Rostock

Ist ein Leben auf der Welt,
Das vor allen mir gefällt,
Ist es das Studentenleben.
Weil’s von lauter Lust umgeben, —
Ja, der Freude Sonnenschein
Lassen wir ins Herz hinein,
Uns geziemt vor allen Dingen,
Mit der Jugend leichten Schwingen
Zwanglos durch die Welt zu springen.
            Hoffmann v. Fallersleben.

                                    Rostock


„De Seestadt Rostock is de Up- un Dal-Sprung
för jeden richtigen Mecklenbörger.“


So hatte denn Fritz Reuter als seliger „Mulus“ die Parchimer Schule verlassen und im elterlichen Hause jene glückliche Zeit verlebt, wo man, selbst ein unbestimmbares Etwas, auf den Pennalismus mit souveräner Verachtung herabblickt, ehrfurchtsvoll aber und zugleich mit der freudigen Erwartung himmlischer Genüsse das Auge emporhebt zu dem vielbesungenen Burschenleben, um dessentwillen das „Fegefeuer der Schulen" ertragen werden musste. Das Einzige, was dieses schöne Gefühl der Selbstzufriedenheit und angenehmen Spannung störte, waren die Verhandlungen mit dem Vater, welcher nun einmal fest entschlossen war, aus seinem Sohne einen Juristen zu machen, während der letztere auch jetzt noch am liebsten Maler geworden wäre, da ihm die Verwirklichung dieses Wunsches aber verwehrt wurde, eben jeder anderen Wissenschaft, so namentlich auch der Mathematik, den Vorzug vor der trockenen Rechtsgelahrtheit gab. Da fruchtete aber keine Vorstellung, kein Protestieren, der Vater verharrte bei seinem Entschlusse, und am 19. Oktober 1831 gab der studiosus juris Fritz Reuter dem Rektor der Landesuniversität Rostock Professor Dr. med. Spitta den Handschlag als akademischer Bürger*), um bald darauf beim Professor Dr. Elvers**) das den Anfang aller juristischen Gelehrtheit bildende Colleg über Institutionen und beim Professor Dr. Türk†) eine Vorlesung über juristische Enzyklopädie zu belegen.

Seine bescheidene Wohnung hatte der junge Musensohn in dem Hause Nr. 1491 der damals noch nicht ihres Strandtores ledigen und darum etwas düster ausschauenden Lagerstraße aufgeschlagen. Eine Stätte stiller wissenschaftlicher Tätigkeit sollte diese „Bude" nicht werden. Die Jurisprudenz ward ihm jetzt, wo er mit ihr in nähere Berührung kam, stündlich mehr zuwider und schließlich so verhasst, dass er, nachdem er ihr bereits in seiner Behausung die Gastfreundschaft aufgekündigt, sich ihrem Umgange gänzlich entzog und auch nicht mehr in den Collegien erschien, ††) Mied Reuter sonach die juristischen Vorlesungen, so erschien er dagegen häufiger hospitierend in den philosophischen Collegien, so namentlich, wie er in einem an anderer Stelle mitzuteilenden, einer späteren Lebensperiode angehörigen Briefe selbst hervorhebt, in demjenigen des Professors Fritzsche über den Altmeister der Komik: Aristophanes. Diese Collegienbesuche waren aber nur Zwischenzustände, im Allgemeinen gelüstete es den jungen Studenten weniger nach „der Weisheit Brüsten" als nach den Quellen des studentischen Vergnügens, welche damals in Rostock noch reichlicher flossen denn heute.

*) Dieses wie die nachfolgenden Daten sind den Archivakten der Landesuniversität entnommen,
**) Elvers starb als Ober-Appellations-Rat in Kassel.
†) Professor Dr. Türk, der damalige Historiker der Rostocker Hochschule, ist auch außerhalb Mecklenburgs durch seine Verwicklung in den Rostocker Hochverratsprozess bekannt geworden.
††) Vglch. die Andeutungen, welche Reuter hierüber selbst in „De meckelnbörgschen Montecchi un Capuletti“ pag. 2. macht.


