Frischbier, Hermann (1823-1891) deutscher Pädagoge, Herausgeber und Volkskundler (Biografie)

Autor: Fränkel, Ludwig Julius (1868-1925) deutscher Literatur- und Kunsthistoriker, Pädagoge, Erscheinungsjahr: 1904
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Volkskunde, Kulturgeschichte, Volksmund, Sprichwörter, Volkstum, Brauchtum, Ethnologie, Volksreime
Frischbier, Hermann, Volkskunde-Forscher, wurde am 10. Januar 1823 zu Königsberg in Ost-Preußen geboren. Dass er der gediegenste Freund, Kenner und Bearbeiter des ostpreußischen Volkstums werden konnte, dazu wirkten die äußeren Lebensumstände entscheidend mit. Der Vater ein schlichter Maurer, die im Elternhause allein gebrauchte Sprache Plattdeutsch, der Wohnort während der ganzen Jugend und später das Mannesalter hindurch Königsberg: kein Wunder, dass dieser echte Sohn des ostpreußischen Volkes für dessen Art, Sprache, Sitte Herz, Auge und Ohr offen hielt. Allerdings hub er erst in vorgerückten Jahren an, als Sammler und gar schriftstellerisch dies Gebiet zu pflegen. Nachdem er 1842 die Prüfung am Königsberger Lehrerseminar bestanden hatte, fand er Anstellung an den Stadtschulen zu Guttstadt und Heilsberg im Ermlande, bis er am 1. Oktober 1853 in die Geburtsstadt heimkehrte, der er bis zum Tode treu blieb, erst als Lehrer an verschiedenen Anstalten, seit 1872 als Rektor der Altstädtischen Töchterschule. Zu Ostern 1889 trat er, mit dem Kronenorden dekoriert, mit vollem Gehalt in ehrenvolle Pension und starb am 8. Dezember 1891.

Erst die nach der amtlichen Rückkehr nach Königsberg erfolgende Bekanntschaft Frischbier’s mit dem Tribunalrat Dr. R. Resch und andern lebhaft für heimatliches Volkstum eingenommenen Männern hat in ihm die schlummernde Anlage zu emsigster Teilnahme und reger Arbeit ausgelöst. „Preußische Sprichwörter und volkstümliche Redensarten“ traten als erste seiner Sammelleistungen 1864 hervor, erlitten jedoch nach einigen Wochen polizeiliche Beschlagnahme, und die Staatsanwaltschaft, den Herausgeber, wie er sich selbst entrüstet ausdrückte, als Verbrecher behandelnd, erhob Anklage gegen ihn wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses durch Verletzung der Schamhaftigkeit. Auf Grund der Gutachten Königsberger Universitätsprofessoren, des Ästhetikers K. Rosenkranz und der Germanisten J. Zacher und O. Schade (die beide gerade damals im Amte getauscht hatten und darum beide herangezogen wurden), sprach das Landgericht Frischbier frei, weil ein rein wissenschaftliches Werk kein öffentliches Ärgernis geben könne. So erschien denn schon Ende 1865 eine 2., vermehrte Auflage in einem anerkannten Verlage (Enslin) zu Berlin, der auch „Preußische Volksreime und Volksspiele“ (1867) übernahm. Darauf ernannte 1868 die Kgl. Deutsche Gesellschaft zu Königsberg Frischbier zum ordentlichen Mitgliede. Die ferneren Ergebnisse seines unermüdlichen Sammelns, Ordnens und Forschens der gemach entschwindenden alten Volksüberlieferungen in Wort und Brauch enthalten: „Hexenspruch und Zauberbann. Ein Beitrag zur Geschichte des Aberglaubens in der Provinz Preußen“ (1870), „Preußische Sprichwörter. Zweite Sammlung. Mit einem Glossar“ (1876), „Preußische Volkslieder in plattdeutscher Mundart“ (1877), schließlich sein ausgedehntestes und vielleicht bedeutsamstes Werk „Preußisches Wörterbuch“ (1882/83), zwei Bände von 422 bezw. 555 Seiten (wo, wie immer bei Frischbier, unter „preußisch“ das Platt der Provinz Ostpreußen zu verstehen ist), daneben die kulturgeschichtliche Schrift über „Die Zünfte der Königsberger Junker und Bürger im Kneiphof“ (1880). Weiterhin hat Frischbier aber seine volkskundlichen Funde und Aufzeichnungen in mehreren Zeitschriften niedergelegt, nämlich in: „Altpreußische Monatsschrift“, „Zeitschrift für deutsche Philologie“, „Die deutschen Mundarten“, „Korrespondenzblatt des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung“, „Wissenschaftliche Monatsblätter“ und endlich namentlich den beiden spezifischen Volkskunde-Zeitschriften „Am Urdsbrunnen“ (hrsg. von H. Carstens) und „Am Urquell“ (hrsg. von Fr. Krauß).

