Jena

Ach Jena! Jena! Lieber Sohn,
Sag’ mal, hört’st Du von Jena schon?
Hast Du von Jena mal gelesen?
Ich bin ein Jahr darin gewesen,
Als ich noch Studiosus war.
Was war das für ein schönes Jahr!
      Aus „Hanne Nüte“.

Nach Ablauf seines ersten Semesters verließ Reuter das gemütliche Rostock und zog, folgend der „freien Burschenlust" des Wanderns, zur fröhlichen Studentenstadt an der Saale, gen Jena, welches damals eine Lieblingsuniversität der studierenden Jugend Mecklenburgs war.*) Am 25. Mai 1832 immatrikuliert **), nahm er mit seinem Freunde Karl Krüger, der auch sein Studiengenosse in Rostock gewesen war, in demselben Hause Wohnung und belegte das Colleg über Institutionen bei dem damaligen Ober-Appellationsgerichtsrat und Professor von Schröter, dem späteren mecklenburgischen Minister, bei welchem er auch im folgenden Winterhalbjahre eine Vorlesung über Pandekten annahm.***)


*) Mit Reuter zusammen studierten in Jena im Ganzen 23 Mecklenburger aus beiden Großherzogtümern.
**) Nach dem Matrikelbuche der Universität Jena.
***) Archivakten der Universität Jena.


„Ein der Wissenschaft gewidmetes Leben" führte Reuter in Jena noch viel weniger als in Rostock. In den juristischen Vorlesungen zumal war er auch hier ein seltener Gast, und wenn er ein wissenschaftliches Interesse betätigte, so war es in der Mathematik, welcher sich noch die Geschichte hinzugesellt haben mag, obschon er, ganz entgegen der Sitte der damaligen Burschenschafter, sich bei Luden nicht als Zuhörer gemeldet hatte.

Je seltener unser Fritz im Auditorium zu finden war, desto häufiger sah man ihn auf der Kneipe und dem Paukboden; er war ein flotter, forscher Bursche im Allgemeinen und ein begeisterter Burschenschafter im Besonderen.

Kurz vorher, ehe unser Dichter nach Jena kam, hatten äußere Veranlassungen dort den tiefgehenden Unterschied zwischen den direkt auf die reale Einheit Deutschlands zusteuernden Germanen und den sanfter und weniger unmittelbar vorgehenden Arminen zeitweilig verschwinden lassen. Es gab in Jena wieder eine allgemeine Burschenschaft, und freudige Hoffnungen knüpften sich an dieses Factum. Sie sollten unerfüllt bleiben, denn schon nach wenigen Monaten trat die Differenz zwischen beiden Richtungen von Neuem aufs Schärfste hervor, und im Juli 1832 verließen die fortschrittlichen Germanen den bisher gemeinsam innegehabten Burgkeller, um nach dem Fürstenkeller überzusiedeln. Auch Fritz Reuter trennte sich von der Arminia, deren Tendenz: durch wissenschaftliche, sittliche und körperliche Ausbildung ihrer Mitglieder dem Vaterlande dereinst gute Bürger zuzuführen und so mittelbar für das Wohl des Vaterlandes zu wirken, seinem jugendlich erregten Gemüte nicht zusagte; aus dem anfänglich allgemeinen Burschenschafter wurde ein enragierter Germane, der für die Ehre seiner Verbindung häufig auf der Mensur stand und manchem alten Jenenser respektable „Schmisse" beibrachte. *)

*) Bei einer dieser Mensuren sekundierte ihm sein Freund und Verbindungsgenosse, der stud. jur. E. Schmidt aus Wismar, der auch eine Zeitlang im Vorstande der Germania war. Ihm, der jetzt das Amt eines Gerichtssekretärs in seiner Vaterstadt bekleidet, hat Reuter in dankbarer Erinnerung an jenen Freundschaftsdienst „Schurr-Murr“ dediziert.

