Franzosen über Juden

Autor: Jellinek, Adolph Dr. (1820-1893) jüdischer Gelehrter, liberaler Rabbiner, bekannter Prediger in Leipzig und Wien, Erscheinungsjahr: 1880

Exemplar in der Bibliothek ansehen/leihen
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Juden, Franzosen, Deutsche, Christen, Menschenrechte,
I. Einleitung

Als Ludwig der Heilige [Ludwig IX. 1214-1270] die Fahne Frankreichs auf dem Gebiete von Tunis aufpflanzte, nannte er die französische Nation „den Soldaten Gottes" — und das ist sie heute noch , wenn auch in einem anderen als mittelalterlich kirchlichen Sinne. Gleiche Menschenrechte ohne Unterschied des religiösen Credo ist ihr Staatsdogma geworden, drei Republiken, den Napoleoniden, den Bourbons und den Orleans gleich heilig und unverbrüchlich. Ihre Fahne erlöste überall die Gewissen und befreite die Geister von Zwang, Lüge und Heuchelei. Sie war die Lehrmeisterin der Völker auf dem europäischen Kontinente und unterwies sie aus der Bibel der Freiheit und Gerechtigkeit. Ihre Literatur ist ein Arsenal, aus welchem die Verfolgten und Unterdrückten sich Waffen holen zu ihrer Verteidigung und zu ihrem Schutze. Sie ist "der Soldat Gottes", kämpfend für heilige Güter, für Gleichheit und Gerechtigkeit, gegen konfessionelles Vorrecht und Unrecht.

Dies erfuhren seit Ende des vorigen Jahrhunderts besonders die Bekenner des Judentums, die in unseren Tagen wieder von böswilligen Teutonen in mittelalterlicher Rüstung angegriffen werden, zur Schande des christlichen, zur Schmach des deutschen Namens.

Ich habe daher der französischen Literatur Urteile und Aussprüche über die Juden entlehnt, um sie als Schild gegen teutonische Angriffswaffen zu gebrauchen. Es sind Philosophen, Juristen, Naturforscher, Historiker, Staatsmänner, katholische und protestantische Prediger, die ihre Stimme für die Juden erheben und Alles widerlegen, dessen teutonische Wildheit sie beschuldigt.

Vielleicht wird man diesen Appell an französische Zeugenaussagen als Anklage gegen das Deutschtum der deutschen Juden *) gebrauchen. Hierauf erwidere ich, dass die Juden überall treue Söhne ihres Vaterlandes sind und in Deutschland zu den opferfähigsten Deutschen zählen, wenn auch ihr Stammvater Abraham und nicht Teut hieß. „Die Rasse", sagte Prof. Ed. Suess am 3. Februar dieses Jahres im österreichischen Parlamente, „ist ein Begriff, der auf physischen Unterschieden, das Volk ein Begriff, der auf den ethischen Unterschieden Sprache und Geschichte beruht und allmählich erstanden ist." Diese Definition eines berühmten Naturforschers von dem Wesen des Volkstums, die im Ganzen mit der von dem berühmten Völkerpsychologen Prof. M. Lazarus in dessen Schrift: „Was ist national?" (Berlin, 1880) gegebenen übereinstimmt, ist eine beschämende Widerlegung jener unklaren Teutonen, welche Rasse und Volk mit einander verwechseln und die Bekennet des Judentums aus der deutschen Volksgemeinschaft ausschließen wollen. Ich habe französische Autoren zu Zeugen für die Juden angerufen, weil sie bereits mit jener der französischen Sprache eigenen Klarheit und Eleganz Alles aussagen, was zur Abwehr teutonischer Angriffe vorgebracht werden kann.

*) Es dürfte interessant sein, hervorzuheben, dass sich die Juden im hebräischen Schrifttum nach ihrem Vaterlande schlechthin Franzosen, Spanier, Deutsche, Polen, oder: Zarfati, Sefardi, Aschkenasi, Poloni nannten.

Bevor ich aber die einzelnen französischen Schriftsteller und Redner zur Orientierung der Leser kurz charakterisiere, will ich eine kleine Studie über das ethnologische Verhältnis der Juden zu einigen europäischen Nationen , die bereits im Jahre 1870 als Fortsetzung meiner Schrift: „Der jüdische Stamm 11 (Wien, 18G9) niedergeschrieben wurde, vorausschicken.

                                    II.

