Friedrich der Große.

Ein offener Brief an Thomas Mann.
Autor: Trebitsch, Arthur (1880-1927), Erscheinungsjahr: 1916
Themenbereiche
Wie schnell auch die Gedanken rennen.
Kein Forschen und kein Grübeln frommt.
Der Geist kann nur den Geist erkennen.
Wenn ihm der Geist entgegenkommt!

Lenau, Savonarola.




Arthur Trebitsch 1880-1927
Friedrich der Große 1712-1786
Thomas Mann 1875-1955
Sehr verehrter Herr Thomas Mann,

wenn ich dies Schreiben an Sie richte, so geschieht es in dem sicheren Gefühle, daß Sie der Wahrhaftigkeit und Verehrung, die ich Ihnen entgegenbringe, vollauf vertrauen! Habe ich ja gerade in diesem schweren Kriegssommer meine Landeinsamkeit mir wohlig bevölkert und ließ, nach Jahren zum zweiten Male, die Schicksale Ihrer „Buddenbrooks“ an mir vorübergleiten. Sie werden sich vielleicht der Karte noch erinnern, mit der ich meiner tiefen Bewunderung für dies monumentale Menschenbuch in freudigen Worten Ausdruck zu verleihen, mich nicht enthalten konnte? —

Und sehen Sie, gerade weil ich vor Ihrer eigensten Kunst so unbegrenzte liebevolle Verehrung verspüre, gerade deshalb drängt es mich jetzt, mich mit Ihnen über eine andere Frage offen auszusprechen.

Vor einigen Monaten las ich Ihre Schrift, in der Sie — hauptsächlich aus dem Bedürfnis heraus, zu dieser unserer Zeit Analogien aus der Vergangenheit uns allen zu vergegenwärtigen, die Gestalt Friedrichs des Großen heraufbeschworen hatten; bei Ihnen erstand da vor meinen befremdeten Blicken ein hämischer, boshafter, verkalkter, skurriler Sonderling, der mein tiefes Unbehagen, mein staunendes Verwundern erregte. Wie? Das also, was Sie mit so viel psychologisch-misstrauischer Zergliederung da vor uns auszubreiten wussten, das soll der Geist jenes Mannes gewesen sein, den wir in vielleicht falschem Pathos der Distanz einen Großen nennen?! Ich war unbehaglich betroffen und gleichsam aus dem Gleichgewicht meiner unklaren aber ahnenden Stellungnahme herausgerissen. Aber ich kannte Sie als feinen Seelenzergliederer und brachte mein Unbehagen zum Schweigen. Da aber fand ich ein Buch, das nannte sich „Der König“, schlechtweg der König! Und da ich es aufblätterte, belehrte mich die wohlbekannte Gestalt von Meister Menzels Griffel, daß dies Friedrich der Große sei . . .

Gustav Mendelssohn-Bartholdy hat in diesem Buche in nicht genug zu rühmender Weise dem ganzen deutschen Volke ein köstliches Geschenk hier aus dem ungeheuren Material emporgehoben! Was wir da von Friedrich erfahren, ist nicht aus zweiter Hand eines nach seiner Geistesart zusammenfassenden Historikers gewonnen, es ist das Material selbst aller Geschichtsschreibung: Briefe des Königs und an ihn, Urteile, Berichte, Briefe von Zeitgenossen über ihn, und aus der ungeheuren Masse der Schriften, Verordnungen, Erlässe und Akten des Königs bedeutsame Ausschnitte, mit kurzem, das Verständnis vermittelndem Zwischentext.

Wir Österreicher sind natürlich — aus dem Unterricht in den Schulen — gewöhnt, Friedrich den Großen, den Erzfeind des Siebenjährigen Krieges, aus dem Gesichtswinkel vaterländischer Geschichtsschreibung zu betrachten. Deshalb wird sich uns, die wir nicht durch zur Langeweile gewordene Schulbegeisterung deutscher Darstellungen abgestumpft sind, diese Gestalt, wenn sie uns lebendig und ungedeutet entgegentritt, ganz anders einprägen als Euch Reichsdeutschen; wie denn eben ein „Eindruck“, der frisch in eine Wachsplatte sich senkt, ganz andere scharfe Contouren und jegliche plastische Formung zur Geltung bringen wird, als eine zum tausendsten Male an gleicher Stelle eindringende Gestalt; da hat sich die Form im Laufe des oftmaligen Druckes verschoben, und verschwommener, unklarer und verwischter zeigt sich die Gestalt als wie bei erstmaliger Berührung . . .

Und so ist denn Friedrich der Große neu, voll und ganz als der, der er wirklich war, in mich eingedrungen; und ich muss es Ihnen sagen: meine Ahnung hat sich erfüllt, mein Unbehagen war ein berechtigtes, und meine liebevolle Verehrung für diesen wahrhaft heroischen und großen Menschen ist eine unbegrenzte geworden! Und was ich klar und plastisch von diesem großen Einsamen in mir trage, davon will ich Ihnen nunmehr einiges erzählen.

Ich habe die Gewohnheit, ein Buch mir zu eigen zu machen dadurch, daß ich bedeutsame Stellen anstreiche, ja das, was mir den Geist bewegt, in einigen Worten an den Band schreibe. Das mag die Bücher entwerten für andere; für den Besitzer ist's unendlicher Gewinn; denn ist er in seiner Stellung zur Welt ein dauernd Gefestigter, dann wird er nach Jahren immer wieder imstande sein, ihm wertvolle Stellen entgegengesetzter Meinung, bedeutungsvolle Belege der Persönlichkeit wiederzufinden. Hat sich der Leser aber in seinen Ansichten gewandelt, dann wird ihm dies bedeutungsvoll klar an dem, was ihm einstens anders erschien als wie heute, und er wird gerade an solchen Geschmacksänderungen prüfen und erfahren können, worin und inwiefern sich sein Denken und Meinen gewandelt habe, so zwar, daß Randbemerkungen in uns bedeutungsvollen Büchern ganz eigentlich die Zeugen unseres geistigen Lebens zu sein vermögen . . . Dies alles nebenbei bemerkt.

Wenn ich aber all das, was ich an bejahenden Unterstreichungen, begeisterten Randbemerkungen und zustimmenden Worten vermerkte, nun wiedergeben wollte, es bliebe mir nichts übrig, als schier Seite für Seite des herrlichen Buches abzuschreiben und zu kommentieren. Und so will ich denn nur Wesentliches hervorzuheben suchen, den eigentlichen geistigen Kern des großen Menschen zu gewinnen.