Immer ungestümer wurde bei der allgemeinen Währung jener Zeit das Verlangen und die Hoffnung der „Germanen“ ihre politischen Ideen verwirklicht zu sehen, immer bestimmter und strenger wurden ihre Ordensregeln, immer mehr rüsteten sie sich, vom Reden zum Handeln überzugehen. Nachdem man schon auf dem Frankfurter Burschentage am 26. September 1831 einen Beschluss gefasst hatte, nach welchem im Falle eines Aufruhres unter Umständen jeder Burschenschafter verpflichtet sein sollte, selbst mit Gewalt den Verbindungszweck zu erstreben, und an Volksaufständen, die zur Erreichung desselben führen könnten, teilzunehmen, ging man um Weihnachten 1832 auf dem letzten Burschentage zu Tübingen noch weiter, indem man bestimmte, die allgemeine deutsche Burschenschaft solle ihren Zweck, die Einheit und Freiheit Deutschlands, auf dem Wege der Revolution erstreben und deshalb dem Vaterlandsvereine in Frankfurt sich anschließen.

Je nachdrücklicher die Jenenser Germanen ihr Programm betonten, desto feindseliger wurde ihr Verhältnis zu den Arminen, es kam wiederholt zu blutigen Reibereien und endlich, am 23. Januar 1833, rückte ein starkes Militärkommando in Jena ein, um der Wiederkehr solcher Exzesse vorzubeugen. Zahlreiche Verhaftungen und Relegationen folgten dem Erscheinen der bewaffneten Macht.

Auf die Kunde von diesen Studentenunruhen rief Bürgermeister Reuter seinen Sohn nach Hause zurück; Fritz Reuter musste noch vor Ostern 1833 aus der Verbindung ausscheiden und sein geliebtes Jena verlassen.

„Sein geliebtes Jena. " — Ja, es blieb ihm lieb und teuer für sein ganzes Leben dieses Jena, wo er in Burschenseeligkeit geschwelgt hatte. Wer erkennt nicht in der Jenabegeisterung des Galliner Landpfarrers in „Hanne Nüte" den eigenen Enthusiasmus des Dichters wieder? Mit ihm ruft Reuter voll Entzücken dem zur Wanderschaft bereiten, über seine Reiseroute aber noch nicht ganz klaren Schmiedegesellen Hanne Schnut zu:

      „Ach Jena! Jena! Lieber Sohn,
      Sag’ mal, hört’st Du von Jena schon?
      Hast Du von Jena mal gelesen?
      Ich bin ein Jahr darin gewesen,
      Als ich noch Studiosus war.
      Was war das für ein schönes Jahr!“
      Ach' geh' mir doch mit Mutter's Schwaan
      Und mit des Alten Engeland *)
      Nein, Ziegenhan und Lichtenhan,
      Und dann der Fuchsturm, wohl bekannt,
      Und auf dem Keller die Frau Vetter **) —
      Es war ein Leben, wie für Götter! —
      Trink mal, mein Sohn, trink aus den Wein,
      Ich schenk' uns beiden wieder ein. —
      Und auf dem Markte standen wir.
      Zur Hand ein Jeder sein Rappier,
      Und Terz und Quart und Quartrevers —
      Gib mir Dein Glas nur wieder her —
      Die flogen links und rechts hinüber;
      Ja, Ja, da ging es scharf, mein Lieber!"

*) Bekanntlich hat der alte Schnut seinem Sohne England als Wanderziel empfohlen, während die Mutter ihr Herzenskind nicht gerne über das einheimische Schwaan hinausziehen lassen möchte.
**) Eine Reminiszenz an die Kneipereien der vereinigten Burschenschafter auf dem Burgkeller.


Gleich diesen seinem Landpfarrer konnte sich noch in späteren Jahren Fritz Reuter für seine Jenenser Zeit aufs Wärmste begeistern.

