.

Aber Fritz verscheuchte diese Sorgen: „J, mein Wising, besser 'ne schlechte Rezension, als gar keine. Darum quäle Dich jetzt nur noch nicht“ — Das Buch war vollendet; aber nun trat jene große und schwere Frage an den jungen Autor von mehr denn 40 Jahren heran: „Wer wird das Buch verlegen?" Fritz Reuter wandte sich hierhin und dorthin, u. a. auch an den Buchhändler Dietze in Anklam, der sich aber gleich einem ebenfalls deshalb „begrüßten" Neubrandenburger Buchhändler nur zu einem Kommissionsverlage herbeilassen wollte. Da fasste der Dichter schnell einen kühnen Entschluss, er erklärte, das Buch im Selbstverlag herausgeben zu wollen. Justizrat Schröder lieh die zweihundert Thaler für die Druckkosten und nun begann in Neubrandenburg die typographische Herstellung. Und als dann im November 1853 die 1.200 Exemplare — so stark hatte der courageuse Dichter sofort die Auflage bestellt — in Treptow eingingen, welch ein verändertes Ansehen gewann da plötzlich die Wohnung des Privatlehrers Reuter! Die Schulstube ward zur Verlagsbuchhandlung, und die Hand, welche gestern noch Exerzitien korrigiert oder Wirtschaftsgelder gebucht, schrieb jetzt Fakturen und Begleitbriefe. Bestellungen waren freilich auf die zuvorige Anfrage des „Verlegers" genug eingegangen, aber immer nur auf wenige Exemplare und meistens auch nur zur Ansicht, und so mochte denn Frau Luise Reuter recht bange ums Herz werden, wenn sie, auf dem großen Zeichentisch ihres Mannes die Pakete schließend, hinunterblickte auf die Berge der zu ihren Füßen liegenden, noch unverlangten Bücher. Und nun erst die „Krebse"! Was sollte aus ihnen werden, wie wollte man sie vor den Augen der boshaften Welt verbergen? Reuters „Lowising" entwarf auch für diese traurige Eventualität bereits ihren Plan: ein kleines Verließ neben der Küche sollte die bösen „Krebse" in sich aufnehmen „für alle Ewigkeit". Endlich war die Packerei beendigt, und die Bücher zogen fröhlich in die Welt hinaus. Groß war allerdings noch der zurückbleibende Vorrat, aber das konnte den unternehmenden Dichter noch nicht mutlos machen, er erklärte mit einer Kühnheit, welche die Gattin in größtes Erstaunen versetzte: „Den Rest der Exemplare gebe ich später als zweite Auflage heraus." Fritz Reuter brauchte nicht zu diesem Manöver zu greifen. Das Buch fand lebhaften Anklang, Nachbestellung auf Nachbestellung erfolgte, und als nun gar die Kuhn'sche Universitätsbuchhandlung in Rostock 300 Exemplare auf einmal verlangte, da war die erste Auflage im Nu vergriffen, und schon 6 Wochen nach dem Erscheinen musste der Druck der zweiten, der wirklich zweiten, beginnen, welche der Verfasser wiederum selbst verlegte. — Das war der glückverheißende Anfang von Reuters Schriftstellerlaufbahn. Die „Läuschen un Rimels" — so bezeichnet der Plattdeutsche unser hochdeutsches „Gereimte Schnurren", die Übersetzung „Schnurren und Reimereien" ist nicht zutreffend — hatten Reuter aufs Beste eingeführt und ihn schnell, zunächst freilich nur bei seinen mecklenburgischen Landsleuten und deren nächsten Nachbaren, den Vorpommern, zu einem beliebten Schriftsteller gemacht. Und worauf beruhte nun der überraschende Erfolg dieses Erstlingswerkes? — „Meine Gedichte sind nicht wie vornehmer Leute Kinder, mit kleinen Ohren und aristokratischen Händen, geschnürter Taille und zartem Teint in die Welt gesendet worden, die allenthalben rücksichtsvolle Aufnahme finden und sich dafür mit gesetzten, zierlichen Worten bedanken. Nein! sie sind oder sollen sein eine Kongregation kleiner Straßenjungen, die in „roher Gesundheit" lustig über einander purzeln, unbekümmert um ästhetische Situationen, die fröhlichen Angesichts unter Flachshaaren hervorlachen und sich zuweilen mit der Torheit der Welt einen Scherz erlauben. Der Schauplatz ihrer Lust ist nicht das gebohnte Parquet fürstlicher Salons; nicht der farbenglänzende Teppich zierlicher Boudoirs; ihre Welt ist der offene Markt, die staubige Heerstraße des Lebens, dort treiben sie sich umher, jagen und haschen sich, treten ernst umherstolzierenden Leuten auf die Zehen, rufen dem heimwärtsziehenden Bauern ein Scherzwort zu, verspotten den Büttel, ziehen dem Herrn Amtmann ein schiefes Maul und vergessen die Mütze vor dem Herrn Pastor zu ziehen." Mit diesen Worten führt Fritz Reuter seine Gedichte beim Publikum ein und fügt noch einen direkten Hinweis auf die Unbedeutendheit des Stoffes, die Mangelhaftigkeit der Form und die Unbeholfenheit der Sprache hinzu, um derentwillen die Gedichte der Nachsicht dringend bedürftig seien. Diese Ankündigung entsprang der Bescheidenheit des Dichters, und eben darum dürfen wir ihr auch nicht blindlings vertrauen. In der Tat sind Reuters „Läuschen un Rimels“ mehr als ihr Vater auf dem Titel und in der Vorrede verspricht, mehr aber auch als manche, sonst wohlwollende Kritiker meinen, wenn sie diese Gedichte einfach in das Langbein'sche Genre verweisen. Nehmen wir das Letzte zuerst! Die poetischen Erzählungen Langbeins sind, wie die Reuter'schen, Verifizierungen von bekannten und weniger bekannten Anekdoten; insofern sind sich beide Dichter gleich. Der Unterschied aber liegt darin: die Langbein'schen Geschichten können sich überall zugetragen haben, so allgemein sind sie gehalten, Reuters „Läuschen" dagegen, auch die von außerhalb Mecklenburgs überkommenen, teilweise schon in der poetischen Einkleidung Anderer bekannten, zeigen alle ein so echt niederdeutsches, speziell mecklenburg-vorpommersches Kolorit, dass man glaubt, sie seien mit der Heimat dieses Volksstammes eng verwachsen. Langbeins poetische Erzählungen sind eben weiter nichts als poetische Erzählungen, Reuters „Läuschen" dagegen gleichzeitig norddeutsche Kulturskizzen und können als Vorstudien für jene herrlichen Gemälde gelten, welche uns der Dichter in seinen späteren Werken von dem mecklenburgischen Volksleben geliefert hat. Und auch in der Form, meine ich, zeigt sich doch eine große Verschiedenheit bei beiden Dichtern. Von dem Vorwurfe der Langatmigkeit können wir zwar auch Reuter nicht immer freisprechen, aber wo finden wir bei Langbein die so feine, ihre Wirkung nie verfehlende Pointierung des Schlusses?
Mit dieser Darlegung seines Verhältnisses zu Langbein ist, glaube ich, gleichzeitig nachgewiesen, inwiefern Reuter mehr leistete, als der Titel seines Erstlingswerkes besagte und er selbst in Aussicht gestellt hatte.

