Parchim

Die Vorderstadt Parchim, der Geburtsort Hellmuth von Moltkes [1800-1891], ist wie Stavenhagen und Friedland der Wohnsitz einer vorzugsweise Ackerbau treibenden Bevölkerung, hat jedoch — und hatte zu Reuters Zeit mehr noch denn heute — auch als industrieller Ort und Handelsplatz seine Bedeutung. *)

*) Es mag hier an die auch jetzt noch in Parchim lebhaft betriebene Tuchfabrikation wie an die nicht weniger ausgedehnte Herstellung des „deutschen Kaffees“ erinnert sein, um welch letztere sich der bereits S. 3. erwähnte Kommerzienrat Hoffmann besonders verdient gemacht hatte.


Überdem blickt Parchim zurück auf eine stolze Vergangenheit, auf eine Zeit, wo sie nach Rostock, dem sie auch heute noch rücksichtlich der Größe des städtischen Gebietes unmittelbar folgt, die angesehenste Stadt des Landes war, von den Fürsten häufig zu Friedensschlüssen und sonstigen Verhandlungen zugezogen, sowie auch als Schiedsrichter angerufen wurde, aus seinen Fehden mit dem mecklenburgischen und dem märkischen Adel stets glänzend hervorging und in äußeren Kriegen nach Rostock den größten Kontingent an Truppen stellte. Diese Blütezeit Parchims, während welcher sie die Hauptstadt des Binnenhandels und überhaupt die bevölkertste und wohlhabendste von allen Landstädten war, dauerte etwa von Mitte des 14. bis gegen Ende des 16. Jahrhunderts. Von da ab führten große Feuersbrünste, Kriegsschäden *), Pest**) und innere Unruhen immer mehr den Verfall der Stadt herbei, welche sich jedoch aus jener ruhmvollen Periode, auch im Äußeren, ein gewisses stillvornehmes Wesen bis heute bewahrt hat.

*) Im dreißigjährigen Kriege hatte Parchim besonders schwer zu leiden, und werden die Kriegsschäden der Stadt in den Jahren 1635—1645 auf mehr als 300.000 Thaler veranschlagt. Nicht minder hart geschädigt wurde die Stadt im schwedisch-deutschen Kriege, denn im Jahre 1659 wurde sie nebst ihrer Umgegend 11 Wochen lang durch die kaiserliche Armee unter Montecuculi förmlich ausgesogen. Der siebenjährige Krieg endlich forderte von keiner mecklenburgischen Stadt größere Opfer als eben von Parchim.
**) Der „schwarze Tod“ soll im Jahre 1626 an 1.600 Menschen dahingerafft und 10 Jahre später noch schrecklicher gewütet haben.


Die Umgebung ist eine sehr freundliche und weist namentlich herrliche Waldungen, wie das Buchholz, und für unsere Gegenden ansehnliche Bodenerhebungen auf, so den Eichberg am Wokensee und den sehr schönen, bewaldeten Höhenzug des Sonnenberges mit dem hübsch gelegenen und eine weite Aussicht gewährenden Brunnen, einem vielbesuchten Vergnügungs- und Badeort mit einer Eisenquelle.

An der im Jahre 1564 gegründeten „lateinischen Schule“ zu Parchim, welche besonders durch das Zutun des dortigen Superintendenten Konsistorialrats Floerke in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts neu organisiert und 1827 zu einem Friedrich-Franz-Gymnasium erhoben wurde, wirkten um die Zeit, als Reuter dieselbe bezog, neben Zehlicke als Direktor und Gesellius als Konrektor eine Reihe der begabtesten und für ihre hohe Aufgabe begeistertsten Lehrer. Das Streben der Schule galt im ganzen Lande als ein den höchsten Zielen zugewandtes, in ganz Mecklenburg war die ideale Richtung dieser Anstalt und der auf ihr herrschende sittliche Ernst auf das Beste bekannt und führte dem Gymnasium zahlreiche Schüler zu.

Fritz Reuter war von der Friedländer Schule als Sekundaner abgegangen *) und wurde Ostern 1828 in Parchim als Schüler derselben Klasse rezipiert. Über seine dortigen wissenschaftlichen Leistungen lautet das Urteil der Zeitgenossen ähnlich wie das seiner Friedländer Schulkameraden. In keinem Gegenstande des Schul

*) Seinem Vetter August Reuter war es gleichfalls angeboten nach Parchim überzusiedeln, er zog es jedoch vor in Friedland seinen Schulkursus zu vollenden.

Unterrichtes sich besonders auszeichnend und nirgends einen auffallenden, am wenigsten aber einen stetigen Fleiß entfaltend, wusste er sich vermöge seines guten Kopfes überall durchzuschlagen und verriet auch in keinem Fache völlige Unkenntnis. Seiner Fähigkeiten wegen wie um seines frischen, herzlichen und geraden Wesens willen liebten ihn auch hier die Lehrer, obschon er ihnen durch seinen geringen Eifer und durch sein zuweilen vorlautes, die ganze Klasse störendes Benehmen manchen Verdruss bereitete. Soviel im Allgemeinen, im Speziellen mögen die mir vorliegenden Schulzeugnisse*) sprechen: Die Zensur von Michaelis 1828 tadelt das ebengedachte vorlaute Wesen, welches es verhindere, ihm hinsichtlich des Betragens ein Lob zu erteilen. Sein Schulbesuch wird als unausgesetzt bezeichnet, doch habe er die üble Angewohnheit zuweilen zu spät zu kommen. „Aufmerksamkeit", heißt es weiter, „ist nicht in allen Lehrstunden gleichmäßig vorhanden", und der häusliche Fleiß wird mit folgenden Worten zensiert: „Fleiß ist in den deutschen und mathematischen Arbeiten nicht zu verkennen, nur wird er dann erst rechter Art sein, wenn er mit Pünktlichkeit und Ordnung verknüpft ist. Die Ferienaufgabe war in keiner Hinsicht genügend gelöst. In der letzten Zeit ist im Lateinischen und Griechischen weit mehr Fleiß bemerkt worden, als ehedem."

*) Aus den mir gütigst zur Benutzung erlaubten Akten des Parchimer Friedrich-Franz Gymnasiums.

Fortschritte sind nach diesem Zeugnisse zwar zu konstatieren, werden aber in noch größerem Maße erwartet. Noch ungünstiger lässt sich das zu Ostern 1829 erteilte Zeugnis aus, in welchem wiederum an seinem Betragen Vieles ausgesetzt, seine ungleiche Aufmerksamkeit aber und sein mangelhafter Fleiß*) noch schärfer gerügt wird. Auch von den Fortschritten scheinen die Lehrer nicht gerade befriedigt und meinen namentlich, dass dieselben im Französischen „bei größerem Fleiße" hätten „bemerkbarer" sein können.

*) In dieser Beziehung wird besonders die regelmäßig verspätete Einlieferung der schriftlichen Arbeiten getadelt, — Nach den Berichten seiner Schulgenossen war übrigens Reuter niemals um eine Entschuldigung für solche Nachlässigkeit, unter welcher vorzugsweise die griechischen Exerzitien zu leiden hatten, verlegen. Bald führte er zu seiner Verteidigung an, dass gerade Jahrmarkt gewesen sei, bald „hatte er es ganz vergessen“ oder er stellte sich im höchsten Grade überrascht: er habe doch erst neulich ein Exerzitium abgegeben, es könne unmöglich schon wieder so weit sein etc. Da er alle diese originellen Entschuldigungen mit einem eigentümlichen Humor unter großem Jubel der Klasse vorbrachte, so kam er bei den ihm unverkennbar wohlwollenden Lehrern fast immer damit durch und musste sich nur in den Zeugnissen eine missbilligende Bemerkung gefallen lassen.

