14. Belagerung und Uebergabe Cattaros.

Die Bokelen und Montenegriner begaben sich unverzüglich nach Cattaro und belagerten es von allen Seiten her. Da Troiza in den vorhergegangenen Kämpfen zerstört worden war, hatte Cattaro keine eigentliche Festung mehr. Aber kaum eine Stadt in der Welt ist so gut von Natur befestigt wie Cattaro. Man braucht bloss auf dem Berge Vrmaz über der Stadt eine gute Geschützkette aufzupflanzen, dann ist Cattaro uneinnehmbar. Die Franzosen hatten oben eine gute Batterie, die aber von den Montenegrinern schon vorher erstürmt worden war, und zwar nicht von der Seite aus, die sie beherrschte, sondern von hinten, d.h. von dem montenegrinischen Boden aus.

Um Cattaro zu erobern, musste man also unbedingt eine Anzahl Geschütze auf dem Berge Vrmaz haben. Einige Kanonen hatten die Montenegriner von den Franzosen erbeutet und einige besassen sie selbst. Die Geschütze, die man auf St. Georg und in Castelnuovo erobert hatte, nahm Hoste auf seinen Schiffen mit hinüber. Da er aber zögerte, diese Geschütze bei Cattaro auszuladen und dieselben auf den Vrmaz hinaufziehen zu lassen, fürchteten die Bokelen, dass er diese Geschütze überhaupt nicht gegen Cattaro brauchen wolle und erhoben deswegen Klage beim Vladika. Dieser teilte die Sache dem Kommandanten mit und bat ihn, die Sache möglichst zu beschleunigen. Auf diese Vorstellung des Vladika antwortete Hoste mit einem überraschenden Brief, der lautet:


«Ihre Hochwürden! Ich hatte die Ehre, Ihren gestrigen Brief zu erhalten. Ich bedaure, dass die Bevölkerung die Zerstörung der Festung St. Georg böse aufgefasst hat, aber das geschah nur zu dem Zweck, dass der englischen Eskader der Durchgang durch Verige im Falle irgend eines ungünstigen Umstandes gesichert werde.

Ihre Hochwürden, die Geschütze werden den Bewohnern zurückgegeben werden, aber Sie sollen wissen, dass ich die Absicht hatte, dieselben auf den Berg hinaufzuschaffen und damit Cattaro zu beschiessen. Nun habe ich meinen Plan geändert und werde nur die Küste zwischen Cattaro und Ragusa blockieren. In dieser Absicht werde ich bald aus der Bucht hinausfahren, um den Feind zu bewachen.

24. Oktober 1813. Ihr gehorsamer Diener Hoste.»

«PS. Der Abbat Brunazzi hat viel Schaden angerichtet. Seine unermüdlichen Intrigen können seinem Kaiser und dessen Bundesgenossen nur schaden, denn er hindert das gemeinsame Werk, das wir unternommen haben.»[86] Dieser Schritt Hostes war begreiflich. Denn er war nie sicher vor den feindlichen Angriffen vom Rücken her. Sehr leicht wäre er in ein Kreuzfeuer geraten, wenn eine feindliche Flotte in die enge Bucht gekommen wäre. Dann wäre er gezwungen gewesen, häufig hinauszugehen und sich von der Situation auf dem Wasser zwischen der Bucht und Ragusa oder noch weiter hinaus selbst zu überzeugen.

Der Abbat Brunazzi war ein vertrauter Bote des Erzherzogs Franz von Este, der auf der Insel Lissa weilte. Dieser Abbat kam auf dem englischen Schiffe zusammen mit Hoste noch am 12. Oktober nach Cattaro. Er brachte einen Brief des Erzherzogs an den Vladika mit.[87] In diesem Schreiben beglückwünschte von Este den Vladika wegen seiner Siege über die Franzosen. Er gab dem Vladika zu verstehen, dass er den englischen Kommandanten bewogen hätte, mit den Schiffen nach Cattaro ihm zu Hilfe zu gehen. Und dann fuhr er fort: «Wenn das unternommene Werk glückt, so werden noch mehr Truppen geschickt werden, um im Verein mit Ihrem Heer die Bocca zu befreien helfen. Mit dieser kleinen Unterstützung schicke ich den wohlbekannten Abbat Herrn Brunazzi zu ihnen, welcher hier bei mir ist und welchem ich diesen Brief übergeben werde. Seine Geschicklichkeit und seine Arbeitsamkeit schätze ich hoch. Er war immer um das allgemeine Wohl der dortigen Gegenden bemüht und hat durch seinen Eifer und Charakter mein Vertrauen erworben. Diesen Mann empfehle ich Ihnen also; er hat von mir den Auftrag, Ihnen auch mündlich meine Hochachtung auszusprechen.»