Der überraschend günstige Erfolg des Werkes bei dem großen Publikum in der nächsten Umgebung Reuters, in Mecklenburg und in Vorpommern, beruhte jedoch nicht auf diesen, ihn vor Dichtern wie Langbein vorteilhaft auszeichnenden Eigenschaften der Darstellung, welche von vornherein doch wohl nur von den ästhetisch Gebildeteren zugleich mit den großen Schwächen und Mängeln dieser Dichtungen erkannt wurden, nein, er basierte vorzugsweise auf den direkt dem realen Volksleben entnommenen Stoffen, die den meisten der „Läuschen" zu Grunde lagen. Die und die Anekdote hatte der Eine selbst erlebt, während ein Anderer jene spaßhafte Geschichte von der und der allbekannten Persönlichkeit oft gehört hatte, und diese ergötzlichen Schnurren fand man nun hier in Versen gut wiedererzählt. Das Buch musste ja Anklang finden und der Verfasser desselben, welcher alle diese Geschichten „zu wissen gekriegt" und witzig wiederzugeben wusste, ein „verteufelter Kerl" sein. Wer in Mecklenburg kannte z. B. damals nicht den Rektor Reinhard, dessen drollige Impromptus im ganzen Lande verbreitet waren, wer in Rostock nicht den aus dem Engadin stammenden Konditor Gaspari — „den ollen Kasprati", wie Reuter ihn nennt, — der es während der langen Zeit seines Aufenthaltes in Deutschland nur zu einem ergötzlichen Radebrechen in der Sprache dieses Landes gebracht, gleichzeitig aber seine Muttersprache so vollständig verlernt hatte, dass er einen Brief aus der Heimat nicht mehr zu lesen vermochte? Und von diesen und vielen anderen allgemein bekannten Persönlichkeiten erzählte Reuter in seinen „Läuschen un Rimels" die spaßhaftesten Geschichten und zwar in der ansprechendsten Form. — Was also uns heute, wenn wir diese Reuter'schen Erstlinge vom ästhetischen Standpunkte aus betrachten, was überhaupt dem Nichtmecklenburger bei der auch ihn erheiternden Lektüre dieser „Läuschen" als etwas Nebensächliches erscheint: die realen Helden dieser Anekdoten, war für den ersten Erfolg derselben bei dem großen Publikum der Heimat die Hauptsache.

