9. Der Kampf bei Castelnuovo.

Die französischen Truppen waren bis in die Nähe von Castelnuovo vorgerückt. Sie versuchten für sich den Boden zu ergreifen und sich zu verschanzen ganz in unmittelbarer Nähe vor dem slavischen Lager. Daher gab es schon am 14. September deswegen einen kleinen Zusammenstoss zwischen jenen Truppen und einer Abteilung der Freiwilligen unter dem Kommando von Graf Georg Voinovic aus Castelnuovo und Vuko Radonic aus Njegusch, wobei die Franzosen mit einigen Verlusten sich zurückziehen mussten.[45]

Um das Vorrücken der Franzosen zu verhindern, wurde sogar auch die Schiffsartillerie seitens der Russen verwendet. Die Franzosen hatten sich nämlich des Vorgebirges Ostro bemächtigt, eines Punktes, der die gesamte Bucht beherrschte; von dort aus glaubte Marmont der russischen Flotte den Ausgang aus der Bucht versperren zu können. Senjavin erkannte die Gefahr und beschoss darum die Franzosen mit Schiffsgeschützen sobald sie sich auf Ostro zeigten und sich daselbst zu verschanzen suchten.[46] Als das starke und unaufhörliche Schiessen im Lager bei Castelnuovo gehört wurde, machte sich alles bereit. Am 25. September griff der Vladika mit seinen Leuten die Franzosen von der entgegengesetzten Seite an. Diese sahen sich gezwungen, das Vorgebirge zu verlassen und zogen nach Molonta in ihre starke Befestigung zurück. Aber schon am Abend desselben Tages mussten sie auch dort den Montenegrinern weichen, wobei sie 38 Geschütze und zahlreiches anderes Kriegsmaterial zurückliessen, was dem Vladika willkommen war. Die Franzosen hielten sich immer am Rande der Meeresküste und zogen sich langsam zurück. Nur auf dem Debeli Breg hielten sie an und wagten Widerstand zu leisten, aber nur für kurze Zeit; sie setzten darauf ihre Flucht weiter fort. Am zweiten Tage wurden sie immer weiter verfolgt. Die russische Armee holte die Montenegriner bei Debeli Breg ein und vereinigte sich mit ihnen. Die Franzosen erreichten endlich ihr Lager in Zavtat.


In einer anderen sehr starken Verschanzung bei Vutche Zdrelo hatten die Franzosen an diesem letzteren Tage einen heftigen Zusammenstoss mit einer Abteilung der Bokelen aus Risano unter der Führung des Grafen Sava Svelic. Stürmisch wurden sie von den Risanern angegriffen und zur Preisgabe der Festung gezwungen, worauf deren bisherige Besatzung nach Zavtat zurückeilte.

Marmont liebte ein schnelles Vorgehen. Er wollte sich nicht in Zavtat (Ragusa Vecchia) von dem Feind einschliessen und aushungern lassen. Er dachte an eine neue Offensive. Noch in der Nacht zwischen dem 29. und 30. September zog er aus dem Lager mit ungefähr 6000[47] Mann aus. Eine Reserveabteilung liess er in Zavtat zurück. Mit 6000 Soldaten marschierte er nun gegen den Feind. Die Nacht war dunkel, es regnete stark. Das Vorwärtskommen der Franzosen wurde verlangsamt. Sie zogen jedoch tapfer die ganze Nacht weiter. Marmont hoffte, die Montenegriner, die am Ufer des Flusses Liuta ein Nachtlager aufgeschlagen hatten, noch während der Finsternis zu überraschen. Er kam aber zu spät. Das Unwetter war schuld daran. Als es graute, war er noch eine Meile von Liuta entfernt. Seine Attacke führte Marmont sehr geschickt aus. Er sandte den Obersten Planzone mit einem Bataillon voraus. Ihm sollte General Lauriston zur Unterstützung folgen. Marmont selbst rückte mit dem übrigen Heer als Reserve nach.[48]