Trotzdem wurde Reuter einmal in Rücksicht auf sein hohes Klassenalter (2 ½ Jahre), dann aber auch im Vertrauen auf seine oft bewiesene Leistungsfähigkeit Ostern 1829 nach Prima versetzt, durfte jedoch erst seit Michaelis 1829 an den prosaischen Lektionen der ersten griechischen Klasse, seit Ostern 1830 an dem mathematischen Unterricht in Prima und seit Neujahr 1831 an den poetischen Lektionen der ersten griechischen Klasse teilnehmen. Fritz scheint sich von nun an wirklich mehr zusammengenommen zu haben, wenigstens zeigt das Ostern 1830 ausgestellte Zeugnis des Primaners Reuter schon ein weit günstigeres Aussehen als die vorangegangenen. Dasselbe möge hier mit Auslassung einiger weniger, für weitere Kreise gleichgültiger Bemerkungen seinen Platz finden:

„Betragen ohne Tadel, Kommt zuweilen zu spät. — Schulbesuch. Regelmäßig mit Ausnahme nicht ganz unbedeutender, durch Kränklichkeit verursachter Unterbrechungen. — Aufmerksamkeit vorhanden. — Häuslicher Fleiß hat seit Michaelis einen merklichen Aufschwung genommen, jedoch sind die Früchte desselben fast nur noch die größtenteils regelmäßige Ablieferung der aufgegebenen Arbeiten; namentlich hätte der Wiederholung oft grö?erer Fleiß gewidmet werden müssen. Ist in der Mathematik anzuerkennen und würde viel Lob verdienen, wenn die schriftlichen Arbeiten immer pünktlich abgeliefert würden. In der Geschichte etwas bemerkt. Auf die französischen schriftlichen Arbeiten muss mehr Sorgfalt verwendet werden.

— Fortschritte. Im Allgemeinen beurkunden sie sich in den deutschen Arbeiten am meisten, obwohl auch diese bei längerer Bearbeitung besser geraten würden. Die lateinischen und griechischen Arbeiten sind noch immer sehr fehlerhaft, erstere auch in einer wenig römischen Sprache geschrieben. Übrigens sind in beiden Sprachen einige Fortschritte gemacht, wie in der deutschen Sprache; geringere in der Literatur-Geschichte, Erfreuliche in der Mathematik und einige in der Geschichte und im Französischen, — In die 1. Mathem. Klasse versetzt.“

Nach diesem wie nach dem Zeugnis von Michaelis 1830, welches im Folgenden wiedergegeben werden soll, gewinnt es den Anschein, als wäre Fritz Reuter in Prima, wo ein so grundgelehrter, für das Altertum hochbegeisterter Mann wie Zehlicke in den Hauptfächern: im Lateinischen, Griechischen und Deutschen, den Unterricht in der anregendsten Weise erteilte, ein ganz anderer Schüler geworden. — Von großer Wichtigkeit ist noch für uns, die wir uns hier mit der Geschichte des Schriftstellers Reuter beschäftigen, in beiden Zensuren das Urteil über seine deutschen Aufsätze, auf welche nach diesen Berichten großer Fleiß verwendet wurde und in denen sich die meisten und erfreulichsten *) Fortschritte bekundeten. In dem Osterzeugnis von 1830 wird hierbei hervorgehoben, dass diese Arbeiten durch eine „längere“, d. h. doch wohl eingehendere, sorgfältigere, Behandlung noch gewinnen würden, und von Seiten eines Mitschülers geht mir die Mitteilung zu, dass diese tadelnde Bemerkung in der Flüchtigkeit, mit welcher Reuter oft vorzüglich angelegte Aufsätze ausführte, seinen guten Grund gehabt habe. Auch nach dieser Quelle schrieb Fritz einen ganz vortrefflichen deutschen Aufsatz, aber er kam oftmals damit nicht ganz zu Stande. So, erinnert sich mein Gewährsmann, hatte unser Fritz einmal eine deutsche Arbeit abgeliefert. Die Einleitung war gut, das Ganze vortrefflich angelegt, die Ausführung mit Fleiß begonnen, aber nun hatte die Arbeitslust des jungen Autors plötzlich ihr Ende erreicht und die Durchführung war sehr schwach ausgefallen. Zehlicke schrieb folgende treffende Kritik unter den Aufsatz: Ich sah ein prächtiges Tor zu einem herrlichen Bau, und — dahinter stand ein Schilderhaus!" und hatte mit diesen Worten viele, ja die meisten der damaligen deutschen Elaborate Reuters charakterisiert. —

*) Die hierauf bezüglichen Äußerungen der Zeugnisse sind durch gesperrte Schrift hervorgehoben worden; ebenso eine für uns nicht minder interessante Notiz (in der Zensur d. d. Michaelis 1830) über das bei der Lektüre der klassischen Autoren bewiesene Verständnis.

Ich lasse nun das erwähnte Zeugnis von Michaelis 1830 seinem Wortlaute nach folgen:

„Betragen: lobenswürdig. — Schulbesuch: regelmäßig. — Aufmerksamkeit: vorhanden und mitunter gespannt.— Häuslicher Fleiß ist vorhanden; die Leistungen desselben sind jedoch ungleich; verhältnismäßig am meisten auf deutsche Aufsätze verwendet, welche alle, obwohl mitunter spät, eingeliefert sind; vollständig, obwohl zuweilen spät sind auch die lateinischen und griechischen Arbeiten eingeliefert. Die mathematischen Arbeiten sind nicht regelmäßig abgeliefert. Ist nicht gleichmäßig auf die französischen Arbeiten verwendet worden, — Fortschritte: Erfreulich in deutschen Aufsätzen; die lateinischen Exerzitien fangen an, grammatischer Reinheit und röm. Sprachgebrauchs sich einigermaßen zu nähern. Griechische Arbeiten zeigen auch einige Fortschritte, welche sich dagegen durchgängig im Verständnis der Schriftsteller beurkunden. In der Mathem. Fortschritte gemacht; im Franz. gemacht."

Zu diesem im Ganzen befriedigt lautenden und hoffnungsvollen Schulzeugnisse stellt sich dasjenige von Ostern 1831 in ziemlich scharfen Gegensatz und lässt vermuten, dass Reuters wissenschaftlicher Eifer inzwischen wieder bedeutend nachgelassen habe. Sein Wortlaut ist folgender:

„Betragen: Weniger lobenswürdig, als im vorigen Halbjahr, — Schulbesuch: einige Tage durch Kränklichkeit unterbrochen. — Aufmerksamkeit: gespannt; im Französischen häufig durch seinen Mitschülern mitgeteilte Bemerkungen unterbrochen *) — Häuslicher Fleiß ist zwar vorhanden, muss jedoch noch zuweilen erzwungen werden; die schriftlichen Beweise desselben liegen vor. bemerkt muss werden, dass auch auf einzelne lateinische Exerzitien wirklicher gleiß verwendet worden ist. Weit ungleicher und weniger genügend waren aber die mündlichen Beweise desselben. Wissenschaftlicher Selbsttrieb scheint fast gänzlich zu fehlen und die Beweise des Fleißes nicht weiter zu gehen, als sie erzwungen oder ihr Fehlen bestraft werden kann. Die meisten schriftlichen Arbeiten werden zu spät eingeliefert. Auf die französische Sektion ist nicht genügender Fleiß verwendet worden — Fortschritte werden im Lateinischen und Griechischen, so lange es ihm noch an wissenschaftlichem Ernst dafür fehlt, nicht bedeutend sein; daher (im Latein. und Griech.) zwar einige, aber doch nur unbedeutende bemerkt sind; wogegen seine deutschen Arbeiten fortwährend
Anerkennung verdienen; im Französischen geringe; in der Mathematik [unverkennbare] gemacht.“

*) Ein Schulfreund unseres Dichters bestätigt mir, dass Reuter sehr häufig humoristische und sarkastische Bemerkungen in den Schulstunden nicht habe unterdrücken können und dadurch allerdings zuweilen Unterbrechungen des Unterrichts verursacht habe.