In Rostock schon war er einem regen Studentenleben begegnet, aber was war das gegen dieses Wonnedasein in Jena, wo der Student die erste, die einzige Rolle spielte und sich demnach das Burschentum zur vollsten Blüte entfalten konnte. Im Vergleich mit der Burschenveste Jena war Rostock trotz seiner Reize ein armseliger Ort, und Reuters Herz, das schon dort, in der alten Hansastadt freudiger gepocht hatte, wollte ihm beim Anschauen dieser Herrlichkeiten fast die Brust zersprengen. „Versenkt ins Meer der jugendlichen Wonne" genoss unser Dichter „der Freuden hohe Zahl", und Hauffs begeisterten, dem Burschentume gewidmeten Verse:

      „Mit dem Humpen in der Linken
      Wollen wir dein Wohlsein trinken,
      Altes, frohes Burschentum:
      Mit dem Hieber in der Rechten
      Wollen wir dich kühn verfechten,
      Freies, tapfres Burschentum!"

sind der treffendste Ausdruck für die damalige Stimmung Fritz Reuters.

Dass unser Freund in jener Zeit nur der Lust und den Freuden des Studententumes lebte und nicht an die ernsteren Seiten desselben, an seine dereinstige Karriere dachte, wollen wir ihm nicht so sehr verargen, sondern bedenken, dass er sich damals noch in den ersten Semestern befand und Musensöhne, welche unter günstigen Verhältnissen bereits in diesem Stadium sittlich entrüstet dem schönen, jugendlichen Burschenleben den Rücken kehren und ein Karthäuserdasein zu führen beginnen, zu den beneidens- oder — bemitleidenswerten Ausnahmeerscheinungen gehören. Den verlockenden Reizen des damaligen Jena würden übrigens höchst wahrscheinlich auch jene, durchaus ehrenhaften, Karthäuser nicht widerstanden haben.

Seiner äußeren Erscheinung nach schildert er sich selbst später*) als einen „mageren, lang aufgeschossenen Burschen mit langem Halse und langem Haar, bedeckt mit einer schwarz-rot-gold verbrämten Mütze", der in seinem Wesen „etwas Antediluvianisches, jetzt Untergegangenes“ zeigte.

*) Vgl. „De Reis nah Bellingen“. Vorrede

Im speziellen Verbindungsleben erwies sich Reuter nicht nur als begeisterten Verfechter der Ideen seiner Burschenschaft, sondern, wie wir nach früheren Beobachtungen auch schon vermuten können, als allzeit lustigen Gesellschafter und als einen herzlichen, zuverlässigen Freund.

An „Spritztouren" ließen es Reuter und seine Couleurbrüder bei der einladenden Natur des Thüringerlandes selbstverständlich nicht fehlen. Eine derselben, welche sich nach der Rudelsburg bewegte, wurde Veranlassung zu einem humoristischen Gedichte Reuters, welches derselbe auf der Rudelsburg selbst verfasste und in das dortige Fremdenbuch schrieb. Es behandelt in scherzhafter Weise die Entstehung der Rudelsburg und ihres unter dem Spitznamen „Samiel" in der Studentenwelt wohlbekannten Wirtes nebst seiner Gattin „Samiella". Wie Reuter in späteren Jahren dem Freunde, von welchem mir diese Notiz zufloss, erzählte, hat der Eigentümer der Burg, ein Herr von Schönburg, das Poem drucken lassen. Auch sollte es in Musik gesetzt und schließlich so populär geworden sein, dass es zu den Drehorgeln gesungen wurde. Ob es noch irgendwo vorhanden, kann ich nicht berichten. — Dass Reuter zur „Vermünterung" seiner Freunde noch ähnliche Dichtungen in die Welt gesetzt, ist im höchsten Grade wahrscheinlich, und ebenso darf unbedenklich angenommen werden, dass er auch durch humoristische Zeichnungen seinen Beitrag steuerte zur allgemeinen Heiterkeit. Gezeichnet wenigstens hat er — das ist uns verbürgt — auch während der tollen Jenenser Zeit ebenso eifrig wie früher.