Es ist sicher, daß eine geniale Veranlagung durch äußeren Druck erhöht und gesteigert wird; das Wort „Druck“ erklärt hier alles; denn wie eine Gasmasse, komprimiert, explosive Kraft gewinnt, die irgendwie Ausgang sucht, so ist's auch mit genialer Menschenkraft! Nur daß hier das Anderssein des Genialen im Nebenmenschen gleichsam diesen Druck erzwingt und hervorruft, da der Schöpferische namentlich bei den näheren Familienangehörigen Unlust und somit Unterdrückungsgelüste erregt. Also: das erste ist und bleibt stets die geniale Art, die dann freilich Gegendruck zutage fördert, welcher Druck hinwiederum die gestauten Kräfte und Fähigkeiten zu eruptiver Gewalt zu steigern vermag. In solcher Wechselwirkung stand der junge Fritz, Kronprinz von Preußen, zu seinem gestrengen Herrn Vater. Der harte, nüchterne, pedantisch-despotische Mann, der Friedrich Wilhelm I. war, konnte sich nicht mit dem frühreifen, in französischer Atmosphäre aufgewachsenen, musizierenden und ,,modischen“ Jüngling vertragen. Der Gegendruck wurde fürchterlich; die explosiven Kräfte aufs höchste gesteigert, bis zu jenem traurigen Fluchtversuch des unglücklichen Prinzen, der so furchtbar mit der vor seinen Augen vollzogenen Hinrichtung des armen Helfershelfers, Leutnants von Katte, endete. Nun war der Jüngling gedemütigt und lernte so, all seinen Hass und seine Erbitterung hinunterschlucken und dem Willen des Vaters gehorchen in allem und jedem. Wäre Friedrich kein genialer Mensch, sondern nur ein renitenter Wildling gewesen — die furchtbare Zeit seiner Einkerkerung und strengen Klausur hätte seinen Charakter zum Bösen wenden müssen. So aber wurde er hart, verschlossen und — dank den Pflichten, die ihm auferlegt wurden — gezwungen, was er an Kräften besaß, nach außen zu wenden. So ward sein Geist, der sich vordem in Versen, Flötenspiel und französischen ä-la-mode-Zierereien verausgabt hatte, der Außenwelt, dem Landleben, dem schweren Dasein seiner zukünftigen Untertanen zugekehrt, und er wandelte sich ganz unbemerkt zu dem König, der er dann — für die Fernerstehenden plötzlich und unvermittelt — schon mit einem Schlage vor der Welt war, sobald er den Thron bestiegen hatte. Die Kräfte, die in ziellosem Spiele vertändelt worden waren, nun hatten sie die zu beherrschende Welt erfasst und ließen sie ein langes Leben lang nicht mehr los! Aus Friedrichs erstem politischen Flugblatt (Pseudonym 1738) will ich hier nur des 26 jährigen eine Ansicht über die Fürsten zitieren:

,,Der Irrtum der meisten Fürsten besteht in dem Glauben, Gott habe die Menge von Menschen, deren Wohlfahrt ihnen anvertraut ist, bloß aus ganz besonderer Sorge für ihre Größe, ihr Glück und ihren Stolz geschaffen und ihre Untertanen seien nur zu Werkzeugen und Dienern ihrer zügellosen Leidenschaften bestimmt.“ — Dieser Satz blieb sein Regierungsprogramm ein ganzes Leben lang. Aus gleicher Zeit sei aus einem Briefe eines. Freiherrn von Bielefeld, der den Kronprinzen 1739 auf seiner Verbannungs-Residenz Rheinsberg aufsuchte, zitiert:

Alle Beschäftigungen und Vergnügungen des Kronprinzen verraten den Mann von Geist. Er bemüht sich jetzt, die gefährlichen politischen Träume des Machiavell zu widerlegen. Sein Gespräch bei Tafel ist unvergleichlich; er spricht viel und gut. Es scheint, als wäre ihm kein Gegenstand fremd oder zu hoch; über jeden findet er eine Menge neuer und richtiger Bemerkungen. Sein Witz gleicht dem nie verlöschenden Feuer der Vesta. Er duldet den Widerspruch und versteht die Kunst, die guten Einfälle anderer zutage zu fördern, indem er die Gelegenheit, ein sinniges Wort anzubringen, herbeiführt. Er scherzt und neckt zuweilen, doch ohne Bitterkeit und ohne eine witzige Erwiderung übel aufzunehmen.

Glauben Sie nicht, gnädige Frau, daß mich der Nimbus blendet, der den Kronprinzen umgibt. Nein, ich schwöre es Ihnen, selbst wenn er ein schlichter Privatmann wäre, würde ich mit Vergnügen meilenweit zu Fuß gehen, wenn mir seine Gesellschaft dadurch zuteil würde.

Ich will die Randbemerkung hier nicht vorenthalten, die mir dieser Brief entlockte: ,,Beneidenswertes Land, das solchen Menschen zum Könige haben sollte!“ — Und dieser Eindruck war es, der nun, je weiter ich in das Leben dieses Großen eindrang, um so fester in mir Boden fasste. Im Briefe, den er bald nach seiner Thronbesteigung an Voltaire richtet, heißt es:

Mein teurer Freund, mein Los hat sich geändert und ich bin bei den letzten Stunden, dem Todeskampf und dem Sterben eines Königs zugegen gewesen. In der Tat brauchte ich bei meinem Regierungsantritt diese Lektion, um Ekel vor der Eitelkeit und der menschlichen Größe zu bekommen. — Halten Sie mich, ich bitte Sie, für weiter nichts als für einen eifrigen Patrioten und einen etwas skeptischen Philosophen, aber für einen wahrhaft treuen Freund. Um des Himmels Willen! schreiben Sie an mich wie an einen Menschen, und verachten Sie mit mir Titel, Namen und äußeren Glanz. . .

Dazu die Randbemerkung: ,,Welcher König schriebe heute noch solche Briefe!“

Und hier bin ich bei einem Punkte angelangt, der mir, verehrter Herr Thomas Mann, einer der bedeutungsvollsten Züge im Leben des von Ihnen mehr nach der politischen Seite hin betrachteten Mannes zu sein scheint! Seine geistigen Beziehungen zu den Mitmenschen, und seine Freundschaften zu den schöpferischen Geistern seiner Zeit, soweit er sie erkennen konnte!

Und da sei es denn klar herausgesagt: Zu keiner Zeit — vom Altertum durch alle Höfe und Reiche, durch Mittelalter, Renaissance und neuere französische Hofkultur hat es einen Herrscher gegeben, der so ehrlich, rein und bescheiden um das geistige Leben seiner Zeit bemüht war, wie Friedrich von Preußen! Verankert aber war dieser tiefwurzelnde Drang in seiner großen Sehnsucht nach menschlicher Geistesgemeinschaft, seinem heißen Freundschaftssehnen, das ewig unbefriedigt nach reiner Nahrung ausspähte in dem eng begrenzten Bereiche des Zugänglichen!

Von seinem französischen Erzieher an, der als erster geistiger Leiter begreiflicherweise für seinen Geschmack und die künftige geistige Haltung ausschlaggebend wirkte, ist er allen Menschen treu ergeben gewesen, mit denen rein geistige Bande möglich waren. Deren aber sind für einen Hochgestellten nicht viele! Denn hat er den hellen Blick, der in die Herzen, zu dringen weiß, wie ihn Friedrich ausnehmend scharf besaß, dann wird er oft, wenn nicht zumeist, hinter der Maske der Freundschaft Schmeichelei, eigensüchtige Hintergedanken, kurz, das unreine „Wollen“ verspüren! — Aber wo der König einen echten Menschen von Geist wittert, wird er ihm Freund. Da ist der ehemalige Pfarrer Jordan; er wurde ein Freund Friedrichs, in dem wahren Sinne des soeben zitierten Briefes an Voltaire; von der Rheinsberger Zeit her Sekretär des Königs und literarischer Berater, hat Friedrich ihm bis zu dessen schmerzlich betrauerten Tode die menschlichste, distanzloseste Freundschaft gewahrt, wie wohl kein König vor ihm, noch nach ihm: der König von Preußen dem schlichten, bürgerlichen Mann! —

Dieselbe reine Geistessehnsucht aber lässt ihn nach allem Schöpferischen Ausschau halten, das in seinem Bereiche auftaucht; so weiß er Maupertuis nach Berlin zu ziehen, und so verfällt er dem Zauber des glänzenden, skeptischen, diabolisch-glitzernden Geiste Voltaires! Über diese Beziehung ist oft und viel gesagt worden. Hier nur soviel, daß nie noch eine ehrliche Begeisterung für Schöpferisches, ein gütiges Entgegenkommen eines Königs schlechter gelohnt wurde, als von des gierigen, machtlüsternen, äffisch-boshaften Voltaire Seite Friedrichs Huld und Verehrung! Was hätte das für einen seltenen Zusammenklang von Macht und Geist ergeben können, wäre nicht der Geist so sehr besudelt worden von unreinen Gelüsten! Friedrich hatte wahrlich Unglück: Als er Voltaire an sich zog, da wurde sein edles Sehnen bitter gelohnt. Voltaire schreibt anonyme Schmähschriften gegen Maupertuis, an dessen Stelle er der Akademie Vorsitzen möchte, der König mischt sich, geistig stets gleich gegen gleich empfindend, in den Streit hinein und das Ende ist Trennung von Voltaire unter erschwerenden Umständen. Das Ergebnis des traurigen Vorfalles aber fasst ein Brief zusammen, den der König (18. Oktober 1752) an Maupertuis geschrieben hat. Dieser herrliche Brief aber lautet:

Ach, mein lieber Maupertuis, wohin ist es mit den Männern der Wissenschaft gekommen, wenn sie nicht ruhig in die Grube fahren können, ohne, so krank sie auch sind, die Stimmen des Hasses und Neides über sich ergehen lassen zu müssen? Ich war sehr erzürnt über die Menge von Schriften, die gegen Sie erschienen sind; ich weiß nicht, wer ihre Verfasser sind, aber ich klage sie deshalb nicht weniger der Feigheit und der infamsten Bosheit an. Es ist schimpflich für die Wissenschaften, daß die Menschen, die sich ihnen widmen und den hochtrabenden Titel von Philosophen in Anspruch nehmen, alle Leidenschaften in ihrer Seele herrschen lassen und, närrisch vor Eigenliebe und empörender Eitelkeit, mehr damit beschäftigt sind, den guten Namen großer Männer zu vernichten, als damit, ihren eigenen dauernd zu begründen. Ich hatte immer geglaubt, daß das Studium der Weisheit weise machen müsse; ich gebe zu, daß ich mich getäuscht habe: In Wirklichkeit bemerkt man in keinem Berufe oder Stande so viele jämmerliche Zänkereien, so viele verleumderische Beschuldigungen und so viele verschwenderisch beredte Beleidigungen wie unter den Männern der Wissenschaft. Die meisten Gelehrten gleichen den Schauspielern, die mit schönen Empfindungen prunken, wenn sie auf dem Theater Heroen und Heroinen darstellen, zu Hause aber niedrige Aufhetzereien machen und sich untereinander beschimpfen. Wenn ich Kinder hätte, würde ich mehr darauf bedacht sein, ihnen gute Sitten beizubringen als ihren Geist auszubilden. Es scheint, daß die Fähigkeit zu kombinieren, zu denken und zu forschen den Menschen nur dazu verliehen ist, um einander zu schaden ....

Nun, Herr Thomas Mann, ich glaube, Sie selber werden wohl zugeben, daß in diesem Briefe tieferes Wissen um das Geistige steckt, bleibendere Wahrheit ausgedrückt ist, als in all den Werken jener Männer, die Friedrich so ehrfurchtsvoll einzuschätzen wusste. Ich liebe diesen Brief und helfe mir mit ihm hinweg über manch eigenes Missgeschick auf ähnlichem Gebiete . . . Und des toten Königs melancholisch-heller Blick grüßt mich tröstend, und ich fühle den verstehenden Druck einer Freundeshand in der meinen. Und dann, abschließend, am 29. November, schreibt Friedrich nochmals an Maupertuis über Voltaire:

Es ist schade, daß dieser Mann bei so großen Talenten ein so schwarzes und nichtswürdiges Herz hat. Das rächt die Menschheit, die sich sonst gegen die Überlegenheit eines einzelnen über so viele andere auflehnen würde, und das beweist sehr gut, daß man keinen Augenblick schwanken darf bei der Wahl zwischen Geist und Charakter.

Hand aufs Herz, könnte man dies in unseren Tagen besser, eindringlicher und zeitgemäßer verkünden hören? . . .

An Voltaire aber schreibt er in der gleichen Angelegenheit (16. März 1753):

Ich wünschte, meine Werke allein wären Ihren Pfeilen ausgesetzt gewesen. Ich opfere sie mit Vergnügen allen, die ihren eigenen Ruf dadurch zu erhöhen glauben, daß sie den andrer Leute erniedrigen. Ich bin weder so töricht noch so eitel wie gewisse Schriftsteller, und literarische Ränke scheinen mir eine Schmach für die Literatur zu sein. Darum achte ich Ehrenmänner, die sich damit beschäftigen, nicht weniger hoch. Nur die Chliquenhäupter sind in meinen Augen verächtlich.

Und dieser Mann mußte seine Verehrung und Liebe an den boshaftesten, heimtückischesten Gesellen aller Zeiten verschwenden. Wäre Friedrich auf einen ,,Geist aus Charakter“ — Sie verstehen mich wohl? — geraten, es wäre für die Welt ein Bündnis geworden, das alles überstrahlt hätte. So aber verschließt sich Friedrich mehr denn zu vor, und zaghafter und misstrauischer hält seine Sehnsucht fürder Umschau unter den Zeitgenossen . . .

Dass er eine tiefe Berechtigung hatte, sich den Philosophen von Sanssouci zu nennen, dafür möge Ihnen z. B. eine Stelle eines Briefes an den Earl Marischal in Paris (21. April 1754) ein beredtes Zeugnis geben. Der König schreibt:

Im Grunde sind wir beide derselben Ansicht. Nur die Worte täuschen uns durch die größere oder geringere Tragweite, die wir ihnen geben, ja die meisten Streitigkeiten drehen sich, wenn man aufrichtig sein will, nur um Worte. Das haben Locke und Leibniz so lebhaft empfunden, daß sie mit der Begriffsbestimmung der von ihnen anzuwendenden Ausdrücke den Anfang machen. Ich, der ich im Verhältnisse zu diesen Männern nur ein dummer Junge bin, tue manchmal, als wollte ich es ihnen nachmachen, und so kommt es denn vor, daß ich als ein rechter Einfaltspinsel erscheine.

Ich will Ihnen nicht sagen, was ich an den Rand dieses Briefes schrieb; Sie würden mich gar auslachen, ob meiner Überschwänglichkeit. Aber das muss ich doch betonen, daß es nie, seit Bestand dieser Erde wohl einen Menschen gegeben hat, der so frei, so schlicht, so ehrlich und geistig rein sich dem schöpferischen Denken zuzuneigen vermochte. Und seine Bescheidenheit hierin zeigt, wie ernst und tief eingewurzelt Wahrheits- und Erkenntnisdrang in diesem Könige waren. Immer ist Friedrich auf der Suche nach Menschen; inkognito fährt er einst auf einer Barke, die zwischen Utrecht und Amsterdam verkehrt; und trifft da einen Herrn de Catt, der später sein Vorleser wurde. Wenn Sie den geistigen Menschen Friedrich wirklich kennen lernen wollen, dann lesen Sie, bitte, Catts Erzählung von dieser ersten zufälligen Begegnung. Wie entzückend dies Tasten von einem Gegenstand zum andern, dies Suchen des geistigen Wesens seines Reisegefährten, wie rührend das so furchtbar erlebte Mitleid des Königs mit den Fürsten, die das Glück der Freundschaft entbehren müssen! Er erkennt in Catt einen Menschen wahlverwandter Art und sucht ihn auch allsogleich dauernd an sich zu binden.

Und dann kommt die furchtbare Pein und Rastlosigkeit des Siebenjährigen Krieges. Es fällt mir gar nicht ein, Ihnen hierüber etwas Neues erzählen zu wollen. Sie und alle Deutschen wissen, was Napoleon gewusst hat, wie dieser Mann allein den Riesenkampf zu Ende führte. Aber hören Sie — aus einem Brief an den Minister Grafen Fink — mit welchem herrisch-unbeugsamen Alles-Bedenken der König seine Verfügungen getroffen hatte. (Vielleicht wissen Sie, welche analoge Gefahr auch unsere Tage beinahe gesehen hätten?)