Der Franzose hat einen lebhaften, schnell fassenden, als Geistesgegenwart sich kundgebenden Verstand, der mehr eklektisch als erfinderisch ist („ni dans l'art ni en religion, ni en Philosophie, ni en litérature. ni en pölitique, la France sait inventer. — Si la France est quelque chose, cestpar son éclectismc, urteilt E. Renan), ein rasch aufloderndes, enthusiastisches Herz, einen ausgesprochenen Sinn für Gleichheit, findet Gefallen an Antithesen, Bonmots, Calembourgs, liebt die nationale Glorie, persönliche Würden, Auszeichnungen und Titel, schwärmt für allgemeine, beglückende Ideen, schreitet gern den Völkern voran — und in all' diesen Stücken ist ihm der Jude ähnlich. Die französische Trias: égalité, fratemité, liberté, die eine magische Wirkung auf Frankreich ausübte, ist das Echo oder die stenographische Abkürzung längerer Bibelsätze. Die französische Begeisterung für die Befreiung der Völker redete eine jüdisch-messianische Sprache und was Mi dielet in dieser Beziehung von seinem Volke, dem französischen, in seiner pathetischen Manier aussagt, gilt meistenteils auch vom jüdischen. Die Worte Michelet's (le Peuple. III, 1. Cap.) lauten: „Wollte man aufhäufen, was die französische Nation an Blut, Gold und Anstrengungen aller Art zum Besten der Welt uneigennützig geopfert hat, so müsste die Pyramide Frankreichs bis zum Himmel sich erheben. . . . Saget mir, ihr Nationen, daher nicht: „Ach, wie ist Frankreich so blass!" . . . Es hat ja sein Blut für Euch vergossen! — „Wie ist es so arm?" Für Eure Sache hat es hingegeben, ohne zu rechnen. . . . Und als es gar nichts mehr hatte, sprach es: „Ich habe weder Gold noch Silber, allein was ich besitze, ist Euer. . ." Dann gab es euch seine Seele, und sie ist es, von der ihr lebet! Wohlan denn! Auch die Juden haben für eine große allgemeine Idee, welche der gesamten Menschheit Freiheit und Frieden bringen soll, oft genug geblutet, ihr erworbenes Gut auf den Altar des christlichen Fanatismus, auf den flammenden Scheiterhaufen nämlich, niedergelegt und mit ihrem Geiste die Völker genährt. Beides aber, die französische Propaganda für die Erlösung der Völker aus dem Joche des Mittelalters und der jüdische Messianismus ziehen ihre Säfte aus dem enthusiastischen Herzen. — Dem schillernden französischen Esprit ist der jüdische ziemlich homogen, Börnes und Heines Prosa konnte daher leicht ins Französische übertragen werden. Den Kultus hervorragender nationaler Persönlichkeiten, den singenden Ton in der Rede und die lebhafte Gestikulation teilen die Juden mit den Franzosen. Typisch ist diese ethnische Ähnlichkeit durch das schwarze Haar ausgedrückt.

Es fehlt aber nicht an Kontrasten zwischen Franzosen und Juden. Die Ersteren besitzen ein feines Gefühl für die schöne Form, die Geschicklichkeit, es zu objektivieren, einen empfänglichen Sinn für die systematische Zucht — „ce qui domine dans la nationalité francaise, c'est élément géometrique" , sagt Daniel Stern — , welche in der politischen Zentralisation, im Wörterbuch der französischen Akademie und in den wissenschaftlichen Arbeiten sich offenbart, und bis auf Victor Hugo, mit aristotelischer Strenge die französische Dramatik tyrannisierte, ein gewisses theatralisches Pathos im gewöhnlichen Leben — was alles den Letzteren von Natur mangelt. Hingegen werden Jene durch mehr Universalismus, durch den Vorzug, fremde Anschauungen, nationale Eigentümlichkeiten und soziale Zustände leicht zu verstehen, rasch zu beurteilen und zu benutzen, sowie durch die Akklimatisationsfähigkeit von Diesen übertroffen.

Der Pole — der Franzose unter den Slawen — hat das am schärfsten ausgeprägte Stammbewusstsein der slawischen Rasse, das ihm ein Aufgehen im Panslavismus erschwert, stürzt sich tollkühn in den Kampf gegen eine überlegene Macht, um seine nationale Selbstständigkeit zu erringen, ist übermütig im Glücke, groß und bewunderungswert im nationalen Unglücke, unverträglich mit Seinesgleichen, rechthaberisch, hartnäckig, individualistisch bei Beratungen, und daher unparlamentarisch — wie der Jude unter den Semiten. Die Zeloten, welche keinen Frieden mit Rom schließen wollten, in Jerusalem gegen Vespasian und Titus kämpften, und die Patrioten, welche in wildem Aufruhr auf der blutgetränkten Wahlstatt Betar's gegen die Legionen Hadrians sich erhoben, stehen den Kriegern, Helden und Politikern Polens am nächsten und der Lärm einer sog. „Judenschule" einem polnischen „Reichstag" nicht zu fern. Hingegen ist der Jude durch seine Arbeitsamkeit, Wirtschaftlichkeit, Geschäftsroutine und Sparsamkeit („die Juden sparen ihr Gut zusammen durch einzelne Pfennige und Heller", äußerte Luther I, S. 34) von den Polen total verschieden und daher als Faktor dem polnischen Edelmanne fast unentbehrlich.