Wer in unseren Tagen die stolze Hansastadt besucht, der wird sofort den Eindruck gewinnen, dass er sich in der größten, bevölkertsten und verkehrsreichsten Stadt, an dem ersten Handelsplatze des Landes, im Zentrum des inneren mecklenburgischen Lebens befindet. Aber dass Rostock eine Universitätsstadt, der Gedanke wird sich ihm nicht ohne Weiteres aufdrängen. Und in der Tat, erhöbe sich nicht am Blücherplatze ein stolzes, den Wissenschaften geweihtes Haus, zugleich eine bauliche Zierde für Norddeutschland, man würde Rostock für alles andere leichter als für eine Musenstadt halten. Das macht, Rostock ist heute der Ruhehafen geworden, in welchen sich des Vaterlandes Söhne nach den draußen überstandenen Stürmen des studentischen Lebens flüchten, um sich in stiller Bienentätigkeit auf die schwersten Tage ihres Lebens, wie sie die Examina mit sich bringen, auf den trauervollen Rückzug ins Philisterland vorzubereiten. Darum ist Rostock heute eine ungemein fleißige Universität, eine schöne Stätte für echt wissenschaftliches Leben, aber eben darum ist sie auch eine ungemein stille Universität. Das laute studentische Leben ist verrauscht, die breiten Steine sind einer nach dem andern geschwunden und mit ihnen die auf den ersten Blick kenntlichen Burschen. Heute trifft es vielleicht zu, was Wilhelm Cornelius um die vierziger Jahre im „Malerischen und romantischen Deutschland" berichtete, dass mancher Rostocker stürbe, ohne in seinem Leben einen Studenten gesehen zu haben, freilich in einem anderen als dem dort gemeinten, boshaften Sinne. In den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts aber war es anders in Rostock, damals herrschte dort noch ein frisches, lustiges, ja tolles Studentenleben.

Ältere Rostocker erinnern sich noch sehr wohl der großartigen studentischen Schlittenfahrten jener Zeiten und wissen manche köstliche Geschichte zu erzählen von den Foppereien, welche sich die damaligen Burschen mit der Rostocker Hermandad, den ob ihrer roten Uniform „Krewt" (Krebse) genannten Polizeidienern, erlaubten, jenen tapferen Friedenshelden, von denen sich einmal ein Braver der Teilnahme an der Bewältigung eines Straßenauflaufes mit den denkwürdigen Worten entzogen haben soll: „Ik heww Fru un Kinner, ik gah nah Hus!" *) Den glänzenden Schlussmoment aber dieser stetigen Nachtscharmützel mit den Handlangern der Gerechtigkeit bildete häufig der Krebsfang unter dem „Schwibbogen" der Nicolaikirche. Während nämlich einige Musensöhne, nachdem irgendeine gemeinsame „Untat“ vollbracht war, mit sich ein Treibjagen durch die Straßen Rostocks anstellen ließen, hatten andere von ihnen an dem engen Durchgange unter der Nicolaikirche, dem Schwibbogen, mit einem großen Sack Aufstellung genommen, und, wenn sich dann die verfolgten Opfer der Justiz am Schlusse des lustigen Spieles programmmäßig in die Altstadt zurückzogen und durch den Schwibbogen flüchteten, liefen die, nun ihres Sieges gewissen, „Krebse" zum größten Gaudium in den Sack, der darauf schnell verschlossen wurde. Nicht minder molestiert als die Polizei wurden in jener Zeit auch diejenigen „Philister", welche sich irgendwie missliebig gemacht hatten.

*) Das wohlgelungene Konterfei eines dieser alten Rostocker Stadtsoldaten enthält der vierte Jahrgang des vom Geh. Archivrat Lisch herausgegebenen Kunstwerkes „Mecklenburg in Bildern“. Zum Vergleiche findet sich daneben ein Stadtsoldat in der seit 1829 eingeführten Tracht abgebildet.

