Todesahnung und Tod

Die Ahnung eines nahen Todes hatte David Traub nicht getäuscht, in der Nacht vom Freitag auf den Sonnabend hatten ihn heftige Krämpfe gefoltert; der Hausarzt wurde gerufen, aber alle Mittel der Wissenschaft vermochten seine Schmerzen nicht zu lindern. Von Stunde zu Stunde nahmen seine Kräfte ab. Lea wich nicht von dem Schmerzenslager ihres Mannes, sie reichte ihm die Arzneien, sie war unausgesetzt bereit und ihm die beste Krankenwärterin. Ihre Ruhe verließ sie indessen keinen Augenblick; ihr Auge war matt von zwei durchwachten Nächten, sonst verriet aber nichts, dass die Leiden ihres Mannes Schmerzen in ihrer Brust erweckten.

Ich traue mir nicht zu, sagte ihr der alte, vielbewährte Hausarzt am Sonntag-Morgen, unseren Kranken allein zu behandeln, ich werde diesen Nachmittag einen meiner Kollegen mitbringen, dessen Rat ich in Anspruch nehmen will. Am Nachmittage brachte er diesen Kollegen mit, es war der Stadt-Physikus.


Sie haben leider ganz richtig beobachtet, mein verehrter Freund, sagte dieser, als sie das Haus verließen: der Kranke wird diese Nacht nicht überleben; was ihn niederwarf, ist, wie Sie auch ganz richtig vermuten und wie ich aus langen Erfahrungen bestätigen kann, Gift. Ein Verbrechen oder eine furchtbare Fahrlässigkeit setzt seinem Leben ein Ziel.

In der Nacht noch, die dem Sonntage folgte, starb David Traub. Die furchtbar entstellte Leiche wurde auf den Antrag des Stadt-Physikus seziert, und die Ärzte fanden in dem Magen deutliche Spuren von Arsenik. Das Gift war in einer so großen Dosis vorhanden, dass es unbedingt den Tod selbst des kräftigsten Mannes hätte verursachen müssen.

Es wurde eine Haussuchung vorgenommen; alle Dienstboten wurden verhört. Die Haussuchung führte auf keine Spur des verübten Verbrechens, auch das Verhör der Dienstboten blieb fast ganz ohne irgend ein Ergebnis. Nur die Köchin sagte aus, die Frau vom Hause habe den Karpfen, eine Lieblingsspeise des seligen Herrn, selbst gekocht, damit er besonders gut würde. Während ihre Frau den Fisch gekocht habe, sei sie zu einer Bestellung in ein ziemlich entferntes Haus geschickt worden.

Ein Apothekerbursche erzählte einem Gerichtsboten, am Freitag-Morgen der letzten Woche sei eine Dame von auffallender Schönheit in ihren Laden gekommen und habe Arsenik zur Vergiftung von Ratten und Mäusen gefordert, die in ihrem Hause überhand nähmen. Sein Herr und der Gehilfe seien gerade im Laboratorium beschäftigt und er allein gewesen. Er habe der schönen, fein gekleideten Dame nichts Arges zutrauen können und ihr das verlangte Gift gegeben. Er schilderte dann ausführlich das Äußere jener Dame und die Farbe ihrer Kleidung.

Als man ihn der Witwe des Vergifteten gegenüber stellte, sagte er fest und ohne alles Zaudern: Sie ist es, der ich den Arsenik verkauft habe. Lea wurde verhaftet.

Den alten Rabbi Elias hatte seine Begeisterung für das edle Dichterwerk, Moses und seine Frau ein Zwist aus Liebe von dem sicheren Tode gerettet.

Die Untersuchung war bald beendet. Die Gefangene gestand ohne Zögern, dass sie ihren Mann vergiftet habe, dass diese Tat von ihr schon seit langer Zeit beschlossen gewesen sei. Auch der alten Esther habe sie von dem Fische geschickt, doch sei sie besorgt gewesen, die Stücke für die alte Frau besonders und ohne Gift zu bereiten. Als der Untersuchungsrichter fragte, was sie habe bewegen können, auch im Hause Moses, des Maklers, Verderben zu bereiten, schwieg sie, wie sie auch auf alle Fragen, welche Gründe sie zum Morde ihres Mannes verleitet hätten, beharrlich schwieg.