Das lautete nicht gerade günstig für Jemanden, der zwei Jahre in der Prima gesessen hatte und gewillt war, sich im kommenden Halbjahr der Abiturientenprüfung zu unterziehen. Unser Fritz ließ sich jedoch dadurch nicht abschrecken; er vertraute seinem Ingenium, das ihn bisher in kritischen Augenblicken höchst selten im Stich gelassen, den Kenntnissen, die er sich trotz alledem, spielend, erworben, und endlich dem Wohlwollen seiner Lehrer, an welchem ihn die schlechten Zeugnisse nicht irre werden ließen. So stellte er sich denn im Sommer 1831 mit seinem in „Ut mine Festungstid" mehrfach erwähnten Freunde Franz Floerke*), dem Sohne des im Anfange dieses Abschnittes genannten Parchimer Superintendenten, zum Abgangsexamen, zunächst zur schriftlichen Prüfung.

*) Jetzt als Hofrat Dr. jur. Floerke das Bürgermeisteramt in Grabow verwaltend.

Durch das freundlichste Entgegenkommen bin ich in den Stand gesetzt, die Themata wie die manches Interessante, Charakteristische enthaltenden Beurteilungen der schriftlichen Prüfungsarbeiten nach den Parchimer Schulakten im Folgenden mitzuteilen:

Für den deutschen Aufsatz lautete das Thema:

„Über den Missbrauch der Schwächen Anderer", und Zehlicke kritisierte die Arbeit mit nachstehenden Worten:

Zwischen Einleitung und Ausführung findet ein großes Missverhältnis statt; auch vermisst man den Übergang von der einen zur andern; einmal scheint der Verfasser sich nicht klar gewesen zu sein. Gleichwohl zeigt der Aufsatz, dass er dem Verfasser weder an Gedanken, noch an Gabe der Darstellung fehlt, und kann als genügend betrachtet werden.“

Der lateinische Aufsatz behandelte das Thema: Quibus rebus factum sit, ut Romani rempublicam amiserint, und das gleichfalls von Zehlicke herrührende Urteil darüber sagt:

„Das Thema ist richtig behandelt, obwohl nicht genügend ausgeführt, indes darf der Aufsatz in dieser Hinsicht dich als genügend gelten. — Die Darstellung leidet an Sprachfehlern, welche wohl zum Teil nur Versehen oder Germanismen sind; an unlateinischen Ausdrücken und Wendungen ebenso durchweg, wie an Unbehilflichkeit, und von dieser Seite kann der Aufsatz nicht als genügend gelten.“

Die übrigen schriftlichen Arbeiten in den alten Sprachen sind Übersetzungen und Kommentationen. Im Horaz übersetzte und interpretierte Reuter die schwermütige Ode über die Vergänglichkeit alles Irdischen: Eheu fugaces, Postume (Lib. II., 14), und bemerkt wiederum Zehlicke hierzu:

„Die Übersetzung ist größtenteils richtig. In Stellen in welchen der Sinn verfehlt ist, hat sich der Verfasser wenigstens etwas an sich nicht Unvernünftiges gedacht, — Die Anmerkungen sind, in schlechter Latinität geschrieben, zum Teil sehr ungenügend und unbedeutend, jedoch größtenteils richtig. Auch der Inhalt ist richtig angegeben. Die Arbeit mag im Ganzen als genügend gelten.“

Vom Tacitus wurden cap. XXXIV. und XXXV. aus dem XVI. Buch der Annalen übersetzt; nicht mit sonderlichem Glück, denn Zehlicke meint:

„Mehreres ist in der Übersetzung verfehlt, so dass sie nicht als genügend angesehen werden kann."

Über die griechische Arbeit (Übersetzung aus dem Deutschen ins Griechische) sagt derselbe Examinator:

„Die Arbeit enthält Fehler gegen Wortbildung und Wortfügung, verrät indessen im Tanzen Bekanntschaft mit beiden und mag also als genügend gelten können.“

Hierneben musste Reuter noch Übersetzungen aus dem Xenophon und Homer anfertigen. Aus des ersteren Schriftstellers Convivium war ihm caput, 2. zur Bearbeitung aufgegeben worden. Wie der Dichter diese Aufgabe löste, erhellt aus dem nachfolgenden Bericht:

„Die Übersetzung umfasst nicht das ganze aufgegebene Stück, welches um so mehr zu bedauern ist, da der Schluss desselben zugleich den Schlüssel zu demselben enthält, — Was im Übrigen verfehlt ist, beweiset nicht gerade Unwissenheit, sondern lässt die Ansicht, dass der Verfasser der Lektüre des Xenophon gewachsen sei, außer Zweifel. Sonach könnte die — freilich leichte — Arbeit wohl für genügend gelten. — Zehlicke.“

Aus Homers Odyssee war den Abiturienten ein Pensum aus dem X. Buche (V. 203 ff.) zugeteilt worden; die Kritik des Direktors sagt:

„In der Übersetzung ist Manches verfehlt; die Anmerkungen sind größtenteils unbedeutend, einige auch unrichtig; und daher kann die Arbeit wohl nicht völlig genügen.“

Die geringsten Kenntnisse zeigte Fritz Reuter im Französischen. Über den von ihm angefertigten Aufsatz, welcher über „Les suites de la guerre de trente ans" handelte, lässt sich der Lehrer Adolf Steffenhagen*) in folgenden Worten aus:

„— — — Aus der gegebenen Übersicht geht hervor, dass der Verfasser in einer gewissen logisch begründeten Folge sein Thema behandelt habe. — Hinsichtlich des Französischen ist zu bemerken, dass in stilistischer und lexikalischer Hinsicht der Verfasser manche Härten sich hat zu Schulden kommen lassen, — doch wird hier Manches entschuldigt werden können. Die eigentlichen Sprachfehler aber finden eine solche Entschuldigung nicht; und diese finden sich in großer Menge. — Es wird diese Arbeit deshalb wohl nur als „nicht genügend“ angesehen werden können.“
Von seiner vorteilhaftesten Seite zeigte sich dagegen Reuter im mathematischen Examen. In der von Gesellius herrührenden Rezension der betreffenden Arbeit heißt es am Schlusse:

„— — — und somit möchte aus der Arbeit hervorgehen, dass der Verfasser zum weiteren Studium der Mathematik genügende Kenntnisse besitzt."

*) Steffenhagen, tüchtig durch Lehrmethode und seiner Zeit auch als pädagogischer und schulwissenschaftlicher Schriftsteller geachtet, war Michaelis 1823 am Friedrich-Franz-Gymnasium angestellt worden und starb 1863 in Parchim.