Dieser «wohlbekannte» und «eifrige» Abbat wollte sich aber der Sache mit mehr Eifer, als nötig war, annehmen. Seine Wühlereien, die für Oesterreich unter der Bevölkerung Stimmung machen sollten, und seine arrogante Haltung den Engländern gegenüber mussten natürlicherweise den Kapitän Hoste verletzen. Wir werden bald sehen, wie dieser Abbat in der Tat der gemeinsamen Sache mehr geschadet als genützt hat.

Von der Absicht Hostes unterrichtet, schrieb der Vladika ihm sofort und bat ihn dringend, nicht aus der Bucht wegzugehen, bevor Cattaro eingenommen wäre. «Mit Ihrem Weggehen,» schrieb der Vladika, «werden Sie die Hoffnung der verbündeten Höfe zerstören. Denn Cattaro einzunehmen, ist der eigentliche Zweck unser aller Bemühungen. Und gerade jetzt, wo sich die beste Gelegenheit dazu bietet, wollen Sie weggehen.»[88] Hoste antwortete darauf: «Da Cattaro von allen Seiten belagert ist, finde ich mein weiteres Verweilen hier unnötig. Aber dennoch will ich mich nicht weit von hier entfernen; ich gehe bis nach Ragusa, um den Feind zu bewachen, und werde öfters herkommen, um mich mit Ihnen zu treffen.»[89]

Hoste übergab den Montenegrinern das Pulver und andere Munition, die sich auf St. Georg befand, und verliess nach einigen Tagen die Bucht.

Cattaro blieb unter der Belagerung und Bewachung der Montenegriner. Sie wussten nicht, wie man die Geschütze auf die herniederhängenden Bergspitzen heben und dort aufstellen sollte. Und ohne Geschütze konnten sie kaum hoffen, die Stadt einzunehmen. Der Vladika war entschlossen, Cattaro so lange besetzt zu halten, bis die englische Eskader zurückgekehrt oder bis der Feind durch Hunger gezwungen sich ergäbe.

Es traf aber inzwischen ein Umstand ein, der die Eroberung der Stadt hätte ermöglichen können, der aber durch den Hochmut und die Hintertreibungen des Abbat Brunazzi nicht ausgenützt werden konnte. In der französischen Armee, die sich in Cattaro befand, waren auch einige Hundert Kroaten. Diese Kroaten wollten nicht in der belagerten Stadt verschmachten im Dienste ihres nationalen Feindes, sondern beschlossen zu entfliehen. In der Nacht zwischen dem 28. und 29. Oktober gelang es ihnen, aus der Stadt herauszukommen. Sie flüchteten sich nach Prtchanj, wo der Abbat verweilte, und brachten ihm die Schlüssel der Stadttore und drei französische Fahnen. Der Vladika war diese Nacht eine halbe Stunde von Cattaro entfernt—also näher wie der Abbat—im Dorfe Dobrota. Hätte er diese Schlüssel bekommen, so hätte er die Stadt in der Nacht noch erstürmen können. Der Abbat vermochte ihm natürlich auch von Prtschanj aus diese Schlüssel zu schicken. Das tat er aber nicht aus Neid gegen einen orthodoxen Bischof. Die Kroaten waren ja römisch-katholischen Glaubensbekenntnisses und hatten sich nun zu ihm, dem römisch-katholischen Geistlichen, geflüchtet. Sein Stolz war in diesem Augenblick der eines engherzigen Parteimannes.

Erst am 29. Oktober schickte er gegen Mittag dem Vladika die jetzt nicht mehr brauchbaren Schlüssel. Der Vladika war wegen eines solchen Benehmens von Seiten des Abbats höchst erzürnt. Er versuchte dennoch am selben Tage den Stadtkommandanten Gauthier zur Uebergabe zu bewegen. Dieser war durch das Weggehen der Kroaten jetzt ziemlich geschwächt. Gauthier weigerte sich. Er dankte dem Vladika, wies aber seinen Vorschlag ab.