Als sie aufgefordert wurde, sich einen Verteidiger zu wählen, nannte sie den Doktor Wilhelm Helfert und erbat sich eine Unterredung ohne Zeugen mit ihm. Da die Untersuchung geschlossen war, so trug der Richter, der sie geleitet hatte, kein Bedenken, die Bitte zu gewähren. Wilhelm Helfert wurde benachrichtigt, dass Lea ihm ihre Verteidigung anvertraut habe und eine Unterredung mit ihm wünsche.

Bleich und kummervollen Herzens trat der Anwalt in das Gefängnis; ein Wink von ihm an den Schließer, und er war mit der Verbrecherin allein.

Mein Gott, mein Gott, Lea, muss ich Sie so wiedersehen??

Ich konnte nicht mehr mit dem Verhassten leben. Ich hatte in Frieden von ihm scheiden wollen; mein Gold war zu Fesseln geworden, die mich unauflöslich an den Habsüchtigen banden. Und dann Ihre Worte, Wilhelm: Wenn Sie frei wären?

Gerechter Gott, so stempeln Sie mich zum Miturheber Ihres Mordes!

Seien Sie ruhig. Was Sie als einen Wunsch, vielleicht nur als eine Galanterie ausgesprochen hatten, ward das ewige Mahnwort meiner Leidenschaften. Und meine Hand griff nach der entsetzlichsten Waffe der Schwachen nach — Gift. Der Verhasste wird erkranken, wird langsam hinsiechen, flüsterte mir die Sehnsucht nach einem geliebten Bande zu, nicht der Schatten eines Verdachtes wird dich treffen, und eine Witwe wirst du vor den Geliebten treten und ihm sagen: Ich bin frei, auf und zerreiße auch deine Fesseln! Meine hastige Hand aber hat mich verraten; ich nahm des Giftes zuviel, und der Verhasste starb früher und unter auffallenderen Umständen, als ich berechnet hatte.

Und Moses, der Makler, dem Sie von der vergifteten Speist schickten, was hatte er Ihnen getan?

Es war nicht ganz mein freier Wille; mein Mann hatte ihm von unseren Fischen versprochen. Durfte ich zögern, als er mir auftrug, ihm davon zu schicken? Und ein Gedanke der Rache tauchte in mir auf, da ich jenen Auftrag hörte. Moses war es, den ich einst von meiner Schönheit gefangen glaubte, dem ich fast unglaublich entgegen gekommen war — er hatte eine Andere genommen. Wäre er mein Gatte geworden, ich hätte vielleicht Glück erfahren. Jetzt war er glücklich, mit Kindern gesegnet, während auf mir einsame und freudenlose Jahre lasteten. Wie oft habe ich den ehemaligen Diener unseres Hauses beneidet! Da klang es mir wie der Befehl des Verhängnisses, dass ich Verderben auch über ihn und die Seinen bringen solle. Eine höhere Hand hat ihn geschützt.

Lea, Lea, warum so viel Schönheit, so viel Geist mit dem Verbrechen gepaart! Warum mussten wir uns finden, als es zu spät war, als wir Beide nicht mehr Herren unser selbst waren!