Eines ergibt sich aus diesen Arbeiten zur vollen Evidenz, dass nämlich unser Fritz ebenso wenig ein bedeutendes Talent wie andererseits eine große Vorliebe für fremde Sprachen besaß. Nicht minder zweifellos ist aber nach diesen Zeugnissen das Vorhandensein eines reich, wenn auch nicht gerade schulmäßig, entwickelten Geistes bei dem Dichter und der Fähigkeit, sich in der Muttersprache klar und mit stylistischer Schönheit auszudrücken. Namentlich zeigte sein deutscher Aufsatz gute Gedanken in ansprechender Form, „es fehlt dem Verfasser weder an Gedanken, noch an Gabe der Darstellung“, sagt die Rezension, und bei allen Arbeiten, wo es auf Raisonnement ankam, wird hervorgehoben, dass der Abiturient logisch zu Werke gegangen sei. Die Kritik über den deutschen und lateinischen Aufsatz enthält übrigens wieder den alten, von Zehlicke schon so oft dem Schüler gemachten Vorwurf, dass die Ausführung nicht der Anlage der Arbeit entspräche. Das Urteil Gesellius' über die mathematische Leistung ist in doppelter Hinsicht interessant, einmal weil dasselbe bestätigt, was Reuter selbst in seinen Schriften mehrfach hervorhebt, dass er nämlich große Hinneigung zu der Mathematik gehabt und — was der Dichter in seiner bekannten großen Bescheidenheit natürlich nicht mitteilt — auch tüchtige Kenntnisse in dieser Wissenschaft besessen habe, und andernteils weil es nach ihm den Anschein gewinnt, als habe Reuter damals die Absicht gehabt, die Mathematik zum Gegenstande seiner Universitätsstudien zu machen und von diesem Plane den ihm befreundeten Lehrer in Kenntnis gesetzt habe, denn ich wüsste sonst nicht, weshalb Gesellius in der Rezension ausdrücklich bemerkt haben sollte, dass Fritz genügende Kenntnisse „zum weiteren Studium der Mathematik" besäße.

Nachdem die beiden Abiturienten das schriftliche Examen absolviert, hatten sie am 15. August die mündliche Prüfung zu bestehen. Am Schlusse des über dieselbe aufgenommenen Protokolls heißt es:

„Nach genaueren Besprechungen über die schriftlichen Ausarbeitungen und mündlichen Prüfungen vereinigte man sich zu nachstehendem Resultat:
der Gymnasiast Reuter ward
a. im Philologischen als nicht völlig genügend,
b. in der Mathematik als genügend,
c. in der Geschichte als genügend befunden.
— — — — — — — — — — — — — — — — —
Beiden Abiturienten soll jetzt das Zeugnis der Reife zuerkannt werden."

Aus dem historischen Examen, welches, wie sich aus dem Vorstehenden ergibt, ja im Ganzen günstig ausfiel, wird mir von zuverlässiger Seite noch folgendes kleines Intermezzo berichtet: Reuter hatte sich die Geschichtsdaten nur mangelhaft eingeprägt, und so kam es, dass er bei einer Frage um die betreffende Jahreszahl verlegen war. Sein Leidensgenosse soufflierte ihm dieselbe, Fritz missverstand sie jedoch und kam nun mit einer argen Zeitverwechslung zum Vorschein, die den um den glücklichen Ausgang des Examens seines jugendlichen Freundes wohl etwas besorgten Konrektor Gesellius in so große Aufregung versetzte, dass er den Abiturienten in Gegenwart des ganzen Scholarchats und Lehrerkollegiums andonnerte: „Fritz, bist Du verrückt!"

Den Beschluss dieser Darstellung des wissenschaftlichen Entwicklungsganges, welchen Fritz Reuter auf dem Parchimer Gymnasium nahm, möge das ihm unter dem 29. September 1831 ausgestellte Entlassungszeugnis bilden. Die im Anfange desselben mitgeteilten biographischen Daten sind meinen Lesern zwar bereits bekannt, da sie jedoch ein ganz gutes Resumé der bisherigen Bildungsgeschichte abgeben, so füge ich das Aktenstück hier ungekürzt ein:

                  Entlassungs-Zeugnis.

Heinrich Ludwig Christian Friedrich Reuter. Sohn des Bürgermeisters Reuter in Stavenhagen, 20 Jahr alt, lutherischer Konfession, erhielt seinen ersten Unterricht in dem väterlichen Hause durch einen Hauslehrer, ging Michaelis 1824 auf die gelehrte Stadtschule zu Friedland, ward in die dritte Klasse daselbst aufgenommen und Michaelis 1826 in die zweite versetzt, kam Ostern 1826 auf das Großh. Fr. Fr. Gymnasium und ward in Secunda rezipiert, jedoch Ostern 1829 nach Prima versetzt, nahm jedoch erst seit Michaelis 1826 an den prosaischen Lektionen der ersten griech., seit Ostern 1830 an den Lektionen der ersten mathemat. und seit Neujahr 1831 an den poet. Lektionen der ersten griech. Klasse Teil.

Sein Betragen hat erwiesen, dass er von Zeit zu Zeit immer mehr bemüht gewesen ist, die Zufriedenheit seiner Lehrer zu gewinnen;
sein Fleiß war ungleich; in einzelnen Fällen anzuerkennen, in anderen vermisst;
seine Fortschritte sind in allen Unterrichtsgegenständen durch sein Vorrücken bewiesen;
seine Kenntnisse sind in der vorschriftsmäßig mit ihm angestellten Abiturienten Prüfung befunden:
in fremden Sprachen als nicht völlig genügend,
in der Mathematik als genügend und
in der Geschichte als genügend,
und ist ihm das Zeugnis,
der Reife
zum Besuche der Universität zuerkannt.

Es wird also dieser durch geistige Regsamkeit und günstige Anlagen für ein der Wissenschaft gewidmetes Leben berufene Jüngling unter guten Hoffnungen und Wünschen von der hiesigen Bildungsanstalt entlassen.
Großherzogl. Fr. Fr. Gymnasium zu Parchim,
den 24. September 1831.


Das gesellschaftliche Leben gestaltete sich für Fritz Reuter in Parchim zu einem sehr angenehmen. Nicht nur, dass die Lehrer in ungezwungenster, herzlichster Weise mit ihren Zöglingen verkehrten und sich, nachdem das wissenschaftliche Tagewerk vollendet, häufig sogar mit ihnen zu einer gemüthlichen Kneiperei vereinigten, auch von Seiten der ganzen Einwohnerschaft Parchims wurde den Angehörigen der neuerstandenen Schule, auf deren Blüte man große Hoffnungen für das materielle Gedeihen der Stadt baute, das größte Wohlwollen entgegengebracht, und die Gymnasiasten spielten — wie auch bis in die neueste Zeit hinein — eine hervorragende Rolle in der Parchimer Gesellschaft. Von den damaligen Schülern des Friedrich-Franz-Gymnasiums erfreuten sich aber nur wenige einer gleichen Beliebtheit in vornehmen und bürgerlichen Kreisen wie Fritz Reuter, dessen frisches, originelles, urgemütliches Wesen ihn überall zu einem gerngesehenen Gaste machte. Neben den Häusern seiner Verwandten und Lehrer erschloss sich ihm dasjenige des ersten Bürgermeisters Geh. Hofrats Wüsthoff, welcher die Primaner und Sekundaner sehr oft zu Tanzgesellschaften einlud, wie das seines Kollegen des Bürgermeisters Koß und des Ober-Appellations-Gerichts-Rats Baron von Nettelbladt. Weiter gingen ihm und seinen Kollegen regelmäßig Einladungen zu den Bällen des „Casinos", einer Vereinigung der vornehmen Gesellschaft, zu. Der höhere Bürgerstand hatte unter sich einen sozialen Kreis gebildet, welcher sehr exklusiv war und zu dem Schüler fast gar nicht zugezogen wurden, ausgenommen jedoch Fritz Reuter mit seinen Freunden Carl Krüger (jetzt Senator in Malchin)*) und Carl Behm, dem Pflegesohn des Direktors Zehlicke.

Bei soviel Einladungen zum Tanze musste Fritz Reuter seine Ungewandtheit in dieser Kunst doppelt schmerzlich empfinden, und als die ihrer Zeit in Mecklenburg aufs Beste bekannte Madame Buschenheuer **) einen Tanzkursus in Parchim eröffnete, ergriff er begierig diese Gelegenheit zu seiner Vervollkommnung.

*) Es ist dies derselbe „Korl Kräuger", dem Reuter später seine Dichtung: Hanne Nüte „taum Gedächtnis an de schönen Jungs, un Schauljohren“ widmete.