Der Angriff war ein starker. Die montenegrinischen Vorposten wurden zurückgeworfen bis zum Lager am Flusse, wo sich der Vladika befand. Nach einem heftigen Kampf, bei welchem auch er in grosse Gefahr geriet, zogen sich die Montenegriner mit Verlust von 60 Mann auf die Höhen von Moidesch, Mokrino und Kameno zurück. General Popondopula kam den Montenegrinern zu Hilfe. Er stellte seine Truppen auf den Moidescher Bergen auf, während die Montenegriner sich von da zurückzogen, um die Schluchten zwischen Castelnuovo und Risano zu besetzen; so deckten sie den Rücken der Armee. Die Erhebungen von Mokrino und Kameno wurden jetzt noch stärker besetzt. Die Stellung des russischen Generals war nunmehr viel vorzüglicher, denn die der Franzosen. Marmont ordnete Lauriston mit zwei Bataillonen gegen diesen feindlichen Truppenteil ab. Aber beim ersten Ansturm wurde Lauriston von den Russen zurückgeschlagen. Marmont gab Lauriston sofort eine Verstärkung mit, bestehend in einem Bataillon Grenadiere unter dem Kommando von General Launay. Der Kampf dauerte noch sieben Stunden. Die Russen traten nach dem ausserordentlich mutigen und harten Angriffe der Franzosen den Rückzug an und gaben ihre Position auf der Höhe preis. Das taten sie aber erst nach verzweifelter Gegenwehr; mit dem Bajonett war man auf die Franzosen eingedrungen. Ungefähr 250 Mann, Russen und Bokelen, liessen ihr Leben auf dem Schlachtfeld. Die Russen nahmen ihre Richtung auf Castelnuovo und wurden von den Franzosen unermüdlich verfolgt. Diese Verfolgung ging bis zum Vorgebirge Ostro und dauerte angesichts der russischen Flotte noch fort, bis diese mit den Kartätschen die Franzosen zum Stehen brachte und den Ihrigen den Rückzug bis Castelnuovo auf diese Weise ermöglichte.

Am 1. Oktober begann Marmont einen neuen Kampf. Den General Lauriston sandte er gegen Kameno und Mokrino, wo die Bokelen und Montenegriner standen, und den General Delzons gegen die Russen vor Castelnuovo, um diese herauszulocken und von der Stadt abzuschneiden. Auch befahl er, alle Bauernhäuser in der Umgebung der Stadt anzuzünden und zu verbrennen. «C'était punir la rébellion dans son foyer même»,[49] erklärt Marmont. Dabei wurde auch ein türkisches Dorf, Schwinje, verbrannt, weil die Bewohner des Dorfes die gefordete Hilfe den Franzosen nicht leisten wollten. Die Montenegriner bei Kameno und Mokrino warteten nicht ab bis Lauriston sich ihnen genähert hatte, sondern rückten, sobald sie seiner ansichtig wurden, mit Wut vor, sodass er sich sofort zurückziehen musste. Auf die zweite Abteilung, unter General Delzons, der «avec vigeur»[50] die Truppen führte, wie Marmont selbst bezeugt, feuerten die Geschütze von den zwei Festungen Castelnuovo und Espagnola und von der Flotte aus. Diesen Moment beschreibt Marmont folgendermassen (dies stimmt mit den slavischen Berichten): «Le 2 octobre, au moment où je faisais incendier les beaux faubourgs de Castelnuovo, malgré le feu de la flotte ennemie, mille à douze cents paysans[51] et quelques Russes vinrent attaquer les postes de ma gauche, les surprirent et les obligèrent à se replier.»[52] Als der linke Flügel, unter dem General Lauriston, zurückgedrängt wurde, vereinigte er sich mit dem General Delzons. Dieser hatte auch viel zu leiden unter dem Feuer vom Lande und Meere her. Marmont gab ihm italienische Garde zur Unterstützung bei. Der Kampf wurde von Stunde zu Stunde immer heftiger. Die Masse des Volkes aus den umliegenden Dörfern und der ganzen Bocca strömte bei dem Schauplatz des Kampfes zusammen. Die unmündigen Kinder wie die Greise eilten ins Lager ihrer kämpfenden Brüder zu Castelnuovo, um ihnen irgendwie behilflich zu sein. Der Kampf dauerte den ganzen Nachmittag. Die Montenegriner sprangen haufenweise unter die Franzosen. Furchtbare Szenen entstanden, wie man sie sich nur dort vorstellen kann, wo die Gegner wutentbrannt mit Dolch und Revolver gegeneinander losstürmen. Zuletzt wurden die Franzosen bis in ihr Lager in Sutorina zurückgedrängt. Es war schon tiefe Nacht, als die letzten Schüsse fielen.

Um die Morgendämmerung des 3. Oktober erschallten die Rufe der montenegrinischen Wachen aus der Nähe von Sutorina: «Wer ein Held ist, auf! Der Franzose flieht!»[53] Die Franzosen waren schon weg. In der Nacht befahl Marmont den Rückzug nach Zavtat. Er sah wohl ein, dass es ganz sinnlos wäre, sich auch weiter in einen Kampf gegen die befestigten Slaven in Castelnuovo einzulassen. Er konnte nicht gegen Castelnuovo vorgehen, ohne ins Kreuzfeuer der Festungen auf dem Lande und der Flotte auf dem Wasser zu geraten. Denn nur von einer Seite, und zwar von dieser gefährlichen aus, konnte man von Sutorina nach Novi marschieren. Ein Umgehen war ausgeschlossen wegen der steilen Berge, die über die Stadt herniederhängen.