Wenn ich getötet werden sollte, so müssen die Geschäfte ohne die geringste Veränderung ihren Gang gehen, und ohne daß man gewahr wird, daß sie in anderen Händen sind; und in diesem Falle muss man die Vereidigungen und Huldigungen hier wie in Preußen und besonders in Schlesien beschleunigen. Wenn ich das Unglück haben sollte, vom Feinde gefangen genommen zu werden, so verbiete ich, daß man auch nur die geringste Rücksicht auf meine Person nehme, und daß man dem die geringste Beachtung schenkt, was ich etwa aus meiner Gefangenschaft schreibe. Wenn mir ein solches Unglück zustieße, will ich mich für den Staat opfern, und man muss meinem Bruder gehorchen, der mir ebenso wie alle meine Minister und Generale mit dem Kopfe dafür haften soll, daß man weder eine Provinz noch ein Lösegeld für mich anbietet und daß man den Krieg unter Benutzung der errungenen Vorteile fortsetzen wird, ganz als wenn ich niemals auf der Welt gewesen wäre.

Ich neige mich in tiefer Ehrfurcht vor diesem Heldengeiste! Dass aber nur ein Mann von genialer, unbeugsamer Kraft des Denkens imstande war, dies fürchterliche einer allseitigen Bedrängung, wie sie wohl niemals vorher die politische Lage eines kleinen Reiches gesehen hatte, zu ertragen, zu bekämpfen und endlich zu überwinden, das wird jeder mitfühlen, der des Königs Briefe aus jenen Jahren liest. Die Hoffnungslosigkeit war oft so groß, daß der König das Ende seines Reiches und Lebens vor Augen hatte. Lesen Sie sein Testament aus jenen Tagen, wenn Sie erfahren wollen, was heroische Entschlossenheit und kaltes dem Tode ins Antlitz Schauen ist. Ich will Ihnen nur eine Stelle hersetzen aus einem Brief an den Marquis d'Argens — abermals ein Mann, den die Sehnsucht des Königs zur Freundschaft emporhob, dem er aus der Überfülle seines Geistes mitteilte, obgleich der zimperliche, seine leeren Tage mit Krankheitsspiel ausfüllende Kavalier wenig verstand von der Heldenkraft des königlichen Geistes. Am 28. Oktober 1760 schreibt ihm Friedrich:

Sie schätzen das Leben als ein Sybarit, und ich betrachte den Tod als ein Stoiker. Nie werde ich den Augenblick überleben, der mich nötigt, einen nachteiligen Frieden zu schließen; kein Beweggrund, keine Beredsamkeit wird imstande sein, mich dahin zu bringen, daß ich meine Schande unterschreibe. Entweder lasse ich mich unter den Trümmern meines Vaterlandes begraben, oder, wenn dem Geschicke, das mich verfolgt, auch dieser Trost als zu schön erscheinen sollte, so werde ich mein Unglück zu beenden wissen, wenn es nicht mehr möglich ist, es zu ertragen.

Ist das nicht ein Mann, ein Denker und ein Held zugleich, wie ihn die Geschichte selten noch gesehen?!

Dann weiterhin:

Sein (Karls XII., auf den ihn d'Argens, zum Nachgeben ratend, verwiesen hatte) Beispiel ist keine Regel für mich. Es gibt Leute, die gegen das Geschick folgsam sind: das ist nicht meine Sache.

Und endlich:

Brandenburg hat diese ganze Zeit bestanden, ehe ich lebte; ebenso wird es noch bestehen, wenn ich tot bin. Die Staaten erhalten sich durch die Fortpflanzung der Menschen; und solange man sich noch mit Vergnügen vermehren wird, so lange werden sich Minister und Regenten finden, die das Volk beherrschen; etwas mehr Torheit, etwas mehr Weisheit, das läuft ziemlich auf eins hinaus; der Unterschied ist so gering, daß es das Volk, im ganzen genommen, kaum bemerkt.

Und nun hören Sie noch den Brief an den englischen Minister Pitt vom 3. Juli 1761:

. . . Zwei Triebfedern bestimmen mein Handeln: die eine ist das Ehrgefühl und die andere das Wohl des Staates, den der Himmel mir zum Regieren gegeben hat. Die schreiben mir zwei Gebote vor; einmal, nie etwas zu tun, worüber ich zu erröten hätte, wenn ich meinem Volke Rede stehen müsste, und sodann: für meines Vaterlandes Heil und Ruhm den letzten Tropfen meines Blutes hinzugeben. Mit solchen Grundsätzen weicht man seinen Feinden nie; mit solchen Grundsätzen hielt Rom sich aufrecht gegen Hannibal nach der Schlacht von Cannä; mit solchen Grundsätzen behauptete sich Eure große Königin Elisabeth gegen Philipp II. und die unüberwindliche Flotte; mit solchen Grundsätzen hat Gustav Wasa Schweden aufgerichtet und den Tyrannen Christian aus dem Lande gejagt; und mit gleicher Seelengröße, Tapferkeit und Ausdauer haben die Prinzen von Uranien die Republik der Niederlande gegründet. Das sind die Vorbilder, denen ich zu folgen entschlossen bin. Sie selbst haben Gefühl für das Große und Erhabene; verwerfen Sie meine Wahl, wenn Sie können . . .

Und dann, aus ärgster Bedrängnis, an den Marquis d'Argens am 18. Januar 1762:

. . . Ich mache eine Schule der Geduld durch, eine harte, lange, grausame, ja sogar barbarische. Ich habe mich meinem Schicksal nicht entziehen können; alles was menschliche Voraussicht angeben konnte, ist angewendet worden, und nichts ist geglückt. Wenn das Glück fortfährt sich so erbarmungslos von mir abzuwenden, werde ich ohne Zweifel unterliegen; es allein kann mich noch aus der Lage ziehen, in der ich mich befinde. Ich rette mich daraus, indem ich das Weltall im Großen betrachte wie von einem entfernten Planeten aus; dann erscheinen mir alle Gegenstände unendlich klein, und ich bemitleide meine Feinde, daß sie sich so viel Aufregung machen wegen einer so geringen Sache. Was würde aus uns ohne die Philosophie, ohne Nachdenken, ohne Lossagung von der Welt und ohne jene vernünftige Verachtung der frivolen, vorübergehenden und flüchtigen Dinge, welche deren genauere Erkenntnis uns einflößt, während Habsüchtige und Ehrgeizige großen Wert auf sie legen, weil sie sie für feste und dauerhafte Güter halten. Das ist die Frucht, die man aus der Schule des Unglücks gewinnt: „Das nenne ich vernünftig werden durch Stockschläge,“ werden Sie sagen; allein wenn man nur weise wird, was liegt daran, wie?

Das ist nicht Phrase, sondern Wort für Wort tiefste Wahrheit und schmerzlichstes Erleben. Und ich liebe diesen Helden- und Philosophengeist wie keinen zweiten in der Geschichte. Sehen Sie, verehrter Meister, und in dieser furchtbaren Zeit der schwersten Prüfung hat der König immer, wenn er nur irgend zu Atem kam, seinen geistigen Bedürfnissen und Freuden nachzugehen versucht. Ja, sie sind es, die ihn trösten und aufrecht halten; er liest intensiv und viel in den Pausen, die ihm sein restloses Bedenken aller und jeder strategischen Maßnahmen übrig lassen. Das ist sein einziger Trost, seine einzige Erfrischung.