Den Engländern steht der Jude nahe durch den praktischen, realistischen Sinn, der zum Handel und zur geschäftlichen Tüchtigkeit führt, sowie durch jene Gesetzlichkeit, die darin besteht, dass nicht der theoretische Sieg eines Prinzips, sondern die gebieterische Forderung des Lebens das treibende Moment der Fortentwicklung ausmacht, die daher an das Bestehende, an das, was sich im Laute der Zeit herausgebildet hat, ansetzt, anstatt tabula rasa zu machen und ein neues Gebäude aufzuführen. "Improvement, Verbesserung" — bemerkt Ad. Helfferich (Engländer und Franzosen, S. 60) ist ein Lieblingswort des Engländers, während der Franzose für "le progres", den Fortschritt schwärmt", und Alles niederreißt, was sich ihm in den Weg stellt, so dass auch auf politischem und sozialem Gebiete die französische Vorliebe für Systematisieren und symmetrische Ordnung sich geltend macht. Militärisch, in Reih und Glied, nach dem Gesetze der Taktik soll den Franzosen die Geschichte aufmarschieren. Im Übrigen bildet das steife, ruhige, kalte, gemessene, wortkarge Wesen des Engländers einen scharfen Gegensatz zur jüdischen Beweglichkeit und Lebhaftigkeit, zum jüdischen Pathos und hyperbolischen Naturell.

Mit dem Deutschen hat der Jude den Familiensinn, die Liebe zum häuslichen Herde, ökonomische Geschicklichkeit und einen Grad objektiver Hingebung gemein — Deutsche und Juden fühlen sich am meisten geschmeichelt, wenn Fremde ihre Verdienste anerkennen — unterscheidet sich aber von demselben in sehr vielen Stücken. Der Jude ist mäßig und nüchtern; der Deutsche lebt weder vom Brot noch vom Wasser allein. Jener ist friedlich gesinnt, dieser rauflustig gestimmt. Der Nachkomme Jacob's ist aufgeweckt und lebhaft; der Sohn Teut's trägt oft die Zipfelmütze. Jener denkt rasch, will schnell fertig sein, setzt mit seinem galoppierenden Verstande über alle Paragraphen-Barrieren der Systematik; dieser geht sachte einher, zieht mit Behagen einen Gegenstand in die Breite, und seine Ordnungsliebe artet oft in die langweiligste Pedanterie aus. Der Hebräer ist kühl, berechnend, erwägend, mehr Spekulant als spekulierend, ein Feind der Wortfolge, welche die Hauptsache an das Ende setzt; der Germane ein Schwärmer, ein Träumer, ein Metaphysiker und Mystiker, der oft so unklar schreibt, dass er sofort eines Kommentars bedarf. Jener hat Herz, aber kein Gemüt; dieser Gemüt, aber kein Herz. Der letzte Gegensatz wird manchen Leser überraschen. „Wie? der Jude hätte kein Gemüt, der Deutsche kein Herz?" Allerdings! Das Gemüt ist eine Herbstsonne, die nicht zehrt und sengt, ein tiefer See, dessen Fläche glatt und ruhig ist, eine klare Sommernacht mit hell funkelnden Steinen, ein grünendes Tal, das bei milder Beleuchtung sich weit hindehnt, ein dicht belaubter Wald, durch dessen Gezweig einzelne Strahlen dringen; das Herz eine glühende Julisonne am Mittag, ein aufgeregtes Meer, das schäumt und braust, ein Vulcan, dessen Krater bald geschlossen ist und bald brennende Lava ausspeit, eine wild romantische Gegend mit Felszacken und Sturzbächen. Das Gemüt ist ein Abgrund voll unbestimmten Sehnens, schweift hinaus in die weitesten Fernen und erhebt sich in endlose Welten; das Herz baut sich eine Brücke, um das jenseitige Ufer zu erreichen, wünscht, begehrt, verlangt, fordert und ist stets von einem begrenzenden Horizonte eingeschlossen. Dem Juden, als dem Sohne eines enthusiastischen, pathetischen, zwischen Extremen auf- und niederwogenden Stammes, fehlt daher wie dem Franzosen das echte Gemüt, für welches und dessen Ableitungen „gemütlich, Gemütlichkeit" beide auch kein besonderes Wort haben; dem Deutschen, als dem Spross eines grübelnden, zögernden und tiefsinnenden Volkes, das Herz in seiner höchsten Potenz und in seiner Vollkraft.