**) So, und nicht „Kremer", wie F. Koß der Sohn des Parchimer Bürgermeisters und jetzt in Amerika, in „Der Herold“ d. d. Milwaukee, den 15. September 1874, meint, lautete der Name dieser Tanzlehrern, Frau Kremer oder „Krämer“, wie sie richtig geschrieben wird, trat erst viel später auf. Der Koß'sche, „Fritz Reuter als Maler“ überschriebene Aufsatz enthält überhaupt neben manchen interessanten Mitteilungen viele phantastische Zutaten.


Damals war die heute, bei uns in Mecklenburg wenigstens, längst von den Tanzordnungen verschwundene Mazurka gerade Modetanz, welche Madame Buschenheuer u. a. auch der Tochter des Bürgermeisters Koß und einigen ihrer Freundinnen im Hause des Vaters einstudieren musste, und unter den Kavalieren, welche zu diesem am Mittwoch stattfindenden Unterrichte zugezogen wurden, befand sich auch unser Dichter. Soweit es bei diesem Tanze auf die Entfaltung jugendlicher Kraft ankam, leistete der „bräsige" Fritz Vorzügliches, weniger konnte dieses in Rücksicht auf Grazie und Rhythmik gesagt werden, wie denn überhaupt auch in diesen Tanzstunden wieder der Mangel des musikalischen Ohres bei Reuter in fühlbarster Weise hervortrat und alle Hoffnungen, welche er auf diese erneuten Studien gesetzt hatte, zu Schanden werden ließ. Welche Unannehmlichkeiten ihm dieses Unvermögen, im Tanze etwas zu leisten, verursachte und wie er sich hierüber zu trösten suchte, hat er uns in „Schurr-Murr" pag. 248. ganz spaßhaft geschildert: „Meine Beine waren an den schlechten Erfolgen nicht Schuld — ich bin, Gott sei Dank, noch heute mit ihnen zufrieden — das Übel lag bei mir höher hinauf, in meinen Ohren; die schnödeste Taktlosigkeit verdarb jede zierliche Bewegung meiner armen, strebsamen Glieder, indem sie dieselben zur unrechten Zeit ein- und ausfallen ließ; und da ich glücklicherweise von diesem Übel nicht die geringste Ahnung hatte, so habe ich in gutem Glauben manches Jahr durchgehopst, bis mir denn endlich in jenen Jahren, in denen der blinde Knabe die Engagements auf den Bällen vermittelt, schrecklich die Augen aufgehen sollten. Kein junges, irgend hübsches Mädchen wollte mit mir tanzen, weil sie sich lächerlich zu machen und dadurch die Tür zum Ehestandstempel zu verschließen fürchtete, und daher blieb für mich nur jene alte Garde übrig, die sich bisher auf keinem Ballschlachtfelde ergeben hatte, und jene noch nicht förmlich einrangierte Schaar kleiner Tanzrekruten, die man im gewöhnlichen Leben Backfische zu nennen pflegt. Als ich diese Erfahrung machte, schmerzte sie Anfangs allerdings; aber als ich mir Alles wohl überlegte, beschloss ich meine Beine ferner zum Benefiz unglücklicher Damen forttanzen zu lassen, und niemals ist eine gute Tat besser belohnt worden: die alte Garde erklärte, ich sei für meine Jahre schon sehr verständig, und die kleinen Rekruten, ich sei für meine Jahre noch sehr liebenswürdig. Beides hat mir schöne Früchte getragen; verzweifelten die älteren Damen auch bald daran, mir den Takt im Tanzen beizubringen, so führten sie mich doch in die Taktik einer pikanten Unterhaltung ein, und die kleinen Backfische eröffneten mir in ihrer Dankbarkeit einen ganzen Himmel von Hoffnungen für die Zukunft; und da ich mein ganzes Leben hindurch töricht genug gewesen bin, die Hoffnungen auf die Zukunft dem Genusse der Gegenwart vorzuziehen, so ließ ich die sicher schon erhaschten Sperlinge aus der Hand fliegen und griff nach den kleinen unschuldigen Tauben auf dem Dache. " — Ganz so schlimm, wie Reuter sie hier darstellt, war übrigens die Sache in Wirklichkeit nicht, der junge „Fritz-Burmeister" (= Bürgermeisters Fritz) war trotz seiner Ungeschicklichkeit im Tanzen, wie die vorerwähnten Einladungen zu den verschiedenartigsten Gesellschaften beweisen, überall willkommen und gesucht.

Besonders genussreiche Stunden gewährten dem Jünglinge auch die abendlichen Vereinigungen beim Direktor Zehlicke, in dessen Hause er auch eine Zeit lang mit anderen Schulkameraden als Pensionär weilte. *) Nach vollbrachter Arbeit pflegte Zehlicke, ein Mann von lebhaftem Geiste und zuweilen sprudelnd von Witz, mit seinen Hausgenossen der geselligen und gemütlichen Unterhaltung, wobei sich unser Fritz durch Frische, Lebendigkeit und Schlagfertigkeit wie durch humoristische Auffassung und Darstellung mancher Vorkommnisse auszeichnete. Als an einem solchen Abende Reuter seiner kühnen Phantasie all zu sehr die Zügel schießen ließ und eine gar zu romantische Erzählung zum Besten gab, unterbrach ihn der damals noch kleine Sohn Zehlickes Johannes **) mit der Heiterkeit erregte und dem Vater ob der dadurch bewiesenen Aufgewecktheit seines Söhnleins eine herzliche Freude bereitete.

*) Ich habe diese Notiz von einem älteren, damals schon in Parchim beamteten Freunde Reuters, dem ich überhaupt manche zuverlässige Mitteilung über diesen Lebensabschnitt verdanke. Wenn mir von anderer Seite durch einen Schulgenossen die nicht minder dankenswerte Nachricht zuging, Reuter sei in der ersten Zeit beim Konrektor Gesellius in Pension gewesen und habe später, nachdem er dessen Haus verlassen, eine Privatwohnung bezogen, so haben wir diesen anscheinend nur kurzen und eben darum dem Gedächtnisse seines Schulgenossen vielleicht entfallenen Aufenthalt bei Zehlicke wohl in die Zwischenzeit zwischen beiden zu verlegen. Das später innegehabte Privatlogis befand sich im Hause des Bäckers Hilgendorf.
**) Lebt als Rentier in Röbel.


Zu den Pensionären in Zehlickes Hause gehörten zu jener Zeit auch die Söhne des Generals von Boddien: der spätere Hofmarschall in Neustrelitz Adolf von Boddien und der als Forstmeister in Schwerin verstorbene Gustav von Boddien, welcher sich Ende der vierziger Jahre durch seine vorzüglichen politischen Karikaturen wie den „Reichskanarienvogel", „Weltanschauung“ etc. als talentvoller Zeichner und geistreicher Satiriker bekannt machte. Ob Letzterer sich auch auf der Schule schon mit dem Zeichnen von Karikaturen beschäftigt, kann ich nicht angeben, möglich ist es jedoch immer, dass Reuters Neigung zum Karikaturzeichnen durch die v. Boddien'schen Versuche neue Nahrung erhalten hat, möglich aber auch, dass das Umgekehrte der Fall war. Denn dass Fritz seiner von Friedland her bekannten Liebhaberei zu karikieren treu blieb, steht nach den Berichten seiner Schulkameraden außer allem Zweifel. Reuter fuhr überhaupt fort, die lächerlichen Eigentümlichkeiten an den Personen seiner Umgebung, selbst an seinen Lehrern, zu beobachten und hervorzukehren, ohne jedoch Jemanden dadurch verletzen zu wollen, vielmehr nur weil er persönlich eine Freude an diesen komischen Seiten seiner Mitmenschen hatte.