Und mitten in den Kriegswirren, den Kopf voll von Plänen, Kombinationen, Schlachten und politischen Schachzügen, findet er zweimal Zeit, sich seiner Sehnsucht nach lebendiger Kenntnisnahme der Geister seiner Zeit hinzugeben. Das eine Mal, Oktober 1757 in Leipzig, kommen vier Universitätsprofessoren zu seiner Begrüßung, und er hat eine lange Unterredung mit Gottsched. Da dieser meint, Hof und Adel ermutige durch seine völlig dem französischen Schrifttum zugekehrte Teilnahme die deutschen Dichter zu wenig, meint der König ganz offen: ,,Das ist wahr, denn ich habe von Jugend auf kein deutsch Buch gelesen, und ich rede es wie ein Kutscher; jetzo aber bin ich ein alter Kerl von sechsundvierzig Jahren und habe keine Zeit mehr dazu ...“

Das zweite Mal aber (27. Januar 1761) ist es Geliert, den er, abermals in Leipzig, beinahe mit Gewalt vom Krankenlager aufstöbern lässt, um mit ihm über Literatur zu reden. Über alte und über die neue deutsche, die dem König wenig behagt. Und da rezitierte ihm Geliert eine seiner Fabeln. Und sofort, da er diese echten und natürlichen Töne hört, ist der König gewonnen. Und er will, Geliert soll wiederkommen und ihm selbst seine Fabeln sprechen, sonst verlieren sie! ...

Die deutsche Literatur zwar kann er auch dem Fabeldichter gegenüber nicht gutheißen, und so will ich denn auch gleich hier besprechen, was er damals und viel später noch als 68 jähriger Greis in seiner „Abhandlung über die deutsche Literatur“ dachte und empfand.

Goethe hat es einmal gegen Eckermann ausgesprochen, wie damals, als er zu schreiben begann, die deutsche Literatur noch ein unbeschriebenes Blatt gewesen, und welche Lust es damals war, dies Blatt als einer der ersten zu beschreiben. Und wenn Goethe, der doch ganz anders seine geistigen Zeitgenossen zu kennen vermochte, als Friedrich, im großen und ganzen zu dieser Formulierung kommen konnte, darf's uns wundernehmen, daß ein König, der ganz im französischen Geiste, französischer Sprache, französischer Lebensformung aufgewachsen, dies wenig beschriebene Blatt nicht kannte und die ersten ungeschickten Versuche ignorierte oder missbilligte? Und wenn er eben unseres Goethe „Götz von Berlichingen“ als „abscheuliche Nachahmung dieser schlechten englischen Stücke“ (Shakespeare) verdammt, ist dies für den Verehrer Racines und Corneilles nicht mehr als begreiflich? Können wir staunen, wenn einer, der ein Leben lang in sauber gestutzten zierlichen Alleen und Bosketts lustwandelte, nicht imstande ist, die Schönheit des ungebändigten Naturparks zu genießen? Jeder, und wär's das größte Genie, ist und bleibt ein Kind seiner Zeit, gebunden und eingebettet in die Denkart seiner Welt. Und gerade er, der Gegner dessen, was er um sich sah, wie herrlich, wie gläubig wusste er das kommende deutsche Schrifttum vorherzuverkünden. Wie wunderbar begreift er alles Werden im Leben eines Sprachbereiches. Er nennt mit tiefer Einsicht all die ,,Hindemisse, die uns nicht erlaubten, ebenso rasch voranzukommen wie unsere Nachbarn“. Und an der Stelle fährt er fort:

„Jedoch überholen die, die als die letzten marschieren, manchmal ihre Vorgänger; das könnte sich bei uns rascher als man glaubt ereignen, wenn die Souveräne Geschmack an den Wissenschaften gewinnen, wenn sie diejenigen aufmuntern, die sich die Sache angelegen sein lassen, wenn sie diejenigen loben und belohnen, die den besten Erfolg haben: wenn wir Medicis hätten, würden wir auch Genies aufstehen sehen. Ein Augustus bringt auch einen Virgil hervor. Wir werden unsere klassischen Schriftsteller haben, jeder wird sie lesen, um davon Nutzen zu haben; unsere Nachbarn werden deutsch lernen; die Höfe werden es mit Vergnügen sprechen; und es kann kommen, daß unsre fein und vollendet gewordne Sprache sich aus Vorliebe für unsre guten Schriftsteller von einem Ende Europas bis zum andern verbreitet. Diese schönen Tage unsrer Literatur sind noch nicht gekommen, aber sie nahen sich. Ich kündige sie an, sie sind im Begriffe zu erscheinen; ich werde sie nicht sehen, mein Alter verbietet mir die Hoffnung. Ich bin wie Moses: ich sehe das gelobte Land von ferne, aber ich werde es nicht betreten . . .“

Nun, ich will es gerne gestehen — mögen Sie mich auch auslachen, verehrtester Skeptiker! — daß ich diese Sätze nicht lesen kann, ohne bis zu Tränen ergriffen zu werden. Und wie liebe ich diesen weisen, hellsichtigen, genialen alten Mann, der so gut weiß, wie alles Gute und Große in der Welt erst entstehen kann und darf, wenn ihm der Boden vorbereitet ist, reich und üppig genug, um neben der Brotfrucht auch die zierende und beglückende Blumenpracht hervorzubringen! Freilich, damals, als Friedrich dies schrieb, da war Schiller 21, Goethe 31 Jahre alt, und sie waren beide schon hervorgetreten mit genialen Schöpfertaten. Aber wie töricht, wie verständnislos-unhistorisch wäre eine Perspektive, die dem Könige verargen wollte, sie nicht „gesehen“ zu haben! — In diesem Jahre starb mir ein lieber, herrlicher Freund, der in der Karpathenschlacht die tödliche Wunde erhielt; er war ein ganz großer Komponist, was ,,man“ freilich heutzutage noch nicht weiß. In einem Erinnerungsgedicht — ich sende es Ihnen mit gleicher Post — habe ich es also ausgesprochen:

,,Wie ist doch alles Große längst vollbracht,
Steht sichtbar, fertig da, noch eh' die Welt,
Die langsam-zögernde, es mag verstehn!“


Das ist das ewig tragische Los im Leben des Geistes, und dem großen Friedrich aus solcher „Blindheit“ einen Vorwurf zu machen, wäre törichte Verirrung, die nicht ahnt, wie sehr wir alle gleicher ,,Blindheit“ für das Nahe und Nächste verfallen sind.

Soll ich Ihnen noch viel vom alten Fritz erzählen? Ich glaube, nach alledem, was nun vor Ihnen steht, ist's nicht mehr vonnöten. Rastlose Tätigkeit, unermüdlicher Fleiß, allseitige, allumfassende Hingabe an das Ganze und an das Kleinste, Entfernteste, sofern der erkennende Strahl des königlichen Blickes es trifft — zur Heilung der furchtbaren Wunden, die der Krieg dem erschöpften Preußen geschlagen hatte — das ist von nun an das Leben des alten Fritz. Der Krieg hat ihn aufgezehrt; er ist gebrochen und alt, Haare und Zähne hat er verloren, und der rastlose Geist hat im Verbrennungsprozesse leidenschaftlichster Anspannung das morsche Gehäuse des Leibes schier verzehrt. Aber noch lebt und glüht sein Geist und belichtet in furchtbar despotischer Alleinherrschaft seine ganze Welt. Hören Sie nur noch den Satz des vielwissenden, skeptisch enttäuschten Menschenkenners aus dem Brief an die Herzogin von Sachsen-Gotha vom 18. Mai 1764:

. . . Je länger man in dieser Welt lebt, desto klarer sieht man ein, daß die Wahrheit wenig dazu geeignet ist, das Erbteil der Menschen zu werden. Die Hüllen, die die Natur den Dingen gibt, die engen Grenzen unseres Geistes, die Vorliebe für das Wunderbare, von der jeder Mensch seinen kleinen Teil hat, das Streben nach Nutzen und der Betrug, die sich beide der albernsten Irrtümer bedienen, um Glauben für sich zu erwecken — mit einem Worte, alles weist uns darauf hin, daß wir in dem Reiche der Einbildungen leben und abgesehen von einigen beweisbaren geometrischen Sätzen nicht imstande sind, die Wahrheit zu erreichen. Alles in allem scheint es, daß wir mehr deshalb auf die Welt gesetzt sind, um sie zu genießen, als um sie zu kennen. Macht unsere Neugier einmal unsere Vernunft verwegen genug, um sich auf die Finsternisse der Metaphysik einzulassen, so verirren wir uns in dieser Dunkelheit, da wir keinen Stab, auf den wir uns stützen können, und keine Fackel habend die uns Licht brächte.