Ermutigt durch den günstigen Ausfall seines ersten literarischen Debüts gab Reuter bereits im folgenden Jahre (1854) eine Sammlung von schon früher gelegentlich entstandenen Polterabendscherzen unter dem Titel „Julklapp" heraus, die, obwohl wie alle derartigen Erzeugnisse ohne besonderen künstlerischen Werth, doch ein so echt mecklenburgisches Gepräge aufwiesen, dass viele von ihnen ständige Nummern unseres vaterländischen Polterabendrepertoires geworden sind. Diesen kleineren Gedichten folgte noch in demselben Jahre der Anfang der hochkomischen Burleske „De Reis' nah Belligen", welche 1855 vollendet wurde. Dieselbe behandelt in ergötzlichster Weise die abenteuerlichen Erlebnisse zweier mecklenburgischen Bauern, die, dem Zuge der Zeit folgend, ihre Söhne ins Ausland, nach Belgien, bringen wollen, damit diese dort die „Kultur der Welt" und die Landwirtschaft wissenschaftlich kennen lernen. Eine Dichtung voll grotesker Komik, mit welcher die sentimentalen Zutaten der Liebesgeschichte sich durchaus nicht vertragen wollen, während die echtlyrischen Naturschilderungen, die trefflichen Klangmalereien, wie sie z. B. der Anfang und der Schluss des Gedichtes uns bringen, allen Freunden wahrer Poesie willkommen sein müssen. — Unter den
Charakteren, welche mit glücklicher Hand aus dem reichen mecklenburgischen Volksleben gegriffen sind, tritt auch der den Lesern von „Läuschen un Rimels" wohlbekannte Köster Suhr*) mit seinem klassischen „Missingsch" **) wieder auf, und interessiert es vielleicht die Leser der Reuter'schen Dichtungen, dass für diese wirksame Figur ein wirklicher Küster Suhr, der noch lebende Küster Suhr zu Jabel (bei Malchow), wo der Dichter öfter seinen Onkel, den dortigen Pastor Reuter, besticht hatte, in dem ganzen Auftreten wie namentlich auch in der Sprache das Vorbild geliefert hat. ***) „De Reis' nah Belligen" erregte noch größeres Aufsehen in Mecklenburg als die „Läuschen un Rimels", und der ihr gezollte, volltönende Beifall galt jetzt nicht nur wie bei jenen ersten Versuchen in erster Linie dem Stoffe, als vielmehr der wahrhaft dichterischen Behandlung desselben.

*) Die verschiedene Schreibart des Namens in den ersten Auflagen der beiden Dichtungen: „Sur" und „Suhr“, in welcher Glagau eine vom Dichter beabsichtigte Unterscheidung der beiden Figuren erblicken wollen scheint, beruht wohl auf einem Druck- oder Schreibfehler. In den neueren Auflagen beider Werke wenigstens wird der Name immer mit einem h, geschrieben
**) Missingsch' ist nicht, wie Hermann Grieben in der „Kölnischen Zeitung“ meinte, auf „Meißensch“ zurückzuführen, „weil in Meißen angeblich „das beste Deutsch" gesprochen wird“, man bezeichnet vielmehr mit diesem Ausdrucke eine Sprache, die wie das Messing aus Kupfer und Zink, aus Hoch- und Plattdeutsch gemischt ist.
***) Der Dr. Grischow, welchem Reuter „De Reis nah Belligen“ dediziert hat, ist der auf S. 30. erwähnte Apotheker und Chemiker in Stavenhagen, ein vertrauter Freund des Bürgermeisters Reuter während der letzten Lebensjahre desselben.

Die Beliebtheit, welche Reuter in kürzester Frist bei seinen Landsleuten als Erzähler gewonnen, ließ ihn auf die Idee kommen, von 1855 ein „Unterhaltungsblatt für beide Mecklenburg und Pommern" herauszugeben. Das Blatt, welches in Neubrandenburg verlegt*) und gedruckt wurde, erschien wöchentlich einmal (Sonntags) in einem Bogen Klein-Folio, und trägt die erste Nummer das Datum des ersten April. Über das Programm des Unternehmens heißt es in ihr:

*) Von der C. Lingnau'schen Verlagsbuchhandlung.