Auch beim Zeichnen ernsterer Objekte zeigte Fritz nach wie vor Fleiß und Geschick. Ein jüngerer Parchimer Gymnasiast aus jener Zeit erinnert sich noch sehr wohl, dass Konrektor Gesellius in seiner jeden Mittwoch und Sonnabend Nachmittag stattfindenden Zeichenstunde von Fritz Reuterherrührende Zeichnungen als nachahmungswerte Beispiele für die Anfänger herumreichte. Es waren das meistens antike Köpfe, wie denn das Zeichnen von Köpfen, speziell das Porträtieren, fortdauernd die liebste Form der Reuter'schen Zeichenstudien blieb.

Außer mit dem Zeichnen beschäftigte sich unser Fritz damals viel mit dem Studium der hervorragenden Dichter unseres eigenen Volkes wie des Auslandes. War unter den letzteren Walter Scott der Liebling seiner Friedländer Zeit gewesen, so wandte er sich jetzt vorzugsweise Shakespeare und Ossian zu; des letzteren Gedichte las er in der damals beliebten Ahlwardt'schen Übersetzung. Diese Lektüre ward zu einer sehr fruchtbaren, Dank seinem in Wahrheit außerordentlichen Gedächtnis, dem sich alle irgend bemerkenswerten Stellen so fest einprägten, dass er sie mit Leichtigkeit ex abrupto zitieren konnte. Noch in viel späteren Jahren verfügte er mit gleicher Sicherheit über den damals erworbenen Zitatenschatz zum gerechten Erstaunen seiner Umgebung.

In die Zeit des Parchimer Aufenthaltes fällt auch die Entstehung seines ersten Gedichtes, zu welchem eine mit einigen Freunden unternommene Reise nach dem romantischen Rügen den äußeren Anlass, die eben besprochene eingehende Beschäftigung mit großen Dichterwerken aber wohl die innere poetische Anregung gab. Fritz Reuter besang in achtteiligen Stanzen den Herthasee und zwar nach Ansicht seiner damaligen Freunde „ganz vortrefflich". Das Poem wurde dann als „Julklapp" dem Direktor Zehlicke auf die Diele geworfen, welcher, stolz auf diese Leistung eines seiner Schüler, dasselbe als ein treffliches Zeugnis für den auf dem Parchimer Gymnasium herrschenden Geist offiziell beim Ministerium eingereicht oder doch dem dermaligen höheren Schulbeamten, dem Schulrat Meyer, übersandt haben soll. So wenigstens will ein Freund, der Fritz Reuter während seiner Parchimer Zeit sehr nahe stand und von dem mir manche höchst wertvolle Beiträge für diesen Abschnitt zugingen, später gehört haben. Leider ergaben die Nachsuchungen, welche Herr Schulrat Dr. Hartwig in Schwerin auf meine Bitte in den Ministerialakten wie unter den im Besitze des Herrn Oberstabsarzt Dr. Meyer daselbst befindlichen, vom Schulrat Meyer herrührenden Papieren zu veranlassen die Güte hatte, keine Spur dieses Gedichtes, und wird dasselbe, dessen Existenz zweifellos ist, auch wohl von Zehlicke überhaupt nicht abgeschickt und, falls es nicht etwa noch in den Händen irgend eines Privaten sich befindet, verloren gegangen sein. Gedruckt ist es jedenfalls nicht.

Dies war Reuters erstes Gedicht, d. h. das erste Gedicht, bei welchem er selbst sich seines dichterischen Schaffens bewusst war. Dass der Dichter schon in seiner Knabenzeit Verse gemacht, wie die in „Schurr-Murr" pag. 238. von ihm selbst mitgeteilten und von Otto Glagau*) als „erstes Gedicht“ reproduzierten:

*) „Fritz Reuter und seine Dichtungen“. Von Otto Glagau, 1866. pag. 6.

      „Im Frühling blühen die Rosen,
      Im Sommer verlieren die Gänse ihre Posen“,

ist durchaus nicht zu bezweifeln, haben wir doch fast alle in unseren Knabenjahren derartige Reimereien zu Stande gebracht, „sind aber keine Reuter geworden" und sind uns wohlbewusst, dass es uns damals nur auf den Gleichklang der Silben, den Reim ankam, dass uns also nur das Gefallen am Tönen und Klingen, welches jedem Kinde, auch dem später „unmusikalischsten", eigen ist, zu solchen Versuchen verleitete. Als „Gedicht“ kann man daher die beiden obigen Zeilen mit Reuter nur im Scherze bezeichnen.

Auch noch in einer anderen Kunst als der Malerei und Poesie versuchte sich Fritz Reuter in Parchim, freilich nur einmal, aber dieses eine Mal auch mit dem besten Erfolge. Als Michaelis 1829 der Subrektor des Friedrich-Franz-Gymnasiums Friedrich Loescher*) die Tochter des Geh. Hofrats Wüsthoff heiratete, traten am Polterabend die Primaner bei Überreichung ihrer Geschenke in allerlei Soloscherzen auf. Fritz Reuter, der ein sehr hübsches Umschlagetuch überbrachte, hatte hierzu die Maske eines jüdischen Trödlers gewählt und das dabei vorgetragene, recht launige Gedicht wahrscheinlich selbst verfasst. „Unvergesslich“, schreibt mir ein Augenzeuge, „ist mir sein hierbei bewiesenes dramatisches Talent, wie er das kriechende Wesen eines Kleidertrödlers in Sprache (Jargon) und Gesten vortrefflich und zu allgemeinem Ergötzen darstellte.“ Wie Reuter später eben diesen Berichterstatter mittelst jenes dramatischen Talentes einmal mystifizierte, wird seiner Zeit berichtet werden.

*) Lehrer der Parchimer Schule seit 1824, seit Michaelis 1833 Prediger an der Pfarrkirche zu Güstrow.

Im Verkehr mit seinen Schulkameraden zeigte sich Fritz ganz ebenso wie in Friedland. Den gutmütigen Scherz, die harmlose Neckerei liebend, war er auf der anderen Seite der zu jedem Dienste bereite, ja sich aufopfernde Freund. Einmal sollte ihn seine freundschaftliche Treue in einige Verlegenheit bringen. Pfingsten 1829 war nämlich Reuter mit einigen Schulgenossen und älteren Freunden nach dem häufig von ihnen besuchten Brunnen hinausgegangen. Die muntere Gesellschaft hatte dort fleißig der Flasche zugesprochen, und da diese überdem mit einem herzlich schlechten Wein gefüllt war, so war einer der älteren Kneipanten derartig mit den Gesetzen der Statik in Kollision geraten, dass er ob dieses Vergehens bis zum nächsten Morgen auf dem Brunnen als Arrestant verbleiben musste. Fritz Reuter war schon mit den Übrigen auf dem Heimwege zur Stadt, als er von dem Ungemach hörte, welches seinen Freund betroffen. Sofort ging er nach dem Brunnen zurück, ließ sich in demselben Zimmer mit dem „Verwundeten“ ein Bett geben und verweilte bei ihm bis zum Morgen. Es muss dies in der Zeit gewesen sein, wo unser Freund bei Zehlicke in Pension war, denn als er am andern Morgen in die Klasse kam, fragte ihn dieser, wo er die Nacht gewesen sei. Fritz, in seiner bekannten Unerschütterlichkeit, antwortete mit dem ernsthaftesten Gesichte von der Welt: „Ich wollte auf dem Brunnen die Sonne aufgehen sehen!“ Diese, allgemeine Heiterkeit erweckende Ausrede, wurde in Parchim bald eine sehr beliebte Scherzbezeichnung für Nachtschwärmerei.