Wie gefällt Ihnen das? — Und dann noch denjenigen Spruch, mit dem er einen geistlichen Streit in Neufchatel (Brief an die Kurfürstin Witwe von Sachsen vom 3. Mai 1768) zu schlichten wusste. Ein Priester hatte nämlich daselbst gepredigt, die Höllenstrafen könnten nicht ewig währen; darob tiefe Entrüstung der orthodoxen Amtsbrüder! Des Königs Entscheidung aber lautete :

Die Priester, die sich einen grausamen und barbarischen Gott vorstellen, sollen ewig verdammt sein, wie sie es wollen und wie sie es verdienen, und die Priester, die sich Gott freundlich und milde denken, mögen sich der Fülle seiner Barmherzigkeit erfreuen.

Beginnen Sie, ihn nicht mit mir zu lieben? Aber was verlange ich da von Ihnen, der Sie so wegwerfend von der „sogenannten Aufklärung“ reden, dem alten, unweisen Fehler aller Skeptiker verfallend, die alles Erreichte als ,,gegeben“ betrachten, so das Große am einstens Neuen, Schöpferischen verzerrend. Was kann ich von Ihnen wollen, der Sie zu des Königs Abschaffung der Folter nichts anderes zu sagen vermögen, als wegwerfend und geradezu schnodderig: um so besser für die Diebe!?

Ich muss mich beschränken, sonst, wie gesagt, schriebe ich das halbe Buch ab! Nur ganz nebenbei sei es Ihnen erzählt, daß Friedrich einen Marsch komponiert hat, der mehr als hundert Jahre später bei einem Preisausschreiben — in Spanien! — unter 500 Mitbewerbungen den Preis erhielt und heute als — „Marchio real“ spanische Nationalhymne [*)] ist! Nun, wer an der Hand der Briefe und Dokumente den furchtbaren Krieg mit Friedrich durchlebt hat, der kann es wohl begreifen, daß sich genugsam trotzige, unbeugsame, heroische Glut in diesem Genie aufstapeln konnte, daß ihr musikalischer Ertrag einem ganzen Volke Nationalweise zu werden vermochte! Genie ist eben Weltbestrahlung; wohin im Einzelfalle die Strahlen treffen, das ist Sache des Zufalls, der Gnade . . .

[*) http://de.wikipedia.org/wiki/Marcha_Real]

Jetzt, glaube ich, haben Sie doch vielleicht ein neues, anderes Bild von Friedrich dem Großen gewonnen, und jetzt dürfen Sie mir nicht zürnen, wenn ich Ihnen ganz offen sage, was und wie vielerlei ich in wirklicher Entrüstung an Ihrer Darstellung auszusetzen habe. Dass ich Ihnen nicht viel von Friedrichs Größe in seiner schwersten Zeit des furchtbaren Koalitionskrieges der sieben Jahre erzählte, ist begreiflich. Denn das haben Sie selbst ja mehr als vorzüglich darzustellen gewusst. Geradezu meisterhaft aber ist es, wie Sie ohne allzu viel Worte die höchst komplizierte politische Situation vor diesem Kriege Aller gegen Einen darzustellen wussten. Das soll Ihnen einer nachmachen heute unter den Deutschen, wenn er's kann, diese Plastik, mit der Sie das psychologische Gerippe der mannigfaltigsten Kräftekomponenten der damaligen Lage uns greifbar nahe hinzustellen wissen! Das ist eine Leistung an visionärer Intensität, an Vereinigung und Vereinfachung dieser höchst subtilen Zusammenhänge, wie ich sie gar nicht genug bewundern kann. Und wenn Sie dann aus es Krieges höchster Not den König selber aus seinen Briefen reden lassen — wobei Sie wohl auch Briefstellen zitieren, die ich Ihnen vor Augen hielt — , da werden Sie ja, nolens volens, dem Könige gerecht; denn ihn selber hören und von der Größe seiner Seele durchdrungen und erschüttert werden, ist wohl eins; für uns alle, und so auch für Sie selber, den Widerstrebenden, psychologisch-misstrauischen Witterer alles Allzu-Menschlichen!

Aber im ganzen Bilde, das Sie von ihm haben — nein, da hilft mir kein Respekt vor Ihrer Kunst sonst und hier — , da muss ich es wahrhaftig und unumwunden heraussagen, wie furchtbar Sie fehlgehen, ja, wie all Ihre Menschenkenntnis, geschult und erprobt an den kleinen Leuten des Alltags, völlig und hilflos bei diesem Großen versagt und versagen muss. Der Blick des Psychologen mag wohl reichen für eine Königliche Hoheit unserer Tage, für den König reicht sie nicht aus und kann sie nicht reichen! Wo Sie schöne und bejahende Worte finden, da geht es zu, wie Goethe es von Schiller beinahe selbstbeschämt eingestand: man habe ,,sein groß Verdienst unwillig anerkannt“. Wo es aber gilt, den Menschen aufzuerrichten, dem dies „groß Verdienst“ entströmte, da wird alles verzerrt durch den hämischen Blick ins Kleine und Mesquine des Allzumenschlichen.

Und da heißt es denn nun ganz ehrlich zu gestehen: Größe der Schilderung aller Menschlichkeiten in dem Ewigen ihrer Alltags-Kleinheit ist keine gute Vorbereitung zum Erfassen des Großen. Wer darin groß ist, das Kleine zu gestalten, wird klein werden, wenn er mit dem gewohnten, hier falschen Maßstabe ans Große messend herantritt. Im Kleinen groß, wird er fürs Große zu klein sein. Was Uhland so schön sagt: „Und von seines Geistes Größe hab' ich einen Hauch verspürt“, das hieße es, hier festzuhalten, in sich aufleben zu lassen und so den Hörern mitzuteilen, zum Begreifen dieses Helden- und Denkergeistes. Da aber hilft alles Sinnieren, Psychologisieren und Tiefbohren nicht viel. Zu den Knochen und Gelenken, dem Verdauungsapparat etwa noch und den Geschlechtspartieen mag solche zu tief angesetzte Bohrung reichen, aber hinauf, bis ins Herz, bis in den Geist des Großen vermag sie nicht emporzudringen. Und kläglich versagt der Pygmäen-Gesichtswinkel am ragenden Kiesen! — Was haben Sie nur da gleich bei der Wandlung vom Kronprinzen zum König für eine verfehlte Betrachtungsweise eingenommen. Wie sehen Sie die erstaunliche Wandlung vom flötenblasenden, dichtenden, liebesabenteuernden Prinzen zum strengen, arbeitsamen, sparenden, kalten, unerbittlichen König so ganz mit dem stumpfen Blicke seiner Umgebung; der Hofleute, die er täuschte und täuschen mußte, umringt von Argwohn, Spionen (des gehässigen Vaters), gierigen Strebern, die den ,,kommenden Mann“ allezeit lüstern umlagert hatten! Ja, kennen Sie denn nicht den devoten, im vorhinein zu allem bejahungfunkelnden Blick, das „gewärtige“ Grinsen, das schmeichelnde Entgegengleiten der Vielen, die einen Mächtigen umtänzeln und umdienern? Und ein Mächtiger, der ein Genie obendrein ist, sollte es nicht erkennen, das böse, wachsame Wollen all der guten Psychologen und schlechten, nichtsnutzigen Gesellen, die ihn beutegierig umlauern? Er sollte es nicht sehen, erkennen, verachten lernen, er, der Mann des hellen, durchdringenden Genieblickes?! Und sollte nicht, wie der sprungbereite Löwe in der schmerzlich-allzulangen Dauer der geduckten Haltung täuschen und sich verstellen lernen, bis er endlich er selber zu sein vermag, aufspringend und nun erst aufrecht dahinschreitend?!

