10. Die Bocca während des Waffenstillstandes. Okkupation der Inseln.

Castelnuovo war und blieb das Hauptlager des slavischen Heeres. Marmont hatte zwei Standorte: Zavtat und Ragusa. Nach dem Kampfe bei Castelnuovo trat in beiden Lagern, im slavischen wie im französischen, eine Zeit der Orientierung nach innen und aussen ein. Die Ereignisse im fernen Norden blieben auch jetzt, wie übrigens während dieser ganzen Zeitepoche, nicht ohne Widerhall. Zwei Fragen waren für Bocca und für beide gegeneinanderstehenden Armeen von wesentlicher Bedeutung. Die eine lautete: Wird wohl Russland nun nach dem Scheitern von Oubrils Vertrag mit Frankreich, oder eher umgekehrt, einen neuen Krieg beginnen? Die andere war: Wird es Frankreich gelingen, das Bündnis der Türkei mit Russland zu sprengen oder nicht? Sollte die Türkei der Verbündete Frankreichs werden, und sollten Feindschaften zwischen derselben und Russland ausbrechen, so wäre die Lage der Russen in der Adria sehr erschwert worden. Senjavin liess noch 6 Kompagnien Jäger von Korfu nach der Bocca kommen. Anfangs Dezember lief Senjavin aus der Bucht aus und fuhr nach den dalmatischen Inseln, um dieselben zu besetzen. Für die militärischen Zwecke waren diese Inseln von grosser Wichtigkeit. Die Insel Corzola war für die kleinen französischen Schiffe ein geeigneter Zufluchtsort.[58] Am 9. Dezember gelangte Senjavin mit seiner Flotte vor die Stadt und Festung Corzola. Er hatte zwei Bataillone Jäger und 150 Mann ausgewählt, Montenegriner und Bokelen. Die Franzosen unter dem General Orfengo waren in sehr günstiger Lage gegen jeden Angriff. Sie hatten eine sehr starke Schanze bei dem Kloster Hl. Vlachho, 14 Geschütze, viel Munition und waren ihrer 500 Mann. «C'était un poste dans lequel un homme de coeur pouvait tenir au moins pendent quinze jours devant toutes les forees ennemies.»[59] So charakterisiert Marmont die Lage, in welcher sich diese französische Besatzung befand. Und doch gelang es Senjavin, bereits am 10. Dezember, nach kurzem und heftigem Gefecht, auszuschiffen; am 11. nahm er die Schanze ein und nahm alle am Leben gebliebenen Soldaten mit dem General Orfengo selbst gefangen. Sechs französische Offiziere und 150 Soldaten fielen im Kampfe. Die Russen mit den Montenegrinern verloren etwa 30 Mann und hatten zirka 80 Verwundete. Von den Montenegrinern zeichneten sich durch bewundernswerte Furchtlosigkeit und Tapferkeit die Brüder des Vladika, Savo Petrovic und Stanko Petrovic aus.[60]

Sofort nach der Einnahme Corzolas griff Senjavin Brazza, eine andere benachbarte Insel, an. Die Franzosen leisteten dort nicht viel Widerstand. Es gab dort keine Festung und keine Redoute; hier war General Marmont selbst. Weil die Garnison zu klein und zu schwach war, wollte er sich in keinen Kampf einlassen, sondern zog nach Spalato zurück. Die Russen aber nahmen 83 Mann gefangen, darunter 3 Offiziere.


Die benachbarte Insel Lesina war sehr gut befestigt. Man dachte hier, dass nach Brazza nun Lesina an der Reihe sein werde, und darum bereitete man sich möglichst schnell und gut zum Kampfe vor. Es kam aber anders. Der russische General erhielt aus Korfu ganz beunruhigende Nachrichten. Man meldete, Ali-Pascha von Janina sei bereit, die Ionischen Inseln anzugreifen. Diese Nachricht bewog den Admiral, sofort seine Eroberungen auf den Inseln preiszugeben und nach Süden in See zu gehen. Er kam mit dem Heer zuerst nach Cattaro.[61] Und von da aus fuhr er weiter nach Korfu. In der Bucht blieb der Kapitän Baratinski mit drei Kreuzern zurück. Sankovski war Zivilverwalter der Bocca, und der Vladika versprach, Cattaro vom Lande aus zu verteidigen.