Reuters Schuljahre in Parchim waren aber nicht nur die Zeit seines ersten dichterischen Schaffens, sie sahen auch sein Herz zum ersten Male in feuriger Liebe entflammen. Das war aber keine jener gewöhnlichen „Schülerflammen", wie viele sie vielleicht in ihren Herzen angezündet und eine Zeitlang genährt haben, um sie bald darauf, kopfschüttelnd über ihre Pennaltorheit, mit dem kalten Verstande wieder zu erdrücken, nein, Reuters Jugendliebe gehörte nicht zu diesen hellflackernden, aber schnell verlöschbaren Feuern, sie glühte fort und fort, bis ihr ein enger Kerker die Lebensluft abschnitt und sie ersticken musste. Noch in Rostock als Student stand ihm das Bild seiner Schülerliebe so klar vor Augen, dass er es mit sprechender Portraitähnlichkeit aus dem Gedächtnisse zeichnete; und dass er während der ganzen Studentenzeit allerlei schöne Pläne und Hoffnungen rücksichtlich seiner Angebeteten gehegt, geht aus Kap. 21 von „Ut mine Festungstid" hervor, wo sich Reuter dem schwärmenden „Kapteihn" gegenüber die Worte in den Mund legt: „Ik heww ok mal 'ne schöne blage Sleuf von en schönen blonden Kopp unner de West dragen un hadd nu all Fru un Kinner hewwen künnt, wenn de ßackermentsche Festungsgeschicht dor nich mang kamen wir." Und wenn er weiter fortfahrend ausruft: „Ach, Kapteihn! Wat heww ik vör romantische Geschichten anstellt!" und nun zum Belege für diese Behauptung erzählt, wie er als Schüler in einen Pflaumenbaum gestiegen sei, um das Schlafstubenfenster seiner Geliebten zu sehen, während ein Freund unten zur Gitarre sang: „Höre, wie der Regen fällt, hör“, wie Nachbars Hündchen bellt!", und wie er dann, nachdem der bleiche Strahl des Mondes der Umschwärmten und ihrer Schwester seinen luftigen Observationspunkt verraten, unter schwerer Verletzung eines sehr notwendigen Kleidungsstückes, ziemlich beschnieen den Rückzug angetreten habe, so berichtet er nur der historischen Wahrheit gemäß. Auch das ferner ist richtig, dass der Vater seiner Herzensdame, indessen Hause der Dichter vielfach verkehrte, zuerst sehr ungehalten war über diese Störung seiner Nachtruhe. Nachdem sich jedoch die erste Aufregung gelegt, scherzte der joviale alte Herr selbst über diese verunglückte Serenade und lud den jungen Seladon noch oft zu sich ein. Wie mächtig bei diesen Besuchen allein schon die Nähe, das Erscheinen der Verehrten auf Reuters jugendliches Gemüt wirkte, schilderte er in späteren Jahren seinen Freunden oft mit den Worten: „Wenn se mi 'ne Tass' Thee presentiren ded, denn würd 'k all rot, ihr 'k drunken had.“ — Als später „Lowising“ ihren Einzug in Reuters Herz hielt und Alleinherrscherin in diesem schönen Reiche wurde, muss ihr Fritz seine Jugendfreundin in so lichten Farben gezeichnet haben, dass auch sie, weit entfernt von irgendwelcher Eifersüchtelei, diese Dame lieb gewann und ihr beim Hinscheiden Reuters den Tod ihres „Jugendfreundes“ in den herzlichsten, freundschaftlichsten Worten anzeigte und dadurch einen neuen, schönen Beweis ihres reichen und edlen Gemütes gab.

Während so Reuters Herz in bisher ungekannten Freuden schwelgte, sollte ihm hier in Parchim auch der Schmerz nicht erspart bleiben. In die Zeit seines Parchimer Schulbesuches, auf den 18. Januar 1829, fällt auch das Abscheiden des Ratsherrn Herse, und wenn den Dichter dieses Ereignis auch nicht in der Weise erschütterte wie der Tod seiner Mutter, ganz spurlos ging dasselbe doch nicht an ihm vorüber, denn er hatte dem prächtigen Manne, welcher der treueste Freund seiner glücklichen Kindheit gewesen, ein schönes Plätzchen in seinem Herzen bewahrt. Und mehr noch als ein väterlicher Freund, ein Stück Poesie, wie der Dichter selbst sehr richtig sagt *), wurde für Reuter in „Onkel“ Herse begraben. Wie diese letztere Äußerung zu verstehen, darüber wird es für diejenigen, welche Reuters Werke kennen und meiner Darstellung bis hierher gefolgt sind, keiner erneuten Erklärung bedürfen. An Herse knüpften sich die freundlichsten Kindheitserinnerungen, die schönsten Momente der lieblichen Stemhäger Idylle, er war sein liebevoller, heiterer Führer auf den ersten Lebenswegen, er war endlich, was für Reuter als künftigen Humoristen am meisten ins Gewicht fällt, das originellste unter den Originalen von Stavenhagen gewesen.

*) Schurr-Murr pag. 304.

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Wir stehen am Ende der Schülerzeit Reuters und haben nur noch das Fazit aus derselben zu ziehen.

Werfen wir zunächst einen Blick auf Reuters äußere Erscheinung, so sehen wir eine echt mecklenburgische, stämmige Gestalt vor uns, einen Jüngling in der vollen Entwicklung seiner Kraft, aber auch im Vollgefühl dieser erwachenden Stärke. Von der früheren Schmächtigkeit und Schwächlichkeit ist nichts mehr zu merken, die beim Abgange aus dem Elternhause eingetretene Erstarkung ist sicher fortgeschritten, und hatte man Reuter als Kind „knendlich" genannt, so ist „bräsig" für den Schüler die treffendste Bezeichnung. *) Die gleiche Frische und Kraft zeigt uns Fritz in geistiger Beziehung. Seine Leistungen in den Schulstunden freilich darf man hierbei nicht recht zum Maßstabe nehmen, denn, ungenügend in einzelnen Fächern, geht es in anderen mit ihnen fortwährend auf und ab. Seine Schulzeugnisse lassen uns selbst in den Unterrichtsgegenständen, welche ihm die liebsten zu sein schienen, also im Deutschen, in der Mathematik und Geschichte, einen beständigen Wechsel sehen, und wenn wir nach ihnen einen Schluss auf sein geistiges Leben ziehen wollten, so würde derselbe nicht immer günstig ausfallen.

*) „Bräsig“ wird zunächst von der Gesichtsfarbe gebraucht und heißt dann allerdings soviel wie „frisch, rot aussehend“. (Vgl. Frehse, Wörterbuch zu Fritz Reuters sämtlichen Werken.) Es wird hierbei aber immer an die Röte der Gesundheit, die roten, von Gesundheit geschwellten Wangen gedacht, und so hat denn „bräsig“ auch die weitere Bedeutung: „von Gesundheit strotzend“ erhalten.