Als die armseligen Kammerherren, die sich schon freuten auf Lust und Liederlichkeit, entsetzte Augen machten, als der König vor ihnen hochaufgereckt, kalt, streng und unerbittlich dastand, da leihen Sie sich von dieser seiner nächsten Umwelt den erstaunten Blick zu erkennender Betrachtung?! Ich habe es im Zusammenhange hinlänglich dargestellt, wie die großen, aber auf kein wahres Ziel eingestellten Kräfte gerade des Genialen ungewiss umherirrend mannigfaltigste Gebiete durchstürmen mögen! Gestaute Kraft wird Sehnsucht, wandelt sich zu Musik und Dichtung (Verdichtung des Ungelebten). Der rastlos suchende Geist tobt sich im Erotischen aus, und so heißt's die Liebesabenteuer des Kronprinzen sehen, seine ,,kalten“ Lüsternheiten ohne Herz und Gefühl! Abreaktionen sind dies alles gewesen, denen gesunde Jugend die natürlichen, organischen Ventile darbot. Dann aber ward sein Blick die Welt, die er bald zu beherrschen hatte, erfassend inne im Einzelnen, Primären, und da erwachte das Eigentliche seiner Kraft, um sich dann, vom Königsthrone herunter, ganz und voll und ungeteilt der Gestaltung der Welt zu weihen.

Und dann die erotische Frage selbst! Wie kläglich versagt da all das hämische Wissen um einzelnes, organisches Erleiden, psychisches Versagen, „herzloses“ Erkalten. Ja, verehrter Meister, wissen Sie denn nicht, daß ein Weib, das küsst, allemal auch will? Und daß ein Weib, das einen Kronprinzen oder König küsst, allemal wohl nur küsst, weil sie will?! Dieweil der Mann als solcher weit zurücktritt für das Weib hinter dem Manne als Macht. Und daß ein genialer Mann, der das Weib erlebt, es allemal auch gar bald durchschauend erkennen wird? Und kalt, weil abgekühlt, das böse, lauernde, machtbegierige Wollen sich früh mit harter Hand vom Leibe zu halten erlernt, gerade, wenn sein Geist rein ist und hohen, ernsten und unerbittlich-gebietenden Taten sich zukehrt?! Wissen Sie das alles nicht? Nun, so muss ich es Ihnen wohl sagen. Und auch das sei gesagt, daß wohl ein körperliches Gebrechen, ein „Malheur“ der erotischen Sphäre mit beigetragen haben kann und mag, dem König die Abkehr vom Wollen des Weibes zu erleichtern; dies ist gewisslich möglich. Aber, so oder so, dieser Mann, dieser Heldengeist und Wahrheitssucher hätte sich, leichter oder schwerer, mit gewährenden oder widerstrebenden Organen losgelöst, früher oder später vom Erotischen zu asketischer Vergeistigung und zu begehrendem Umfangen der ihm zugänglichen, zu beherrschenden Welt! Und darum lassen Sie, ich bitte darum, die wegwerfenden Bemerkungen von dem König, der um 3 Uhr aufstand, zur Zeit, wo einer, der sein Leben genießen könnte, erst zu Bette zu gehen ein gutes Recht hätte! Diesem heroischen Geist ist all das nicht Genuss, sondern schale Langeweile, was anderen, Ihrem Blickfelde vertrauteren Männern Lebenssinn und Freude wäre!

Und wagen Sie es, bitte, nicht mehr, den großen Mann böse zu nennen dafür, daß er die drei Weiber auf den Thronen um ihn bespöttelnd verachtete. Wahrlich, zur Abkehr vom Weibe, zum Zurückschaudern wie vor gefährlichem Gifte mußte nicht nur nächstes Erleben, mußte noch ganz anderes anspornen, was er am französischen Hofe mit Verachtung und Ekel zu sehen bekam: Eine regierende Dirne mit einem Spatzenhirnchen, das freilich hinreichte zu Intrigen und politischen Machinationen, die ja gerade dem Weibe so trefflich liegen. Und um den König herum, den sie mit der Begierde beherrscht, die Schar eben jener Hintertürchenmänner, guter Psychologen und böser, nichtsnutziger Gesellen, die Weiberhände zu küssen, Weiberlaunen zu schmeicheln, zu willfahren verstehen, um dahin zu gelangen, wo sie den Ehrlichen, Tüchtigen, Gerechten und Ahnungslosen alle hohen und verantwortungsvollen Stellen zu rauben wissen, zum Fluche des Staates, zum Ruin des Volkes! — Ja, so sieht der Ekel des großen Königs aus, wenn wir ihn nicht belichten wollen mit dem rosigen Scheine heimlicher schwüler Kokoko-Beleuchtung! Und mögen Sie auch als Ästhet Ihre Freude haben an der reizenden Lasterhaftigkeit. Ich habe nichts dagegen. Aber Maria Theresiens politische Nachgiebigkeit und ihr ,,chère cousine“ dem König Friedrich von Preußen vorzuhalten, als leider nicht befolgtes gutes Beispiel, nein, das geht wirklich nicht, verehrter Meister, und verfehlt den Kern der Persönlichkeit.

Dass Er aber ,,der böse Mann“ schlechtweg für Maria Theresia war, wir glauben es gerne! Die Dirne hasst, das mütterliche Weib fürchtet den genialen Menschen. Denn beide, Mutter und Dirne, können seiner nicht habhaft werden, und das muss das Bild des ihren Blicken Entschwindenden wohl verzerren . . . Also setzen wir ruhig überall, wo Sie ,,böse“, ,,boshaft“, „hämisch“ und ,,höhnisch“ schreiben, das Wort „heroisch“ oder ,,heldenhaft“ hin, ein Wort, das der Skeptiker nicht gern gebraucht, weil er den Träger des Wortes nie ahnend und ehrfurchtsvoll begreifen kann.

Und eben darum, weil er ein heldenhafter, großer, unerbittlich Erkennender war, an dem aller böser Wille des andrängenden Menschengesindels zunichte ward, eben darum war auch immer Verschwörung um ihn, Verbündelei und Getuschel; und eben deshalb, weil er stets größer war, als die Regenten seiner Zeit, mußten ihn die auch hassen, wie man allemal hasst, wenn Organe zum Verstehen nicht vorhanden sind. Und deshalb mußte er, bei aller Menschensehnsucht, nach reiner, nicht willensgetrübter Gemeinschaft, einsam sein und bleiben.

So war und blieb er der große Durchschauer, der sich nichts vormachen ließ, der, als er Sachsens Ränke erspioniert hatte, auch keinen Deut sich bekümmert um eine Neutralität auf dem Papier, ja, der mit erbarmungslos zugreifender Hand die Akten an sich reißt, die das hinterhältige Spiel aller Welt enträtseln können. Freilich lässt er dann auch stark und gelassen die Flut des Hasses über sich ergehen, die sein ,,Rechtsbruch“ in ganz Europa hervorruft. Mögen sie toben! Er ist vor sich selber im Rechte, und das ist die einzige Rechtfertigung, die der Heldengeist zur Tat vonnöten hat.

Dass er dann aber ausharrt durch das ungeheure Leid und die Mühsal der sieben Jahre, das freilich erringt den späten Glauben der erfolganbetenden Welt! Und weil er den plebejischen, gemeinen, zufälligen Erfolg durchschauend verachtet als Denker, gerade deshalb weiß er ihn sich und seinem Volke zu guter letzt zu erzwingen als handelnder Held. Sie selber sagen es ja so wunderschön, und ich bin von Herzen froh, Sie hier bejahend zitieren zu dürfen.