Verlassen Sie mich, Wilhelm, ich kann Ihren Anblick jetzt nicht mehr ertragen. Nicht eine Mörderin bin ich nur, auch eine Torin muss ich mich schelten. Wie konnte ich mir vorspiegeln, dass ein Mord mich in Ihre Arme führen würde, dass ich nur eine Stunde mit dem Manne von so edlem Wesen leben könne, ohne vor ihm in den Staub zu fallen und zu jammern: Wehe mir, ich bin eine Mörderin! —

Es gibt Arbeiten, wo der, welcher sie verrichtet, jenem Totengräber gleicht, der an seinem eigenen Grabe gräbt. Eine solche Arbeit war für Wilhelm die Verteidigung Leas. Er bot seinen ganzen Scharfsinn auf, um Milderung für ihren Mord aufzufinden, er feilte und feilte an der Darstellung, er mühte sich viele Stunden lang an einzelnen Sätzen ab, um durch eine gewandte und glänzende Redeweise die Richter zu gewinnen. Und doch fühlte er, wie vergeblich diese Arbeit sei. Die Tatsache des Mordes stand durch das eigene Geständnis, der Unglücklichen, durch das Ergebnis der Leichenöffnung, durch das Zeugnis des Apothekers unumstößlich fest. Und wenn er sie auch vor dem Scharfrichter rettete — war nicht ewiges Gefängnis schlimmere Pein? und schnitt die Reue, die endlose, unermüdliche Reue nicht schärfer in ihre Seele, als das Richtschwert in ihren schönen Körper?

Als Wilhelm endlich mit seiner Verteidigung fertig war, erhielt er von dem Gericht wieder die Erlaubnis, Lea ohne Zeugen sprechen zu dürfen. Sie aber wollte nichts von ihrer Verteidigung hören, nur um ihn zu sehen, um ihn einige Male ohne Zeugen sprechen zu können, habe sie sich von ihm verteidigen lassen. Und wenn die Tür dieses Gefängnisses offen wäre, rief sie in Tränen, und wenn mein Gold oder Ihr Mitleid die Wächter bestochen hätte, dass sie mich entfliehen ließen, was würde mir die Flucht helfen? Wenn ich dann zu Ihnen käme und spräche: Wilhelm, ich bin frei, fort von hier, lass uns jetzt in fremde Länder wandern! — würden Sie nicht scheu vor mir zurück weichen?

Er weinte laut, aber er vermochte nicht, ihr zu antworten. Wilhelm, dieses Schweigen ist mein Todesurteil. Ich muss sterben, aber ich will auch sterben.

Das Kriminalgericht hatte indessen auf Todesstrafe durch Enthauptung erkannt. In einer Sitzung des Senates wurde beraten, ob das Urteil, welches das Gericht erlassen, zu bestätigen sei, oder ob eine mildere als die Todesstrafe eintreten dürfe.

Die Verteidigung des Doktor Helfert ward allgemein gerühmt: was die Kunst des Anwaltes vermochte, war hier erreicht; doch lag das Verbrechen zu schicklich da, doch war, wo es sich um einen heimtückischen Mord an dem Gatten handelte, eine Milderung der Strafe unmöglich. Einstimmig bestätigte der Senat den Spruch des Gerichtes.

Der Vater brachte diese Nachricht aus der Sitzung des Senates in das Arbeitszimmer seines Sohnes. Er fand ihn auffallend bleich. Die lange und schwierige Arbeiten der Verteidigung, glaubte er, habe Wilhelm so sehr erschöpft. Das Urteil des Gerichtes, erzählte er, habe vom Senate allerdings bestätigt werden müssen, aber allgemein sei das Lob der Herren vom Rate über die Verteidigung gewesen. Wäre eine Milderung der Strafe irgend möglich gewesen, deine vortreffliche Arbeit hätte sie bewirkt. Aber das hat sie doch bewirkt, dass alle meine Kollegen, nicht um mir zu schmeicheln, sondern aus wahrer Überzeugung, dich für den besten Kopf unter allen unseren jungen Juristen erklärt haben. Du bist auf dem Wege, schnell fortzukommen.

Ja, fort muss ich, mein Vater! Wenn du mich je geliebt hast, so gib mir deinen Segen und lasse mich fort aus dieser Stadt, aus Deutschland, ehe die fürchterlichste Stunde schlägt. — Und er erzählte dem erstaunten Vater, wie Lea durch Liebe zu ihm zu dem Morde getrieben worden sei.