Hoste kam seinem Versprechen gemäss öfters nach der Bucht, besah die belagerte Stadt und ging wiederum weg. Erst Ende Dezember kam er endlich mit der festen Absicht, Cattaro einzunehmen. Er führte die Arbeit aus, die die unkundigen Montenegriner nicht auszuführen vermochten, nämlich die Aufstellung der Geschütze auf dem Berge Vrmaz. Dann begann die Bombardierung, vom Lande und Wasser her, die einige Tage dauerte. Ganz in die Enge getrieben, musste Gauthier sich ergeben. Am 8. Januar 1814 wurde die Kapitulation vollzogen. Die Franzosen kamen in die Gefangenschaft des englischen Komandanten. Die Stadtschlüssel übernahmen zwei Mitglieder der bokelischen nationalen Zentralkommission und ein montenegrinischer Deputierter. Den Franzosen wurde die Ueberfahrt nach Italien gestattet. In der ganzen Bocca blieb kein Franzose mehr zurück. Die Bocca war somit vollständig befreit. Nach 2 Tagen verabschiedete sich der englische Kommandant Hoste vom Vladika und den Montenegrinern und fuhr aus der Bucht di Cattaro nach Lissa.

So blieb die Bocca in den Händen der Bokelen und Montenegriner und wurde von der Zentralkommission verwaltet.

Jene Zentralkommission wurde am 10. November gewählt. An diesem Tage nämlich hielten die Bokelen eine Volksversammlung ab, in der sie beschlossen, sich mit Montenegro zu vereinigen, die Oberhoheit des montenegrinischen Bischofs anzuerkennen und in ihrem eigenen Lande eine Verwaltung auf republikanischer Grundlage einzurichten. Als Vorbild diente ihnen die frühere republikanische Konstitution von Ragusa. Ragusa hatte einen Senat, welcher alle drei Jahre eines seiner Mitglieder zum Präsidenten («Prinz») wählte. Die Bokelen schufen eine Zentralkommission, die aus 18 Mitgliedern bestand, und deren Pflicht und Aufgabe es war, das Land zu verwalten.

Nachdem diese neue Ordnung der Dinge ins Leben gerufen und gefestigt worden war, wählte die Zentralkommission einen Sendboten, der eine Zirkularnote den europäischen Grossmächten übermitteln sollte. In dieser Note wurden jene Neuordnungen in der Bocca beschrieben und die Mächte gebeten, dieselbe anzuerkennen. Seitens des Vladika wurde ein besonderer Deputierter nach Petersburg und Wien zu dem gleichen Zwecke entsandt.

Kaum waren diese Deputierten abgereist, so verbreitete sich das Gerücht in der Bocca, ein österreichisches Heer marschiere nach Süd-Dalmatien. Dieses Gerücht bewahrheitete sich. Als Hoste kam, um Caltaro zu bombardieren, drang der österreichische General Milutinovic mit einem grossen Heer bis Castelnuovo vor. Er hatte vom Kaiser den Auftrag, den Montenegrinern und Engländern bei der Einnahme Cattaros zu helfen. Als nun Cattaro inzwischen auch ohne seine Hilfe erobert worden war, kehrte General Milutinovic mit seinem Heere wiederum nach Norden zurück.

Am 10. Juni trafen die Sendboten wieder in der Bocca ein. Sie brachten eine für die Bocca trostlose Antwort von den Höfen mit sich. Die Bocca solle jetzt Oesterreich übergeben werden. Alexander richtete ein vom 1. Juni aus Paris datierendes Schreiben an die Bokelen, in welchem er sie versicherte, dass sie unter Oesterreichs Herrschaft dieselben Vergünstigungen geniessen und dieselbe Freiheit haben würden, die ihnen auch Venedig ehedem gewährt hatte.

Zugleich mit diesem Sendboten kam General Milutinovic wieder nach der Bocca zurück. Er hatte von seinem Kaiser den Befehl, das Land zu okkupieren, was er auch in einigen Tagen vollzog. Die Bocca leistete keinen Widerstand, dazu fehlte ihr die Kraft.[90]