Um aber wieder auf die zwischen Germanen und Juden waltenden Gegensätze zurückzukommen, so wird man begreifen, warum die Deutschen, wenn nicht in manchen Momenten die Gemütlichkeit sie anwandelte, gegen die Söhne Israels so antipathisch gestimmt waren und erst dann ihren Widerwillen sänftigten und milderten, als sie selbst aus ihren Träumen aufwachten, sich ermannten, praktischer, realistischer, kritischer und Verehrer des gesunden Menschenverstandes wurden.

Eine innige Verbrüderung zwischen Germanen und Juden, zwischen deutscher Ruhe und jüdischer Raschheit, deutscher Ausdauer und jüdischer Beweglichkeit, deutscher Gründlichkeit und jüdischer Unmittelbarkeit, deutscher Gemütstiefe und jüdischem Herzenspathos, deutscher Mystik und jüdischem Verstand, wird beiden zum Segen werden, die in dem Familienleben und in der Liebe zum häuslichen Herd eine ethnologische Verwandtschaft besitzen, die in die Tiefen des Herzens hineinreicht.

Soweit schrieb ich im Jahre 1870.

Heute werden die Juden in Berlin mit sehr geringem pädagogischen Takte belehrt, dass sie Deutsche sein sollen. Das sind sie längst durch Erziehung, Bildung, Sprache, Lebens- und Anschauungsweise, sowie vermöge ihrer mit den Germanen gemeinsamen Fähigkeit sich den Nationen zu assimilieren, mit denen sie zusammenleben.*) Wenn ein deutscher Bekenner des Judentums außerhalb Deutschlands nach seiner Volksgemeinschaft gefragt wird, so antwortet er nicht: Ich bin ein Jude, der nach Palästina zurückzukehren wünscht und provisorisch in Deutschland weilt, sondern: Ich bin ein Deutscher, und deutsch fühlt und denkt er!

*) Ich erinnere mich heute noch sehr lebhaft, mit welcher Heftigkeit und Bitterkeit ein jüdischer Däne in Leipzig mir entgegentrat, als in der Schleswig-Holsteinischen Frage der deutsche Standpunkt geltend gemacht wurde.

Doch kehren wir jetzt zu den französischen Wortführern für das Judentum zurück, um den Leser mit ihrer Persönlichkeit bekannt zu machen.

Jaques Saurin, geb. den 6. Januar 1677 zu Nimes, dem Geburtsorte des am 10. Februar 1880 gestorbenen französischen Senators Adolph Crémieux, war ein berühmter protestantischer Kanzelredner, der als Refugié außerhalb Frankreichs im Haag bis Ende 1730 predigte. Das mitgeteilte Fragment, die Wohltätigkeit der Juden betreffend, ist einer Rede über Almosen entnommen, in welcher er die mosaische Gesetzgebung über Wohltun und Opfergaben darstellte, und von der erzählt wird, dass sie einen so mächtigen Eindruck auf die christlichen Zuhörer machte, dass sie fast alles was sie bei sich hatten, selbst Schmucksachen, die sie trugen, für die Linderung der Armut spendeten.

Die These, dass die Juden sehr barmherzig sind und die Armen durch reichliche Spenden unterstützen, wird auch heute selbst von Teutonen nicht bestritten. Allein die jüdische Wohltätigkeit den Christen als Muster vorzuführen und ihnen zuzurufen, es sei gut, dass sie von den Juden nicht näher gekannt werden, blieb einem freimütigen christlichen Prediger Frankreichs vorbehalten.

Übrigens blieben ihm die Aussprüche des Talmud über Almosen unbekannt. Wäre dies nicht der Fall gewesen, so hätte er auf seine christlichen Zuhörer noch tiefer einwirken können. Es genügt z. B. bloß den einen talmudischen Ausspruch anzuführen: „Wer sich nicht seiner Mitgeschöpfe erbarmt, der stammt nicht von Abraham ab, ist kein Jude." Werktätige Menschenliebe ist daher das Kennzeichen eines Juden.

Börne, Carl Ludwig (1786-1837) deutscher Schriftsteller, Journalist, Publizist, Literatur- und Theaterkritiker

Börne, Carl Ludwig (1786-1837) deutscher Schriftsteller, Journalist, Publizist, Literatur- und Theaterkritiker

Heinrich Heine

Heinrich Heine

Jüdisches Osterfest, Die Feier des Passahmahles am Passahabend, Schule der Van Eyck

Jüdisches Osterfest, Die Feier des Passahmahles am Passahabend, Schule der Van Eyck