Dass in einer Stadt, wo sich der Student ungeniert nach allen Richtungen hin entwickeln kann, auch die Originale, zumal die komischen, wohl gedeihen, steht außer allem Zweifel, und hat Reuter demnach seine in Mecklenburg begonnenen Studien in dieser Richtung mit Erfolg fortsetzen können. Von anderen, außerjenensischen und zum Teil schon dem Leben entrückten Originalen empfing er von Freunden, welche jenen nahe gestanden, die köstlichsten Schilderungen. So von dem bekannten in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts verstorbenen Professor der Geschichte an dem großen Gymnasium zu Gotha, Galletti, einem Manne von ungeheurer Gelehrsamkeit, der aber den üblen Fehler hatte sehr zerstreuet zu sein und in Folge dessen köstliche Quidproquo's und oft den hervorragendsten Blödsinn zu Tage förderte, wie z. B.: „Charilaus wurde sehr jung geboren", oder „Beim Überfall von Hochkirch schnallten die Preußen die bloßen Sättel über die Hemden und ritten in aller Eile zum Tor hinaus", oder: „Maximilian I. hatte die Hoffnung, den Thron auf seinem Haupte zu sehen", oder: „Die Israeliten sind schon ein gar altes Volk, sie kommen schon im Homer vor", oder: „Als Maria Stuart hingerichtet war, erschien die Königin Elisabeth im Parlament, in einer Hand das Schnupftuch, in der anderen die Tränen" u. dgl. m. Gallettis Schüler wussten sich während des trockenen und langweiligen Vortrages nicht besser zu beschäftigen, als indem sie diese geistigen Irrgänge ihres Präzeptors sofort mit größter Gewissenhaftigkeit aufzeichneten, und so war denn einer von ihnen in der Lage, unserem Dichter ein Heft mit 158 solcher Gallettiana zu überliefern, deren Richtigkeit eine ganze Reihe anderer Zöglinge des Gothaer Gymnasiums, welche mit Reuter zusammen in Jena studierten, bezeugen konnten. „Eine unbeschreibliche Heiterkeit", sagt Reuter „bemächtigte sich in Erinnerung der auf den Gymnasialbänken verflossenen Stunden des ganzen Kreises, wenn diese Dinge auf dem Burgkeller zu Jena vorgetragen wurden."

Das liebliche Thüringer Land endlich gewann über unseren für Naturschönheit so empfänglichen Dichter eine zauberische Gewalt, welche ihn in späteren Jahren seines Lebens immer wieder wie zu einer Jugendliebe gen Thüringen zurückzog und ihn dort auch sein Leben beschließen ließ.

Wo uns soviel schöne Bande fesseln wie hier unsern jungen Freund, trennen wir uns ungern und schwer, trotz alledem aber musste Fritz Reuter scheiden, er musste: der Wille seines Vater war unerschütterlich.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Fritz Reuter. Sein Leben und seine Werke.
Jena, Abschied der Studenten

Jena, Abschied der Studenten

Jena, altes Kollegiengebäude

Jena, altes Kollegiengebäude

Jena, am Holzmarkt

Jena, am Holzmarkt

Jena, Ansicht

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Jena, Burgkeller (2)

Jena, Burgkeller (2)

Jena, Burgkeller

Jena, Burgkeller

Jena, Burschentrachten

Jena, Burschentrachten

Jena, Der Eichplatz

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Jena, Der Engelsplatz

Jena, Der Engelsplatz

Jena, der Holzmarkt

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Jena, der Markt

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Jena, die Rose

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Jena, Friedensfeier der Universität Jena 1816 (2)

Jena, Friedensfeier der Universität Jena 1816 (2)

Jena, Friedensfeier der Universität Jena 1816

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Jena, Gasthaus zur Tanne

Jena, Gasthaus zur Tanne

Jena, Karzer nebst Hof

Jena, Karzer nebst Hof

Jena, Marktplatz

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Jena, Mensur auf Stoßdegen

Jena, Mensur auf Stoßdegen

Jena, Museums- und Rosengebäude 1836

Jena, Museums- und Rosengebäude 1836

Jena, Pflanzung der Friedenseiche 1816

Jena, Pflanzung der Friedenseiche 1816

Jena, Pulverturm

Jena, Pulverturm

Jena, Rasenmühle

Jena, Rasenmühle

Jena, Stoßmensur

Jena, Stoßmensur

Jena, Studentenbude

Jena, Studentenbude

Jena, Umgebung, Ziegenhain

Jena, Umgebung, Ziegenhain

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