Moses Sehnsucht und Liebe. Der Irrtum

Moses musste bald nach dem traurigen Ereignisse mitten im Winter eine Reise durch das Herzogtum Bremen antreten. Es waren von einem englischen Hause mehrere Schiffsladungen Leder bei dem Hause Königsberger für den nächsten Frühling angekauft, und es galt nun, große Massen von Leder und Fellen rasch herbeizuschaffen, damit die Ladungen vollzählig wären, da die Schiffe an ihren Bestimmungsort abgehen sollten, sobald die Elbe frei von Eis sein würde. — An einem Freitage führten ihn diese Geschäfte in ein kleines Dorf; eine einzige jüdische Familie wohnte dort, und die nächste Gemeinde mit einer Synagoge war meilenweit von ihr entfernt. Der Hausvater lud Moses ein, den kommenden Sabbath bei ihm zu bleiben, und gern nahm dieser das gastliche Anerbieten an. Es herrschte ein schönes, edles Leben in dieser Familie: die Eltern waren einander in herzlicher Liebe zugetan, zwei Söhne, die dem Vater in seinem Handel an die Hand gingen, rüstige, heitere Burschen... Und die Tochter — wie ein Durstiger das reine, klare Geschenk der Quelle schlürft, so saugten die Augen des Gastes die Schönheit des Mädchens ein. Sie hieß mit einem der einfachen Namen, wie die Juden jener Zeit sie ihren Mädchen und Frauen zu geben pflegten, Blümchen. Und sie war eine schöne Blume. In reichen Locken hing ihr schwarzes Haar um die weiße, edle Stirn, unter feingezeichneten Brauen sahen ihre tiefdunklen Augen frisch und unbefangen in die Welt, und das Lächeln ihrer rosigen Lippen verriet einen gutmütigen und wohlwollenden Sinn.

Am Sonntag-Morgen verließ Moses das gastfreundliche Haus, doch nicht auf lange. Nach einigen Wochen riefen ihn seine Geschäfte und stärker noch eine geheime Sehnsucht in das kleine Dorf zurück. Er ward mit dem Hausvater bald einig über das Geschäft, das er mit ihm abzuschließen hatte, und dieser lud ihn zum Mittagstische ein. Wieder schwelgte er im Anschauen der Blume, die in diesem Hause blühte. Schüchtern sprach er mit dem Mädchen, und schüchterner antwortete sie dem Gaste ihres Vaters; doch ging aus ihren Äußerungen ein klarer Verstand hervor, und ihr ganzes Tun, jede ihre Bewegungen verriet jene natürliche Anmut, welche die beste Begleiterin der Schönheit ist.


Als er am Nachmittage Abschied von der Familie genommen hatte und in seinen Wagen stieg, der ihn zu Geschäften in ein anderes Dorf durch öde Sandwege führte, schloss er die Augen, und das schöne Bild des Mädchens stand klar und rein vor seinem inneren Blicke. Wie schön ist sie! sprach er leise vor sich hin: Das schönste Mädchen, das ich bisher gesehen, war Lea, aber nur schön für den Maler, nicht für mich, der ich sie durchschaue, der ich weiß, dass sie nur Einen Gott anbetet, ihre eigene Schönheit, und dass sie nur bewundert sein, dass sie nur glänzen und blenden will.

In dem Hause und in dem Geschäfte des Herrn Aaron Königsberger, den der Tod seines Sohnes tief niedergebeugt hatte, fand Moses, als er wieder nach Hamburg zurückgekehrt war, einen neuen Ankömmling. David Traub, der Sohn eines Geschäftfreundes des alten Herrn in Berlin, war, wie Moses, ein junger Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren; er sollte in dem Geschäfte an die Stelle des so früh verstorbenen Simon treten. Moses und der neue Ankömmling gingen friedlich und freundlich neben einander her, doch kam es zu keinem herzlicheren Verhältnisse zwischen ihnen. Der junge Traub war nicht fähig, auch nur einen Augenblick zu vergessen, dass er „reicher Leute Kind“ sei, und von Moses wusste er, dass er der Wohltätigkeit des Rabbi Elias Alles verdanke. Sonst von felsenfestem Vertrauen zu sich selbst, war der junge Berliner nur gegen die Tochter vom Hause, jetzt das einzige Kind des Alten, geschmeidig und fast demütig.