Nach seinem Rückzug nach Zavtat, blieb Marmont nicht lange in diesem Ort, sondern ging nach Ragusa. Vorläufig gab er den Gedanken, die Bocca zu erobern, auf, oder richtiger ausgedrückt: Jetzt traf er alle möglichen Massregeln und Vorbereitungen, um die Stadt Ragusa als den Ausgangspunkt für jene Eroberung zu befestigen. Napoleon selbst machte grosse Pläne in bezug auf diese Stadt, Marmont sagt darüber folgendes: «L'Empereur avait sur Raguse les projets les plus étendus: cette ville devait devenir notre grande place maritime dans les mers de l'Orient, et être disposée pour satisfaire aux besoins d'une nombreuse escadre, qui y aurait habituellement stationnné.»[62] Prinz Eugen schrieb an Marmont am 8. September 1806: «Sa Majesté espère que vous aurez pu profiter du temps pour vous organiser, armer et fortifier Raguse. C'est un point très important dans les circonstances actuelles, puisque l'on croit que la Russie va déclarer la guerre à la Porte et marcher sur Constantinople.» (Marmonts Mem. X, p. 80.) Darum gab sich Marmont alle Mühe, Ragusa in gehörigen Verteidigungszustand zu setzen. Die zwei Bergfestungen über der Stadt wurden verbessert und neu ausgerüstet. Das gleiche tat der General mit den kleinen Inseln in der Nähe der Stadt. Und schliesslich gab er dem General Lauriston viele Instruktionen, überliess ihm 4500 Mann und reiste am 1. November nach Spalato ab.[63] Diese Zahl war zu gering. Daher ist es kein Wunder, dass die Franzosen keinen Angriff in Abwesenheit Senjavins auf die Bocca zu unternehmen wagten.

Am 11. Oktober schrieb Sebastiani aus Konstantinopel an Marmont: «Une rupture paraît inévitable entre la Russie et la Sublime Porté.»[64] Am 30. Dezember war dieser Bruch vollzogen. Die Türkei erklärte Russland den Krieg. Und am 29. Januar 1807 bekam Marmont eine Instruktion aus Napoleons Lager bei Warschau von dem General-Major, in der es hiess: «L'Empereur est aujourd'hui ami sincère de la Turquie, et ne désire que lui faire du bien; conduisez-vous donc en conséquence.» Und am Tage vorher schrieb Sebastiani noch deutlicher, wie Marmont die Türken unterstützen sollte: Ali-Pascha ... manque de boulets du calibre de douze et de seize, ainsi que de poudre. Je vous prie en grâce de faire tous vos efforts pour lui en envoyer le plus que vous pourrez, soit par terre, soit par mer, et même, s'il est possible, de lui expédier quelques officiers d'artillerie.»[65] Und am 30. März schrieb derselbe: «Les paclias de Bosnie et de Scutari ont reçu ordre de vous seconder de tous leurs moyens, et même de se réunir à vous pour combattre les Monténégrins et Cattaro.»[66]—Wir haben diese Briefauszüge angeführt, um zu zeigen, wie die Verbindung zwischen den Franzosen und den Türken sich so schnell festigte, dass sie ein gemeinsames Vorgehen auf allen Punkten bewirken konnten und wie die den Türken von General Marmont zuteilgewordene Unterstützung gegen die Montenegriner und Russen zu erklären sei.