Obwol ihn ein schweres Leiden, das ihn ja auch zum Rücktritt aus dem Lehrdienste zwang, arg störte, hat der rastlose Folklorist bis zuletzt in der „Altpreußischen Monatsschrift“ wie im „Urquell“ die Früchte seines erfolgreichen Suchens und Vergleichens vorgelegt. Wie er im letzteren Journal soeben eine Umfrage „Der Eid im Volksleben“ eröffnet, „Rätsel-Geschichten“ als Sonderrubrik der von ihm gesammelten Rätsel veröffentlicht hatte und seine Artikelserie „Ostpreußischer Alltagglaube und Brauch“ im Gange war, als er starb, andererseits sein kundiger Schüler der Apotheker Joh. Sembrzycki ebenda gerade „Ostpreußische Haus- und Zaubermittel“ und besonders „Ostpreußische Sprichwörter, Volksreime und Provinzialismen“ in direkter Ergänzung der dabei eingangs von ihm hochgelobten einschlägigen Bücher Frischbiers abdrucken ließ, so erschienen 1892 eine zweite Reihe „Preußische Volksreime und Volksspiele“, 1893 „Hundert ostpreußische Volkslieder in hochdeutscher Sprache“, aus Frischbiers Pult im Druck von Sembrzycki überwacht. Diesen seinen treuen Jünger und Ergänzer hatte der Verblichene auch mit Ausarbeitung des Nachtrags zu seinem großen „Preußischen Wörterbuch“ beauftragt, indem er das schon aufgestapelte Material ihm einhändigte. Fleißig, genau und liebevoll hat Frischbier in allen genannten Publikationen die Hauptmasse der sog. „traditions“ ostpreußischen Volkstums zusammengetragen und so nicht nur der Wissenschaft zugänglich gemacht, sondern auch vor dem Untergange gerettet. „Durch sie ist der Schatz des altpreußischen Volkes an Sprichwörtern, Reimen und Provinzialismen im großen und ganzen erschöpft“ urteilt Sembrzycki, hinzufügend: „wenn ich trotzdem eine Nachlese halten konnte, … so liegt das daran, dass Frischbier, wie es ja nicht anders sein konnte, nicht in allen Gegenden der Provinz helfende Sammler fand, die eine ebensolche Aufmerksamkeit und ein gleiches Verständnis für die Sache besaßen als er selbst“. Gemäß Aussage desselben eingeweihten Gewährsmanns (der allerdings wohl masurischer Abkunft ist) hielt Frischbier auch das polnische Volkstum (Sembrzycki meint da wohl gutenteils masurisches) „lieb und wert“ und sammelte und veröffentlichte „all’ die Zeiten der grimmigsten Polenfresserei“ hindurch polnische Volkslieder, Reime, Sprichwörter usw. treulich und unbeirrt, obwol er selber der polnischen Sprache nur wenig kundig war.“ Sobald erst im Verlaufe der neuerlich begonnenen Ausnutzung der bisherigen volkskundlichen Stoffsammlungen auch Frischbiers Arbeiten verwertet sein werden, kann deren außerordentliches Verdienst für deutsche Sprach- und Volkskunde sowie im weiteren für indogermanische Völkerpsychologie und Kulturgeschichte ins rechte Licht treten.