So wurde dem Bewohner einer der damals noch zahlreich vorhandenen Kellerwohnungen, der mit den Studenten in feindliche Berührung gekommen, bei nachtschlafender Zeit der Keller voll Wasser gepumpt und er darauf durch „Feuerrufe" veranlasst aus dem Bette zu springen und sich die Füße zu erkälten. Derartigen, etwas derben Scherzen standen feinere Neckereien ohne rächerische Nebenzwecke gegenüber. Ein Fuhrmann wurde einmal mit seinem Reisewagen von den Studenten für eine Spritztour engagiert. Er fährt vor dem ihm bezeichneten Hause vor, und nun steigt Student auf Student in das Gefährt, bis ihre Zahl die enorme Höhe von 20 und einigen erreicht hatte und der Befehl zum Abfahren gegeben wurde. Der schlaue Rosselenker treibt die Pferde an, und wider sein Erwarten kommt der Wagen in Bewegung. Aber nun heißt es langsam fahren, damit die Tiere nicht vor dem Ziele, irgendeinem der Vergnügungsorte bei Rostock, erlahmen. Im Tempo eines Leichenwagens fährt er also durch die Straßen der Stadt seinem Bestimmungsorte entgegen. Dort angelangt, öffnet sich die Wagentür und freundlich grüßend entsteigt derselben — der schmächtigste, leichteste Rostocker Fuchs als einziger Fahrgast. Die übrigen Musensöhne waren bei der günstigen Aufstellung, welche sie dem Wagen hatten geben lassen, sofort auf der anderen Seite wieder ausgestiegen und im Hause verschwunden. Dass der düpierte Fuhrmann Hexerei und Teufelsspuk hierbei im Spiele glaubte, versteht sich von selbst.*)

*) Ähnliche harmlose Studentenstreiche hat uns Fritz Reuter in „Läuschen und Rimels“ I. Band von seinem Freund „Rein. . . .“ berichtet. („De Karnallenvagel" und „De Gaushandel“.)

Derartige Burschenstreiche durfte sich aber nur ein kraftvoll entwickeltes Studententum erlauben, und dies war damals das Rostocker Studententum, es repräsentierte wirklich eine Macht, die sich ihren Verächtern sehr unangenehm fühlbar machen konnte. Das beweist am Schlagendsten die folgende Geschichte, welche den Beschluss dieser Erinnerungen an die Rostocker Studenten vergangener Zeiten bilden mag: Eine noch junge und dabei sehr stolze Gutsbesitzerwitwe, welche sich nach dem Tode ihres Mannes in Rostock niedergelassen hatte, war mit ihrer Gesellschafterin zum Studentenballe geladen worden, hatte aber diese Einladung in der schnödesten Weise mit verächtlichen Redensarten zurückgewiesen. Die Studentenschaft schwor Rache und fasste den unabänderlichen Beschluss, am nächsten Sonntage in den eigenen Gemächern der Witwe mit ihr und der Gesellschaftsdame einen Thé dansant, zu feiern. Der Sontag Abend kam; unsere Studentenverächterin hatte eben den Abendtisch herrichten und mit allerlei kalter Küche, u. a. mit einem großen und schönen Kalbsbraten, besetzen lassen, als es an die Thür klopfte und in feinster Balltoilette ein Student eintrat, welcher nach graziöser Verbeugung sofort an dem Teetische Platz nahm und dem Kalbsbraten wacker zusprach. Ihm folgte in kürzester Frist ein zweiter, dann ein dritter und so fort, bis ein ganzes, zwar kleines, aber tatkräftiges Consilium beisammen war, welches nun glorreich zu Ende führte, was der Ersterschienene ruhmvoll begonnen. Nachdem der Kalbsbraten als erstes Opfer der Studentenrache gefallen, wurden Tische und Stühle bei Seite geschafft und die wutkochende Wirtin wider Willen musste sich von den Musensöhnen im Tanze drehen lassen und dazu noch gute Miene machen, bis sich am späten Abende die akademischen Bürger mit dem wärmsten Danke für die vergnügten Stunden empfahlen. Jetzt aber brach der Zorn der Witwe lichterloh hervor, „Rache" war jetzt auch ihr einziger Gedanke. Sie revanchierte sich durch eine, gelinde gesagt, sehr unvorsichtig abgefasste Zeitungsanzeige des Inhaltes, dass am letzten Sonntag Abend eine Schaar junger Leute in ihre Wohnung gedrungen sei und sich bei ihr ohne Weiteres zu Gaste gebeten habe. Am Schlusse des Inserates wurde als ein zufälliges Zusammentreffen bemerkt, dass bald nach diesem unerwarteten Besuche auch einige silberne Löffel vermisst seien. — Als die Dame am Tage nach dieser Veröffentlichung Morgens ihr Zimmer lüften wollte, brauchte sie das Fenster nicht zu öffnen: der frische, von Warnemünde her wehende Wind hielt schon ungehindert seinen Einzug durch die scheibenlosen Fenster. Die Demolierung wiederholte sich in der folgenden Nacht, und gleichzeitig ging der Dame die anonyme Ankündigung zu, dass diese erfolgreichen Angriffe auf die „Augen ihres Hauses" so lange erneuert werden würden, bis sie sich zu einem Widerruf entschlösse. Was blieb zu tun übrig? Die gute Dame musste in den sauren Apfel beißen, indem sie der Rostocker Studentenschaft eine öffentliche Ehrenerklärung gab, und siehe da! als am Morgen darauf die Sonne das Fenster der Studentenfeindin beschien, fiel ihr Strahl auf einen während der Nacht dort aufgehängten Kalbsbraten von vorzüglicher Qualität und nach allen Regeln der Kunst gespickt — mit Fidibussen.