„Der Zweck des Blattes würde Unterhaltung sein, wie der Titel es anzeigt, und zwar Unterhaltung, die sich durchaus fern von politischen und religiösen Fragen hält, die jeden Angriff auf Personen, der über den Scherz hinausgeht und mehr den Träger, als die etwaige Lächerlichkeit der Sache trifft, aus ihrem Kreise verbannt, und als Hintergrund, soviel als möglich, lokale Verhältnisse benutzt. Das Letztere ist eine schwierige Aufgabe, für Wenige unerreichbar, und deswegen wenden wir uns an bekannte Freunde und freundliche Unbekannte mit der Bitte um rege aktive Teilnahme an unserem Unternehmen und versprechen von vorn herein, jede Gabe, sei dieselbe in Gestalt einer Novelle, einer Erzählung, eines Gedichtes, eines Schwanks Hochdeutsch oder plattdeutsch), einer Anekdote, eines Rätsels etc., oder eines lokalen Berichts, einer Neuigkeit geboten, mit dem herzlichsten Danke in Empfang zu nehmen und zu benutzen, sofern dieselbe sich nur von den eben angedeuteten Beziehungen fern hält. Wissenschaftliches soll nur dann von uns geboten werden, wenn es entschieden begründet, von allgemeinem Interesse und leicht fasslich ist."

Diesem Programm suchte Fritz Reuter nach besten Kräften gerecht zu werden. Da es ihm hierbei aber an der ausreichenden Unterstützung, welche von vornherein als Faktor ins Auge gefasst war, fehlte, so sah er sich hinsichtlich der größeren Artikel fast ausschließlich auf seine eigene Feder angewiesen, und einer ganzen Reihe von Skizzen und Gedichten hat er in jener Zeit das Leben geschenkt. So enthalten die Nummern 1—8 unter der Rubrik „Skizzen aus alter Zeit" einen Teil der uns aus „Schurr-Murr" bekannten Jugenderinnerungen des Dichters „Meine Vaterstadt Stavenhagen". Am Schlusse des in Nr. 8 abgedruckten Bruchstückes findet sich die Ankündigung: „Fortsetzung folgt." Letztere ist jedoch unterblieben und so haben denn die erwähnten Memoiren im „Unterhaltungsblatte" nur etwa bis zu S. 55. in „Schurr-Murr" einen Platz erhalten. In der Nr. 11 und 12 lesen wir die gleichfalls in „Schurr-Murr" aufgenommene hypersentimentale Geschichte von „Haunefiken" und in Nr. 13 ff. die schon auf S. 171. erwähnte „heitere Episode aus trauriger Zeit", welche in hochdeutscher Sprache und lange nicht mit dem köstlichen Humor wie in „Ut mine Festungstid" die Graudenzer Haftzeit des Dichters behandelt. Dann aber begegnen wir hier einer großen Anzahl der später als zweiter Band herausgegebenen „Läuschen un Rimels", so in Nr. 1 „De Börgers bi Regenwere" (Nr. 4 der „Läuschen un Rimels"), dem in Nr. 2 das Gegenstück „De Buuren bi Regenwere" (Nr. 5) folgt, weiter in Nr. 3 „Dat wir bald wat worr'n" (Nr. 6), in Nr. 4 „Dat kümmt mal anners!" (Nr. 27), in Nr. 5 „De Kalwebrahr" (Nr. 28) u. ff. Es sind hier im Ganzen 15 Gedichte aus dem zweiten Bande von „Läuschen und Rimels" abgedruckt, welche, von Abweichungen in der bei Reuter eigentlich nie recht feststehenden Schreibart abgesehen, in beiden Ausgaben völlig übereinstimmen. Nur bei einem, dem in Nr. 26. veröffentlichten „Oog um Oog“ hat Reuter später einem anderen Titel, dem charakteristischeren „Täuw, Di will ik betahlen!" den Vorzug gegeben, bei den übrigen ist auch der Titel hier wie dort der gleiche. Endlich erscheint auch in diesem Unterhaltungsblatte bereits Reuters unübertrefflicher „immeritirte Entspektor Bräsig", wohnhaft zu Haunerwiem. Er korrespondiert mit dem Redakteur des Unterhaltungsblattes und sein erster Brief knüpft an eine ihm zugegangene Aufforderung zur Mitarbeiterschaft durch Einsendung von Notizen u. dgl. an. Der Brief lautet:

„Lieber Herr Gönner!
Also so ans! Wo kömmt dieser Hund in die Koppel! na nun kömmt's anders, als mit der seel. Frau! — Ich komme als ein Berichterstatter — als Sie mir beehren — aus der Begüterung? — das nehm mich keiner übel, das is so spaßig, als Sie als Redaktöhr. Wissen Sie woll noch als wir mit Oerche Blanken, der nachher ins Faulenrosser Mühlenschütt sich versoff, die Kraunen von den frischen Erbsschlag jagten? Un nu doch! Was aus en Menschen all werden kann, un oll Mutte Schultsch ihr Arm würd ümmer dicker! — Na, ich segg! —

Ihren lieben Brief habe ich den Donnerstag vor seben Wochen richtig gekrigt und war nicht ohne für mir, was die Anerkennung von Beobachtung betrefft. Ich würde mich noch mehr auf die Beobachtung legen; abersten die Gicht! Und denn auch weil mich Bollen seine ßakermentschen Jungen die Brille entzwei gemacht haben, worum ich auch nu erst schreibe. Gott bewahr mir in allen Gnaden vor liebe Kinder un vor Allen vor die Art.

Sie schreiben da von Ihre Unterhaltungsgeschichten; es is möglich, aber Jeder auf seine Art! Ich bin jetzt bei unsen Herrn Pasturen seine Staatskalender. Diesen lieben langen Winter hab ich sie durchgelesen von die Jahren 1813—17, wo ich noch bei bin, un was mir sehr pläsirlich ist. schreiben Sie doch auch mal eins so'n Staatskalender! Sie können ja falsche Namen schreiben

Aber nu auf Ihre briefliche Vorkommenheiten! Ja, Gott sei Dank bei uns passiert noch ümmer was, aber was jetzund grnde passiert, das is eigentlich schon lange passiert, denn nu is Dodsgeruch, un wer was von sich ausgehn lässt, ist nur ein Untergebener, denn die hohen Herrschaften sünd nich hier. Jedennoch wäre es möglich, dass vor Sie das Beiliegende eine Unkenntnis wäre und dass Sie es in Benutzung nehmen könnten also derowegen scheniren Sie sich gefälligst gar nich; mir kann kein Deuwel was, denn die fünf dausend Torf, die ich extra krieg, hab' ich meindag nicht gekrigt, weil dass der neue Inspektor sie immer erst um Martini will anfahren lassen und dass sie denn zu Morr sünd. Un das Andere können sie mich nich nehmen, weil dass ich die Papieren drüber Hab'; in diesen Hinsichten bün ich ein Freiherr.
Schlechte Witzen machen Sie aber nicht darüber, denn wozu? Haben Sie schon geangelt? Es passabelt schon! Ein Boars von 3 Pfund alsgestern.
Bleiben Sie in guter Gesundnis und wünsche Ihnen ein länger Leben, als Ihre Unterhaltungsgeschichte. Leben Sie wohl
Ihr
wohnhaft zu bis in den Tod
Haunerwiem bei getreuer Bräsig
Clas Hahnenurt den 7. Mai 1855. immerirter Inspektor.

*) Reuter lässt seinen Bräsig diesem Briefe ein „Kleines Festprogramm also gedacht für die Tage der Hochzeit unserer lieben Tochter" beilegen, welches stark an das Programm des hochgräflichen Geburtstages erinnert und zum Abdruck kommt, weil „dergleichen Festanordnungen einen belehrenden Blick in die Sittengeschichte unseres Jahrhunderts gestatten“.

