Abschnitt 1

Friedrich Goldhaar


Vor dieser Zeit ist mal ein armer Mann gewesen, der hatte einen einzigen Sohn mit Namen Friedrich; und es begab sich, als er grade sechzehn Jahre alt war, daß an dem nämlichen Tage ein Wagen mit vier Hengsten bespannt vor des Mannes Thüre hielt, da stieg ein vornehmer Herr heraus, trat ein und fragte den armen Mann, ob er ihm nicht einen Knecht wüßte, der Friedrich hieße und grade sechzehn Jahre alt wäre. „Da kommt Ihr eben in das rechte Haus,“ sagte der Mann, „mein Sohn Friedrich hat heute seinen sechzehnten Geburtstag.“ Sprach der Fremde: „So will ich ihn, wenn es Euch recht ist, in meine Dienste nehmen und will Euch im voraus den Lohn bezahlen, aber nur unter der Bedingung kann er mein Knecht sein, daß er sieben volle Jahre aushält und in den sieben Jahren niemals zu Hause geht.“ Damit war der Mann zufrieden; der Fremde warf einen schweren Beutel mit Geld auf den Tisch, nahm seinen Knecht Friedrich mit in seinen Wagen und fort gings wie der Wind, daß den vier Hengsten die Mähnen sausten. Eine Stunde mochten sie wohl gefahren sein, da ließ der Herr den Wagen halten und sprach: „Friedrich, sieh mal hinaus!“ „Ja Herr!“ „Friedrich, was siehst du?“ „Ach Herr“, sprach Friedrich, „ich sehe ein schönes Schloß, das liegt nicht weit von hier.“ Sprach der Herr: „Hier hast du meine Uhr, Friedrich, die ist grade zehn; nun geh, derweil ich auf dich warte, nach dem Schlosse, da wirst du gut bewirthet werden, aber Punkt elf, nicht früher und nicht später, gehst du wieder fort, und was man dir dann giebt, das bringe mit.“ „Gut, Herr!“ sprach Friedrich und ging in das Schloß; da waren viele Diener, die trugen gutes Essen auf und luden den Friedrich zum Sitzen ein. Der ließ sich auch nicht lange nöthigen, aß und trank nach Herzenslust und nachdem, da es ihm bald Zeit dünkte, sah er nach der Uhr, und weil es nahe vor elfe war, so brach er auf zum Weitergehen. Da wurde ihm ein Hammelbraten gereicht, den nahm er mit, wie ihm sein Herr befohlen hatte. Als er nun wieder an den Wagen kam, fragte der Herr: „Nun, Friedrich, was bringst du mit?“ „O Herr, sie haben mir einen Hammelbraten gegeben!“ „Schön! Friedrich,“ sprach der Herr, „lege ihn nur hinten in den Kutschkasten, wir werden ihn heute wohl noch nöthig haben.“ Friedrich that, wie ihm geheißen war. Dann stieg er wieder zu seinem Herrn in den Wagen, und fort gings wie der Wind, daß den vier Hengsten die Mähnen sausten.


So mochten sie wohl eine Stunde gefahren sein, da ließ der Herr den Wagen halten und sprach: „Friedrich! Sieh mal hinaus!“ „Ja Herr!“ „Was siehst du, Friedrich?“ „O Herr, ich sehe nicht weit von hier ein Schloß, das ist noch viel schöner als das erste war.“ Sprach der Herr: „Hier hast du meine Uhr, Friedrich, die ist gerade zwölf; nun geh, derweil ich auf dich warte, in das Schloß, da wirst du noch besser bewirthet werden als das erste Mal; aber Punkt eins, nicht früher und nicht später, gehst du wieder fort, und was man dir dann giebt, das bringe mit!“ „Gut, Herr!“ sprach Friedrich und ging in das Schloß; da waren noch viel mehr Diener als in dem ersten Schloß; die trugen Speisen und Weine auf von allen Sorten und luden den Friedrich zum Sitzen ein. Er ließ sich auch nicht lange nöthigen, aß und trank nach Herzenslust und als die Uhr nahe vor eins war, rüstete er sich zum Weitergehen. Da wurde ihm ein Gänsebraten gereicht, den nahm er mit, wie ihm sein Herr befohlen hatte. Als er nun wieder zurück an den Wagen kam, so fragte der Herr: „Nun, Friedrich, was bringst du mit?“ „O Herr, sie haben mir diesmal einen Gänsebraten gegeben!“ „Schön! Friedrich; lege ihn nur hinten in den Kutschkasten, wir werden ihn wohl heute noch gebrauchen können.“ Friedrich that, wie ihm geheißen war; dann stieg er wieder zu seinem Herrn in den Wagen, und fort gings wie der Wind, daß den vier Hengsten die Mähnen sausten.

