Abschnitt 2

Friedrich Goldhaar


Drei Jahre lang hatte er pünktlich gethan, was ihm befohlen war, da faßte ihn ein heftiges Verlangen, einmal zuzusehen, was wohl in dem verbotenen Zimmer sein möchte. Kaum aber hatte er die Thüre aufgemacht, so schlug ihm daraus mit Qualm und Dampf die heiße, lichte Lohe entgegen, und in demselben Augenblicke erschien auch das graue Männchen, das sich sonst in den drei Jahren gar nicht wieder hatte sehen lassen. „Friedrich, du hast geguckt!“ sprach es drohend; „diesmal soll es noch so hingehen; thust du es aber noch ein einziges Mal wieder, so mußt du ohne Gnade sterben!“ Damit verschwand es. „Ich werde mich wohl hüthen,“ dachte Friedrich; „in einem Zimmer voll Feuer und Flammen habe ich nichts zu suchen.“


So ging wieder ein Jahr dahin; er that pünktlich, was ihm befohlen war, fütterte den Schimmel mit Aas und den Esel mit Heu und tränkte sie aus dem offenen Brunnen. Aber einstmals, da er wieder Wasser schöpfte, trieb ihn doch die Neugierde so sehr, daß er hinging und den verdeckten Brunnen aufmachte und sich hinüberbeugte, zu schauen, was wohl darinnen wäre. Mit dem so fielen seine langen Locken in das Wasser hinab, und als er sie zurückzog, waren sie, so weit das Wasser gereicht, ganz golden geworden. Da schöpfte er mit den Händen noch mehr von dem Wasser und wusch sein ganzes Haar damit, das glänzte nun mit sammt den Händen wie eitel Gold. In dem nämlichen Augenblicke erschien aber auch schon das graue Männchen wieder. „Friedrich!“ sprach es drohend; „du hast geguckt! Thust du das noch ein einziges Mal, so mußt du sterben ohne Gnade und Barmherzigkeit.“ Damit verschwand es. Friedrich aber, dem die Sache noch jedesmal so glücklich abgelaufen war, nahm sich vor, nun auch dem Schimmel nicht mehr Aas, sondern Heu und dem Esel nicht mehr Heu, sondern Aas zu geben. Gedacht, gethan. Sobald aber der Schimmel das Heu zu fressen kriegte, fing er mit einem Male zu sprechen an. „Friedrich,“ sprach der Schimmel, „es wird uns beiden schlimm ergehen, wenn wir nicht suchen zeitig von hier weg zu kommen; heut Mittag um zwölf halte dich zur Flucht bereit, aber vergiß nicht, meinen Kamm, meine Bürste und meinen Staublappen mitzunehmen, sie können uns vielleicht von größtem Nutzen sein.“ Friedrich, dem es auf dem alten einsamen Schlosse auch gar nicht mehr recht gefallen wollte, that wie der Schimmel ihm geheißen hatte; er umwickelte sich aber Kopf und Hände mit Tüchern, daß von dem Golde nichts mehr zu sehen war, dann sattelte er den Schimmel und Punkt zwölf Uhr schwang er sich auf und jagte ins Weite, so schnell der Schimmel nur laufen konnte.

Nicht lange waren sie geritten, da rief der Schimmel: „Friedrich, sieh dich mal um, ob auch wer kommt!“ „O weh!“ sprach Friedrich, „ich sehe das graue Männchen, das ist schon ganz dicht hinter uns!“ „So wirf schnell den Kamm zurück!“ Friedrich that es und alsbald wurde daraus ein langer tiefer Graben, den mußte das Männchen erst umgehen, eh es weiter konnte. Aber es dauerte nicht lange, da rief der Schimmel wieder: „Friedrich, sieh dich mal um, ob auch wer kommt!“ „O weh“, sprach Friedrich; „ich sehe das graue Männchen, das ist schon wieder ganz nahe hinter uns.“ „So wirf schnell die Bürste zurück!“ Friedrich that es; und sogleich entstand daraus ein dichter, ganz mit Dorngebüsch durchwachsener Wald, da mußte das Männchen erst mit Mühe hindurch, ehe es weiter konnte. Aber es dauerte nicht lange, als der Schimmel zum dritten Male rief: „Friedrich, sieh dich mal um, ob auch wer kommt!“ „O weh“, sprach Friedrich, „ich sehe das graue Männchen, das ist schon wieder ganz nahe hinter uns.“ „So wirf schnell den Staublappen zurück!“ Kaum war es geschehen, so entstand daraus ein großes, großes Wasser, das war so tief und gingen so hohe Wellen darauf, daß das Männlein nicht hinüber konnte und verdrießlich wieder nach Hause lief.

Friedrich ritt nun gemächlich weiter; und als er gegen Abend über einen Hügel kam, sah er auf einmal vor sich in der Ebene ausgebreitet eine prächtige Stadt, deren Thürme glänzten weithin von den Strahlen der rothen Abendsonne. Es war das aber die Stadt, wo der König Hof hielt. Nun stand nicht weit vom Wege ab ein großer hohler Eichbaum, als den der Schimmel sah, sprach er: „Ich will hier in dem hohlen Baume bleiben; du aber geh hin an den königlichen Hof und vermiethe dich als Küchenjunge; alle vierzehn Tage mußt du aber kommen und mir ein Pfund Brod bringen.“ So blieb der Schimmel in der hohlen Eiche; Friedrich aber ging an den königlichen Hof und fragte den König, ob er nicht einen Küchenjungen gebrauchen könnte. „Du kommst mir recht,“ sprach der König; „einen Küchenjungen habe ich gerade nöthig. Aber was heißt denn das? Du hast ja deinen Kopf und deine Hände verbunden.“ „Mit Verlaub, Herr König! Ich habe einen bösen Grind.“ Sprach der König: „So kann ich dich nur unter der Bedingung in meine Dienste nehmen, daß du des Nachts bei dem Vieh im Stalle liegst.“ Friedrich war damit zufrieden und wurde nun des Königs Küchenjunge; das Gesinde aber nannte ihn nicht anders als den Grindhans, darum, daß er Kopf und Hände stets verbunden trug.