Dann weiß ich, dass dich das Leben hier, dass es dich, wo dich deutsche Sprache an die Heimat mahnt, Tag für Tag, Stunde für Stunde quälen würde, sagte der alte Ratsherr; ich habe gehofft, du würdest die Stütze meines Alters sein, und muss dir nun sagen: Geh hin! Ich habe noch Töchter, möge einer von ihren Knaben mir den geliebten Sohn ersetzen. Geh hin!

Und wann soll ich scheiden?

Übermorgen soll sie sterben. So reise denn morgen.

Noch einmal stand der junge Mann vor Lea, bleich, mit zitternder Lippe, vergeblich nach Worten ringend. Ihr war eine Stunde zuvor das Todesurteil angekündigt, sie hatte es mit Ruhe angehört. Mit Ruhe sah sie jetzt den Freund vor sich stehen, in dessen Leben sie so seltsam eingegriffen hatte. — Nun denn, leben, Sie wohl, mein Verteidiger, sagte sie, ich danke Ihnen. Sie werden Hamburg verlassen, das weiß ich; Ihr Herz ist zu weich, je wieder an Orten vorüberzugehen, wo der Stab über mich gebrochen, wo mein Blut geflossen ist. Wo auch Ihr Weg Sie hinführt, gedenken Sie meiner in Milde. Aber noch Eins, Wilhelm, Sie sind ja Notar. Über mein Vermögen darf ich noch verfügen.

Sie dürfen es.

Nun denn, hier eine Vollmacht für Sie. Ich ermächtige Sie noch heute über alles zu verfügen, was ich besitze. All meine Habe soll den Waisenkindern dieser Stadt gehören, die eine Hälfte den christlichen, die andere den jüdischen Waisen. Gott wolle geben, dass das ärmste dieser Kinder glücklicher werde, als ich es in meinem Glanze war. — —

Auf einem Schiffe, das nach England ging, saß Einer stille schweigend, abgehärmt. An reinem Gespräche der übrigen Passagiere hatte er, seit er an Bord war, Teil genommen, beständig schweigend in die Wellen gesehen. Als am Morgen des zweiten Tages, nachdem das Schiff aus dem Hafen von Hamburg abgefahren war, die Schiffsuhr die elfte Stunde schlug, übermannte ihn der Schmerz, er weinte bittere Tränen. Jetzt trifft sie das Richtschwert! Mein. Gott, mein Gott, sei ihrer armen Seele gnädig! — —

Es wurde im Jahre 1783 eine Karawane, die des Weges von Palästina nach Ägypten zog, in der Wüste von Beduinen überfallen. Mit beharrlichem Mute verteidigte ein deutscher Naturforscher die Kisten, welche die Ausbeute seiner wissenschaftlichen Forschungen in jenen Ländern enthielten. Der Yatagan eines Beduinen tötete ihn nach tapferer Gegenwehr. Da wurde der Sand der Wüste von edlem Blute gerötet; Wilhelm Helfert ist im Kampfe für seine Wissenschaft gefallen. Ein glorreicher Tod! —

Moses, der Makler, seine Frau und der Rabbi Elias erfreuten sich glücklicher Jahre; Elias erreichte ein hohes Alter; der einzige Schmerz, der ihm noch beschieden, war der Tod des edlen Dichters Nathans des Weisen. Als kurz darauf seinem Pflegesohne ein Knabe geboren wurde, musste er Gotthold Ephraim heißen, und er hat diesem stolzen Namen Ehre gemacht. Ein Mann geworden, hat er mutig für die Rechte seiner Glaubensgenossen gestritten, und sein einziger Sohn wird in dieser Zeit unter denen genannt, die, selbst ihren Feinden Achtung abtrotzend, unermüdlich den Kampf kämpfen, der, ein Kampf der Freiheit, so rühmlich als einer, für das gute Recht der Juden im Staate, für die Gleichheit Aller vor dem Gesetze geführt wird. (Köln. Ztg.)
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Freitag-Abend