Warum ich alle diese Geschichten, die doch mit Reuters Leben nicht in direktem Zusammenhange stehen, hier erzählt habe? Um der Ansicht derjenigen Biographen zu begegnen, welche vermeinen, sie könnten über Reuters Rostocker Studentenzeit mit den wenig und doch so viel sagenden Worten des alle Universitäten charakterisierenden Commersliedes: „Rostock liegt in Mecklenburg" hinweggehen, und dadurch den Glauben erwecken, als wäre unser Fritz in Rostock lebendig begraben gewesen und habe seinen Wanderstab weiter gesetzt, um doch wieder unter Lebende zu kommen. Dem gegenüber also habe ich betonen wollen, dass auch in Rostock ein Studentenleben und zwar — nach dem Geschmacke der Zeit, — sogar sehr blühendes Studentenleben geherrscht hat; einen ziemlich kräftigen Beweis hierfür aber gibt uns Reuter selbst in seiner Schilderung zu Anfang von „Montecchi und Capuletti", aus welcher auch unzweifelhaft hervorgeht, dass sich unser Dichter in Rostock recht wohl gefühlt habe.

Dass aber die ohnehin schon bewegten Wellen des akademischen Lebens zu Rostock noch höher gingen, als sie vom Sturmeshauche der Julirevolution berührt wurden, braucht wohl nicht erst besonders hervorgehoben zu werden. Auf keiner deutschen Universität blieben ja die überrheinischen Sturmsignale ohne Wiederhall.

Ob die in Rostock von Reuter und seinem Freundeskreise gestiftete Verbindung zu den neu auftauchenden Freiheitsideen in irgendeiner Beziehung stand, bleibt unentschieden. Möglich, sogar wahrscheinlich ist es, dass sie unter dem Einfluss dieser Ereignisse ins Leben trat und sich anfangs vielleicht auch mit allerlei wichtigen, das Wohl von Volk und Menschheit betreffenden Fragen beschäftigte. Dass sie aber bald sich ausschließlich dem Vergnügen widmete, erhellt aus Reuters eigenem Bericht. *) Letzterer, der uns, natürlich nach Abzug einiger, auch hier angebrachter poetischer Ausschmückung, ein klares Bild von der Gestaltung seines Rostocker Studentenlebens gibt, möge hier eingefügt werden. Er beginnt mit den diesem Abschnitte als Motto vorangeschickten Worten: „De Seestadt Rostock is de Up- un Dal-Sprung för jeden richtigen Meckelnbörger", und fährt dann fort: „Ok min Upsprung is sei mal west, as ik von de groten Schaulen mal 'ne Tram Höger up de Universität hüppen ded; äwer dat is all lang' her, un wi weiten uns nich mihr recht dorup tau besinnen, vör Allen nich up Professer Elwersen sine Institutschonen. Äwer dat weit ik doch noch, dat wi Studenten en idel lustig Lewen führen deden, dat wi uns bi Nachtslapentid mit de Krewt rümmer jögen, dese ollen, braven, städtschen Kriegsknechts, de dunn nich mihr rod, ne, all blag wiren, un dat wi ok Finstern insmeten. Wi lös'ten de grote, sociale Frag' un stift'ten 'ne „Allgemeinheit" unner uns, de de ßackermentschen Constantisten un Wandalen schändliche Wis' de „Gemeinheit" näumen deden. Wi lös'ten noch annere sihr wichtige Fragen, wenn wi in unsere „Kränzchen" tausamen seten, taum Exempel up mine Stuw', de wichtige Frag': „Was ist die Ehre?", würden äwer so bald nich slüssig doräwer, als Sir John; äwer mi treckten sei dorbi 'ne Kus' ut, denn, as mine allgemeinen Frün'n von mi furt gungen, hadd ik as Voß „die Ehre" de Zech tau betalen. Wi gungen mit Fackeln von Korlshoff*) in de Stadt herin un sungen dat erhebende Lied: „Höret die Geschichte von der Wasserflut“, un as wi up den ollen Mark keinen gegen den ollen scheiwen Petrithorm, dunn wiren de Vers' all, un ik makte in de Geschwindigkeit noch einen dortau:

      „Da schickt der Noah ne Taub' hinaus,
      Die bracht' ein grünes Blatt nach Haus."

*) Karlshof, ein vor dem Petritore an der Warnow gelegenes Vergnügungslokal, welches sich damals, in der noch bierkellerlosen Zeit, eines lebhafteren Besuches als in unseren Tagen erfreute, jedoch auch heute noch von den Studenten, namentlich bei Gelegenheit der auf große allgemeine Kommerse folgenden Veranstaltungen, zuweilen sehr zahlreich besucht wird.

Un wat uns' Öbberst was, de seel Pastor Knitzky tau Groten-Varchow, de kamm nah mi ranne un kloppte mi up de Schuller un säd: so süll ik man bibliwen, denn würd woll wat ut mi warden, un wenn ik so 'ne Vers' mihr maken künn, so smet dat en Licht up de Allgemeinheit, un't gereikte ehr tau 'ne Freud' un tau 'ne Ihr; un ik makte denn ok noch six en Stückerner fiw Vers' wider, de ik äwer — Gott sei Dank! — vergeten heww; un ik glöwte em dat ok All ihrlich tau, denn ik was man Voß, un hei was all in sin achtes Semester. Un dunn treckten wi up den nigen Mark un smeten uns' Fackeln up en Hümpel un sungen: „Freiheit, die ich meine“, un de Krewt stünnen um uns rüm, säden äwer nicks, un as sei nahsten fragt wiren, worum sei nicks gegen den Stratenspectakel dahn hadden, hadden sei jo seggt, 't wir tau fierlich west, sei hadden't dauhn wullt, äwer as sei't hadden dauhn wullt, dunn hadd dat Lid ehr äwernamen, un't wir ehr ordentlich den Puckel dalkrapen. — So was 't dunn; äwer't is all lang' her, un Vele, de dunn up den Ball, den wi de braven Rostocker Philisters bi Schleuders *) gewen, un op den de olle gaude Professer Fritzsche noch fröhlich nah de Melodie danzte: „Ich und mein Fläschchen sind immer beisammen", danzen nu nich mihr, un annere Tiden sünd nu äwer de Welt kamen." — Da hören wir's also: „kreuzfidel" („idel lustig") nennt Reuter selbst sein Rostocker Studentenleben und gedenkt noch in alten Tagen mit sichtlichem Wohlgefallen der Zeit, wo er als „crasser Fuchs" die alte Hansastadt durchjubelte, jenes Rostock, bei dessen bloßer Nennung „jeden Meckelnbörger dat Hart upgeiht“.

*) „Hotel de Russie“ am Neuen Markt, jetziger Besitzer B. Schock.

Eigentliche Reuteranekdoten aus diesem Lebensabschnitt sind uns nicht aufbewahrt, und findet dies darin seine Erklärung, dass Reuter zu jener Zeit nur mit der „Allgemeinheit“ dachte, fühlte und handelte. Er bemühte sich als eifriger Fuchs „die guten Manieren der Burschen nachzuahmen“ und trat als selbständiges Individuum zu wenig in den Vordergrund.*)

*) Mancher charakteristische Zug des Studenten Reuter wird jedoch ganz sicherlich seinen Genossen entweder völlig entgangen sein oder war wenigstens nicht auffällig und bedeutend genug, um sich ihrem Gedächtnisse einzuprägen, „Wenn man damals“, schreibt mir mit dem ihm eigenen trockenen Humor ein Freund Reuters aus jener Zeit, „wenn man damals in dem Studenten den späteren Fritz Reuter hätte ahnen können, würde man besser aufgepasst und sich Notizen gemacht haben."