General Marmont half den Türken in der Tat aus allen Kräften im Kampfe gegen die Slaven. Das geschah im Monat Mai. Die Serben aus der Herzegovina wendeten sich an den Vladika mit der Bitte um Unterstützung gegen die Gewalttaten der Türken, von denen sie seit Beginn des russisch-türkischen Krieges ganz unmenschlich und grausam behandelt wurden. Der Vladika erklärte sich sofort bereit, ihnen seine Hilfe gegen die Tyrannei angedeihen zu lassen. Er besprach die Sache mit Sankovski. Dieser sagte, dass er direkten Befehl von seiner Regierung habe, den Slaven nach Möglichkeit beizustehen. Er gestattete also, dass die russischen Truppen mit den Montenegrinern gegen die Türken in der Herzegovina ziehen sollten und gab demgemäss sofort den Heerführern in Risano und Castelnuovo Instruktionen. Der grösste Teil der russischen Armee in der Bocca zog nach der Herzegovina, in zwei Richtungen, auf Trebinje und Onogoschte zu. Die Montenegriner vereinigten sich unterwegs mit den Russen. Alles war im besten Gang. Die genannten Ortschaften wurden belagert, die türkischen Häuser in der Umgebung stark beschädigt. Nun aber brach ein Zwist unter den russischen Befehlshabern aus, der diese ganze Expedition zum Scheitern brachte. Die Armee kehrte unverrichteter Sache heim.

Der Valdika aber wollte die Sache nicht ruhen lassen. Die Klagen gegen die türkische Gewalttätigkeit häuften sich von Tag zu Tag immer mehr. Er suchte Kriegsmittel und versammelte das Heer. Am 30. Mai überschritt er die herzegovinische Grenze mit 3000 Montenegrinern und 400 Russen und griff die Stadt Klobuk an.[67] Hier gab es eine starke Festung, welche nicht leicht zu erobern war. Die Türken verteidigten sich in jenem Bollwerk. Sie, hätten sich endlich doch den Angreifern ergeben müssen, wären im entscheidenden Augenblicke die Franzosen ihnen nicht zu Hilfe gekommen. Marmont stand mit dem Pascha von Trebinje, Suliman, auf sehr freundschaftlichem Fusse. Den frühern Pascha von Trebinje hatte der französische General abgesetzt, weil er eine den Franzosen feindliche Gesinnung hegte. Der neue Pascha wurde von Marmont eingesetzt. Dieser sandte den General Launay dem Suliman-Pascha gegen die Slaven zu Hilfe. Launay nahm 1000 Soldaten mit und sammelte unterwegs bis nach Klobuk hin noch 2000 Türken. Diese Schar fiel den Slaven in den Rücken. Diese fanden sich nun zwischen zwei Feuern. Die russische Abteilung geriet in eine solche Enge, dass sie sich ganz ergeben musste. Die Montenegriner zogen nach heftigem Kampfe und bedeutenden Verlusten zurück.

Zur Ehre des Generals Launay soll hier eine Tat seiner Menschlichkeit und seines Edelmutes erwähnt werden. Als nämlich die Türken alle russischen Gefangenen enthaupten wollten, trat er für diese ein und suchte dieses barbarische Vorgehen seiner Verbündeten zu vereiteln. Vergeblich aber waren alle seine freundschaftlichen Mahnungen, vergeblich auch seine Drohungen. Er griff daher zu einem absonderlichen, doch höchst vorteilhaften Mittel. Er kaufte die Gefangenen los und zahlte einen Louisdor für den Kopf. Bald darauf bereuten es die Verkäufer, und sie wollten dem General das genommene Geld zurückgeben, damit ihnen der grosse Genuss des Blutbades nicht verloren gehe.[68]

Ausser den Kämpfen in der Herzegovina gegen die Slaven im Vereine mit den Türken hatte Marmont einige kleinere Gefechte mit Senjavin an der Küste Mittel-Dalmatiens, bei Spalato und Poliza, die aber zu seinem Nachteile entschieden wurden. In die Beschreibung dieser Kämpfe wollen wir uns hier nicht näher einlassen, da dieselben in einen andern Zusammenhang gehören. Denn unser unmittelbare Zweck ist, das Schicksal der Bocca zu verfolgen und nur die Ereignisse zu berühren, die dieses Schicksal bestimmt haben, und ferner zu zeigen, wie dieses kleine, arme und doch höchst romantische Land auf die politische Situation Europas einen nicht geringen Einfluss ausübte.