Diesem ersten Briefe folgt noch eine Reihe von Korrespondenzen, eine immer erwecklicher zu lesen als die andere, so dass ihr Wiedererscheinen in dem „Nachlass" durchaus zu billigen ist, wenn sie auch nicht gerade das sind, was man gewöhnlich unter Nachlass versteht. Auch die in den ersten Ankündigungen dieses Nachlasses gleichfalls in Aussicht gestellten „Memoiren eines alten Fliegenschimmels in Briefen an seinen Urenkel, den großherzoglich mecklenburg-schwerinschen Gestütshengst Red Robin, Doberansky, Güstrowsky, Fuchs, Vollblut und Premier des Vollblutamtes zu Redefin, Inhaber eines Sterns" sind in diesem Blatte zuerst abgedruckt. Außer diesen größeren Beiträgen hat Reuter aber noch eine Menge kleiner Anekdoten, namentlich ländliche Geschichten, für sein Unternehmen geliefert, die alle höchst spaßhaft und gut erzählt sind. Einzelne von ihnen hat der Dichter später anderweitig von Neuem verwendet. So lesen wir in Nr. 1: „Jehann Jochen Rehfaut un Corl Ganschow führten Buuholt in 'n Winter un 't was 'n gruglichen Schneidräwel un Corl Ganschow frög: „Jehann Jochen will wi?" — „Man tau", sähr Jehann Jochen; un sei güngen in den Bremsenkraug 'rin un doa seeten sei un däueten sich en bäten achtern Kachelaben up. As sei nu so seeten, kehmen twei Franzosen 'rinne, denn dat was in dei Franzosentid. Un dei ein, dat was so 'n ollen Scherschant un dei leit twei Schluck inschenken, un as hei den einen utdrünk, dunn sähr hei: „A wuh!" un dei anne, de drünk den annern ut un sähr: „Serwetöhr!" dunn güngen sei. As sei 'rut wieren, sähr Corl Ganschow: „Jehann Jochen, will'n ok mal so." „Jewoll", seggt Jehann Jochen, un de Wirt schenkt ehr twei Schluck in. Corl Ganschow nimmt den einen un seggt: „Na nu!" — „Sett 'n vör 'e Dör!" seggt Jehann Jochen." — Man vergleiche hiermit „Ut de Franzosentid" Kap. 1*): „Na, während deß nu also de Uhrkenmaker sik de Stifeletten anknöpt un de Borenmütz upset't, satt Möller Voß mit den Franzosen tausam un let sik dat in den Herrn Amtshauptmann sinen Rothwin sur warden, un de Franzos' stödd mit den Möller an un säd: „A Wuh!" un de Möller namm denn sin Glas, drünk un säd: „Na nu!“ un denn stödd de Möller wedder mit den Franzosen an, un de Franzos' bedankte sik un säd: „Serwitör!" un de Möller drünk denn ok un säd: „Sett en vör de Dör!"" un so redten sei sranzösch mit enanner un drunken.“ Aber auch von Mitarbeitern eingesandte Schnurren verwendet der Dichter später für sich. So enthält Nr. 18 des „Unterhaltungsblattes" ein kleines, M. . .ph. *) unterzeichnetes Gedicht „Dat Husmiddel": Eine alte Dame hat Kopfschmerzen und lässt ihren Hausarzt rufen, wendet aber gleichzeitig ein Hausmittel an und hat infolge dessen ihren Kopf mit einem großen weißen Tuche verbunden:

*) 10. Aufl. pag. 50.
**) Dieser Mitarbeiter M. . . ph. war, wie aus einer Notiz des Redaktions-Briefkastens und auch aus der Sprache des obenstehenden Gedichtes hervorgeht, kein Mecklenburger, sondern ein in Greifswald ansässiger Pommer.

„Wat hebb'n Se up den'n Kopp sich legt?"
Verwunnet nu dei Dokter frögt.
Husmiddel! stamet bang de Ollsch,
Ick hew mi Suakrut ruppe legt.
Dei Dokter was uk wat perdolsch
Un geiht herut, indem hei segt:
„Dat helpt allein nich, glöb'n Se mi,
Doa möt ne Bratwurst uk noch bi!"

Diese nicht sonderlich geschickt erzählte Anekdote benutzt nun Reuter in „De swarten Pocken" (Läuschen un Rimels. II. Bd. Nr. 1). Chirurgus Jacob Kalw hat Herrn Holtermann das Gesicht mit der verhängnisvollen schwarzen Salbe eingeschmiert und fragt, da noch etwas neben diesem Medikament angewendet werden muss und ein „Roborantium“ oder „Mitigantium" von der Hausfrau nicht angeschafft werden kann, nach Sauerkraut:

Datt hett sei, ja! — „Denn nemen S't", seggt Jacob,
„Un slagen S ’t in ne rein Salwjett
Un legg'n S't den Kranken up den Kopp,"
Un geiht nu rut und seggt adjü —
„Fik," segt de Fru, „oh, lop em nah!
Ob ok ’ne Bratwust müßt dorbi?" —
Un Fik kümmt t'rügg: „Ja," säd hei, „ja!
Dat künn taum wenigsten nich schaden.“ —

Da der Mitarbeiterkreis dem unglücklichen Redakteur neben kleinen Schwänken fast nur Gedichte und immer wieder Gedichte*) lieferte, auch wohl andere Widerwärtigkeiten hinzukamen, so legte Fritz Reuter trotz der freundlichen Teilnahme, welche sein Unternehmen beim Publikum gefunden, die Redaktion nieder. In der letzten von ihm redigierten Nummer des Blattes d. d. 30. Marz 1856, mit welcher diese Zeitschrift gleichzeitig ihr Ende erreichte, sagt er:

*) Unter diesen Gedichten finden sich übrigens auch mehre Poesien der talentvollen, unglücklichen Dichterin A W., deren Schöpfungen Fritz Reuter nicht lange darauf unter dem Titel: „En por Blomen ut Annamariek Schulten ehren Goren“ heraus gab. In diese Sammlung gingen denn auch die hier in Rede stehenden Gedichte über.