Eine Stunde wohl mochten sie so gefahren sein, da ließ der Herr den Wagen zum dritten Male halten und sprach: „Friedrich! Sieh mal hinaus!“ „Ja Herr!“ „Friedrich, was siehst du nun?“ „O, Herr! Nun sehe ich nicht weit von hier ein Schloß, das ist so schön, wie ich in meinem ganzen Leben noch keins gesehen habe.“ Sprach der Herr: „Hier, Friedrich, hast du meine Uhr, die ist grade Zwei; nun geh, derweil ich auf dich warte, in das Schloß, da wird man dich bewirthen, wie noch nie; aber Punkt drei Uhr, nicht früher und nicht später, gehst du wieder fort und was man dir dann giebt, das bringe mit.“ „Gut, Herr!“ sprach Friedrich und ging in das Schloß; da war ein Leben und Gewühl von Dienern, nicht anders wie an eines Königs Hofe, die trugen die köstlichsten Speisen und Weine auf und luden den Friedrich zum Sitzen ein. Er ließ sich auch nicht lange nöthigen, aß und trank nach Herzenslust und als die Uhr nahe vor drei war, rüstete er sich zum Weitergehen. Da wurde ihm ein Schweinsbraten gereicht, den nahm er mit, wie ihm sein Herr befohlen hatte. Als er nun wieder zurück an den Wagen kam, so fragte der Herr: „Nun, Friedrich, was bringst du diesmal mit?“ „O, Herr; sie haben mir einen Schweinsbraten gegeben.“ „Schön, Friedrich; lege ihn nur hinten in den Kutschkasten; wir werden ihn wohl heute noch gebrauchen können.“ Friedrich that, wie ihm geheißen war; dann stieg er wieder zu seinem Herrn in den Wagen und fort gings wie der Wind, daß den vier Hengsten die Mähnen sausten.

Wohl eine Stunde mochten sie so gefahren sein, da ließ der Herr zum vierten Male halten. „Friedrich!“ sprach er wieder; „sieh mal hinaus!“ „Ja Herr!“ „Friedrich, was siehst du denn nun?“ „O Herr, ich sehe nicht weit von hier ein Schloß, das ist so erbärmlich schlecht, wie ich in meinem ganzen Leben noch keins gesehen habe.“ „Das ist aber gerade das Schloß, mein lieber Friedrich, wo du die sieben Jahre dienen mußt. Jetzt nimm die drei Braten, die wirst du gut gebrauchen können; denn um auf das Schloß zu kommen, mußt du durch drei Pforten; vor der ersten liegt ein Löwe, vor der zweiten ein Bär, vor der dritten ein Wildschwein; dem Löwen gibst du den Hammelbraten, dem Bären den Gänsebraten und dem Wildschwein den Schweinsbraten, so werden sie dich frei passiren lassen; in dem Schlosse aber wirst du Einen finden, der wird dir deine Arbeit geben. Leb wohl, Friedrich und halt dich gut!“ Friedrich stieg aus, wie ihm sein Herr befohlen und fort rollte der Wagen wie der Wind, daß den vier Hengsten die Mähnen sausten.

Als Friedrich nun auf das Schloß wollte, so lag vor der ersten Pforte ein Löwe, dem gab er den Hammelbraten; vor der zweiten Pforte lag ein Bär, dem gab er den Gänsebraten, vor der dritten Pforte aber lag ein Wildschwein, dem warf er den Schweinsbraten hin; da ließen ihn die Thiere frei in das Schloß hinein. Kaum war er eingetreten, so kam ihm gleich ein graues Männchen entgegen. „Sieh! Friedrich! Bist du da?“ sprach das Männchen; „auf dich habe ich schon lange gewartet. Nun merk auf! Hier hast du ein kleines Stöckchen, damit kannst du dir das nöthige Essen schaffen. In meinem Stalle steht sodann ein Schimmel und ein Esel; dem Schimmel giebst du Aas zu fressen, dem Esel Heu; thust du aber anders und giebst dem Schimmel Heu und dem Esel das Aas, so mußt du sterben. Ferner siehst du da im Hofe zwei Brunnen; aus dem einen, der offen ist, kannst du trinken und auch dem Vieh daraus zu saufen geben, der andere ist mit einer Fallthüre verschlossen, da darfst du aber niemals hineinsehen; thust du’s doch, so mußt du sterben. Noch eins! Merke dir diese Zimmerthür; läßt du dir jemals einfallen, sie auf zu machen, so mußt du sterben. Nun weißt du was du zu thun und wie du dich in deinen sieben Dienstjahren zu verhalten hast. Adieu!“ Damit ging das Männchen fort.

Friedrich trat nun seinen Dienst an, fütterte zur rechten Zeit den Schimmel mit Aas und den Esel mit Heu und tränkte sie aus dem offenen Brunnen, wie das Männlein ihm geboten hatte. Mit Hülfe seines Stöckleins wünschte er sich Essen herbei, so viel er mochte; hüthete sich auch wohl in den verdeckten Brunnen zu sehen oder das verbotene Zimmer aufzumachen. So vergingen drei Jahre. Nun hatte er aber, da er so plötzlich von Haus fortgekommen war, nicht daran gedacht, Kamm und Scheere mitzunehmen, darum wuchs ihm sein Haar zuletzt so lang, daß es in verwilderten Locken tief über seinen Nacken hinabwallte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Friedrich Goldhaar