Verse, wie die von ihm selbst überlieferten Supplemente zu dem bekannten Wasserflutliede, wird er in Rostock wohl noch mehr produziert haben. Von einer auf höhere Stoffe verwandten Dichtertätigkeit haben wir keine Proben. Der Zeichenstift dagegen blieb auch in Rostock, während der wenigen freien Stunden, welche das schwere Studentenleben ihm gönnte, sein schöpferischer Freund. Wie Professor Dr. Julius Wiggers in der „Spenerschen Zeitung“ vom 22. Juli 1874 erzählt, schenkte ihm sein Freund Reuter beim Abgange von Rostock ein in schwarzer Kreide ausgeführtes Damenporträt, welches noch jetzt die Wand eines Zimmers in der Wiggers'schen Wohnung schmückt, als ein Andenken an den vortrefflichen Menschen-Zeichner (in doppeltem Sinne) und zugleich als „ein Zeugnis jener verbotenen künstlerischen Beschäftigung, von welcher die Institutionen des römischen Rechtes ihn nicht abzuziehen vermochten.“

Anregung bot Rostock wie überhaupt für jeden aufgeweckten jungen Mann, so im Besonderen für den erwachenden Humoristen in der mannigfaltigsten Weise. In ersterer Beziehung wird mir jeder Recht geben, der das damals noch wechselvollere Leben der althistorischen Stadt näher kennen gelernt hat, in letzterer Hinsicht möchte ich ältere, mit dem Rostock von damals vertraute Leser nur an die berühmten, sogar durch ein lithographisches Portrait der Vergessenheit entrissenen vier Rostocker „Zeitgenossen" erinnern, die Straßenoriginale Ültzen, Martens, Spieß und Bölckow, komisch nach Außen, komisch im Inneren, Figuren, wie sie sich der Humorist nicht besser wünschen kann. Einem von ihnen, dem biederen Ültzen, welcher als Wichsier der Studenten „für den äußeren Glanz der Universität" sich abmühte und, also wohl verdient um Rostocks Musensöhne, in familiärer, noch richtiger: in väterlicher Weise mit ihnen verkehrte, ist noch ein anderes Denkmal geschaffen worden als das eben erwähnte Bildnis. Reuters „Fründ Rein . . . . ", der jetzt in Bolz bei Sternberg weilende frühere Rektor L. Reinhard, gedenkt in seiner 1839 unter dem Titel „Scherben" erschienenen humoristischen Beschreibung einer Reise von Ludwigslust nach Norwegen des köstlichen Ültzen mit begeisterten Worten. Auf seiner Wanderung in Rostock angelangt, ruft er die Erinnerungen an seine entschwundene Studentenzeit wach, vor seinem Geiste erscheinen die einst so tapferen „Krebse" und sehnsüchtig erhebt er seine Stimme nach Ültzen: „Wo aber weilst Du, laudator temporis acti; Du, der seinen besten Zug im Halse hatte; Du mit Deinem Motto: Nulla dics sine linca, d. i. kein Tag ohne Strich; Du, der so gern auf seinen kahlen Schädel zeigte, die Spötter mit dem rührenden Trostwort belehrend: Da hebb'n wi uns Vergnögen för hatt! — Purpurträger an Nas' und Wangen; Ültzen, Factotum, wo weilst Du? — Wie beehrtest Du so gerne die Lieblinge Deiner Seele mit dem herzergreifenden Namen: Mein Sohn Johann! — Noch höre, noch sehe ich Dich, wie Du unter uns saßest, uns scheltend ein entartetes Geschlecht und die würdigen Vorfahren uns preisend; oder, wie Du uns ermahntest, nach Hause zu gehen und Hefte zu machen und die Nase in Spaldings Repertorium zu stecken; oder wenn Du im Enthusiasmus ausriefst: Ludwig Nation ich sterbe unschuldig! — Die den Alten kennen, wissen, dass er ein Bild auf seiner Stube hatte, darstellend, wie Ludwig XVI. im Begriff ist, den Kopf auf dem Schafott zu verlieren. Unter dem Bilde stand geschrieben: Ludwig: Nation, ich sterbe unschuldig! Ültzen aber sprach das Ganze unisono und wusste auch ohne Zeichen zu lesen, wie ein gelehrter Rabbi das Hebräische!" — Ültzens Kollege in der Berühmtheit, der Ausrufer Martens war vor Allem durch die originelle Art und Weise, in welcher er die ihm aufgetragenen Verkündigungen vorbrachte, bekannt und gern gehört als öffentlicher Redner. Als die damalige Liedertafel eines Tages einen Ausflug nach Karlshof angesetzt hatte, des eintretenden schlechten Wetters wegen aber von der Ausführung dieses Planes abstehen musste, machte Martens den Interessenten von dieser Abänderung in folgender Weise Anzeige: „Hüren Se, mine Harren, wat ik Se will seggen!" — so nämlich lautete der unveränderliche Eingang seiner öffentlichen Ansprachen, — „De Fohrt, de de Liedertafel hüt nah Korlshoff maken wull, dor ward nicks von, sondern dat Weder is nich paßlich!" Mit Ültzen und Martens verglichen, erschienen die beiden noch übrigen „Zeitgenossen“ zwar wie Schattengestalten, waren aber trotzdem so komische Persönlichkeiten, dass das Auge eines Reuter voll Vergnügen auf ihnen verweilen musste.