„Meine kontraktliche Pflicht ist erfüllt, warum soll ich noch länger bleiben und schreiben, dahin schwanden die Wackern all? Zu schwinden beginn ich in Preußen, meinen Schritt sieht Treptow nicht mehr; in Brandenburg werd' ich entschlafen als Redakteur des Unterhaltungsblattes;
Denn ein Jahr hab ich s ertragen,
Trag s nicht länger mehr;
Hab' die Schreiberei im Magen,
Bleib' nicht Redakteur.

Allen fernen und nahen Freunden, die mich mit Wort und Schrift bei der Herausgabe des Blattes unterstützt haben, sage ich meinen aufrichtigsten Dank, dem nachsichtigen Publikum nicht minder, dem Unterhaltungsblatt rufe ich ein zärtliches Lebewohl zu und will wünschen, dass es für die Folge mehr Unterhaltung bieten möge, als ich in einer gänzlich isolierten Stellung liefern konnte.
Treptow, den 1. April 1836.
Fritz Reuter."

Mit diesem Rücktritt von der Redaktion fällt Reuters Übersiedelung nach Neubrandenburg zusammen, zu welcher er sich auf den Rat von Neubrandenburger Freunden, die ihn der Treptower Abgeschiedenheit entrissen sehen wollten, entschloss.

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Wir haben im Vorstehenden ausschließlich die schriftstellerische Tätigkeit Reuters während seines Treptower Aufenthaltes ins Auge gefasst, und so bleibt uns denn jetzt aus seinem äußeren Leben in diesem Zeitraum einiges nachzutragen. Zunächst muss noch die Auszeichnung erwähnt werden, mit welcher ihn seine Mitbürger beschenkten und deren er selbst in seinen Schriften niemals ohne Heiterkeit gedacht hat, nämlich die Verleihung der Würde eines Stadtverordneten, zu welchem Ehrenamte ihn die guten Treptower im Jahre 1853 beriefen. Die Geschichte hat ja nun einmal auch ihren Humor, und so musste denn jetzt der Mann, welcher einst Preußen feierlich Urphede zu schwören gezwungen wurde, ein Wort mitsprechen bei der Verwaltung einer gut preußischen Stadt, und es sollte noch besser kommen, denn bei den Wahlen zum Abgeordnetenhause im Jahre 1855 wurde Fritz Reuter von der Stadt Treptow als Wahlmann gen Uckermünde entsandt und half durch seine Stimme den Sieg für den aufs Heftigste bekämpften Grafen von Schwerin erringen. Diese letztere Episode aus seinem Leben als preußischer Untertan wird uns vom Dichter selbst in einem offenen, ernst gehaltenen Briefe an seinen auch damals gerade in Bolz weilenden Freund R . . . . . .
geschildert, welcher in den Nr. 31, 32 und 33 des Reuter'schen Unterhaltungsblattes veröffentlicht ist. Über sein Treptower Stadtverordnetentum hat er dagegen, wie schon gesagt, stets nur mit lachendem Munde referiert, und auch in seiner Zeitschrift finden sich mehre humoristische Hindeutungen auf diese seine Tätigkeit in städtischen Angelegenheiten.

Der Unterricht, welchen Reuter in Treptow erteilte, erstreckte sich nicht nur auf die gewöhnlichen Schulfächer (mit Einschluss des Zeichnens), sondern hatte auch das
Turnen und Schwimmen zum Gegenstande. Mit den Zöglingen dieser letzteren Kategorie pflegte der Dichter zuweilen auch nächtliche Ausflüge zu machen, um hierbei die Beherztheit der Knaben auf die Probe zu stellen, indem er z. B. im Walde einen derselben nach einem entfernteren Punkte sandte oder beim Vorüberkommen an einem Kirchhofe einen andern mutterseelenallein über diese unheimliche Stätte gehen hieß. *)

*) So berichtet mir einer seiner damaligen Turnschüler.

Für den Humoristen charakteristische Schnurren und Anekdoten aus dem Treptower Privatleben Reuters sind uns nicht aufbewahrt.