Einst saß Moses allein in dem Comptoir; es war lange nach den Stunden, die der Arbeit bestimmt waren; ihn hielt nur noch eine schwierige Abrechnung fest. Alle übrigen Diener waren seit Stunden fort, der alte Herr und David Traub hatten eine gemeinsame Spazierfahrt unternommen.

Da trat Lea zu ihm ein. Moses, sagte sie, sind wir allein, kann uns Niemand behorchen?

Verwundert und bestürzt über die seltsame Frage, schüttelte er schweigend den Kopf.

Moses, sagte sie halblaut, ich finde Euch seit einiger Zeit zerstreut, träumerisch; Euch hat eine Leidenschaft unterjocht... Ihr liebt!

Er antwortete nicht.

Moses, ich habe Euch mehr als einmal belauscht, wenn Ihr aus einige Minuten von Euren großen Büchern weg in unseren Garten ginget. Dann brachtet Ihr vom ersten Busche eine Gerte und schriebt einen Buchstaben in den Sand des Weges, und dann wieder einen Buchstaben und wieder einen und immer denselben. War es ein L. das Eure Hand, Eurem Herzen gehorsam, unaufhörlich einzeichnete in Euren Weg?

Er antwortete wieder nicht, aber eine stammende Röte flackerte auf in seinem Gesichte.

Moses, schriebt Ihr ein L? Und ich heiße Lea, Moses, fasset Mut, ich habe mir immer einen Gefährten gewünscht, dem ich Alles, Alles schenken kann, der mir Alles danken muss. Noch einmal, antwortet mir.

Wie könnte ich das Auge verlangend zu der Tochter meines Herrn, meines Wohltäters erheben? erwiderte er ausweichend.

Die Tochter Eures Herrn ist Eure Herrin, versetzte sie ungeduldig; war es ein L, das Ihr in den Sand schriebet, war es der Anfangsbuchstabe meines Namens. ... liebt Ihr mich? Antwortet mir, ich befehle es Euch, Moses! Eure Herrin wäre ich, rühmte ich mich eben, ich will Euch eine gütige, milde Herrin sein.

Das Rollen eines Wagens dröhnte durch das Comptoir; es war Leas Vater mit seinem Begleiter, die eben von der Spazierfahrt zurückkehrten. Leicht und still wie ein Schatten eilte sie fort — Moses sah ihr lange nach. Ein seltsames Mädchen! Mich will sie an sich fesseln, sie will keinen Mann, sie will einen Diener, einen Knecht ihrer Launen an sich fesseln... Sie ist reich, sie ist schön wie wenig andere Mädchen, und doch... Nicht Leas Namen schrieb ich in den Sand. —

Als Moses das nächste Mal in Geschäften in jenes Dorf musste, das ihn schon zweimal gastlich aufgenommen hatte, wusste er es so einzurichten, dass er wieder am Freitage ankam und von dem Geschäftsfreunde seines Hauses eingeladen wurde, den Sabbath mit den Seinen zu feiern. — War die Blume noch holder erblüht seit den drei Monaten, da er ihren Anblick hatte entbehren müssen? Sein Leben hatte noch keinen glücklicheren Tag gehabt, als diesen Sabbath. Die beiden Söhne waren in Geschäften abwesend, sein Wirt, die Frau und die Tochter allein zu Hause. Er verplauderte Stunden mit ihnen, und als nach dem Essen Mann und Frau ihren Mittagsschlaf hielten, war er allein mit dem Mädchen; sie flüsterten leise mit einander, damit die Eltern nicht erwachten; er erzählte ihr von dem Leide seiner Kindheit, von dem edlen Manne, der ihn gefunden hatte und sein zweiter Vater geworden war. Sie hörte ihm mit inniger Teilnahme zu, dann sprach auch sie; sie schilderte die einfachen Tage, die sie verlebt, die Angst und Not, die sie durch Krankheit der Mutter, der Brüder erlitten. Es war ihm, als hätte er jede Freude, jede Angst und Sorge schon mit ihr teilen müssen, als sei jeder Tag, den er nicht fortan mit ihr verleben werde, ihm ein verlorener. — Als die Eltern wieder erwachten, hatten zwei Herzen einen stillen Bund geschlossen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Freitag-Abend