Das waren einige, die berühmtesten der humoristischen Ganzheiten, welche zu jener Zeit unter Rostocks Sonne fröhlich gediehen, andere hier nicht weiter zu erwähnende, aber darum nicht weniger interessante standen ihnen zur Seite, unzählige komische Einzelzüge entdeckten sich dem trefflich geschulten Blicke des Dichters, wohin er sich nur wandte, und — mag der Rostocker Aufenthalt auch für den Juristen ein verlorener gewesen sein, für den Humoristen war er eine gewinnreiche Studienzeit.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Fritz Reuter. Sein Leben und seine Werke.
Rostock, Rathaus

Rostock, Rathaus

Rostock, Stadt-Theater (1895-1942)

Rostock, Stadt-Theater (1895-1942)

Rostock - Giebelhäuser bei der Nicolaikirche

Rostock - Giebelhäuser bei der Nicolaikirche

Rostock - Kröpeliner Tor

Rostock - Kröpeliner Tor

Rostock, Lange Straße, Marienkirche in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts

Rostock, Lange Straße, Marienkirche in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts

Rostock vor dem Steintor

Rostock vor dem Steintor

Rostock - Petrikirche mit Petritor

Rostock - Petrikirche mit Petritor

Hansestadt Rostock - Stadtansicht

Hansestadt Rostock - Stadtansicht

Rostock. 013 Marienkirche, Giebel des südlichen Querschiffs

Rostock. 013 Marienkirche, Giebel des südlichen Querschiffs

Rostock. 017 St. Marien-Kirche

Rostock. 017 St. Marien-Kirche

Rostock. 073 St. Jacobi-Kirche

Rostock. 073 St. Jacobi-Kirche

Rostock. 335 Kröpeliner Tor

Rostock. 335 Kröpeliner Tor

Rostock. 256 Eckhaus an der Wasserstraße und hinter dem Rathaus Nr. 8

Rostock. 256 Eckhaus an der Wasserstraße und hinter dem Rathaus Nr. 8

Rostock. 175 Chor der Kirche zum heiligen Kreuz

Rostock. 175 Chor der Kirche zum heiligen Kreuz

Rostock. 237 St. Katharinen-Kloster

Rostock. 237 St. Katharinen-Kloster

Rostock. 255 Am Hopfenmarkt 28

Rostock. 255 Am Hopfenmarkt 28

Rostock. 304 Kirche zu Biestow

Rostock. 304 Kirche zu Biestow

Rostock. 328 Wollmagazin

Rostock. 328 Wollmagazin

Rostock. 332 Altes Rathaus

Rostock. 332 Altes Rathaus

Rostock. 140. St. Nicolai-Kirche Orgel

Rostock. 140. St. Nicolai-Kirche Orgel

Rostock. 126 St. Petri-Kirche Siegel

Rostock. 126 St. Petri-Kirche Siegel

Rostock vom Carlshof um 1830.

Rostock vom Carlshof um 1830.

Rostock Altstadt

Rostock Altstadt

Rostock Altstadt vom Steintor.

Rostock Altstadt vom Steintor.

Rostock Blücherplatz 1844

Rostock Blücherplatz 1844

Rostock Hopfenmarkt.

Rostock Hopfenmarkt.

Rostock - Neuer Markt um 1820.

Rostock - Neuer Markt um 1820.

Rostock vom Steintor 1841.

Rostock vom Steintor 1841.

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