Dagegen ist allen seinen, noch ziemlich zahlreichen, Freunden aus jener Zeit das herzgewinnende Auftreten, das bescheidene Wesen und die große Gutmütigkeit des Dichters fest im Gedächtnis geblieben, und werden uns von letzterer namentlich manche Proben überliefert. So begegnete — um nur eine derselben hier aufzuführen — Reuter eines Tages dem alten Briefträger St. . ., welcher damals das Faktotum und der Liebling der ganzen Stadt war, und: „Na, St. . .ing, wo geiht Se dat, wat maken Fru un Kinner?" war seine mehr als konventionelle Frage, wusste er doch, dass der alte Postbote in nicht gerade beneidenswerten Verhältnissen lebte. Und als ihm nun St. . . von Neuem sein Leid klagte, ihm erzählte, dass er bei so und so viel Kindern seine liebe Not habe ehrlich durchzukommen, da wurde unser Fritz durch diese Schilderung so gerührt, dass er, obschon selbst, wie wir wissen, damals keineswegs brillant situiert, alles Geld, was er gerade bei sich, in dem Augenblick vielleicht überhaupt zur Disposition hatte, — es sollen an zwei Thaler gewesen sein, — dem Alten als Geschenk in die Hand drückte. Derartige Beweise von aufopfernder Gutmütigkeit werden uns, wie schon bemerkt, aus jener Treptower Periode viele berichtet; das gültigste Zeugnis dafür gibt aber wohl seine damals betätigte große Hinneigung zu Kindern, mit denen er, mochten sie nun zu seinen Schülern gehören oder nicht, stets in liebevollster Weise verkehrte. Einer dieser kleinen Freunde, der Sohn seines langjährigen Hauswirtes, eines Färbereibesitzers, lieferte hierbei eine köstliche Anekdote, an welche Reuter auch noch in späteren Jahren mit vielem Behagen zu denken pflegte. Eines Tages hatte Reuter den kleinen Jungen, der sich ihm als ein aufgewecktes Kind erwies, mit auf sein Zimmer genommen, um sich dort mit ihm zu beschäftigen. Er legte ihm eine Zeichnung, welche eine Kirche mit Turm darstellte, vor und gab ihm Anweisung dieselbe abzuzeichnen: „So, min Sähn, nu kannst Du irst dissen Turn un den de Kirch malen", worauf der Kleine ganz naiv fragte: „Herr Reuter, sall ik ok glik 'n Preister rinmalen?" — Bei dieser Gelegenheit mag noch nachträglich bemerkt sein, dass Reuter sich auch außer den Schulstunden fortdauernd mit der Zeichenkunst beschäftigte und das wohlgelungene Portrait manches Bekannten aufs Papier warf. Wer heute den Herrn Ökonomierat Peters auf Sieden-Bollentin zu besuchen Gelegenheit hat, wird dort noch mehre in jenen Jahren von Reuter angefertigte Familienbilder erblicken, und auch in Treptow selbst finden sich noch mehre solche Beläge für die langjährige Lieblingstätigkeit unseres Freundes. Als etwas höchst Charakteristisches für die Reuter'schen Portraits wird noch hervorgehoben, dass dieselben immer am besten gelangen, wenn der „Künstler“ die Personen aus dem Gedächtnisse zeichnete. — Außer diesen hier und da anzutreffenden Bildern hat aber Treptow noch eine Erinnerung an Reuters dortiges Schaffen sich bewahrt. Noch existiert die Laube, in welcher der Dichter seine ersten poetischen Werke, zum großen Teile wenigstens, gedichtet, und befindet sich jetzt im Garten des Brauereibesitzers Stiebler.

Die Jahre in Treptow sind für Reuter, obgleich bekanntlich keineswegs immer frei von materiellen Sorgen, doch höchst glückliche gewesen, waren sie doch die Jahre seines beginnenden ehelichen Glückes und seines ersten erfolgreichen dichterischen Wirkens. Noch in den Zeiten, wo Ruhm und Wohlstand sie umgab, gedachten Reuter und Frau voll inniger Freude ihres Treptower Aufenthaltes als des schweren und doch so schönen Anfanges ihres Glückes.

Was aber hat der Treptower Lebensabschnitt unserem Reuter, der sich von nun an entschloss ganz ein Dichter zu sein, für seine späteren Leistungen gebracht? Er ließ ihn die schon früher gemachten Studien des kleinstädtischen Lebens erweitern und neue Originale desselben kennen lernen. Dann aber forderte ja auch die längere Anwesenheit in einer pommerschen Stadt heraus zu Vergleichen zwischen dem Charakter des Kleinbürgertums in Pommern und in dem heimischen Mecklenburg, und was Reuter während seiner „Stromtid" durch den Aufenthalt in Thalberg rücksichtlich des Landmannes gewann, fand er hier, vermittelst eines fortgesetzten Vergleiches, für den Städter: die genaueste Kenntnis mecklenburgischer Eigenart.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Fritz Reuter. Sein Leben und seine Werke.