Der Krieg war ohne Übertreibung die schrecklichste Prüfung, die eine Seele überhaupt jemals auf Erden zu bestehen gehabt hat. Um sie zu bestehen, dazu gehörten passive und aktive Eigenschaften, ein Maß von durchhaltender Geduld und von erfinderisch-tätiger Energie, wie unseres Wissens weder vorher noch nachher ein Mensch sie bekundet oder zu bekunden Gelegenheit gehabt hat.

Freilich mag ich nicht mit Ihnen sagen, daß dem König der Kampf gelang, „weil ihm immer wieder etwas einfiel!“ So aus dem Handgelenk, gemütlich darf das nicht gesagt werden, weil es wenig entspricht dem rastlos und nach allen Seiten hin fieberhaft wachen Denken des großen Mannes. Wenn der Strahlenkegel eines genialen Denkvermögens suchend und allbelichtend rundum im Kreise schweift, dann wird und muss wieder und wieder ein Weg, ein Ziel, eine Verwirklichungsmöglichkeit gefunden werden, solange dies Licht noch leuchtet, solange das Leben des Genies eben noch den überwachen Organismus verzehrend durchglüht.


Freilich, solcher Verbrennungsprozess macht alt! Wie sagt Conrad Ferdinand in seinem Hutten:

Der Geist, das edle Schwert, zerstört
Den Leib, die Scheide, die zum Schwert gehört!


Friedrich ist aber nicht nur der ewige Kämpfer, der sich im Tun verzehrt, er ist auch der Denker, der sich zu sehen vermag mit dem kalten, fremden Blick der Welt. Und darum weiß und versteht er, wie viel vom Don Quichote für den Zuschauer seines Daseins in ihm stecken muss. „Wer sich nicht selbst zum Besten haben kann, ist sicher keiner von den Besten.“ Und so war auch in dir, du großer König, die Flamme des Erkennens mächtig genug zu eigener Bestrahlung wie von außen, du kanntest wohl den tragischen Gegensatz zwischen dem, „was einer ist“, und dem, ,,was einer vorstellt“: ,,Du wusstest, daß du, ehe das heroisch festgehaltene Ziel nicht erreicht ward, der Welt der Narr (le fou), der Böse, der Don Quichote sein musstest, denn — wie Grillparzer es so tief in den ,, Erinnerungen im Grünen“ zu sagen weiß, du verwechseltest nicht ,, jugendlich, das Aug', womit du selber dich betrachtet, mit dem, womit die Welt betrachtet dich!“ ,,Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist oft nur ein Schritt.“ Die Welt, die ohne des Erfolges krönende Glorie nur den steilen Abhang des ragenden Berges zu sehen vermag mit seinen hässlichen Felsblöcken, sieht erst den Gipfel mit dem ewigen Lichtglanz des erreichten Zieles aus gehöriger Distanz und im nachhinein! Und so sind denn vom Lächerlichen zum Erhabenen der Schritte gar viele. Es sind die Leidenswege des heroischen Geistes zum Ziele, das ihm vorschwebt, ihm allein. Die Welt aber sieht nur das Lächerliche, das für sie in allem Anderssein, allem Abweichen vom geforderten Normalmaß gelegen ist. Und ist der Heldengeist, wie Friedrich, erkennender Denker zugleich, dann sieht er den Don Quichote in sich — mit den Augen der Welt. Der Tatmensch aber muss gerade Sancho Pansas Eigenschaften des festen Blickes für alles Unmittelbare und Nächste klar und unbeirrbar besitzen, um sich den Weg zu bahnen zum fernen Ziele hin. Im Don Quichote färbt und verzerrt die fixe Idee die Wirklichkeit. Im ,,Helden ohne Geist“ siegt stets die „böse Welt“. Immer noch ward Siegfried rücklings erschlagen, wo der geistige Held sich vor- und „umsieht“, weil er längst ,,den Hagen durchschaut hat“. Doch dem geistigen Helden gibt der Glaube, das eiserne Festhalten an dem ihm voranleuchtenden Ziele die eherne allüberwindende Kraft, das Nahe und Nächste zu sehen, zu beherrschen, zu überwinden, um schrittweise dahin zu gelangen, wo des Geistes eingeborene Kraft sich längst stehend und hingehörig weiß! — Das ungefähr möchte ich Ihnen sagen über das Problem von Don Quichote und Held, von Welt und Geist, von Wirklichkeit und Gedankenkraft! — Und das allergrößte, was der heroisch-philosophische Geist — eben diese Vereinigung, die Ihnen tragisch scheint, ergibt die höchsten Möglichkeiten! — zu leisten vermag, liegt vielleicht gerade darin, daß er sich wohl mit den Augen der ahnungslosen Welt, also Don Quichote-haft und lächerlich, zu erblicken vermag, dennoch unverdrossen und achselzuckender Verachtung voll bei seinem eigensten Sein auszuharren die schier übermenschlichen Kräfte findet!

So und nicht anders wurde aus dem Soldaten-Philosophen der „alte Fritz“, dessen letzte Geisteskräfte noch allbelichtend verglühten, das entkräftete Vaterland wieder aufzurichten. Wie allseitig-wirkend ihm dies gelang, die Geschichte hat es festgehalten. Und wenn Sie es so unbegreiflich finden, daß der Menschenhasser diese Arbeit zu leisten vermochte für die „verachtete Kanaille“, so will ich nur noch dieses sagen, daß die Liebe zum Menschen von der aus der Fülle des eigenen Herzens gewonnenen Menschheitsidee allemal noch im Genie den Hass, die Verachtung und das verbitterte Misstrauen gegen die Menschen seiner Umwelt zu überwinden und zum Schweigen zu bringen vermocht hat.

So stehen denn wir mit anderen Gefühlen wie Sie, verehrter Meister, vor der Leiche des großen Königs, dem Kinderleib, den der entwichene Geist als irdische Hülle zurückließ! Wir stehen davor, entblößten Hauptes und mit jener heiligen Ehrfurcht, mit der wir die verkohlten Trümmer betrachten mögen, die nach einem leuchtenden, ringsum Licht und Wärme spendenden, gewaltigen Brand zurückgeblieben sein mögen . . . Und glücklich wären wir, wenn auch Sie mit unseren Augen den Großen zu sehen vermöchten.

Nicht wahr, Sie zürnen mir nicht, daß ich so offen und aus tiefstem Herzensgrund Ihnen sagte, was ich mußte, um ein schnödes Unrecht, das an einem Heroen der Menschheit durch falsche Betrachtung begangen ward, gutzumachen?

Sie zürnen mir nicht und beweisen mir dies, indem Sie mir recht bald Nachricht geben, wie weit Sie mit Ihrem entzückenden Hochstapler-Roman gekommen sind, von dem ich ja einiges aus Ihrem eigenem Munde mit seltenem künstlerischen Genuss mitanhören durfte! Mit Vergnügen habe ich durch einen gemeinsamen Bekannten vernommen, daß Sie das amüsante kleine Detail aus der Schulzeit des werdenden Schwindlers, wie ich's Ihnen mit Freuden zur Verfügung stellte, Ihrer Geschichte einverleibt haben.

Mit der Versicherung, wie sehr ich darauf brenne, dieses feine und von psychologischer Meisterschaft auferbaute Werk recht bald genießen zu können, verbleibe ich
Ihr

in wahrer Verehrung

ergebener

Arthur Trebitsch.

Friedrich der Große als junger Krohnprinz.

Friedrich der Große als junger Krohnprinz.

Friedrich der Große.

Friedrich der Große.

Friedrich II in Feldherren Pose.

Friedrich II in Feldherren Pose.

Friedrich der Große in jungen Jahren.

Friedrich der Große in jungen Jahren.

Friedrich II in Old Age.

Friedrich II in Old Age.

Büste Friedrich des Großen

Büste Friedrich des Großen