Als der Ruf der Wachen in Castelnuovo gehört wurde, stürmten die Montenegriner mit ihrem Vladika den Franzosen nach. In zwei Stunden wurden diese eingeholt. Da sich Marmont nicht in den Kampf einlassen wollte, beschleunigte er bloss seinen Wegzug. Unterdessen kamen auch russische Jäger und verfolgten im Verein mit den Montenegrinern Marmont aufs härteste. Viele Tote und Verwundete blieben auf den Strassen liegen. Die Feuerschüsse richteten unter den Franzosen grossen Schaden an. Endlich erreichten sie Zavtat, wo sie sich verschanzten, und die Montenegriner kehrten mit Beute beladen zurück.[54] Der Bericht, den uns Marmont von diesem Rückzug hinterlassen hat, lautet ganz anders. Er schreibt: «J'avais atteint mon but et montré à ces peuples barbares ma superiorité sur les Russes (nämlich im Kampfe bei Castelnuovo). Je me retirai le 3, en plein jour, à la vue de l'ennemi. Rentré à Raguse-Vieux, mes troupes reprirent le camp qu'elles avaient quitté cinq jours auparavant. La terreur des ennemis était telle, que pas un paysan n'osa me suivre.» (!)[55] Wenn wir alle russischen und serbischen Berichte von dem Kampf bei Castelnuovo und vom Rückzug der Franzosen von Sutorina nach Zavtat auf ihre gemeinsamen Züge hin untersuchen und wir bloss diesen Bericht Marmonts in Betracht ziehen, so muss uns manches ganz auffallend vorkommen. Sollte Marmont bei Castelnuovo das slavische Heer besiegt haben, so bleibt sein eiliger Rückzug nach Zavtat ganz unerklärlich, da jener Ort 17 km von dem Kampfplatz entfernt war. Wenn er wirklich gesiegt hätte, und wenn «la terreur des ennemis» so furchtbar gross gewesen wäre, so ist es das grösste Geheimnis für uns, wenn er diese «entsetzten Bauern» nicht weiterverfolgen wollte. Sein Ziel war doch, Castelnuovo und Cattaro zu bezwingen oder wenigstens das Land zu besetzen. Nichts von dem hatte er erreicht. Wozu dann unverrichteter Sache ein Rückzug? An einem anderen Ort, wo er das Ergebnis des Kampfes bei Castelnuovo in Erwägung zieht, sagt Marmont: «Ainsi l'ennemi, qui comptait mettre à feu et à sang Raguse et la Dalmatie, n'avait pas pu défendre son territoire et ses propres foyers.»[56] War dem so, so stand dem General nichts im Wege, dieses Territorium in seiner Gewalt zu behalten. Castelnuovo ist der stärkste Punkt in der ganzen Bocca. Wer diesen Ort besetzt hat, der ist der Herr des Landes. Wenn dieser Punkt also von den Slaven nicht verteidigt werden konnte, wie der General es behauptet, so hätte er Castelnuovo besetzen können. Er unterliess dies aber gänzlich und zog weiter nach Zavtat zurück. Er verliess natürlich auch alle anderen befestigten Posten, die er selbst bauen lassen oder den Slaven weggenommen hatte, wie Molonta, Liuta, Ostro, Sutorina, Kameno und Mokrino. Jedermann, der seinen Bericht mit mehr Aufmerksamkeit und Erwägung liest, wenn er auch den Boden, um welchen es sich hier handelt, nicht kennt, muss vor einem unerklärlichen Rätsel stehen. Und jedermann der diese Landschaften kennt und die anderweitigen Berichte denen Marmonts kritisch gegenüberstellt, muss daraus schliessen, dass die Franzosen bei Castelnuovo geschlagen worden sind und deswegen sich schnell bis nach Zavtat zurückzogen, verfolgt von den Bokelen, Russen und Montenegrinern.

Nach dem Kampfe erliess Senjavin eine Proklamation an die Bokelen und Montenegriner, aus welcher wir nur den folgenden Auszug hier mitteilen: «Soldaten, ihr habt nicht bloss grossen Heldenmut und grosse Tapferkeit gezeigt, sondern auch allen Befehlen gebührend Folge geleistet und euch überhaupt in allem lobenswert betragen. Die Kühnheit des Feindes, der unser Land zu bekämpfen wagte, ist gestraft worden. Wegen eurer Ausdauer war der Feind erstaunt, der so viel Leute verloren hat, dass er sobald keine neuen Kräfte sammeln und einen neuen Kampf wird wagen können. Indem ich euch als Sieger begrüsse, danke ich euch, dass ihr die Gefangenen gut behandelt habt, und wünsche, dass die Menschlichkeit auch späterhin nicht verletzt wird ... etc.»[57]

Dieses Dokument ist das beste Zeugnis von dem Ausgange des Kampfes bei Castelnuovo.