Wir dürfen aber, wie gesagt, nach diesen Berichten kein allgemein gültiges Urteil fällen wollen. In den vorgeschriebenen Gang einer Schule konnte sich Reuter nie recht finden, und nach den von ihr vorgesteckten Zielen in einer fest bestimmten Weise zu streben, war ihm nicht gut möglich. Trotz des zuweilen, dem Anscheine nach wenigstens, gänzlich mangelnden Interesses, trotz seines intermittierenden Fleißes erwarb sich unser Freund kraft seines hochentwickelten Geistes treffliche Kenntnisse, die ihm zufolge seines starken Gedächtnisses fürs Leben treu blieben und von denen er uns in seinen Werken wiederholt vollgültige Proben gegeben hat. Dass die Erlangung dieser Schätze ohne viel Mühe und Arbeit geschah, lag eben in seiner, schon von früh an beobachteten, großen Rezeptivität begründet und war sein Vorteil, führte aber den, welcher keinen tieferen Blick in sein Geistesleben zu werfen Gelegenheit hatte, leicht zu der Vermutung, dass es ihm überhaupt an Interesse für die Wissenschaft und ihr Endziel: die absolute Wahrheit fehle. Wer ihm aber näher stand wie ein Zehlicke, ein Gesellius, der ließ sich nicht durch den äußeren Anschein trügen, sondern wusste, dass er hier einen eminent begabten, leistungsfähigen jungen Mann vor sich hatte, und verzagte nicht nur nicht an ihm, sondern setzte große und berechtigte Hoffnungen in seine Zukunft. Das also wollen wir festhalten: an Liebe zum wissenschaftlichen Leben gebrach es Reuter nicht, wohl aber an Sinn für eine feststehende Ordnung desselben, und letzteres eben bedauerten seine Lehrer und suchten durch freundliche Mahnung wie ernsten Tadel hier einen Wandel zu schaffen, denn auch sie waren der Ansicht, dass selbst dem Genie Regelmäßigkeit in seiner Entwicklung nur zuträglich sein könnte. Fritz Reuter war jedoch, wie wir sahen, anderer Meinung und hat auch, das lehrt der Erfolg, aus seinem ungeregelten wissenschaftlichen Treiben in Friedland und Parchim, anderweitigen Erfahrungen zum Trotz, keinen großen Schaden genommen. Aus dem unbändigen Füllen, dem „rugen Fahlen", sollte dereinst ein edles, stattliches Ross werden. Nicht so glücklich würde sich aber wohl bei dieser Einrichtung seines wissenschaftlichen Lebens für ihn die Zukunft gestaltet haben, wäre er auf die Schulstunden allein angewiesen gewesen, die ihm ja zuweilen gar nicht schmecken wollten, und hätte er nicht die Anregung, welche ihm jene, nach seiner Ansicht, nicht zu geben vermochten, in dem fortgesetzten, regen Verkehr mit den hochbegabten Lehrern in reichstem Maße gefunden. Der persönliche Umgang mit so geistig hervorragenden Männern, wie es u. a. Zehlicke und Gesellius waren, ist nach meinem Dafürhalten von einem unberechenbaren Einfluss auf Reuters Geistesentwicklung gewesen. In diesen gemütlichen Unterhaltungen wurden neue Gesichtspunkte dem Jünglinge eröffnet, die erwachenden Geisteskräfte gestärkt, die noch schlummernden geweckt, hier fand neben dem in würdigem und doch anmutigem Gewande erscheinenden wissenschaftlichen Ernst auch der fröhliche gesellige Scherz, der Witz und Humor seine Stelle.

Wie Fritz Reuters Herz während dieser Schulzeit immer mächtiger in Freundschaft und zum ersten Male in Liebe erglühte, ist in Vorstehendem ausführlich geschildert worden, und wir ersehen daraus, dass sich gleichzeitig mit seinem Geiste auch sein Gemüt immer mehr zu schöner Blüte entfaltete.

Wie beim Rückblick auf die Knabenzeit tritt uns auch am Schlusse dieser Lebensperiode die Frage entgegen: Welche Aussichten eröffnet uns Fritz Reuter in dem verflossenen Zeitabschnitt auf seine dereinstigen Leistungen als Dichter, speziell als humoristischer Schriftsteller, lässt er uns seine spätere Größe ahnen und welche besonderen Anregungen empfängt er in eben dieser poetischen Beziehung?

Man kann nicht sagen, dass der Schüler Reuter gerade ein Herold des künftigen humoristischen Dichters gewesen sei, aber den Humoristen im Allgemeinen kündigte er doch schon vernehmlich genug an. Vorläufig freilich war das Organ dieses erwachenden Humors noch die Hand und der Zeichenstift, sein Ausdruck das gezeichnete Bild.

Und die Reuter'schen Karikaturen waren nur humoristische Schöpfungen; eine satirische Absicht, wie man sie neuerdings gewöhnlich mit der Karikatur verbunden findet und in Folge dessen zuweilen fälschlich als zu ihrem Wesen gehörig ansieht, trat bei den Bildern unseres jungen Freundes nicht hervor. Er zeichnete in grotesker Manier die komischen Figuren seiner Umgebung nur ihrer selbst willen, weil er seine Freude an ihnen hatte und auch andere dieses Vergnügens teilhaftig machen wollte. „Die Menschen zu bessern und zu bekehren", diese Tendenz lag ihm damals als Maler wie später als Dichter völlig fern. Es waren wohlgelungene Porträts, mit denen es ihm ging wie jedem Porträtmaler: das, was diesem an den Originalen besonders gut entwickelt, sonderlich schön erscheint, erfreuet sich auch der sorgfältigsten Wiedergabe und tritt uns auf dem Bilde noch vollendeter, noch schöner entgegen. Für Fritz Reuter waren eben diese komischen Seiten der Personen das Bestentwickelte, Interessanteste, Schönste, ihre Reproduktion war darum auch ihm die Hauptsache, und er verschönte sie in seiner Manier und nach seiner Idee, indem er sie weiter ausführte und vervollständigte.

Humoristisches Talent war also schon damals unverkennbar vorhanden, und die außerordentliche Beobachtungsgabe, welche wir schon an dem Knaben wahrnahmen, trat immer deutlicher, immer mehr entwickelt hervor. Und wandte sich damals auch sein humoristisches Darstellungstalent noch vorzugsweise komischen Äußerlichkeiten zu, wie sie eben in der Karikatur veranschaulicht werden, so entging seinem scharfen Geistesauge darum doch keineswegs die innere Komik der Menschen in seiner Umgebung, und er zeigte bereits die Fähigkeit auch diese zum Ausdruck zu bringen, wie dies u. a. der auf S. 99. erwähnte theatralische Versuch beweist. Der Humor, die humoristische Gemütlichkeit durchzog überhaupt schon damals das ganze Wesen Reuters, wovon sich in den vorangegangenen Erzählungen genug der Beispiele finden.
An komischen Beobachtungsobjekten hat es dem Dichter weder in Friedland, noch in Parchim gefehlt, doch boten ihm diese wohl hier wie dort nur einzelne komische, und zwar meist äußerliche, Züge dar; humoristischen Totalitäten, denen er später eine bedeutende Rolle in seinen Dichtungen zuerteilen konnte und wie er sie in „Stemhagen" kennen gelernt hatte, scheint er in beiden Städten fremd geblieben zu sein. Dagegen hatte er an beiden Orten vollauf Gelegenheit das kleinbürgerliche Leben in seinen Licht- und Schattenseiten weiter zu studieren.

Dass landschaftliche Schönheit, wie sie auch die freundliche Umgebung von Parchim zeigte, nach wie vor den wohltätigsten Einfluss auf die Stimmung seines Gemütes behielt, steht unzweifelhaft fest, und dass ihn Naturschönheit direkt zum dichterischen Schaffen zu begeistern vermochte, beweist das auf S. 97. erwähnte Gedicht auf den Herthasee, sein erster poetischer Versuch.

Dass er letzterem noch viele andere habe folgen lassen, wie dass er überhaupt an der Dichterei damals schon Gefallen gefunden, wird uns nicht berichtet, und so bleiben uns denn als Boten seiner späteren schriftstellerischen Leistungen nur seine Schulaufsätze, die allerdings die schönsten Hoffnungen wachzurufen geeignet waren.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Fritz Reuter. Sein Leben und seine Werke.
Parchim.

Parchim.

Parchim, Am Eichberg

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Parchim, Das Wochertal

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Parchim, Elde-Partie mit St. Marienkirche

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Parchim, Moltke-Denkmal (2)

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Parchim, Moltke-Denkmal

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Parchim, Partie an der Elde

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Parchim, Partie aus der Buchholz-Allee

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Parchim, St. Georgenkirche

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Parchim, Wasserberg

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Parchim, Zur Markower Mühle

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