Nach vierzehn Tagen ging er zu der hohlen Eiche und brachte dem Schimmel ein Pfund Brod. Da fragte der Schimmel: „Nun, Friedrich, wie gefällt dir dein Dienst?“ „Ach, schlecht,“ entgegnete er; „sie schelten mich immer Grindhans, und dann muß ich auch bei dem Vieh im Stalle schlafen.“ Sprach der Schimmel: „So geh hin zu dem Gärtner, der dicht neben des Königs Schlosse wohnt, bei dem verdinge dich als Gärtnerbursch. Hier nimm diese drei Büchsen voll Samen, wenn du den ausstreust, so werden daraus die schönsten Blumen wachsen. Du darfst aber auch nicht vergessen, mir alle vierzehn Tage ein Pfund Brod zu bringen.“ Friedrich ging nun hin zu dem Gärtner und fragte, ob er nicht einen Burschen gebrauchen könnte. „Du kommst mir gerade recht,“ sprach der Gärtner; „einen Burschen, wie du bist, habe ich schon lange gesucht; aber warum hast du dir denn Kopf und Hände verbunden?“ „Mit Verlaub, Herr Gärtner; ich habe den Grind.“ Sprach der Gärtner: „So kann ich dich nicht anders behalten, als wenn du im Gartenhause schlafen willst.“ Friedrich war damit zufrieden; er streute den Samen ins Land, den ihm der Schimmel gegeben hatte, und bald wuchsen die schönsten Blumen hervor.

Eines Morgens, da er ganz allein im Garten arbeitete, fiel ihm ein: „Du hast nun so lange Zeit dein Haar nicht los gehabt, daß es wohl an der Zeit ist, es einmal zu kämmen.“ Darum so machte er das Tuch los, setzte sich an einen sonnigen Ort und strählte sich das Haar. Das war eine Pracht zu sehen, wie ihm da die langen goldenen Locken über die Schultern wallten und wie sie funkelten und blitzten wie lauter Gold in der Morgensonne. Nun lagen aber die Zimmer der königlichen Prinzessin nach dem Garten hin; in die strahlte der Sonnenwiderschein von Friedrichs Goldhaar und spielte an den Wänden, und als die Prinzessin das sah, öffnete sie das Fenster, zu schauen, woher der ungewohnte Glanz wohl kommen möchte; da sah sie, daß des Gärtners Bursche mit goldenen Händen seine goldenen Locken strählte, die schimmerten in so lichtem Scheine, daß die Prinzessin ihre Augen mit den Händen deckte. Der Bursche gefiel ihr aber so wohl, daß sie sogleich ihre Dienerin zu dem Gärtner schickte, er möchte ihr doch von den schönen Blumen aus seinem Garten einen Strauß schicken, aber der Bursche solle ihn herbringen. Als das Friedrich vernahm, pflückte er einen schönen Strauß, ging damit aufs Schloß und brachte ihn der Prinzessin; seinen Kopf, wie auch seine Hände hatte er aber wieder mit Tüchern umwickelt, daß von dem Golde nichts zu sehen war. „Grober Schlingel!“ rief da die Prinzessin; „warum nimmst du die Mütze nicht ab? Weißt du nicht, vor wem du stehst?“ „Ihr seid die königliche Prinzessin!“ entgegnete Friedrich; „aber meine Mütze kann ich nicht abnehmen, weil ich den Grind habe.“ „Junge, du lügst!“ rief die Prinzessin, sprang auf ihn zu und wollte ihm das Tuch vom Kopfe ziehen, er aber entwischte ihr und lief weg in den Garten an seine Arbeit. Den andern Morgen schickte die Prinzessin wieder zu dem Gärtner, er möchte ihr von den schönen Blumen noch einen Strauß schicken, aber der Bursche müßte ihn herbringen. Als Friedrich das vernahm, pflückte er einen noch viel schöneren Strauß als das erste Mal, ging damit aufs Schloß und brachte ihn der Prinzessin; sobald er aber in der Stube war, verschloß die Prinzessin die Thüre. „Grober Schlingel!“ rief sie wieder; „warum nimmst du deine Mütze nicht ab? Weißt du nicht, vor wem du stehst und daß sich das nicht schickt?“ „Ihr seid die königliche Prinzessin,“ entgegnete Friedrich; „aber verzeiht! meine Mütze kann ich nicht abnehmen, weil ich den Grind habe.“ „Junge! Schelm! du lügst!“ rief die Prinzessin, sprang auf ihn zu und rang so lange mit ihm, bis sie ihm endlich das Tuch vom Kopfe zog; da wallten ihm mit einem Male seine langen goldenen Locken über den Nacken herab. „Das wußt ich wohl, du Goldjunge!“ rief die Prinzessin voller Freuden; „dich will ich nun auch zu meinem Gemahle haben, es mag gehen wie es will!“ Und da faßte sie ihn bei den Locken und küßte ihn und konnte sich gar nicht satt sehen an all dem Glanze, der von dem goldenen Haare strahlte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Friedrich Goldhaar